Neid

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Neid (mhd. nīt, ahd. nīd, „Hass, Groll“ von idg., weitere Herkunft ungeklärt) bezeichnet das böswillige oder schmerzhafte Gefühl oder Verlangen einer neidischen Partei, die gleichen materiellen oder immateriellen Güter einer beneideten Partei zu besitzen.[1]

Im alltäglichen Gebrauch steht Neid in Abgrenzung zu Missgunst, Eifersucht und Gerechtigkeitssinn. Die Verbreitung von Neid variiert je nach Land, Alter, Haushaltsgröße, Geschlecht sowie Neidobjekt. Die Bedeutung kann hingegen aus zeitlicher, geschlechtlicher, nationaler und internationaler Perspektive betrachtet werden. Die Forschung zu Neid im organisationalen Kontext fokussiert sich auf die Auslöser, Rechtfertigung und Auswirkungen des Gefühls. Zur weiteren Veranschaulichung erarbeiteten Veiga, Baldridge und Markoczy einen Mechanismus, dessen Aussagen die individual-emotionalen Auswirkungen von organisationalem Neid erklären. In Organisationen ist Neid schwer vermeidbar. Möglichen neidauslösende Situationen am Arbeitsplatz (z.B. organisatorischer Wandel) sollte die Führungsebene deshalb besondere Aufmerksamkeit schenken. Dabei sollten Kommunikation und Transparenz geschaffen und die Unternehmenskultur gestärkt werden. Damit kann den negativen Folgen von Neid entgegengewirkt werden.


Herkunft, Bedeutung, Entstehung und Ausprägungsformen

Der Ausdruck Neid geht über das mittelhochdeutsche nīt, das althochdeutsche nīd auf das germanische neipha zurück und ist mit dem altenglischen Begriff niđ sowie dem altfranzösischen nith verwandt. Die weitere Herkunft ist in der Sprachwissenschaft ungeklärt. Neid bezeichnet das schmerzhafte Gefühl bzw. Verlangen einer neidischen Partei, die gleichen materiellen oder immateriellen Güter einer beneideten Partei zu besitzen. Neidobjekt kann ein Vorteil, ein Besitz oder ein Erfolg sein. Es gibt den interpersonellen Neid zwischen Individuen und den Neid zwischen Gruppen.[2]

Lazarus führt die Entstehung, Art und Ausprägung von Emotionen wie Neid auf prägende Erfahrungssequenzen zurück. Wiederholte, vergleichbare Schlüsselereignisse festigen emotionale Muster. Diese werden in wiederkehrenden Situationen unterbewusst abgerufen oder aktualisiert. Als Folge wird Neid eine individuelle habituelle Bedeutung zugewiesen und tritt zweck- und zielgerichtet auf.[3] Es kann zwischen zwei Ursprungsquellen für Neid unterschieden werden. Bei dispositionalem Neid besitzt die neidische Partei die angeborene Veranlagung, neidisch zu sein. Dies ist auf die Genvariation ADRA2b zurückzuführen, welche den Neurotransmitter Noradrenalin beeinflusst. Menschen mit dieser Genvariation legen eine größere Aufmerksamkeit auf negative Aspekte in der Umgebung, wodurch unter anderem das Gefühl des Neids vermehrt und intensiver auftritt. Die Anzahl der Menschen mit der Genvariation ADRA2b variiert zwischen Ethnien. So tritt sie beispielsweise bei 50 % die Kanadier, jedoch bei lediglich 10 % der Ruander auf.[4] Episodischer Neid wird durch einen bestimmten Vorfall ausgelöst.[5] Dabei wird dieser durch eine neidische Partei, eine beneidende Partei sowie ein Neidobjekt definiert und muss die folgenden Merkmale aufweisen:

  • Soziale Nähe zwischen der neidischen und der beneideten Partei (z.B. gleiche hierarchische Stufe beim Arbeitgeber oder Freundschaft)
  • Ähnlichkeit zwischen der neidischen und der beneideten Partei (z.B. gleiche Altersgruppe oder vergleichbares Studienfach)
  • Sozialer Vergleich der neidischen Partei mit der beneideten Partei
  • Unterscheidungsmöglichkeit im Neidobjekt (z.B. kann eine Frau mit kurzen Haaren niemanden beneiden, Haare zu haben; sie kann jedoch jemanden beneiden, lange Haare zu haben)
  • Reales Vorhandensein des Neidobjekts
  • Relevanz des Neidobjekts für die neidische Partei
  • Positiver Nutzen des Neidobjekts[6][7]

Neid kann in zwei Ausprägungsformen auftreten. Konstruktiver Neid beinhaltet den Wunsch der neidischen Partei, das beneidete Gut oder ein gleichwertiges Gut selbst zu besitzen. Huguet, Dumas, Monteil und Genestoux fanden zum Beispiel in einer Studie unter Schülern heraus, dass Neid Ehrgeiz fördern und einen positiv-motivierenden Effekt haben kann.[8]

Bei destruktivem Neid wünscht die neidische Partei, dass die beneidete Partei das Neidobjekt verliert oder Schaden nimmt. Da diese Bedeutung in der Gesellschaft weitläufiger bekannt ist, wird dem Neid eine negative Geltung zugewiesen. So unterstellen die beneidete Partei und/oder Außenstehende der neidischen Partei oft böswilliges Wunschdenken (z.B., dass die beneidete Partei das Neidobjekt verliert) und entsprechende Verhaltensreaktionen (z.B., dass die neidische Partei der beneideten Partei das Neidobjekt entwenden möchte), um das eigene Gefühl des Neids zu befriedigen. Destruktiver Neid kann weitere destruktive Gefühle (z.B. Ablehnung, Hass oder Schadenfreude) oder Verhaltensweisen (z.B. weniger Lob, kritische Bemerkungen oder eine geringe Kooperationsbereitschaft) bedingen. Innerhalb einer Gruppe kann dies einen negativen Effekt auf die Gruppenleistung haben. Eine starke Ausprägung des destruktiven Neidgefühls kann dazu führen, dass Gefahr für die beneidete Partei entsteht, von der neidischen Partei physisch oder psychisch angegriffen zu werden. So zeigen Studien einen positiven Zusammenhang zwischen Neid und (Gewalt-)Verbrechen.[9]

Begriffsabgrenzung

Im alltagssprachlichen Gebrauch gibt es viele Begriffe, die dem des Neids ähneln.

  • Die destruktive Form wird mitunter als Missgunst bezeichnet. Missgunst grenzt sich jedoch durch eine grundlegend ablehnende Haltung oder Einstellung gegenüber der anderen Partei vom Neidgefühl ab.
  • Neid und Eifersucht werden oft synonym verwendet. Eifersucht unterscheidet sich vom Neid durch eine triadische anstelle einer bilateralen Beziehung. Hierbei ist die Angst einer zentralen eifersüchtigen Person definierend, eine geschätzte Person an einen Rivalen zu verlieren.
  • Dem Gerechtigkeitssinn steht die egoistische und negative Konnotation des Neids gegenüber. Gerechtigkeit beinhaltet eine altruistische Motivation und das Streben nach einem idealen Zustand des sozialen Miteinanders.

Ein Antonym von Neid ist die Bewunderung – das Gefühl für ein Objekt, das als außergewöhnlich angesehen wird und demnach besonderer Anerkennung bedarf. Das Objekt der Bewunderung kann materiell oder immateriell sein und sich in einer anderen Person, einer Charaktereigenschaft, einer Sache oder einer Leistung finden. [10]

Verbreitung

Neid ist in Deutschland verbreiteter als im internationalen Vergleich (z.B. gegenüber den USA). Eine Studie des Marktforschungsunternehmens OmniQuest aus dem Jahr 2015 zeigt, dass durchschnittlich 36,8 % der Deutschen Neid verspüren. Die Verbreitung variiert nach verschiedenen Faktoren, unter anderem nach Alter (Neidverbreitung sinkt mit zunehmendem Alter), Haushaltsgröße (Neidverbreitung steigt mit zunehmender Haushaltsgröße), Geschlecht (39,2 % der Frauen und 34,2 % der Männer gaben an, neidisch zu sein) und Neidobjekt. Relevante Neidobjekte können in die folgenden Kategorien unterteilt werden:

Futterneid: Ein Mädchen ist neidisch auf den Lutscher eines anderen Mädchens
  • Materielle Güter (z.B. Geld, Haus oder Auto)
  • Freizeitaktivitäten (z.B. Reisen)
  • Soziale Verhältnisse (z.B. Oberschicht vs. Mittelschicht)
  • Gefühle (z.B. Freude)
  • Soziale Verbindungen und gesellschaftliches Miteinander (z.B. Liebe, Familie oder Beziehungen)
  • Eigenschaften (z.B. Aussehen)
  • Fähigkeiten, Begabungen und Talente (z.B. Intelligenz oder Gesang)
  • Erfolg und Leistungen (z.B. Schulnoten)
  • Religions- oder Nationalitätenzugehörigkeit (z.B. Christen vs. Juden)
  • Gesundheit (insbesondere im hohen Alter)
  • Überlebenswichtige biologische Bedürfnisse (z.B. Nahrung als sog. Futterneid)[11][12][13]

Dabei unterscheiden sich die Neidobjekte in ihrer Relevanz bzw. in der Häufigkeit ihres Auftretens. So sind Geld, Reisen und Haus die häufigsten Neidobjekte.[14]

Neidobjekt Häufigkeit des Auftretens
Geld 47,8 %
Reisen 32,6 %
Haus 30,7 %
Erfolg im Beruf 27,7 %
Familie 26,9 %
Auto 20,6 %
Attraktivität des Partners 20,4 %
Aussehen 18,7 %

Bedeutungsvarianten

Die Bedeutung von Neid variiert unter verschiedenen Gesichtspunkten.

Zeit

Das zehnte Gebot als Druckgraphik von Maarten van Heemskerck (1498-1574) um 1566

Die Thematisierung des Neidphänomens ist weit in die Vergangenheit zurückzuführen. Die Zehn Gebote (Dekalog) des Alten Testaments sind in einem jahrhundertelangen Prozess vor Christi Geburt entstanden und stellen in den Religionen (z.B. Judentum, Christentum) und der Ethik einen zentralen Ankerpunkt dar. Das zehnte Gebot wendet sich bereits gegen Habgier und Neid: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau oder Mann oder deines Nächsten Hab und Gut.“[15]

Heutzutage ist Neid ein in der Gesellschaft allgegenwärtiges Gefühl, das laut Forschern stärker verbreitet ist als jemals zuvor. Begründet wird dies durch die sozialen Medien, welche dem Einzelnen einen intensiveren Kontakt zu einer größeren Anzahl an Menschen ermöglichen. Eine Studie von Krasnova, Wenninger, Widjaja und Buxmann aus dem Jahr 2013 zeigt, dass 20,3 % der gemessenen Neidereignisse auf Aktivitäten bei Facebook zurückzuführen sind und dass Neid ein regelmäßig auftretendes Gefühl auf Facebook ist.[16]

Geschlecht

Eine Studie von Haubl und Brähler aus dem Jahr 2009 belegt, dass sich Neid bei Männern und Frauen in der Art unterscheidet. Tritt Neid auf, geben Frauen signifikant häufiger als Männer an, dass sie traurig sind. Männer geben hingegen signifikant häufiger an, dass sie sich bei Neidgefühlen ärgern. Dies kann auf kulturell determinierte Geschlechterrollen zurückgeführt werden. Evolutionäre Gründe bedingen unterschiedliche Neidobjekte: Männer beneiden eher Erfolg oder Besitz, Frauen hingegen die Attraktivität anderer Frauen.

National

Innerhalb Deutschlands besteht ein Unterschied im Neidempfinden zwischen Ost- und Westdeutschland.

  • Die westdeutsche Gesellschaft zeichnet sich als Leistungsgesellschaft aus, definiert durch den Aspekt der Chancengleichheit. So entsteht Neid weniger schnell und intensiv. Tritt Neid dennoch auf, dann vor allem in konstruktiver Form.
  • Die ostdeutsche Gesellschaft baut auf dem Gleichheitsprinzip auf. Bedingt durch diese gesellschaftliche Neigung tritt das Gefühl der Ungerechtigkeit schnell und intensiv auf. Hiermit geht vermehrt destruktiver Neid einher.[17]

International

Neid ist Bestandteil jeder Kultur. Der Umgang mit Neid unterscheidet sich jedoch im internationalen Vergleich.

  • In Deutschland kann Neid konstruktive oder destruktive Form annehmen.
  • In den USA wird Neid eher eine positive Bedeutung zugewiesen. Der Ehrgeiz der neidischen Partei besteht darin, es der beneideten gleich zu tun und bestimmte Ziele zu erreichen. Dementsprechend ist Neid in den USA ein gewünschtes Sozialdenken.
  • Kulturen wie die der Bevölkerung der Insel Java (Indonesien) definieren sich durch eine hierarchische Ordnung, in der harte Arbeit belohnt wird. Der Erfolg anderer darf nicht beneidet werden. Deshalb wird Neid nicht toleriert und sogar mit Hass gleichgesetzt.[18]

Organisationaler Neid in der Forschung

Die Forschung von organisationalem Neid konzentriert sich auf die Auslöser (Wie entsteht Neid?), die Rechtfertigung (Worauf begründet sich Neid?) und die Auswirkungen (Welche Folgen hat Neid?) (nachfolgend die wichtigsten Determinanten).

Schwerpunkte der empirischen Forschung zu organisationalem Neid

Auslöser

Zwei Jungen vergleichen sich

Der relevanteste Auslöser für Neid ist der soziale Vergleich. Rousseau stellte bereits 1755 heraus, dass Individuen in sozialen Gefügen aufgrund ihrer natürlichen (z.B. Aussehen) oder erarbeiteten Verschiedenheit (z.B. Erfolg im Beruf) zu Vergleichen neigen.[19] Im organisationalen Kontext bestätigen dies Schaubroeck und Lam. In einer Bank in Hong Kong hat das Forscherpaar die Reaktionen von Mitarbeitern auf Beförderungssituationen beobachtet.[20] Mitarbeiter unternehmen demnach zumeist Aufwärtsvergleiche.[21] Sie messen sich an Kollegen, die aus subjektiver Perspektive besser sind als sie selbst und denen sie in der Hierarchie nahestehen. Erreicht der direkte Kollege einen Vorteil (z.B. eine Gehaltserhöhung oder ein besonderes Lob), das Individuum aber nicht, steigt durch soziales Vergleichen die Wahrscheinlichkeit des Neidgefühls.

Da die individuelle Selbstwahrnehmung oftmals mit Neid einhergeht, kann sie ebenfalls ein Auslöser für das Gefühl sein. Dadurch, dass eine Erwartungshaltung nicht erfüllt wird oder Entbehrungen in Kauf genommen werden müssen (z.B., weil eine erhoffte Beförderung ein Kollege erhalten hat), leidet die eigene Wertschätzung und die Wahrscheinlichkeit des Neids steigt.[22]

Rechtfertigung

Ist eine Person neidisch, versucht sie das Gefühl vor sich selbst zu rechtfertigen.

Khanh, Quratualain und Bell haben herausgefunden, dass Individuen bei Neid am Arbeitsplatz den Aspekt der Fairness prüfen.[23] Ist ein Individuum neidisch und die Situation unfair, fühlt sich das Individuum in seinem Gefühl bestätigt. Der Neid erscheint gerechtfertigt. Ist die Situation fair und das Individuum zu Unrecht neidisch, dann sucht es den Grund für den Neid bei sich selbst. Das als unrecht befundene Gefühl des Neids kann jedoch bestehen bleiben.

Auswirkungen

Neid kann positive (z.B. Ehrgeiz) oder negative Folgen (z.B. Unzufriedenheit oder Depressionen) haben. Am Arbeitsplatz kann dies zu sinkender Leistungsbereitschaft führen. Steigende Rivalität und Wettbewerb zwischen den Mitarbeitern und in Gruppen können daraus resultieren.[24]

Theorien zum negativen Effekt von Neid auf eine Gruppe

Verschiedene Theorien erklären, warum Neid bedingt durch einen sozialen Vergleich einen negativen Effekt auf eine Gruppe im organisationalen Umfeld haben kann.

Die Kausalkette sozialer Vergleich – Neid – negativer Effekt auf eine Gruppe kann durch alternative Theorien erklärt werden

Verminderte Informationsweitergabe

Fischer, Kastenmüller, Frey und Peus zeigen, dass Neid begründet durch einen sozialen Vergleich zu einer verminderten Informationsweitergabe innerhalb einer Gruppe führen kann, insbesondere von der neidischen zur beneideten Person. Hierzu zählt eine verringerte Qualität und Quantität der Informationsweitergabe der neidischen Person gegenüber beneideten Gruppenmitgliedern in den folgenden Aspekten:

  • Arbeitsbezogener Informationsaustausch und Aussagen über die Gruppenarbeit, -aufgabe und -leistung (z.B. werden wichtige Erkenntnisse zur Gruppenarbeit oder Ergebnisse einzelner Teilaufgaben von der neidischen Partei nicht mit der beneideten Partei innerhalb der Gruppe geteilt)
  • Übermittlung wichtiger aufgabenbezogener Informationen (z.B. werden wichtige Informationen von dem Vorgesetzten zur Gruppenaufgabe durch die neidische Partei nicht an die beneidete Partei innerhalb der Gruppe weitergegeben)
  • Darstellung und Vertreten der eigenen Meinung und Einstellung zur Gruppenarbeit, -aufgabe und -leistung (z.B. wird die persönliche Meinung zu einem Vorhaben oder einer aufgabenbezogenen Entscheidung innerhalb der Gruppe von einer neidischen Partei gegenüber der beneideten Partei zurückgehalten)
  • Austausch aufgabenbezogener Ideen (z.B. teilt die neidische Partei alternative Ansätze zur Lösung der Gruppenaufgabe nicht mit der beneideten Partei innerhalb der Gruppe)

Als Folge dieser verminderten Qualität und Quantität der Informationsweitergabe sinken der Gruppenzusammenhalt sowie die -leistung.[25]

Soziale Untergrabung

Das empirische Modell von Dunn und Schweitzer zeigt, dass eine unterschiedliche Intensität des sozialen Vergleichs zu Neid und schließlich zu Sozialer Untergrabung führen kann. Soziale Untergrabung beinhaltet destruktives und unethisches Verhalten einer Person, um positive interpersonelle Beziehungen, arbeitsbezogenen Erfolg und den guten Ruf einer anderen Person zu mindern. Tritt dies in einer Gruppe auf, kann der Zusammenhalt leiden und die Gruppenleistung sinken.[26]

Dysfunktionale Verhaltensreaktionen

Mit einem Mechanismus kann die Reaktion eines Individuums auf neidauslösendes Ereignis erklärt werden[27]

Veiga, Baldridge und Markoczy beschreiben einen Mechanismus, der die emotionalen Auswirkungen eines Individuums auf das Gefühl des Neids aufzeigt. Bleibt der Neid unkontrolliert, kann dies Folgen in Form von rechtfertigenden oder emotional geprägten Verhaltensreaktionen eines Individuums nach sich ziehen. Der Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe kann dadurch negativ beeinträchtigt werden. Hieraus lässt sich eine verminderte Gruppenleistung ableiten.

Die Beschreibung des Mechanismus basiert auf zwei Theorien. Erstens greift die Theorie affektiver Ereignisse von Weiss und Cropanzano aus dem Jahr 1996. Diese beschäftigt sich mit der Rolle von Emotionen und Stimmungen im Arbeitskontext sowie ihrem Einfluss auf Arbeitszufriedenheit und Verhalten. Konkret werden die kognitiven und affektiven Verbindungen eines auslösenden Ereignisses mit einer Antwort in Form einer emotionalen Verhaltensreaktion eines Individuums beschrieben.[28] Zweitens benennen die Forscher die Theorie des sozialen Vergleichs. Diese wurde 1954 durch Festinger begründet und unterliegt seitdem einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Die Kernaussage ist, dass Individuen Informationen über das eigene Selbst unter anderem durch den sozialen Vergleich mit anderen Menschen erlangen.[29]

Mit dem Mechanismus wird erklärt, welche Reaktionen ein Individuum auf ein neidauslösendes Ereignis am Arbeitsplatz zeigt. Aus der ersten Reaktion folgt eine kognitive Bewertung des Ereignisses, woraus sowohl eine affektive Reaktion, als auch eine Verhaltensreaktion resultieren können.

Auslöser

Die erste Beurteilung eines Individuums auf ein neidauslösendes Ereignis ist eine spontane und meist schmerzhafte Reaktion. Dies ist der initiale Auslöser für Neid, welcher vom Individuum nicht immer eindeutig benannt werden kann (z.B. fühlt das Individuum negative Gefühle, kann diese aber nicht sofort als Neid identifizieren).

Kognitive Bewertung

Der Versuch, dieses erste Gefühl zu ergründen, führt zu einer kognitiven Bewertung. Das Individuum versucht seiner ersten Beurteilung Sinn zu verleihen.

  • Zunächst vollzieht das Individuum nach, inwiefern die eigene Position durch das neidauslösende Ereignis beeinflusst wird. Zentral ist der soziale Vergleich. Wird ein Individuum durch das Ereignis benachteiligt oder geschwächt, ist sein sozialer Stand gefährdet, wodurch Neid entstehen kann. Dies ist die wahrgenommene Schwächung des eigenen Status.
  • Ein weiterer Aspekt der kognitiven Bewertung ist zudem auf den persönlichen Hintergrund eines Individuums zurückzuführen. Vorerfahrungen und emotionale Vorbelastungen beeinflussen, warum das Individuum bei einem bestimmten Ereignis mit Neid reagiert. Diese Erlebnisse aus der Vergangenheit können die kognitive Bewertung gegenwärtiger Situationen stark beeinflussen. Das Individuum reagiert sensibel (z.B. fühlte sich ein Individuum in der Kindheit im Vergleich zu seinen Geschwistern vermehrt zurückgesetzt, empfand es öfter Neid; im Erwachsenenalter steigt dann auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Individuum im Vergleich zu den Kollegen vom Vorgesetzten benachteiligt fühlt, sodass es schneller neidisch wird).

Affektive Reaktion

Die vorangegangene kognitive Bewertung festigt die Einstellung eines Individuums zu einem neidauslösenden Ereignis. Auf Basis dessen findet eine Gefühlsreaktion (z.B. Wut) statt, die stärker oder schwächer sein kann. Daraus resultiert eine Verhaltensreaktion.

Verhaltensreaktion

Es wird zwischen zwei Verhaltensreaktionen unterschieden, die einzeln oder gemeinsam auftreten können:

  • Bei der emotional geprägten Verhaltensreaktion handelt es sich um Gefühle, die spontan und unmittelbar gezeigt werden (z.B. Tränen). Der Ausdruck des Neids findet losgelöst von sozialen Normen und Gruppengefügen statt und kann sowohl subtil, als auch eklatant sein. Je stärker die Gefühle sind, desto wahrscheinlicher ist ein Ausdruck dieser in einer emotional geprägten Verhaltensreaktion.
  • Rechtfertigende Verhaltensreaktionen sind hingegen intentional geprägt und langfristiger (z.B. Sabotage, Lästereien oder geplante Intrigen).[30]

Neid im organisationalen Wandel

In Organisationen sind soziale Vergleiche unter Kollegen und die möglicherweise daraus resultierenden Gefühle des Neids schwer vermeidbar. Da Neid in der Regel unterbewusst und unsichtbar ist, ist es für Verantwortliche (z.B. die Führungsebene) schwer, das Gefühl zu lindern und zu kontrollieren. Umso wichtiger ist, dass sich Verantwortliche in der Organisation darüber bewusst werden, dass Neid innerhalb der Belegschaft auftreten kann.[31]

Das Gefühl des Neids tritt in Organisationen häufig im organisationalen Wandel auf. Für den einzelnen Mitarbeiter überwiegt im gesamten Veränderungsprozess die Frage nach den persönlichen Konsequenzen. Dabei sind die Gründe für Neid je nach Phase des Wandels verschieden:

  • Unmittelbar vor bzw. zu Beginn des Wandels können Unsicherheiten aufgrund von mangelnder Kommunikation Neid hervorrufen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Vorgesetzte und ausgewählte Mitarbeiter (sog. Change Agents) einen Wandel gestalten und diesen von oben aufzwingen. Die Entscheidungsgewalt und der Wissensvorsprung dieser Mitarbeiter werden beneidet. Sie werden oftmals als direkte Rivalen angesehen.[32]
  • Während des Wandels können die einhergehenden Veränderungen zu Neid führen. Werden bei der Re-Organisation Entscheidungen getroffen, die das Individuum benachteiligen (z.B. Beförderungen von Kollegen jedoch keine eigene Beförderung), dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Wandel als eine Schwächung des eigenen Status wahrgenommen wird. Das Individuum neidet eher.[33]
  • Auch nach dem organisatorischen Wandel, wenn dieser bereits in der Organisation implementiert wurde, kann Neid beim Individuum entstehen. Zell beschreibt, dass Mitglieder in Organisationen besonders dann erfolgreiche Wandelprozesse beneiden, wenn sie selbst nicht davon profitieren.[34]

Damit der Neid nicht zu destruktivem Verhalten bei den Mitarbeitern führt und somit einen negativen Effekt auf das organisationale Umfeld und den Erfolg des Wandels hat, sollten Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.[35]

Unterstützung unterdurchschnittlicher Mitarbeiter

Deshalb sollten Mitarbeiter, die während des organisatorischen Wandels nicht mit einem Vorteil bedacht werden, gezielt gefördert werden (z.B. durch Schulungen).[36] Damit wird ihnen das Gefühl gegeben, dass sie ein wichtiger Teil des Unternehmens sind und ebenfalls unterstützt werden, ihre Ziele erreichen zu können. Der eventuell entstandene Neid wird gelindert und aktiv in konstruktiven Neid umgewandelt. Durch Unterstützung wird Neid gegebenenfalls gänzlich vermieden, da Wertschätzung und Gleichberechtigung durch die Führungsebene gelebt werden.

Kommunikation und Transparenz

Eine umfassende Kommunikation ist in Situationen, die Neid hervorrufen können (z.B. organisatorischer Wandel), besonders wichtig. Mit der Offenlegung der Evaluations- und Entscheidungskriterien für Vorteile anderer (z.B. Beförderung) und Veränderungen kann Neid ebenfalls eingegrenzt werden. Wenn Mitarbeiter die Kriterien als valide und objektiv einstufen, rechtfertigt diese Transparenz die Entscheidungen der Führungsebene. Der persönliche Neid wird unterbunden.[37] Die gezielte Verbreitung von Informationen und kontinuierliche Kommunikation bzw. die Begründung von Entscheidungen kann Neid kontrollieren und vor allem destruktive Verhaltensreaktionen verhindern.

Unternehmenskultur stärken

Eine ausgeprägte Unternehmenskultur stärkt das Gruppengefühl innerhalb der Belegschaft (z.B. durch gemeinsame Aktivitäten, die den Gruppenzusammenhalt stärken). Der Konkurrenzdruck wird reduziert. An seine Stelle tritt in vielen Fällen der Stolz über das Erreichte der gesamten Gruppe.[38]

Literatur

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Einzelnachweise

  1. Duden (1998), S. 723
  2. Veiga/Baldridge & Markoczy (2014), S. 2366f.
  3. Lazarus (1991), S. 104
  4. Todd/Müller/Lee/Robertson/Eaton/Freeman/Palombo & Levine (2013), S. 2244ff
  5. Khanh/Quratulain & Bell (2014), S. 129
  6. Rousseau (1755), S. 112ff
  7. Tesser (1988), S. 181ff
  8. Huguet/Dumas/Monteil & Genestoux (2001), S. 563ff
  9. Fajnzylber/Lederman & Loayza (2002), S. 1323ff
  10. Duden (1998), S. 350ff
  11. Krasnova/Wenninger/Widjaja & Buxmann (2013), S. 6f.
  12. Takahashi/Kato/Matsuura/ Mobbs/ Suhara & Okubo (2009), S. 937ff
  13. Schippers (2014), S. 87ff
  14. Wolter (2015), o.S.
  15. Die Bibel - Altes Testament: 2. Moses 20,3 bis 17
  16. Krasnova/Wenninger/Widjaja & Buxmann (2013), S. 11
  17. Haubl & Brähler (2009), S. 9ff
  18. Foster (1972), S.165ff
  19. Rousseau (1755), S.31ff
  20. Schaubroeck /Lam (2014), S.38ff
  21. Gibbons & Gerard (1989), S.16
  22. Veiga/Baldridge & Markoczy (2014), S.2366
  23. Khanh/Quratulain & Bell (2013), S. 131
  24. Dunn & Schweitzer (2006), S.181ff
  25. Fischer/Kastenmüller/Frey & Peus (2009), S. 44ff
  26. Dunn & Schweitzer (2006), S. 185ff
  27. in Anlehnung an: Vega/Baldridge & Markoczy (2014), S. 2367
  28. Weiss & Cropanzano (1996), S. 1ff
  29. Festinger (1954), S.117ff
  30. Veiga/Baldridge & Markoczy (2014), S. 2368ff
  31. Veiga/Baldridge & Markoczy (2014), S. 2374
  32. Vecchio (2000), S. 162f.
  33. Veiga/Baldridge & Markoczy (2014), S. 2366ff
  34. Zell (2003), S.79ff
  35. Dunn & Schweitzer (2006), S. 193f.
  36. Veiga/Baldridge & Markoczy (2014), S. 2376f.
  37. Khanh/Quratulain & Bell (2013), S. 142
  38. Dunn & Schweitzer (2006), S. 193