Systemische Organisationsentwicklung

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Die Systemische Organisationsentwicklung (OE) ist ein spezielles Konzept zur Gestaltung von Veränderungsprozessen in Unternehmen. Bei der Organisationsentwicklung geht es darum, Veränderungsprozesse in Organisationen zu initiieren und zu lenken und hierbei den Angehörigen der Organisation eine tragende Rolle einzuräumen. Die Einbeziehung der Organisationsmitglieder führt zu einer Erhöhung des Problemlösungspotentials und der Selbsterneuerungsfähigkeit der Organisation.[1] Mit dem Zusatz systemisch wird der ganzheitliche Anspruch betont.

Ursprung

Das Konzept der systemischen OE stellt eine spezielle Form des Umgangs mit Veränderungsprozessen dar, das sich durch seinen inter- und transdisziplinären Charakter auszeichnet. Von besonderer Bedeutung sind die konstruktivistische Erkenntnistheorie, die Systemtheorie und die Organisationstheorie.

In der systemischen OE werden Organisationen als soziale Systeme verstanden, in denen einerseits das Verhalten des Einzelnen vom sozialen System und andererseits die Entwicklung des sozialen Systems vom Einzelnen beeinflusst werden. Veränderung stellt die einzige stabile Konstante dar, es findet eine permanente Entwicklung des Systems statt. Als Folge gibt es keine starren Strukturen. Die systemische OE soll helfen, die Komplexität des Systems zu reduzieren und Selbstorganisation zu ermöglichen.

Inhalte

Die 7 Wesenselemente einer Organisation

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Das obenstehende Modell [2] veranschaulicht die Vernetzung der sieben Wesenselemente einer Organisation.

1. Identität: gesellschaftliche Aufgabe, Sinn und Daseinszweck der Organisation (sie ist der zentrale Bezugspunkt der systemischen OE)

2. Strategien: Konzepte, langfristige Ziele und Visionen (die systemische OE verlangt mit ihrem ganzheitlichen Anspruch, dass sich die einzelnen Vorgänge aufeinander beziehen)

3. Funktionen: Verantwortung, Aufgabenverrichtung, Kompetenzen und Rollenerwartungen (die systemische OE soll hier Funktionslücken aufdecken)

4. Sachmittel: Informations- und Kommunikationsmedien, Geldmittel, Transportmittel etc. (die systemische OE bedient sich dieser Ressourcen)

5. Abläufe: Informationsfluss, Entscheidungs- und Zielfindungswege, Innovationen und Wertschöpfungskette (durch die Beteiligung aller strebt die systemische OE Konsensentscheidungen an)

6. Menschen, Gruppen, Beziehungen: Beziehungsgestaltung intern, extern und am Knotenpunkt zwischen innen und außen (die systemische OE analysiert hier die Beeinflussung von Denkweisen, Gefühlen, Wahrnehmung, Klima etc.)

7. Strukturen: Aufbau- und Ablauforganisation, Ordnungsmuster für Kontinuität und Komplexitätsreduktion (sie bilden den Rahmen, in dem sich die systemische OE bewegt)


Menschenbild

Die systemische OE begreift den Menschen als Einheit von Körper, Geist und Seele. Als körperlich-biologisches Wesen setzt es seine Fähigkeiten und Fertigkeiten ein. Die Beziehungen zu anderen Menschen mit dem Bedürfnis nach Anerkennung, Wertschätzung und Kommunikation gestaltet der Mensch als seelisch-soziales Wesen. Als denkendes, intellektuelles und selbständiges Individuum, also als geistiges Wesen, möchte der Mensch seine persönliche Entfaltung und Entwicklung mit größtmöglicher Freiheit selbst gestalten. Die Maßnahmen der systemischen OE sollen den Anforderungen entsprechen, die diese Einheit stellt.


Ziele

Der klassischen OE geht es um die Ziele Effektivität und Humanisierung. In der systemischen OE wird zudem das Ziel der Authentizität verfolgt. Darunter ist zu verstehen, dass die Konflikte, die sich zwischen den klassischen Zielen ergeben können, offen angesprochen und angegangen werden. Die Förderung der Selbstorganisation stellt ein weiteres Ziel der systemischen OE dar, welches dem menschlichen Bedürfnis nach Ordnung und Sicherheit nachkommt. Dies setzt allerdings Motivation (Wollen), Fähigkeit (Können) und Kompetenz (Dürfen) der Beteiligten voraus.


Grundprinzipien

In der Organisationsentwicklung werden die Prinzipien der Partizipation, der Prozessorientierung und der Langfristigkeit des Projektes zugrunde gelegt. Sie strebt an, seitens der Mitarbeiter eine aktive Mitbeteiligung auszulösen und den Prozess, anstelle des Ziels, in den Vordergrund zu stellen. Außerdem soll der Prozess langfristig und schrittweise angelegt werden. Darüber hinaus drückt sich der systemische Aspekt im Prinzip der ständigen Veränderung aus. Davon ausgehend, dass sich Umwelten ständig wandeln, müssen sich Unternehmen ebenfalls dauernd anpassen und verändern. Die systemische OE soll deshalb als ein kontinuierlicher Prozess angelegt werden.


Varianten

Man kann zwischen dem individuumszentrierten (auch personalen) und dem strukturalen Ansatz unterscheiden. Der individuumszentrierte Ansatz befasst sich ausschließlich mit dem Menschen als Mittelpunkt im Prozess der OE. Als wichtigste Methoden gelten:

- Gruppendynamisches Training(Laboratoriumsmethode): dabei trifft sich eine Gruppe, deren Teilnehmer sich nicht kennen über mehrere Tage an einem neutralen Ort; aus den Handlungen und Interaktionen, die sich aus der Gruppendynamik ergeben, sollen die Teilnehmenden lernen

- Sensitivitätstraining: ist eine Gruppenmethode, bei dem die Selbsterfahrung im Vordergrund steht und eine sensiblere Selbst- und Fremdwahrnehmung entwickelt werden soll

- Transaktionsanalyse: hier werden ebenfalls Interaktionen zwischen Menschen untersucht

Der strukturale Ansatz befasst sich mit den Strukturen und Abläufen in der Organisation. Methoden dieses Ansatzes sind:

- Job Enrichment: Erweiterung der Arbeitsaufgaben eines Mitarbeiters auf einem höheren Anforderungsniveau

- teilautonome Arbeitsgruppen: eine Gruppe erhält eine Aufgabe und muss diese selbstständig ohne Festlegung der einzelnen Aufgaben der Mitglieder erledigen

- Survey-Feedback: im Unternehmen wird eine Umfrage unter den Mitarbeitern erstellt; ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf dem Feedback; ein Beispiel sind Workshops, bei denen die Mitarbeiter ihre Ergebnisse erklären und Lösungsansätze finden können

- Prozessberatung: Maßnahmen eines Beraters, um die Wahrnehmung von Prozessen im Unternehmen zu erhöhen

Die Trennung der beiden Ansätze fand vor allem in den Anfängen der OE statt. Um den systemischen Anspruch zu wahren, müssen sowohl die Menschen als auch die Strukturen in den OE Prozess integriert und beide Ansätze vereint werden.

Glasl unterscheidet drei Formen der Vorgehensweise: Bei der deduktiven Strategie beginnt der OE-Prozess beim Gesamtsystem und wird auf immer tiefer gehenden Ebenen fortgeführt. Im Gegensatz dazu beginnt der Prozess bei der induktiven Vorgehensweise auf der untersten Ebene, den Kernprozessen, und schließt dann immer weitere Bereiche des Unternehmens ein bis die Gesamtunternehmensebene erreicht wird. Beide Strategien zu verbinden versucht die Leitthemen-Strategie, bei dem anfangs ein Leitthema im Unternehmen festgelegt wird, welches alle weiteren Aktivitäten bestimmt. Als Beispiel für solch ein Leitthema lässt sich "mehr Umweltverantwortung" nennen.


Systemische OE als Prozess

Im Prozess der systemischen OE werden verschiedene Phasen durchlaufen. Dabei gibt es allerdings keine feste Reihenfolge und da es sich um einen fortwährenden Entwicklungsprozess handelt, werden einzelne Phasen mehrmals durchlaufen. Zunächst einmal ist es sinnvoll, eine gewisse Orientierung zu schaffen und dabei die Organisationsmitglieder für den Veränderungsprozess zu sensibilisieren. Um Zukunftsbilder zu erarbeiten, sollte eine Situationsklärung stattfinden, in der ein gemeinsames Verständnis der IST-Situation entwickelt wird. Nachdem Veränderungsziele formuliert wurden, ist es sinnvoll, diese noch einmal zu konkretisieren und zu gewichten, um den Prozess nicht zu komplex zu gestalten. Zur Verankerung des OE-Prozesses in der Organisation sollte eine Steuerungsstruktur, bestehend aus einem internen Projektleiter und einer Entwicklungsgruppe, geschaffen werden. Über die gesamte Dauer des Prozess muss eine vollständige und dauernde Information an alle Betroffenen gewährleistet sein, um Transparenz zu schaffen. Außerdem muss nach der Bearbeitung ausgewählter Ziele auch eine Auswertung und Kontrolle bisheriger Teilprojekte durchgeführt werden, bei denen neue Ziele in den Prozess integriert und vorhandene angepasst werden.

Kritische Betrachtung

Eine Herausforderung der systemischen OE ist, dass die Identität der Organisation als Bezugspunkt der Maßnahmen dient. Unternehmenszusammenschlüsse sind häufig Auslöser für Veränderungsprozesse und werfen die Problematik der Identitätsfindung für die neue Organisation auf. Wenn die Organisation sich also noch nicht über die eigene Identität klar ist, scheint sich die systemische OE nicht als Konzept zur Begleitung dieses Veränderungsprozesses zu eignen. Ähnlich ist die Situation in Organisationen, deren Subeinheiten (Geschäftsbereiche, Landesgesellschaften o. ä.) starke Identitätsunterschiede aufweisen. Ein organisationsumfassender, systemischer OE-Prozess ist dann schwer zu realisieren. Bei Betrachtung der Identitätsentwicklung als Teilaufgabe der systemischen OE, ist dieser Kritikpunkt zu vernachlässigen.

In der Literatur wird oft empfohlen, einen OE-Berater (intern oder extern) zu engagieren. Ein Problem könnte allerdings darin liegen, dass einem Außenstehenden die Identität der Organisation nicht entsprechend schnell und leicht zugänglich ist, um als zentraler Bezugspunkt der einzelnen Maßnahmen dienen zu können. Auch die Komplexität der Organisation stellt eine Herausforderung an die Ganzheitlichkeit der vom Berater einzuleitenden Maßnahmen dar. Im Kampf um knappe Ressourcen (finanzielle Mittel oder Aufmerksamkeit des Managements) kann es zu einem Wettbewerb zwischen einzelnen Unternehmensbereichen kommen, der einer im Rahmen der systemischen OE gewünschten Zusammenarbeit entgegensteht. Zudem kann die Berufung eines externen Beraters von den Mitarbeitern als Zeichen fehlender Mitwirkung und Selbstverpflichtung des Managements gedeutet werden. Da das Engagement des Beraters zeitlich begrenzt ist, scheint auch die Langfristigkeit der Entwicklungsarbeit fragwürdig und damit die Zielerreichung gefährdet.

Die starke Prozessorientierung stellt einen weiteren Kritikpunkt dar, denn eine Überbetonung von Diagnosen und Problemanalysen benötigt viel Zeit und Energie und kann eine negative Haltung fördern. Eine verstärkte Zielorientierung könnte hier entgegenwirken, da sie den Blick auf erstrebenswerte und wünschenswerte Zustände richtet und so neue Kraft gibt.

Das Transfer-Problem entsteht bei der Anwendung des im Rahmen der Organisationsentwicklung Erlernten bzw. Entwickelten. Da einzelne Trainingsmaßnahmen zur Wahrung des Betriebsablaufs nicht in laufende Arbeitssituationen integriert werden, werden die neuen Verhaltensweisen in künstlichen Situationen erlernt bzw. entwickelt. Anschließend fällt es den Beteiligten oftmals schwer, die in Seminaren erlernten Verhaltensweisen in die Praxis umzusetzen, da in der Organisation die alten Bedingungen vorherrschen. Dieser Kritikpunkt trifft allerdings nicht nur auf die systemische OE, sondern auch auf zahlreiche andere Ansätze zu.

Literatur

Baumgartner, Irene; Walter Haefele; Manfred Schwarz; Kino Sohm (2004): OE-Prozesse. Die Prinzipien systemischer Organisationsentwicklung; ein Handbuch für Beratende, Gestaltende, Betroffene, Neugierige und OE-Entdeckende. 7., unveränd. Aufl. Bern: Haupt.

Glasl, Friedrich (Hg.) (1983): Verwaltungsreform durch Organisationsentwicklung. Bern [u.a.]: Haupt (Organisationsentwicklung in der Praxis).

Glasl, Friedrich (Hg.) (2008): Professionelle Prozessberatung. Das Trigon-Modell der sieben OE-Basisprozesse. 2., überarb. u. erg. Aufl. Bern [u.a.]: Haupt.

Glasl, Friedrich; Sassen, Hans von (1983): Standortklärung der Organisationsentwicklung. Reformstrategien und Organisationsentwicklung. In: Glasl, Friedrich (Hg.): Verwaltungsreform durch Organisationsentwicklung. Bern [u.a.]: Haupt (Organisationsentwicklung in der Praxis), S. 17-46.

Häfele, Walter (1996): Systemische Organisationsentwicklung. Eine evolutionäre Strategie für kleine und mittlere Organisationen. 3., korrig. Aufl. Frankfurt am Main: Lang.

König, Eckard; Volmer Gerda (1997): Systemische Organisationsberatung. Grundlagen und Methoden. 5. Aufl., Dr. nach Typoscript. Weinheim: Dt. Studien-Verl.

Tomaschek, Nino (Hg.) (2006): Systemische Organisationsentwicklung und Beratung bei Veränderungsprozessen. Ein Handbuch. Heidelberg: Auer.

Tomaschek, Nino (Hg.) (2007): Perspektiven systemischer Entwicklung und Beratung von Organisationen. Ein Sammelband. 1. Aufl. Heidelberg: Verl. für Systemische Forschung im Carl-Auer-Verl.

Organisationsentwicklung: Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management. Düsseldorf: Verl.-Gruppe Handelsblatt, 1982-heute.

Quellen

[1] Vgl. Glasl, von Sassen 1983: 26.

[2] In Anlehnung an Baumgartner 1996: 48.