Verantwortlichkeit

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Der Begriff der Verantwortlichkeit und die damit implizierte menschliche Verantwortung weckte bereits in der griechisch-römischen Antike und im Mittelalter das Interesse von zahlreichen Philosophen. [1] Auch heute ist Verantwortlichkeit ein viel diskutierter Begriff mit zahlreichen Definitionsauffassungen. [2]

Begriff

Der Begriff Verantwortung sowie das Verb verantworten wurden erstmals in der mittelhochdeutschen Sprache im Bereich der Rechtsprechung verwendet. Die Begriffe sind etymologisch verwandt mit den Worten respondere, responsio und responsum aus dem römischen Recht, welche als Grundgedanken das Antworten auf eine Frage haben. Zudem wird durch das mittelalterliche Christentum neben der rechtlichen auch eine ethische Dimension des Wortes Verantwortung, die imputatio, ergänzt. „,[I]mputatio‘ heißt wörtlich ,Zurechnung‘ und meint die in der Freiheit der Person gegründete Möglichkeit der Beurteilung einer Handlung in Bezug auf gegebene Regeln und Gesetze“ [3].


Die Begriffe Verantwortlichkeit und Verantwortung werden in der Literatur häufig synonym verwendet. Autoren wie Frink, Klimoski und Schlenker et al. haben Verantwortlichkeit und Verantwortung jedoch klar voneinander abgegrenzt. [4] Verantwortlichkeit beinhaltet, im Unterschied zu Verantwortung, die Voraussetzung, dass dritte Personen die Verantwortlichen beobachten und bewerten. [5] Somit haben die Verantwortlichen eine Rechtfertigungspflicht gegenüber Dritten. [6] Des Weiteren wird in der Literatur oftmals die gefühlte Verantwortlichkeit eines Individuums angeführt, womit die Wahrnehmung der eigenen Verantwortung des Individuums gemeint ist. [7]


Heidbrink hält fest, dass es viele verschiedene Definitionen und Interpretationen von Verantwortung gibt. Zumeist wird unter Verantwortung verstanden „für etwas zuständig zu sein“ und demnach auch „die Konsequenzen der eigenen Handlungen zu tragen“ und für diese „Rede und Antwort zu stehen“ [8]. Das verantwortliche Individuum muss die eigenen Handlungen sowie deren Folgen unter der Berücksichtigung verschiedener Normen rechtfertigen können. [9] Es kann zudem zwischen Eigen- und Fremdverantwortung unterschieden werden. Bei ersterem trägt das Individuum die Verantwortung für sich selbst, während es bei der Fremdverantwortung die Verantwortung für jemand anderen oder etwas anderes übernimmt. [10] Nach Heidbrink müssen die folgenden fünf Voraussetzungen gegeben sein, damit jemandem berechtigt die Verantwortung für sein Handeln zugeschrieben werden kann. Die Freiheit des Handelns besteht, wenn das Individuum selbstbestimmt Entscheidungen treffen und somit ohne Zwang handeln kann. Die Kausalität des Handelns ist gegeben, wenn das Individuum die Ausführung einer Handlung, jedoch nicht die äußeren Umstände beeinflussen kann. Bei der Absichtlichkeit der Handlung handelt das Individuum intentional, d.h. es ist sich seiner Handlungsabsichten bewusst. Zudem kennt das Individuum mögliche Handlungskonsequenzen, was der Vorhersehbarkeit der Folgen von Handlungen und Unterlassungen nach Heidbrink entspricht. Dabei verfügt das Individuum über Informationen über die Umstände der eigenen Handlungen und hat zusätzliche Informationen bei Wissensdefiziten eingeholt. Als letzte Voraussetzung nennt Heidbrink das Normenbewusstsein, bei dem das Individuum die verschiedenen Regeln, Gesetze, Prinzipien, Normen und Werte kennt, auf denen seine Handlungen beruhen. [11]

Ähnliche Begriffe

Im alltäglichen Sprachgebrauch werden an Stelle von Verantwortung bzw. Verantwortlichkeit ähnliche Begriffe verwendet, die jedoch eindeutige Bedeutungsunterschiede aufweisen und somit klar vom Verantwortungsbegriff abzugrenzen sind. Dies wird im Folgenden anhand der Begriffe Pflicht und Zuständigkeit betrachtet.

Pflicht wird als eine Aufgabe definiert, die einem Individuum auferlegt wird und deren Erfüllung sich das Individuum nicht entziehen kann, ohne mit sozialen Sanktionen rechnen zu müssen. [12] Der Pflichtbereich ist klar eingegrenzt, während der Verantwortungsbereich oftmals nicht eindeutig definiert ist. Des Weiteren handelt es sich bei Pflicht, im Unterschied zur Verantwortung, primär um die Einhaltung bestimmter Regeln und nicht um die Berücksichtigung der Handlungsfolgen. [13]

Der Begriff der Zuständigkeit beschreibt eine Befugnis bzw. Kompetenz, welche, ähnlich zum Pflichtbegriff, auf einen bestimmten Aufgabenbereich begrenzt ist. [14] Bei der Zuständigkeit steht die Erfüllung einer Aufgabe im Vordergrund, während sich Verantwortlichkeit auch auf die Rechtfertigung der Folgen der eigenen Handlungen bezieht. [15]

Veranschaulichung

Verantwortung wird von Heidbrink in drei Grundformen unterschieden. [16]


Die ethische Sicht von Verantwortung steht für das Einstehen von Handlungsfolgen aufgrund von moralischen Prinzipien.

Beispiel: Ein Einzelhändler verkauft Kaffee, bei dessen Produktion giftige Pestizide eingesetzt und schlechte Arbeitsbedingungen für die Arbeiter/innen herrschen. In der Gesellschaft ist mittlerweile ein größeres Bewusstsein für die Notwendigkeit einer umweltfreundlichen und sozialverträglichen Herstellung von Lebensmitteln und Waren entstanden. Einzelhändler, die verantwortlich handeln wollen, werden verstärkt nur solchen Kaffee anbieten, der nachhaltig produziert und fair gehandelt wird.


Die rechtliche Sicht von Verantwortung beruht auf der Sanktionierung von Handlungen aufgrund von Regeln und Gesetzen.

Beispiel: Ein Autofahrer fährt, aufgrund des mangelnden Sicherheitsabstandes, auf das vor ihm fahrende Fahrzeug auf und verursacht einen Blechschaden. Der Fahrer des vorausfahrenden Fahrzeugs hatte wegen eines Kindes, welches plötzlich auf die Straße lief, abrupt und stark bremsen müssen. Der Auffahrende ist laut § 4 der Straßenverkehrsordnung verantwortlich für den Unfall. Daher muss er z.B. auch die Kosten für die entstandenen Schäden übernehmen. [17]


Die soziale Sicht von Verantwortung beinhaltet die Bereitwilligkeit für die Ausführung von Aufgaben aufgrund von bereits existierenden Zuständigkeiten oder aufgrund von eigener Bereitschaft.

Beispiel: Eine Rentnerin, die seit 45 Jahren ehrenamtlich im Heimatverein aktiv ist, hat besonders seit Beginn ihrer Pensionierung viel Engagement gezeigt. Aus ihrer Eigeninitiative hat sie bereits einige Tagesausflüge für den Verein organisiert. Nun ist sie zudem im Veranstaltungskomitee des Jubiläumsfestes vertreten und fühlt sich zuständig, Verantwortung für das Fertigstellen der Einladungskarten zum Jubiläumsfest zu übernehmen. [18]

Empirie

Verbreitung

In der empirischen Forschung ist eine Vielzahl an Studien zur Verantwortlichkeit im Unternehmenskontext zu finden. Auf organisationaler Ebene umfassen Studien zur Verantwortlichkeit insbesondere die unternehmerische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft (Corporate Social Responsibility). [19] Der Großteil empirischer Studien bezieht sich jedoch auf die individuelle Ebene von Verantwortlichkeit. [20] Auf dieser sind zudem vorrangig Studien zur gefühlten Verantwortlichkeit am Arbeitsplatz zu finden. [21] Hall et al. unterscheiden zwischen Determinanten zur Entstehung von Verantwortungsgefühl und den daraus entstehenden Wirkungen auf weitere Variablen. Den Autoren zufolge finden die Auswirkungen von Verantwortungsgefühl in der Empirie eine höhere Berücksichtigung als dessen Determinanten. [22] Die im Folgenden genannten Determinanten und Wirkungen gelten ceteris paribus und sind als allgemeine Aussagen zu verstehen, welche unter veränderten Bedingungen sowie in Einzelfällen abweichen können.

Determinanten

Hall et al. finden in der empirischen Literatur vier Kategorien an Determinanten von Verantwortungsgefühl im beruflichen Kontext: das Monitoring durch Vorgesetzte, Feedback, die berufliche Kompetenz von Mitarbeitenden sowie deren Gemütszustand. [23] Nach Mero et al. führt das Monitoring von Mitarbeitenden durch Vorgesetzte zu einem erhöhten Verantwortungsgefühl. So wirkt es sich beispielsweise positiv aus, wenn sich Vorgesetzte nach dem Stand der Aufgabenerledigung ihrer Mitarbeiter erkundigen.[24] Zudem wird das Verantwortungsgefühl von Mitarbeitenden gesteigert, wenn diese von Vorgesetzten Feedback erhalten. [25] Darüber hinaus kann auch Feedback seitens der Mitarbeitenden deren Verantwortungsgefühl steigern. [26] Des Weiteren steigt das Verantwortungsgefühl von Mitarbeitenden mit ihrer beruflichen Kompetenz. [27] Je höher Mitarbeitende ihre Kompetenz hinsichtlich der Bearbeitung einer Aufgabe einschätzen, desto eher sind sie bereit, Verantwortung für diese Aufgabe zu übernehmen. [28] Darüber hinaus bestimmt auch der Gemütszustand von Mitarbeitenden deren gefühlte Verantwortung. So fühlt eine positiv gestimmte Person in der Regel eine höhere Verantwortung als Mitarbeitende in einer negativen Stimmungslage. [29]

Wirkungen

Die empirische Forschung zur Verantwortlichkeit konzentriert sich auf vier Arten von abhängigen Variablen: affektive Zustände, Verhaltensweisen, Entscheidungen und Kognitionen. [30] Verantwortlichkeit in Unternehmen kann sowohl negative Gefühle, wie Angst oder emotionale Erschöpfung, als auch positive Gefühle, wie eine höhere Arbeitszufriedenheit, hervorrufen. [31] Sorensen et al. empfehlen, Mitarbeitenden Verantwortung zu übertragen. Dies steigert das Verantwortungsgefühl und somit die Arbeitszufriedenheit, sodass die Aufgabenergebnisse verbessert werden. [32] Hall et al. hingegen warnen davor, Mitarbeitende für zu viele Aufgaben Verantwortlichkeit zu übertragen, da dies zu Stress und Spannungen am Arbeitsplatz führen kann. [33] Folglich ist eine Entscheidung hinsichtlich der Übergabe von Verantwortung stets unter Berücksichtigung der individuellen Umstände zu treffen. [34] Verantwortlichkeit kann außerdem Verhaltensweisen und Entscheidungen beeinflussen. So kann eine hohe Verantwortung dazu führen, dass die verantwortliche Person das Treffen von Entscheidungen meidet, indem sie die eigene Verantwortung anderen zuschreibt oder Entscheidungen zeitlich hinauszögert. [35] Zudem können mit steigender Verantwortung die Verwendung von Ausreden sowie das Leugnen von Verantwortlichkeit verstärkt werden. Diese Wirkung wird nach Markman und Tetlock von der Vorhersehbarkeit der Folgen moderiert. Sind die Folgen einer Entscheidung nicht vorhersehbar, so wird Verantwortung im Nachhinein eher geleugnet als bei vorhersehbaren Folgen. [36] Darüber hinaus beeinflusst Verantwortlichkeit die Kognitionen, d.h. den Inhalt und die Art und Weise, wie man über etwas nachdenkt. So kann Verantwortlichkeit die Gewissenhaftigkeit und die emotionale Stabilität von Individuen fördern. [37] Außerdem kann auf Denkprozesse bezogene Verantwortlichkeit kontrafaktisches Denken fördern. Kontrafaktisches Denken vergleicht die Realität mit einer hypothetischen Situation und kann Lernprozesse von Individuen fördern. [38]

Theorie

Ausgewählte Theorie

Die Grundlage für eine richtige Verhaltensbeurteilung des Individuums bilden nach dem Dreiecksmodell von Schlenker et al. die Kenntnis von drei Bestandteilen der Verantwortung: den jeweils relevanten Vorschriften, der Identität des zu Beurteilenden sowie dem zu beurteilenden Ereignis. Zu Vorschriften zählen Codes und Verhaltensregeln, die Informationen zu Zielen und Wegen der Zielerreichung enthalten. Die Identität bezieht sich auf die Rolle, Qualitäten, Eigenschaften sowie das Engagement und die Leistungsbereitschaft des Individuums. Das Ereignis umfasst (Teil-)Handlungen, die als alleinstehende Einheiten und unabhängig von anderen Handlungen bewertet werden können, sowie deren Konsequenzen. [39] Schlenker et al. bezeichnen Verantwortung als „psychologischen Klebstoff“ [40], der das Individuum mit dem Ereignis und den verhaltenssteuernden Vorschriften verbindet. Demnach resultiert Verantwortung aus der gebündelten Stärke aller Beziehungen der drei Bestandteile zueinander. Somit ist die Verantwortung eindeutig, wenn die Beziehungen Vorschriften-Ereignis, Vorschriften-Identität und Ereignis-Identität stark ausgeprägt sind. Eine starke Vorschriften-Ereignis-Beziehung liegt vor, wenn klare Ziele und Regeln für ein bestimmtes Ereignis gegeben sind und alternative Interpretationen nicht möglich sind. Umgekehrt begründet sich eine schwache Vorschriften-Ereignis-Beziehung in widersprüchlichen Zielen sowie Regeln, die unterschiedliche Interpretationen zur Anwendung der Vorschriften in dem vorliegenden Ereignis bezüglich des vorliegenden Ereignisses zulassen. Kann ein bestimmtes Set an Vorschriften, das auf eine bestimmte Personengruppe zugeschnitten ist, auf das zu beurteilende Individuum angewendet werden, ist eine starke Vorschriften-Identität-Beziehung vorhanden. Weist das Individuum nicht alle Merkmale der bestimmten Personengruppe auf oder liegen Rollenkonflikte vor, treffen die Vorschriften nicht eindeutig auf das Individuum zu. Somit ist die Vorschriften-Identität-Beziehung geschwächt. Eine starke Identität-Ereignis-Beziehung zeichnet sich dadurch aus, dass das Individuum die Kontrolle über das Ereignis und dessen Konsequenzen besitzt. Im Gegensatz dazu repräsentieren unvorhersehbare und unkontrollierbare Ereignisse eine schwache Identität-Ereignis-Beziehung. [41]

Alternative Theorien

Die Autoren Lerner und Tetlock haben sich mit der Veränderung der Verantwortlichkeit beschäftigt und unterscheiden zwischen Prozess- und Ergebnisverantwortlichkeit. Prozessverantwortlichkeit bedeutet, dass das Individuum ausschließlich für den Prozess, der zu einer Entscheidung führt, verantwortlich ist. Da der Prozess und nicht das Ergebnis im Vordergrund steht, bereitet sich das Individuum auf eine mögliche Rechtfertigung seines Vorgehens und befasst sich intensiv mit möglichen Prozessalternativen. Beurteilende bewerten die Entscheidungen des Prozessverantwortlichen anhand der Qualität des Prozesses, welcher zur Entscheidung geführt hat. [42] Hinsichtlich der Ergebnisverantwortlichkeit ist das Individuum für das Ergebnis seiner Entscheidungen, während die Art und Weise des Vorgehens weniger interessiert. Ergebnisverantwortlichkeit geht oft mit erhöhtem Stress einher, zumal sich trotz großer Bemühungen und intelligenter Prozessführung, ein schlechtes Ergebnis einstellen kann. [43]

Des Weiteren unterscheiden die Autoren zwischen Verantwortlichkeit gegenüber Beurteilenden mit bekannten und unbekannten Einstellungen. Kennt das Individuum die Einstellungen der Beurteilenden, passt es sein Verhalten an diese an, sofern sich damit Sanktionen vermeiden lassen. Kennt das Individuum die Einstellungen der Beurteilenden nicht, sucht es Informationen, die auf diese Einstellungen schließen lassen. [44]

Zudem unterscheiden Lerner und Tetlock zwischen legitimierten und nicht legitimierten Beurteilenden. Die Legitimitätsbewertung kann individuell- und situationsbedingt unterschiedlich ausfallen. Beispielsweise kann ein Individuum in einer bestimmten Situation die Zuweisung von Verantwortlichkeit durch einen Arbeitskollegen als legitim empfinden, während ein anderes Individuum immer nur die Verantwortlichkeitszuweisung vom Vorgesetzten als legitim bewertet. [45]

Darüber hinaus wird zwischen Verantwortlichkeitsbewusstsein vor und nach einer Entscheidung unterschieden. Bei Verantwortlichkeitsbewusstsein vor einer Entscheidung weiß das Individuum bereits bevor es eine Entscheidung trifft, dass es sich für diese rechtfertigen muss. In diesem Fall setzt sich das Individuum normalerweise sorgfältig mit seiner Entscheidung auseinander und bereitet sich auf mögliche Kritik vor. Bei Verantwortlichkeitsbewusstsein nach einer Entscheidung wird dem Individuum erst nachdem es eine Entscheidung getroffen hat, bewusst, dass es sich für diese verantworten muss. Der Aufwand, der in diesem Fall für die Rechtfertigung seiner Entscheidung aufgewandt werden muss, ist in diesem Fall oft unverhältnismäßig hoch. [46]

Ausgewählter Mechanismus

Abbildung 1: Mechanismus der Verantwortlichkeit

Der in Abbildung 1 skizzierte Mechanismus basiert auf der Arbeit von Schmeer und stellt dar, wie sich Verantwortlichkeit auf Entscheidungsprozesse auswirkt. [47] Unter einer Entscheidung versteht man die Auswahl einer Handlung aus verschiedenen, möglichen Handlungsalternativen, wobei das Nicht-Handeln ebenfalls eine Alternative ist. Der Entscheidungsprozess besteht aus drei Schritten. Er beginnt mit der Informationssuche nach möglichen Handlungsalternativen und deren Konsequenzen. Auf Grundlage dieser Informationen werden die Handlungsalternativen bewertet, inwieweit diese das Erreichen eines gewünschten Ziels unterstützen. [48]

Als Auslösebedingungen der Verantwortlichkeit nennt Schmeer das Gefühl persönlicher Verantwortlichkeit für potentielle negative Konsequenzen des eigenen Handelns und die Erwartung, dass das eigene Handeln durch Dritte beurteilt wird. [49]

Schmeer unterscheidet in drei Teilverantwortlichkeiten: Verantwortlichkeitsbewusstsein vor/nach einer Entscheidung, Verantwortlichkeit gegenüber Dritten mit (un-)bekannten Einstellungen und Prozess-/Ergebnisverantwortlichkeit. [50]

Verantwortlichkeitsbewusstsein vor einer Entscheidung bedeutet, dass das Individuum bereits vor dem Treffen seiner Entscheidung weiß, dass es sich für diese Entscheidung rechtfertigen muss. In diesem Fall beschäftigt sich das Individuum intensiv mit der Informationssuche sowie -bewertung und setzt sich kritisch damit auseinander, um gegenüber potentieller Kritik seine Entscheidung fundiert rechtfertigen zu können. Bei Verantwortlichkeitsbewusstsein nach einer Entscheidung ist sich das Individuum erst nach dem Treffen einer Entscheidung bewusst, dass es diese gegenüber Dritten rechtfertigen muss. In diesem Fall setzt sich das Individuum während des Entscheidungsprozesses weniger intensiv mit der Informationssuche und -bewertung auseinander und investiert im Nachhinein einen höheren Aufwand in die Begründung der Richtigkeit seiner getroffenen Entscheidung. [51]

Ist das Individuum verantwortlich gegenüber beurteilenden Dritten, deren Einstellungen es kennt, entscheidet es sich für die Handlungsalternative, die mit den Einstellungen übereinstimmt und von den Beurteilenden somit akzeptiert wird. Das Individuum rechnet nicht mit negativer Kritik seitens der Beurteilenden und wendet daher einen geringen Aufwand für die Informationssuche sowie -bewertung zum Abwägen der Handlungsalternativen auf. Bei beurteilenden Dritten mit unbekannten Einstellungen, versucht das Individuum auf die Normen und Werte der Externen zu schließen und wendet daher einen größeren Aufwand für die Informationssuche sowie -bewertung auf. Das Individuum bereitet sich somit darauf vor, seine Entscheidung gegenüber potentieller Kritik rechtfertigen zu können. [52]

Prozessverantwortlichkeit, bei welcher sich das Individuum für den Weg zu seiner Entscheidung verantworten muss, kann beim Individuum zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Informationen zur Art und Weise der Entscheidungsfindung führen. Bei der Ergebnisverantwortlichkeit, bei der sich das Individuum für das Ergebnis seiner Entscheidung rechtfertigen muss, liegt der Fokus der Informationssuche und -bewertung auf der Begründung, warum die gewählte Handlung im Vergleich zu den anderen Handlungsalternativen die vorteilhaftere ist. [53]

Anwendung

Bedeutung für Change-Phänomene

Häufig wird Verantwortlichkeit für betriebliche Veränderungsprozesse, für das Ergebnis sowie für die Menschen der Führungsetage eines Unternehmens zugeschrieben. [54] Alternativ kann sie jedoch auch von einem Change Agentgetragen werden. Ein Change Agent ist eine “Person (oder Personengruppe), die für den Wandlungsprozess verantwortlich ist” [55]. Obwohl die Hauptverantwortung häufig bei der Führungsetage oder dem Change Agent liegt, bringen Veränderungen immer die Herausforderung mit sich, möglichst alle Beteiligten in den Veränderungsprozess zu involvieren und so die Akzeptanz zum Aufbrechen alter und Übergehen in neue Strukturen zu fördern. [56] Das Involvieren von Mitarbeitenden kann beispielsweise durch Empowerment, d. h. durch die Abgabe von Entscheidungs- und Handlungsbefugnissen an die Mitarbeitenden vorgenommen werden. [57] Dies kann in einem erhöhten Verantwortungsgefühl resultieren, welches wiederum die Verhaltensweisen, Entscheidungen, Denkweisen sowie die Gefühlslage der verantwortlichen Mitarbeitenden beeinflussen kann. [58] Eine besonders hohe Bedeutung kommt der Verantwortlichkeit in Unternehmen in Krisenzeiten zu. Insbesondere bei Unternehmen von öffentlichem Interesse wird während Unternehmenskrisen oft öffentlicher Druck zur klaren Kommunikation von Verantwortlichkeit ausgeübt. Die Ermittlung von Verantwortlichkeit seitens der Öffentlichkeit dient bei Misserfolgen häufig der Schuldzuweisung. [59] Entsprechend groß ist die Neigung von Personen in „verantwortlichen Positionen“, Verantwortlichkeiten zu leugnen oder auf nachgelagerte Stellen abzuschieben. Die Verwendung von Ausreden sowie das Leugnen von Verantwortlichkeit werden zudem verstärkt, wenn Misserfolge auf nicht vorhersehbaren Ereignissen beruhen. [60] Nach Weick und Sutcliffe sind selbst gut geplante betriebliche Veränderungsprozesse oft unvorhersehbaren äußeren Einflüssen ausgesetzt. [61] Des Weiteren neigen Personen dazu, Verantwortlichkeit abzulehnen, wenn sie sich einer Aufgabe nicht gewachsen fühlen. [62]

Öffentliche Institutionen

Öffentliche Institutionen müssen sich häufig gegenüber Bewertenden mit verschiedenen Einstellungen verantworten. Ein Beispiel dafür ist das Europäische Parlament. In dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (EU) ist festgelegt, dass sich das Europäische Parlament für seine Handlungen gegenüber dem Europäischen Gerichtshof, dem höchsten Gericht in Angelegenheiten des EU-Rechts, verantworten muss. Widersprechen Handlungen des Europäischen Parlaments dem EU-Recht, entscheidet der Europäische Gerichtshof über die Konsequenzen. [63] Des Weiteren muss sich das Europäische Parlament beispielsweise gegenüber den EU-Bürgern für seine Entscheidungen verantworten. Da das Europäische Parlament direkt von den EU Bürgern gewählt wird, kann unverantwortliches Handeln z.B. negative Konsequenzen bei Neuwahlen mit sich bringen. [64] Die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und den EU-Bürgern kann als Prinzipal-Agenten-Beziehung verstanden werden. In dieser Beziehung agieren die EU-Bürger als Prinzipal, d.h. als Auftraggeber, und das Europäische Parlament als Agent, das heißt als Auftragnehmer. Nach Bovens stellt eine Prinzipal-Agenten Beziehung eine Pflicht für den Agenten dar, sich gegenüber dem Prinzipal zu verantworten. [65] Andersherum müssen sich bestimmte Institutionen wie beispielsweise die Europäische Kommission, gegenüber dem Europäischen Parlament verantworten. Bei Fehlverhalten der Kommission, kann das Parlament unter Umständen über Konsequenzen, wie z.B. eine Abberufung von Mitgliedern der Kommission, entscheiden. [66]

Einzelnachweise

  1. Vgl. Meyer & Hause (2015), S. 19
  2. Vgl. Heidbrink (2017), S. 3
  3. Vgl. Thomé (1998), S. 23
  4. Vgl. Frink & Klimoski (1998); Schlenker et al. (1994)
  5. Vgl. Hall et al. (2017), S. 206
  6. Vgl. Lerner & Tetlock (1999), S. 255
  7. Vgl. ebd., S. 204
  8. Vgl. Heidbrink (2017), S. 3-5
  9. Vgl. ebd.; Lerner & Tetlock (1999), S. 255
  10. Vgl. Hall et al. (2017), S. 209
  11. Vgl. Heidbrink (2017), S. 23-24
  12. Vgl. DUDEN (2011), S. 1334
  13. Vgl. Heidbrink (2017), S. 5
  14. Vgl. DUDEN (2011), S. 2089
  15. Vgl. Heidbrink (2017), S. 6
  16. Vgl. ebd., S. 19-20
  17. Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz & Bundesamt für Justiz (2013)
  18. Vgl. Heidbrink (2017), S. 19-20
  19. Vgl. McWilliams & Siegel (2000); Cochran & Wood (1984)
  20. Vgl. Hall et al. (2017), S. 205
  21. Vgl. ebd., S. 209-213
  22. Vgl. ebd., S. 210
  23. Vgl. ebd., S. 210-211
  24. Vgl. Mero et al. (2014), S. 1630
  25. Vgl. ebd., S. 1643
  26. Vgl. Rutkowski & Steelman (2005), S. 482
  27. Vgl. Hall et al. (2003), S. 54
  28. Vgl. ebd., S. 43
  29. Vgl. ebd., S. 56
  30. Vgl. Hall et al. (2017), S. 212-213
  31. Vgl. Green et al. (2000), S. 1385; Hall et al. (2006), S. 94; Thoms et al. (2002), S. 318 ; Breaux et al. (2009), S. 319-320
  32. Vgl. Sorensen et al. (2009), S. 885
  33. Vgl. Hall et al. (2006), S. 97
  34. Vgl. Lanivich et al. (2010), S. 434
  35. Vgl. Green et al. (2000), S. 1385-1387
  36. Vgl. Markman & Tetlock (2000), S. 321-322
  37. Vgl. Ter Laak et al. (2000), S. 211
  38. Vgl. Kray et al. (2010), S. 110-111; Morris & Moore (2000), S. 739
  39. Vgl. Schlenker et al. (1994), S. 634-635
  40. Vgl. ebd., S. 632
  41. Vgl. ebd., S. 638-639
  42. Vgl. Lerner & Tetlock (1999), S. 258; Schmeer (2001), S. 67-68
  43. Vgl. ebd.; ebd.
  44. Vgl. Lerner & Tetlock (1999), S. 256-257; Schmeer (2001), S. 60-61
  45. Vgl. Lerner & Tetlock (1999), S. 258-259
  46. Vgl. ebd., S. 257-258; Schmeer (2001), S. 66-67
  47. Vgl. Schmeer (2001)
  48. Vgl. ebd., S. 5
  49. Vgl. ebd., S. 33
  50. Vgl. ebd., S. 37
  51. Vgl. edb., S. 66
  52. Vgl. ebd., S. 71
  53. Vgl. ebd., S. 67-68
  54. Vgl. Eberhardt (2012), S. 15
  55. Vgl. Martin & Bartscher-Finzer (2006), S. 38
  56. Vgl. ebd., S. 40
  57. Vgl. ebd., S. 15
  58. Vgl. Hall et al. (2017), S. 212-213
  59. Vgl. Boin et al. (2016), S. 113
  60. Vgl. Markman & Tetlock (2000), S. 321-322
  61. Vgl. Weick & Sutcliffe (2011), S. 66
  62. Vgl. Frese et al. (1994), S. 23
  63. Vgl. Panizza (2019)
  64. Vgl. ebd.
  65. Vgl. Bovens (2010), S. 951
  66. Vgl. ebd., S. 953; Europäisches Parlament (2019); Panizza (2019)

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