Produktivgenossenschaften

Aus Personal_und_Führung
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Produktivgenossenschaft stellt eine Sonderform der Genossenschaft dar, die sich dadurch auszeichnet, dass die Mitglieder gleichzeitig Eigentümer des Unternehmens sind und die Arbeit in der Genossenschaft die Haupterwerbsquelle der Mitglieder darstellt. Es besteht also eine Gleichheit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, bzw. Kapital und Arbeit. Das Ziel einer Produktivgenossenschaft ist, im Gegensatz zu klassischen Unternehmungen, nicht zwingend maximaler wirtschaftlicher Erfolg, sondern Selbsthilfe und Selbstorganisation der Mitglieder. [1] Hierbei folgt die Produktivgenossenschaft drei Hauptprinzipien. Das wichtigste Prinzip der Produktivgenossenschaft ist das Förderprinzip. [2] Dieses besagt, dass nicht die Kapitalverwertung, sondern die Interessen und Bedürfnisse der Mitglieder im Vordergrund stehen. [3] Neben dem Förderprinzip gelten in Produktivgenossenschaften weiterhin das Identitäts- sowie das Demokratieprinzip. Das Identitätsprinzip besagt, dass die Beschäftigten Eigentümer und die Eigentümer Beschäftigte sind.[4] Das Demokratieprinzip kann als „ein Mitglied, eine Stimme“ verstanden werden und bedeutet, dass die Mitbestimmung, unabhängig von der Höhe der Kapitaleinlage, auf eine Stimme begrenzt ist.[5]

Definition

Produktivgenossenschaften gelten gemeinhin als Utopien, die als Kooperation, neben ökonomischen Nutzenvorstellungen, auch von anderen Zielen bestimmt werden. Diese Ziele sind zumeist außerökonomischer Natur. Hierzu zählen vor allem Solidarität, Gemeinschaftsgeist, Selbstverwirklichung und andere altruistische Ziele.[6]

Unter dem Oberbegriff Produktivgenossenschaft werden die verschiedensten Organisationen subsummiert. Dies können also sowohl Vereinigungen von Handwerkern bzw. Arbeitern zum Zweck der gemeinsamen Erzeugung von Produkten im gemeinsamen Betrieb mit anschließendem Absatz der gefertigten Produkte sein. Es können aber auch Zusammenschlüsse von selbstständigen Handwerkern sein, deren Ziel es ist, Produkte, die in ihrem eigenen Betrieb hergestellt wurden, zu bearbeiten beziehungsweise weiterzuverarbeiten. Auch genossenschaftliche Eigenbetriebe von Verbraucherorganisationen zum Zweck der Herstellung bestimmter Waren und zur Abgabe dieser an die Mitglieder der Organisation können als Produktivgenossenschaft bezeichnet werden.[7] Die aufgeführte Subsummierung des Begriffes „Produktivgenossenschaft“ zeigt die Schwierigkeit auf, die eine Erklärung des Begriffes bereitet. Grundsätzlich gelten für Produktivgenossenschaften dieselben wirtschaftlichen und soziologischen Eigenschaften wie für andere Genossenschaften. So sind Produktivgenossenschaften ein Zusammenschluss von Personen, die durch mindestens ein gemeinsames Interesse verbunden sind. [8]

Prinzipien der Produktivgenossenschaft

Die idealtypische Produktivgenossenschaft folgt vier Grundprinzipien. Diese Prinzipien sind das Förderprinzip, Identitätsprinzip, Demokratieprinzip sowie das Solidaritätsprinzip. Mit diesen Prinzipien wird der Fokus einer Produktivgenossenschaft auf eine Idealvorstellung gelegt. In der Praxis, unter dem Einfluss marktwirtschaftlichen Wettbewerbs, ist dieses Ideal jedoch meistens nicht erfüllbar.[9]Die Dynamik der Unternehmensumwelt und die Gefahren, die durch ein wirtschaftliches Wachstum für eine Produktivgenossenschaft entstehen, stellen die Produktivgenossenschaften vor große Herausforderungen und setzen sie dem Risiko aus, an dem idealen Charakter langfristig nicht festhalten zu können.[10]

Förderprinzip

Das Förderprinzip grenzt die Produktivgenossenschaft am deutlichsten von der kapitalistischen Unternehmung ab und kann als das tragende Element der Genossenschaft angesehen werden. Es besagt, dass nicht die Kapitalverwertung Hauptziel der Unternehmung ist, sondern die Interessen- und Bedürfniserfüllung der Genossenschaftsmitglieder. Dieser Grundauftrag einer Produktivgenossenschaft kann sich unter anderem in hohen Einkommen, guten Arbeitsbedingungen, einer Verkürzung der Arbeitszeit und einer Vielfältigkeit der zu erledigenden Arbeitsaufgaben der Mitglieder ausdrücken.[11] Die Ziele des Förderprinzips führen zu einem starken Spannungsverhältnis innerhalb der Produktivgenossenschaft. Die Förderziele der Produktivgenossenschaft als Sozialorganisation stehen in starker Konkurrenz zu den Zielen der Genossenschaft als Geschäftsbetrieb.[12]

Demokratieprinzip

Das Demokratieprinzip sichert die Einhaltung einer demokratischen Entscheidungsstruktur innerhalb einer Produktivgenossenschaft und schützt damit gemeinsame Unternehmensziele und eine gemeinsame Geschäftspolitik.[13]Durch die Absicherung der demokratischen Entscheidungsstruktur garantiert das Demokratieprinzip gleichzeitig die Einhaltung des Förderprinzips.[14]Das eine Produktivgenossenschaft eine demokratische Unternehmensform ist, in der eine Form von direkter Demokratie betrieben wird, geht auf den Sozial Reformer Schulze-Delitzsch zurück, auf dessen Idee das deutsche Genossenschaftsgesetz von 1889 gründete.[15]Das Demokratieprinzip, welches durch das Genossenschaftsgesetz festgeschrieben ist, schreibt vor, dass die Generalversammlung, also die Gesamtheit aller Mitglieder die höchste Entscheidungsinstanz der Genossenschaft darstellt. Diese kann grundsätzliche Beschlüsse und Satzungsänderungen, aber auch operative Einzelmaßnahmen der Geschäftsführung entscheiden und bestellt den Aufsichtsrat sowie den Vorstand. Innerhalb der Generalversammlung hat grundsätzlich jedes Mitglied eine Stimme, unabhängig von der Höhe der gezeichneten Geschäftsanteile. Daher lässt sich das Demokratieprinzip auch als „ein Mensch, eine Stimme“ subsumieren.[16]

Identitätsprinzip

Das Identitätsprinzip besagt, dass die Mitglieder einer Produktivgenossenschaft dieser in zweifacher Eigenschaft angehören. Zum einen sind sie Nutzer einer Genossenschaft und erheben als solche Anspruch auf Leistung und Förderung durch die Genossenschaft. Zum anderen sind sie aber auch Anteilseigner und tragen die damit einhergehende Willensbildung der Genossenschaft als juristische Person. Damit besteht bei Genossenschaftsmitgliedern eine Identität als Anbieter und Nutzer, was dazu führt, dass zwei am Markt gegensätzliche Rollen und Funktionen in der Produktivgenossenschaft vereinigt sind. Diese Identität und das daraus resultierende Mitwirken der Mitglieder in Form von Arbeitsleistung, Kapitalbeteiligung sowie Ausübung von unternehmerischen Funktionen kann als ein wesentliches Merkmal der Produktivgenossenschaft bezeichnet werden.[17]

Solidaritätsprinzip

Anders als die drei Prinzipien der Förderung, Demokratie und Identität ist das Solidaritätsprinzip nicht als Formalkriterium einer Produktivgenossenschaft geeignet.[18]Dennoch ist dieses Prinzip äußerst wichtig für die Genossenschaft, da es die Grundwerte der Genossenschaftsbewegung ausdrückt und muss daher zu einer vollständigen Charakterisierung der Produktivgenossenschaft herangezogen werden.[19] Solidarität bedeutet, dass Individuen nicht nur am eigenen Wohlergehen, sondern, für ihr Nutzenempfinden, auch am Status und Wohlergehen der sie umgebenden Menschen interessiert sind.[20] Solidarität liefert den entscheidenden Bestandteil dafür, dass die gemeinschaftliche Führung eines Unternehmens funktionieren kann.[21]

Geschichte der Produktivgenossenschaft

Produktivgenossenschaften gibt es bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts.[22] Sie begann als utopisches Konzept und scheiterte häufig am Transformationsgesetz. Dennoch entwickelte sich die Idee der Produktivgenossenschaft in Zyklen und lässt sich auch heute noch finden.

Anfänge/ Ursprünge

Die Anfänge der Produktivgenossenschaft lassen sich bis auf die Frühsozialisten Buchez und Blanc zurückverfolgen, welche als Vorkämpfer der Produktivgenossenschaft angesehen werden. Buchez formulierte bereits 1831 seine Vorstellung über den Aufbau einer Produktivgenossenschaft.[23] Die Entwicklung der Produktivgenossenschaft begann mit Konzepten utopischer Sozialisten in Frankreich und England, wobei die Verbreitung der Idee zuerst in Frankreich in Folge der Revolution von 1848 stattfand.[24]Die ursprüngliche Idee hinter der Produktivgenossenschaft war eine Lösung der sozialen Frage, indem die positive Überwindung, der auf die Lohnabhängigkeit zurückgeführten wirtschaftlichen Verelendung der Arbeiterschaft, herbeigeführt würde.[25] Ein weiterer Grundpfeiler der Produktivgenossenschaft waren die sogenannten „Rochdaler Prinzipien“. Diese beschreiben einen Verhaltenskodex der „Redlichen Pioniere von Rochdale“, einer Konsumgenossenschaft, die im Jahre 1844 in Rochdale, Groß Britannien gegründet wurde. In diesem Kodex wurden die Anfänge des Demokratieprinzips niedergeschrieben, welche im Jahr 1895 durch den neu gegründeten internationalen Genossenschaftsbund in dessen Satzung übernommen wurde. Diese Satzung ist, trotz vieler Veränderungen, bis heute grundlegender Bestandteil der Genossenschaftssatzungen und drückt sich durch das Demokratieprinzip aus.[26] Hinsichtlich der deutschen Entwicklung von Produktivgenossenschaften sind drei Ansichten hervorzuheben, die wesentlich zur Entwicklung beigetragen haben. Dies sind die Ansichten von Marx, Lassalle und Schulze-Delitzsch.[27] Lassalle, als Sozialist und Gründer des „Allgemeinen deutschen Arbeitervereins“ trat ebenfalls für eine Überwindung der Lohnabhängigkeit durch Produktivgenossenschaften ein. Er glaubte, dass die Arbeiter mit Hilfe des Wahlrechts über die, in Form von Steuern, aufgebrachten staatlichen Gelder, in ihrem Interesse entscheiden könnten und würden.[28] Schulze-Delitzsch vertrat einen pragmatischeren Ansatz. Er war der Meinung, dass alle Bemühungen auf eine Ermöglichung der Selbsthilfe der Arbeiterschaft ausgerichtet sein müssten, da nur so die soziale Frage überwunden werden könnte. Denn nur bei „reiner Selbsthilfe, gekoppelt mit Selbstverantwortung und Selbstverwaltung, sah er gewährleistet, dass die Betroffenen ausreichend Eigeninitiative und aktiven Einsatz zur gemeinschaftlichen Verbesserung ihrer Situation aufbringen würden.[29] Karl Marx sah die Produktivgenossenschaft 1866 als „Triebkraft zur Umwandlung der gegenwärtigen Gesellschaft, welche auf Klassengegensätzen beruht. Ihr großer Verdienst besteht darin, praktisch zu zeigen, dass das […] System der Unterjochung der Arbeit unter das Kapital aufgehoben werden kann…“.[30] Die vorherrschende unterstützende Haltung gegenüber der Produktivgenossenschaft ebbte jedoch Ende des neunzehnten Jahrhunderts ab.[31]

Transformationsgesetz

Das Transformationsgesetz wurde 1896 von Franz Oppenheimer aufgestellt und lautet folgendermaßen: „Nur äußerst selten gelangt eine Produktivgenossenschaft zu Blüte. Wo sie aber zur Blüte gelangt, hört sie auf eine Produktivgenossenschaft zu sein.“[32] Oppenheimer bescheinigt der Produktivgenossenschaft Schwierigkeiten aufgrund eines Mangels an Disziplin, Kapital und Absatz. Würde eine Genossenschaft jeden Arbeiter als gleichberechtigtes Mitglied aufnehmen, würden der Genossenschaft Akkumulationsmöglichkeiten fehlen, da Überschüsse durch eine große Anzahl von Personen geteilt werden müssten. Auch könnte bei wirtschaftlichen Schwankungen das Beschäftigungsniveau nicht angepasst werden und dass Konfliktpotential würde aufgrund der hohen Anzahl an stimmberechtigten Personen stark ansteigen. Diese Probleme mit der offenen Mitgliedschaft würden letztendlich dazu führen, dass sich eine Produktivgenossenschaft gegen neue Mitglieder sperrt. Eine solche Sperrung würde allerdings dem Charakter einer Produktivgenossenschaft widersprechen, da sie gegen das Identitätsprinzip verstößt. Durch eine solche Sperrung würde eine Produktivgenossenschaft also aufhören eine Genossenschaft zu sein und sich in eine kapitalistische Firma mit einem Kollektiv als Unternehmer verwandeln. Ein weiteres Problem bestehe laut Oppenheimer mit der Tatsache, dass durch die Aufnahme eines weiteren Mitglieds, der Gewinn der Genossenschaft sich absolut nicht ändert, sondern nur durch einen höheren Divisor geteilt werden muss. Um also die Ziele der Genossenschaft, eine Verbesserung der Lebenssituation aller Mitglieder, erreichen zu können müsste sie sich massenhaft vergrößern bzw. vermehren. Dies sei jedoch nur möglich, wenn auch Absatz für eine vermehrte Produktion vorhanden sei. Ein solch vermehrter Absatz, sei aber nur möglich, wenn auch die Lohnrate gestiegen sei. Da dies aber das Ziel der Genossenschaft ist kann man sagen, dass eine Genossenschaft, um ihr Ziel erreichen zu können, dies schon erreicht haben muss.[33]

Geschichtliche Zyklen der Produktivgenossenschaften

Seit der Entwicklung der Idee der Produktivgenossenschaft und die damit verbundenen Diskussionen im Zusammenhang mit der sozialen Frage, kamen immer wieder produktivgenossenschaftliche Gründungswellen auf. Rückwirkend lassen sich sechs solcher Gründungswellen erkennen, wobei sich ein zeitversetzter Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Depression und Gründungen von Produktivgenossenschaften erkennen lässt.[34]Zwischen den einzelnen Gründungswellen gab es immer wieder längere Perioden, in denen kaum Produktivgenossenschaften gegründet wurden. Dieser Zustand war jedoch nie dauerhaft.[35] Als Höhepunkt der Produktivgenossenschaften kann das Jahr 1925 bezeichnet werden.[36]Dies liegt an der bauwirtschaftlichen Situation nach dem ersten Weltkrieg. Zu dieser Zeit entstanden bis 1922 aus gewerkschaftlichen Initiativen heraus sogenannte sozialistische „Bauhütten“ und christlich- nationale „Bauproduktivgenossenschaften“. Beide Ansätze wurden jedoch nach 1945 nicht weiterverfolgt.[37] Ende der siebziger Jahre lebte die Idee der Produktivgenossenschaften in Deutschland erneut auf, was als direkte Folge der 68er- Bewegung, des kalten Krieges und der Öl-Krisen angesehen werden kann.[38]Die letzte große Gründungswelle ließ sich in Deutschland im Zuge der Wiedervereinigung und der damit einhergehenden Umwandlung von Produktionsgenossenschaften beobachten.[39]Jedoch erlebte die Idee auch nach der Weltwirtschaftskrise von 2008 eine Renaissance.[40]

Heute (Anzahl, Daten, Fakten)

Eine zahlenmäßige Entwicklung der Produktivgenossenschaften in Deutschland ist sehr schwierig nachzuvollziehen. Dies liegt vor allem an der Uneinheitlichen Verwendung der Begriffe Produktiv- und Produktionsgenossenschaft, sowie dem Mitzählen von genossenschaftlichen Produktionsbetrieben als Produktivgenossenschaften.[41]Unstrittig ist, dass die Zahl der Produktivgenossenschaften gegenüber den Fördergenossenschaften sehr gering ist.[42]Eine exakte Zahlenangabe von Produktivgenossenschaften in Deutschland wird zusätzlich noch dadurch erschwert, dass es weder von Bundes- noch von Genossenschaftsverbandsseite eine spezielle Statistik über Produktivgenossenschaften gibt.[43]Gründe hierfür sind vor allem die unterschiedlichen Definitionen von Produktivgenossenschaften in wirtschaftlicher, soziologischer und rechtlicher Hinsicht, aber auch die Vielzahl von produktivgenossenschaftlichen Unternehmen außerhalb der Rechtsform eG. Von den insgesamt rund 3,3 Millionen Unternehmen in Deutschland sind schätzungsweise 4900- 7500 Produktivgenossenschaften. Das entspricht einem Prozentsatz von rund 0,1-0,2% aller Unternehmen.[44]Zum Teil verstehen sich diese Unternehmen aber nicht als Produktivgenossenschaft oder agieren nicht als eG. Aktuelle Trends bei Produktivgenossenschaften sind vor allem grüne- und lokale Energieversorgung, Pflegegenossenschaften und Sozial Einrichtungen wie Dorfläden oder Schwimmbäder.[45]

Problematiken, Gefahren und Konsequenzen

Die Produktivgenossenschaft stößt aufgrund ihres Charakters, der sich durch die vier Prinzipien ergibt, auf die verschiedensten Probleme. Diese Probleme betreffen zum einen die Ziele, Absatzkanäle und Konkurrenz einer Produktivgenossenschaft und zum anderen liegen sie direkt in der Doppelnatur der Mitglieder begründet. [46]

Sozialisation und die damit verbundene Zielproblematik

Ein Mechanismus der Produktivgenossenschaft ist die Sozialisation, die die Genossenschaft als soziale Gemeinschaft auffasst. Dabei steht nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Befriedigung von den Bedürfnissen der Mitglieder im Vordergrund. Die Genossenschaft als soziale Gemeinschaft richtet sich nach einem gemeinsamen Ziel und gemeinsamen Werten aus. Nach Neumann ist Solidarität ein genossenschaftliches Element, welches besagt, dass die Genossenschaftsmitglieder nicht ausschließlich am eigenen Wohlergehen interessiert sind. [47] Auch eine Produktivgenossenschaft muss Unternehmensziele festlegen. Ein zentrales Zielproblem erwächst bei der Produktivgenossenschaft aus dieser Sozialisation. Die Genossenschaftsmitglieder verfügen über ein Nutzenempfinden hinsichtlich des ökonomischen Status ihrer Gemeinschaft. Solidarität liefert einen entscheidenden Bestandteil dafür, dass die gemeinschaftliche Führung eines Unternehmens möglich sein kann.[48] Dadurch, dass in manchen Genossenschaften Solidarität, Gemeinschaftlichkeit und Selbstverwirklichung, und nicht die Profitabilität des Unternehmens, als oberstes Ziel festgelegt werden, weisen diese Genossenschaften im gegenwärtigen Wettbewerb kaum Überlebenschancen auf.[49] Dies bedeutet, dass eine Produktivgenossenschaft neben genossenschaftlichen bzw. sozialen Zielen auch wirtschaftliche Ziele festlegen muss um überlebensfähig zu sein. Das Ziel der Mitgliederförderung, welches auch als Gewinnerzielung zum Wohle der Mitglieder interpretiert werden kann, wird vor altruistischen Zielen genannt.[50] Potentielle Mitglieder einer Genossenschaft müssen sich also darüber im Klaren sein, welche Ziele sich gemeinschaftlich verfolgen lassen und auf welche Weise dies durch gemeinschaftliches Wirtschaften erreicht werden kann. Sollten hier nicht die wirtschaftlichen, sondern vielmehr altruistische Ziele im Vordergrund stehen, sollte statt einer genossenschaftlichen- gegebenenfalls eine andere Organisationsform, wie zum Beispiel ein Verein oder eine Stiftung, gewählt werden.

Nischen- und Konkurrenzproblem

Aufgrund der weniger auf wirtschaftliche Profitabilität ausgerichteten Zielstruktur einer Produktivgenossenschaft, kann marktwirtschaftliche Konkurrenz das Erreichen bzw. Verfolgen von genossenschaftlichen Zielen verhindern.[51]Daher sind Produktivgenossenschaften in der Regel gezwungen, sich gegenüber marktwirtschaftlichen Zwängen und Konkurrenz abzuschotten. Dies ist am freien Markt jedoch lediglich über ökonomische Nischen möglich, die für andere Marktteilnehmer aufgrund ihrer Profitabilität oder Größe uninteressant sind.[52]In einer solchen Nischenexistenz sind Produktivgenossenschaften jedoch dazu verurteilt von geringer Größe zu sein und auch zu bleiben. Sollte ein solcher Nischenverbleib nicht gewollt oder möglich sein müssen Entscheidungen getroffen werden, wie auf den Marktdruck zu eventuellem Größenwachstum reagiert werden soll.[53]

Solche Entscheidungen können jedoch zu einer Umwandlung in eine kapitalistische Unternehmung führen, da für Organisationen mit Konkurrenzdruck Organisationsformen wie in einer idealen Produktivgenossenschaft ungeeignet sind. Solche Genossenschaften müssen also vor allem Abstand von der charakterisierenden direkten Demokratie nehmen, da der Aufwand in Form von Zeit, Organisation und Kapital schlicht zu groß ist.[54]

Problem der Arbeitgeber- Arbeitnehmer Doppelnatur

Die Doppelnatur der Mitglieder führt zu einem Interessenkonflikt, da Arbeitgeber- und Arbeitnehmer klassischerweise gegensätzliche Interessen aufweisen. Diese Interessen sind zwar grundsätzlich nicht unvereinbar, jedoch muss geklärt werden, welche Interessen Vorrang haben um darauf aufbauend organisatorische Regelungen zu treffen. Hierbei besteht jedoch die große Gefahr, dass Arbeitgeberinteressen, wie beispielsweise Reinvestitionen zur Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Unternehmung, vernachlässigt werden. Ein weiteres Problem tritt im Zusammenhang mit der sozialen Absicherung auf. Mitglieder einer Produktivgenossenschaft haben nach deutschem Recht die Möglichkeit als Arbeitgeber aufzutreten, sie agieren außerhalb der gesetzlichen Sozialversicherung. Damit wären diese Mitglieder jedoch im Falle eines Scheiterns der Unternehmung auf Sozialhilfe angewiesen, da sie keine Beiträge für die Arbeitslosenversicherung geleistet haben. Dieses Problem kann zwar durch das Abschließen von Verträgen umgangen werden, in denen die Mitglieder zu abhängig- Beschäftigten erklärt werden, diese Vorgehensweise steigert jedoch die Kostenbelastung der Genossenschaft erheblich.[55]


Einzelnachweise

Literatur

Boettcher, E. (1974): „Kooperation und Demokratie in der Wirtschaft“, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen.

Dülfer, E. (1980): „Produktivgenossenschaften“, in: Eduard Mändle/Hans-Werner Winter [Hrsg.]: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, Deutscher Genossenschafts-Verlag, Wiesbaden.

Dülfer, E. (1984): „Betriebswirtschaftslehre der Kooperative“, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Dülfer, E. (1995): „Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften und vergleichbarer Kooperative“, 2. Aufl., Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

Flieger, B. (1984): „Produktivgenossenschaften, oder der Hindernislauf zur Selbstverwaltung, Theorie, Erfahrungen und Gründungshilfen zu einer demokratischen Unternehmensform“, AG SPAK M 61.

Flieger, B. (1996): „Produktivgenossenschaft als fortschrittsfähige Organisation, Theorie, Fallstudie, Handlungshilfen“, Hochschulschriften Band 23, Metropolis- Verlag.

Fuchs, H. (1927): „Der Begriff der Produktivgenossenschaft und ihre Ideologie“, Dissertation, Düsseldorf.

Genossenschaftsgesetz

Kerber-Classen (2012): „Produktivgenossenschaften und solidarische Ökonomie als Forschungs- und Praxisfeld“ WSI Mitteilungen.

Klemisch/ Bodenberg (2012): „Zur Lage der Genossenschaften – tatsächliche Renaissance oder Wunschdenken?“, WSI Mitteillungen 8/2012.

Kramer, J. W. (2003): „Entwicklung und Perspektiven der produktivgenossenschaftlichen Unternehmensform“, Wismarer Diskussionspapiere, Heft 04.

Kramer, J. W. (2008): „Produktivgenossenschaften – Utopische Idee oder realistische Perspektive?“, Wismarer Diskussionspapiere, Heft 12.

Neumann, M. (1973): „Konflikt- oder Harmonietheorie der Genossenschaften“. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen. Band 23.

Wilhelm, W. (1984): „Prinzipielle und aktuelle Aspekte der Produktivgenossenschaft, in: Karrenberg [Hrsg.] Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgestaltung“, FS für G. Weissner.

  1. Vgl. Kerber-Classen, (2012): S. 281-288.
  2. Flieger, (1996): S.23.
  3. Flieger (1984): S. 13.
  4. Vgl. ebd.
  5. Vgl. ebd.
  6. Vgl. Kramer (2008):S.6.
  7. Vgl. Fuchs (1927):S. 8.
  8. Dülfer (1995):S. 100.
  9. Vgl. Kramer(2008):S.4.
  10. Vgl. ebd.
  11. Flieger (1996):S.16-17, S.22-23.
  12. ebd. S. 26.
  13. ebd. S. 32.
  14. Flieger (1984):S. 13.
  15. Flieger (1996):S. 33.
  16. ebd. S. 32.
  17. ebd. S. 27-28.
  18. ebd. S. 36.
  19. Vgl. Flieger (1996):S. 40.
  20. ebd. S.38.
  21. Neumann (1973):S. 59-60.
  22. Vgl. Flieger (1984):S. 14.
  23. Flieger (1996):S. 42.
  24. Kramer (2008):S. 7-8.
  25. Flieger (1984):S. 14-15.
  26. Flieger (1996):S. 32-33.
  27. Vgl. ebd.
  28. Flieger (1984):S. 15.
  29. ebd.
  30. ebd. S. 16.
  31. ebd.
  32. ebd.
  33. ebd. S. 17.
  34. Vgl. Kramer (2008):S. 12.
  35. Vgl. Klemisch/ Bodenberg (2012): S. 570-580, S. 576ff.
  36. Vgl. ebd.
  37. Vgl. Kramer (2008):S. 10-11.
  38. Vgl. ebd.
  39. Vgl. ebd.
  40. Vgl. ebd.
  41. Vgl. ebd. S. 11.
  42. Vgl. ebd.
  43. Vgl. ebd. S. 13.
  44. Vgl. ebd.
  45. Klemisch/ Bodenberg (2012):S. 570-580, S. 576ff.
  46. Kramer (2003)
  47. Neumann (1973):S.59.
  48. Flieger (1996):S.39.
  49. Kramer (2003):S. 4-23.
  50. Vgl. ebd. S. 16.
  51. Vgl. ebd.
  52. Vgl. ebd. S. 19.
  53. Vgl. ebd.
  54. Vgl. Boettcher (1974):S. 59ff.
  55. Vgl. Kramer (2008):S. 19-20.