Personalpolitik als Handlungsentlastung

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Im Modell der Handlungsentlastung nach Martin (1998) wird erklärt warum sich in der Personalpolitik bestimmte Entscheidungsstrukturen herausbilden. Die Entscheidungsstrukturen entstehen aus dem Zusammenspiel von drei Merkmalen: Interessengegensätzen, Machtverhältnissen und dem Ausmaß der Problemkomplexität. Abhängig von einer hohen beziehungsweise geringen Ausprägung der drei Merkmale, bilden sich Entscheidungsstrukturen innerhalb einer Organisation heraus, welche das Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmer regulieren.

Einleitung

Basierend auf entscheidungstheoretischen Grundlagen, wird Personalpolitik im Modell der Handlungsentlastung als das Ergebnis sozialer Verhältnisse und zwar unter anderem der Machtbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beschrieben.


Das Modell basiert auf folgenden vier Grundgedanken (Martin, 1998, S. 1):

  1. Die Erklärung der Personalpolitik sollte von fundierten Annahmen über das soziale Verhalten ausgehen.
  2. Personalpolitik lässt sich nur verstehen, wenn man sie als Ausdruck der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern versteht.
  3. Personalpolitik befasst sich mit der Regulierung des sozialen Verhaltens.
  4. Die Entscheidungsforschung betont den Prozesscharakter des organisationalen Geschehens. Zur Erklärung der Personalpolitik ist es notwendig, diese Perspektive zu erweitern. Wichtiger als einzelne Entscheidungen sind oft die grundlegenden Entscheidungsstrukturen.


Der Fokus des Modells liegt auf der Analyse, welche Strukturen sich ausgehend von Arbeitgeber-/Arbeitnehmerbeziehungen, herausbilden und die Personalpolitik formen. Dabei wird angenommen, dass Akteure in Unternehmen meist unterschiedliche Interessen verfolgen. Entscheidungsstrukturen dienen der Koordination des Handelns und sie sollen die in der Interessenauseinandersetzung steckenden Konfliktpotentiale kanalisieren. Dies muss aber nicht bedeuten, dass Verhältnisse in neuen Entscheidungsprozessen unveränderlich sind, sie legen lediglich die Grundstruktur und sorgen für Stabilität bei Abstimmungen. Wissenschaftliche Grundlage für diese Theorie, sind Ergebnisse einer Studie von Thompson und Tuden aus dem Jahre 1959. Die beiden Wissenschaftler definierten anhand von Entscheidungsproblemen vier Entscheidungstypen die wiederum mit den zwei Merkmalen beschrieben werden: Der Konsens mit Hinblick auf das Ziel und dem Konsens mit Hinblick auf die zweckmäßige Mittelverwendung.

Typenbildende Merkmale

Entscheidungsstrukturen lenken das Entscheidungsverhalten, dessen ungeachtet lassen sie den Akteuren einen gewissen Verhaltensspielraum. Basierend auf der Ausprägung der typenbildenenden Merkmale - Interesse, Machtverhältnis, und Problemkomplexität - lassen sich verschiedene Formen der Personalpolitik ableiten (Martin, 1998, S. 15ff.).

Interessen

Da Arbeitnehmer und Arbeitgeber je eigene Interessen verfolgen, kann es leicht zu Konflikten kommen. Das Ausmaß der Interessengegensätze resultiert aus einer Vielzahl von Teilaspekten. Auf Unternehmensseite stehen beispielsweise Investitionen, Umweltpolitik, Rationalisierungsziele, Innovationen usw. Abhängig von der Interessenlage der Arbeitnehmer können aus diesen Faktoren Interessengegensätze entstehen. Gute Entscheidungsstrukturen sollten jedoch in der Lage sein, selbst extreme Interessengegensätze zu mäßigen, um ausufernde Interessenkonflikte zu vermeiden (Martin, 1998, S. 17).

Machtverhältnis

Interessengegensätze sind von erheblicher Bedeutung, erhalten aber ein durchschlagendes Gewicht vor allem im Zusammenhang mit den Machtverhältnissen der Akteure. Für die Arbeitnehmerseite ist bei der Machtverteilung daher beispielsweise von Interesse wie stark die Position des gewählten Betriebsratsvorsitzenden ist und in welchem Ausmaß die Belegschaft mobilisierbar ist, ob sie einstimmig ist oder zu welchen Sanktionen die Arbeitnehmer im Konfliktfall greifen können. Das bedeutet, dass die Arbeitnehmerseite bei entsprechender Verhandlungskunst auf grundlegende Unternehmensentscheidungen einwirken kann, meist behält aber der Arbeitgeber das letzte Wort (Martin, 1998, S. 16).

Problemkomplexität

Die Komplexität bezieht sich auf die Arbeitsabläufe, die zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ablaufen. Es gibt sehr einfache Transaktionen, aber auch komplizierte. Je komplexer eine Aufgabe oder ein Problem, desto größer sind die Anstrengungen, die notwendig sind für die Ausführung, die Spezifizierung und den Ressourceneinsatz. Die Komplexität bestimmt sich primär aus der Art der Aufgabe, aber auch aus der Qualifikation der Arbeitnehmer. Je höher die Qualifikation der Arbeitnehmer ist, je mehr deren Qualifikation die Qualität der Arbeitsleistung bestimmt, desto mehr ist der Arbeitgeber auf die Arbeitnehmerseite angewiesen, wodurch sich u.a. Aufwand zu einem konsensualen Verhandlungsergebnis zu gelangen, vergrößert. größer die Kompetenz, wodurch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber schwieriger werden (Martin, 1998, S. 17).

Formen der Personalpolitik

Die beschriebenen Merkmale ergeben in ihrer Kombination die in der Abbildung angeführten Entscheidungs- und Regulierungsstrukturen.

Formen der PP.PNG

Machtgleichgewicht


Bürokratische Regulierung: Die bürokratische Regulierung besteht aus einem einfachen Regelwerk, welches Uneinigkeiten zwischen den Akteuren verhindert. Aufgaben werden formalisiert und somit bürokratisiert. Klare Regeln und Strukturen gelten für alle Mitglieder. Dieser Führungsstil ist häufig in Behörden oder Ämter zu finden. Er beruht auf Vorschriften sowie Gesetzen. Als Grundlage der Entscheidungen stellen dabei Richtlinien, Stellenbeschreibungen und Dienstanweisungen dar. Vorgänge sind klar festgelegt und selbst Führungskräfte haben nur wenig Einfluss auf Arbeitsinhalte.
Politische Regulierung: Bei dieser Form treten Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Verhandlung und diskutieren gemäß bestimmter Verfahrensvorschriften die gegenüberstehenden Interessen. Dabei sind Streiks ein legitimes Mittel um das Machtgleichgewicht beizubehalten. Anschließend wird in den Verhandlungen mit Hilfe von mittelfristigen Einigungen (Tarifverträge) ein Streik ausgeschlossen. Ein klassisches Beispiel ist das Machtverhältnis zwischen Gewerkschaft und Unternehmen. Im März 2017 einigten sich die Deutsche Bahn (DB) und die Gewerkschaft der Lockführer (GDL) nach mehreren Streiks auf einen neuen Tarifvertrag (Mortsiefer, 2017). Durch die drohenden und durchgeführten Streiks konnten die Lokführer genügend Druck auf das Unternehmen ausüben. Viele ausgefallene Züge und verärgerte Kunden übten Druck auf den Vorstand der DB aus. Aufgrund der hohen Polarisierung beider Parteien und der geringen Komplexität einer Gehaltsverhandlung im Vergleich zu anderen Unternehmerischen Bereichen, wird an dieser Stelle von einer politischen Regulierung gesprochen. Nach langen Verhandlungen mit Einsatz eines Schlichters kann eine Regelung vorgelegt werden. Dies ist jedoch zeitlich beschränkt und wird in etwa zwei Jahren erneut verhandelt.
Kollegiale Regulierung: Es besteht eine Interessenharmonie, wodurch kleine Meinungsverschiedenheiten gleichberechtigt gelöst werden können. Diese Form findet zum Beispiel zwischen Angestellten in einer Abteilung oder in einem Projekt statt. Sie findet selten Wirkung in größeren Unternehmen. Regulierungen finden in lockeren und weniger bürokratisierten Formen statt.
Politische Arena: Hier wird sensibel auf Machtverschiebung reagiert. Die Akteure beobachten sich gegenseitig sehr aufmerksam. In diesem Fall entstehen Unsicherheiten, die teilweise gewollt sind, denn Unsicherheiten können bei Mitarbeitern zu mehr Motivation und Aufmerksamkeit führen, die wiederum mehr Umsatz generieren kann, da der Mitarbeiter sich gegenüber Anderen profilieren möchte. Ein Beispiel für diesen Bereich ist die Frage in einer Anwaltskanzlei welcher Anwalt einen neuen Klienten bekommt. In einer Kanzlei arbeiten drei Anwälte und ein Partner. Der Partner der Kanzlei wirbt einen neuen Klienten und gibt diesen an einen Anwalt weiter. Eine bürokratische Lösung würde nacheinander jedem Anwalt einen Klienten zuweisen. Durch diese fehlenden Rahmenbedingungen sind die Anwälte nicht sicher wie neue Klienten aufgeteilt werden und versuchen daher stets gute Leistung zu zeigen, um neue Klienten zu erhalten. Es zählt also die Präsentation gegenüber dem Partner in der Kanzlei. Die Anwälte kämpfen um jeden einzelnen Klienten. Dieses Verhalten kann positive (die Anwälte wollen die beste Leistung bringen) oder negative (die Anwälte sabotieren die Kollegen) Auswirkungen hervorbringen. Ein andere Beispiel kann das Aufteilen von Verkaufsbereichen in einem Vertriebsabschnitt einer Unternehmung sein. Also die Aufteilungsproblematik von endlichen Ressourcen (Martin, 1998, S. 32f.).


Machtasymmetrie


Laisser-fair Politik In dieser Form der Politik lassen sich kaum feste Regeln finden. Sie beruht größtenteils auf dem Wohlwollen des Chefs. Diese Art der Politik findet mit einer unausgesprochenen Absicht des Chefs statt. Der Chef besitzt einen großen Verhaltensspielraum, den er nicht durch formale Verfahren beschneiden will. Diese Art der Führung findet sich oft in Start-Ups. In der Natur dieser jungen Unternehmen liegt es häufig, ein Gegenmodel zu etablierten Unternehmen anzubieten. Ein oppositioneller Führungsstil zum autoritären Stil ist der Laisser-fair-Stil. CEOs eines Start-Ups wollen gezwungen locker wirken und eine Alternative zu den Produkten und zur Lebensphilosophie der großen Konzerne darstellen. Aber auch der Schwerpunkt auf Motivation und eigenständiges Arbeiten sind in der Start-Up Phase für den Chef sehr nützlich, denn finanzielle und personelle Ressourcen für ausgearbeitete Prozesse oder mehr Geld zur Motivation sind nicht vorhanden.
Bürokratische Regulierung: Eine bürokratische Regulierung in dem Fall der Machtasymmetrie besteht aus einem einfachen Regelwerk, wird aber selten vom Arbeitgeber angestrebt. Wenn aber, dann, um eine juristische Absicherung zu erhalten. Durch die Abgabe der Macht des Arbeitgebers besteht eine höhere Sicherheit für den Arbeitgeber juristisch korrekt zu handeln. Kurz: Die Sicherheit wird erhöht, die Flexibilität auf beiden Seiten eingeschränkt. Diese Regulierungsform ist bei der Billig-Fluggesellschaft RyanAir vorzufinden. Auch hier stehen sich Unternehmen (RyanAir) und Gewerkschaft (verdi und Vereinigung Cockpit) gegenüber. Streiks üben jedoch weniger Druck aus, da weniger Piloten in den Gewerkschaften organisiert sind. Bei einem Streik von deutschen Piloten werden Ersatzpiloten aus anderen Ländern nach Deutschland gebracht. Crews können in dieser Zeit die Arbeit der deutschen Piloten übernehmen. Somit entstehen Verhältnisse wie zu Beginn der Industrialisierung. Streikende Piloten werden durch andere ersetzt. Der Markt der Piloten ist internationalisiert. Es kann sowohl ein irischer als auch ein deutscher Pilot für den Flug von Berlin nach Madrid eingesetzt werden. Die Macht der Gewerkschaft in Deutschland ist gering. Somit liegt eine Machtasymmetrie vor. Gewerkschaften müssen sich, wie die Unternehmen, internationalisieren um ein faires Lohngleichgewicht zu erhalten. Bis zu diesem Punkt kann RyanAir in der Machtasymmetrie mit bürokratischen Regulierungen die Gemüter der Mitarbeiter und Piloten stillen. (Faz.net, 2018).
Symbolische Regulierung: Aufgrund der hohen Komplexität und Machtasymmetrie, können feste Regulierungen der Personalpolitik kaum etabliert werden. Die Arbeitgeberseite wird immer versuchen aufgrund ihres Machtanspruch, ihre Interessen durchzusetzen. Diese Art der Politik findet sich meist dort, wo die Arbeitnehmerschaft keine organisierte Vertretung (z.B. Gewerkschaft) anbieten kann oder wo sehr flexible Arbeitsbedingungen vorherrschen. Typische Unternehmensumgebungen dieser Art finden sich bei großen Technologiekonzernen wie Google, Amazon oder Apple. Die Mitarbeiter sind sehr gut theoretisch ausgebildet und zeichnen sich durch hohe Eigenmotivation aus. Sie sind emotional und sehr flexibel in das Unternehmen eingebunden. Bürokratische Regulierungen sind nicht möglich, da sich die Arbeitsabläufe fast täglich verändern. Durch die fehlenden Gewerkschaften stehen den Mitarbeitern wenig Druckmittel für eine Verhandlung zur Verfügung. Um die Mitarbeiter im Unternehmen zu halten werden daher vom Chef großzügige Sozialleistungen gewährt oder Beschäftigungsgarantie ausgesprochen (Martin, 1998, S. 33f.). Auch eine familiäre Atmosphäre ist eine symbolische Regulierung die zwar ein positiveres Gefühl den Mitarbeitern vermittelt, die Entscheidungsmacht für alle Tätigkeiten im Unternehmen liegt trotzdem beim Geschäftsführer.

Weiterentwicklung des Modells

Jochims (2010) entwickelt das Modell der Handlungsentlastung von Martin in seinen Studien zu organisationaler Dissonanz in mittelständischen Unternehmen weiter und ergänzt weitere Abstufungen hinsichtlich der bürokratischen und symbolischen Regulierung. Da die bürokratische Regulierung sowohl unter der Voraussetzung des Machtgleichgewichts als auch der Machtasymmetrie eingeordnet ist, wird zwischen partizipativ-bürokratischer und autoritär-bürokratischer Regulierung unterschieden. Besteht ein Machtgleichgewicht bei geringen Interessengegensätzen, reichen oft wenige informelle Regeln aus, da bereits eine gegenseitige Akzeptanz der Regulierung besteht. Diese werden in einem durch Partizipation gekennzeichneten Abstimmungsprozess unter Einbeziehung der Arbeitnehmer festgelegt. Jedoch bei Vorliegen einer Machtasymmetrie und hohen Interessengegensätzen, werden Regelungen vielmehr zur Kontrolle und weniger zur wechselseitigen Abstimmung aufgestellt. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber aufgrund seiner Autorität, Regeln einseitig festschreibt, die einen formellen Charakter besitzen. Des Weiteren schlägt Jochims vor, die symbolische Regulierung unter der Voraussetzung von Machtasymmetrie und hoher Komplexität ebenfalls zu unterteilen. Bei geringen Interessengegensätzen unterstellt er, dass Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer über emotionale “Goodwill” Aktionen einbinden. Während dagegen bei hohen Interessengegensätzen die Regulierung eher mit dem Kontrollanspruch verbunden. Jochims macht dabei deutlich, dass wie bereits von Martin erwähnt, eine verbindliche Organisationskultur geschaffen werden muss, um Kontrolle in bürokratische Regulierungen effektiv einzugliedern.

Literatur

Faz.net. (12.September 2018). Streik deutscher Ryanair-Mitarbeiter hat begonnen. Faz.net. Aufgerufen am 14.09.2018, http://www.faz.net/aktuell/streik-deutscher-ryanair-mitarbeiter-hat-begonnen-15783579.html.

Jochims, T. (2010). Personalpolitik in mittelständischen Unternehmen: Personalpolitische Konfigurationen und organisationale Dissonanz (Vol. 44). Rainer Hampp Verlag.

Martin, A. (1998). Das Modell der Handlungsentlastung. In: Martin, A./Nienhüser, W. (Hrsg.): Personalpolitik. 155-191. München, Rainer Hampp Verlag.

Mortsiefer, H. (13. März 2017). Kein Streik bei der Deutschen Bahn. Tagesspiegel.de. Aufgerufen am 13.09.2018, https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/schlichtung-im-tarifstreit-kein-streik-bei-der-deutschen-bahn/19502792.html.

Rosso, B. D., Dekas, K. H., & Wrzesniewski, A. (2010). On the meaning of work: A theoretical integration and review. Research in organizational behavior, 30, 91-127.

Thompson, J. D. and Tuden, A. 1959. “Strategies, structures and processes of organizational decisions”. In Comparative studies in administration, Edited by: Thompson, J. D., Hammond, P. B., Hawkes, R. W., Junker, B. H. and Tuden, A. Pittsburgh, PA: University of Pittsburgh Press.