Macht und Kontrolle

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Die Phänomene Macht und Kontrolle stehen in einem engen Zusammenhang und sind in verschiedenen Disziplinen Forschungsgegenstand. Macht, als Einflussnahme auf andere Personen, findet in unterschiedlichen Lebensbereichen statt, so zum Beispiel im Privatleben aber auch in Organisationen. Insbesondere in der Organisationsentwicklung spielen Macht und Kontrolle in ihren unterschiedlichen Facetten für das Engagement, die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter und somit für den Erfolg des Wandels eine ausschlaggebende Rolle.

Problem

Phänomene

Der Begriff „Macht“ stammt ursprünglich von dem althochdeutschen Wort „maht“ aus dem 8. Jahrhundert ab und bedeutet übersetzt „Vermögen, Körperkraft, Anstrengung, Gewalt, Vollmacht“, aber auch „Menge, Fülle“.[1] In der täglichen Kommunikation ist der Begriff der Macht meist intuitiv einfach verständlich. Macht wird dort häufig als Einfluss verstanden. In der Wissenschaft hingegen wird der Begriff der Macht unterschiedlich definiert.[2] Wissenschaftlicher Minimalkonsens ist, dass Macht „irgendeine Art der Beeinflussung von Menschen“ darstellt.[3]

Nach dem bekannten Soziologen Max Weber bedeutet Macht „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“.[4] Macht stellt daher eine potenzielle Chance dar, unabhängig davon, ob diese Chance genutzt wird. Macht setzt nach Weber außerdem soziale Beziehungen zwischen den Beteiligten voraus. Das bedeutet, Macht findet innerhalb von aufeinander bezogenem, gemeinsamem Verhalten statt. Sie kann also auch in Freundschaften, Ehen, Feindschaften oder in alltäglichen Situationen wie dem Wochenmarktbesuch vorhanden sein. Ein über Macht verfügendes Individuum kann nach Weber den eigenen Willen auf bewusste und unbewusste Art ausüben. Außerdem beinhaltet Max Webers Definition von Macht, dass diese konfliktfrei und freiwillig aber auch gegen das Widerstreben von anderen ausgeübt werden kann.[5]

Der kanadische Wirtschaftswissenschaftler Henry Mintzberg definiert in seinem Buch "Power in and around organizations" von 1983 Macht als eine Fähigkeit, organisatorische Ergebnisse zu erzielen oder zu beeinflussen. Er leitet dies von dem französischen Wort „pouvoir“ ab, was mit „Macht“ und „können“ übersetzt wird. Unternehmen befinden sich in einem Umfeld mit einer Vielzahl von Kräften, welche ihr Handeln beeinflussen können. Das Kaufverhalten von Kunden oder die Entwicklung neuer Innovationen gelten als zwei mögliche Beispiele. Dennoch gilt Macht als einer der Hauptfaktoren, um zu verstehen wie Organisationen funktionieren, neben funktionsbedingten Anforderungen, die sich beispielsweise aus Arbeitsteilung, Anreizsystemen, Spezialisierung, Arbeitstechnologie und Umweltanpassung ergeben. [6] Somit ist es essentiell, die Machtbeziehungen zu verstehen, in denen sich Unternehmen befinden, um ihre Strukturen verbessern zu können und Kontrolle über sie zu gewinnen. Bezugnehmend auf die Organisationsentwicklung sind diese Kenntnisse von besonderer Bedeutung.[7]

Macht kann in formale und informelle Macht differenziert werden. Formale Macht liegt vor, wenn ein Organisationsmitglied aufgrund von bürokratischen Regelungen, z.B. durch seine hierarchische Stellung, Macht zugewiesen bekommen hat. In Kontrast dazu wird unter informeller Macht „die nicht in einem bürokratischen Regelwerk definierte, sondern auf emergenten Normen, Regeln und Interpretationen beruhende Möglichkeit eines Organisationsmitglieds A verstanden […], ein anderes Organisationsmitglied B dazu zu veranlassen, etwas zu tun, was es sonst nicht tun würde."[8]

Ergänzend zu dieser Begriffserklärung wird zwischen transaktionaler und transformationaler Führung als Machtausübung unterschieden. Eine transaktionale Führung beruht auf den Komponenten "Bedingte Belohnung" sowie "Management by Exception". Im Zuge der bedingten Belohnung wird der Grundsatz Quid pro quo fokussiert. Das bedeutet, dass Führungskräfte ihre Erwartungen an die Mitarbeiter signalisieren und ihnen eine Gegenleistung bieten und damit belohnen. Bei dem Führen nach dem Ausnahmeprinzip (Management by Exception) überwachen Führungskräfte hauptsächlich die durch die Mitarbeiter ausgeführte Arbeit und deren Abläufe. Sie greifen nur bei Ausnahmen in die Tätigkeit der ihnen untergebenen Mitarbeiter ein, sofern die geleistete Arbeit nicht den Ansprüchen genügt. Diese Führung beinhaltet lediglich die Sicherstellung von Prozessen sowie die Einhaltung von Qualitätsstandards, so dass es sich um eine Art der “emotionslosen Übereinkunft mit den ausgehandelten Richtlinien” handelt und keine Gefühle wie Begeisterung und Bewunderung der Mitarbeiter durch die Führungskraft hervorgerufen werden.[9] Konträr zu dieser Führungsform basiert eine transformationale Führung auf Sinnvermittlung, Mitarbeiterorientierung sowie auf einer aktiven Einbeziehung des Personals. Dabei zeichnen sich Führungskräfte durch inspirierende, motivierende und charismatische Charakterzüge aus.[10]

Kontrolle bedeutet so viel wie „Überwachung, Aufsicht, Überprüfung und Gewalt über jemanden oder etwas“ [11] und fand ursprünglich in der Wirtschaftsorganisation im Sinne der Überwachung und Überprüfung Anwendung. Im heutigen Sprachgebrauch wird der Begriff der Kontrolle jedoch häufig synonym mit den Begriffen Einfluss, Autorität (siehe auch Kapitel 1.2 Ähnliche Begriffe) und Macht verwendet. [12] Macht und Kontrolle finden folglich in einem Zusammenspiel statt, denn Macht wird Personen in dem Maße zugeschrieben, in dem sie in der Lage sind, Kontrolle über andere oder ungewisse Bereiche auszuüben. [13] Je mehr das Verhalten eines Individuums von anderen bestimmt wird (d.h. kontrolliert wird), desto weniger ist ein Individuum frei, seine eigene Handlungsweise zu bestimmen. Kontrolle kann von einer einzigen Person ausgehen, aber auch auf Gegenseitigkeit beruhen, so dass beispielsweise jede Person einer Gruppe eine gewisse Kontrolle über andere Personen der Gruppe besitzt.[14]

Begriffe

Da Macht im Alltag häufig intuitiv und nicht eindeutig verstanden wird, ist eine Abgrenzung von anderen, meist in ähnlichem Kontext verwendeten Begriffen notwendig.[15]

Herrschaft ist nach Max Weber „die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden.“ [16] Herrschaft ist ein legitimiertes Machtverhältnis aufgrund von Legalität, Tradition oder Charisma. Ein Bespiel für Herrschaft ist daher die staatliche Herrschaft aufgrund von Gesetzen, folglich Legalität. Im Vergleich zur Herrschaft muss Macht faktisch jedoch nicht immer legitimiert sein.[17]

Gewalt wird definiert als „der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichen Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft“. Gewalt führt sicher oder mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu Schäden wie Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklungen oder zu einem Verlust jeglicher Art. Gewalt weist daher eine zusätzliche Schadenskomponente auf, die das menschliche Wohlergehen gefährdet und nicht zwangsläufig für das Vorliegen von Macht vorhanden sein muss.[18]

Autorität ist das Ansehen, das eine Person gegenüber anderen genießt. Dieses ist auf besondere Leistungen oder auf die persönliche Stellung oder Tradition zurückzuführen. Die Person selbst wird dabei häufig auch als „Autorität“ bezeichnet. Verglichen mit dem Begriff der Macht steht das Ansehen der Autorität besitzenden Person im Fokus.[19]

Ähnlich wie Macht ist Manipulation die gezielte Beeinflussung von Menschen, oft gegen deren Willen. Anders als Macht findet sie jedoch zwangsläufig ohne das Wissen der Beeinflussten statt. Die Ausübung von Macht muss nicht zwangsläufig von dem Beeinflussten erkannt werden, obwohl dies möglich ist.[20]

Veranschaulichung

Macht und Kontrolle findet man in unterschiedlichen Situationen und Bereichen. Auf Basis von Webers Definition von Macht („jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“) [21] lassen sich Machtverhältnisse in sozialen Beziehungen jeglicher Art wiederfinden. Beispiele hierfür sind Eltern-Kind-Beziehungen, partnerschaftliche Beziehungen und Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler. Können Eltern ihren Willen gegenüber ihrem Kind durchsetzen, so dass das Kind seine Hausaufgaben trotz Widerstreben erledigt oder sein Zimmer aufräumt, verfügen diese über Macht innerhalb der sozialen Beziehung. Ähnlich können auch Personen innerhalb einer partnerschaftlichen Beziehung mächtig sein und das Verhalten ihres Partners in unterschiedlichen Bereichen bewusst oder unterbewusst beeinflussen (z.B. Wahl des Arbeitsortes, Freizeitverhalten). In der Schule verfügen Lehrer Macht über ihre Schüler, da sie das Verhalten der Schüler beeinflussen, z.B. durch Aufgabenverteilung und Kontrolle des Verhaltens der Schüler im Schulunterricht.

In Organisationen ist Macht, wie bereits oben beschrieben, die Fähigkeit, organisatorische Ergebnisse zu erzielen oder zu beeinflussen. So kann der Abteilungsleiter einer Vertriebsabteilung durch seine Führung das operative Ergebnis seiner Mitarbeiter im Vertrieb beeinflussen und den Unternehmenserfolg verbessern (oder verschlechtern). Außerdem kann ein Unternehmen in Verhandlungen mit Lieferanten oder Kunden über eine starke Verhandlungsposition verfügen und dadurch Preise signifikant beeinflussen oder sogar bestimmen. [22]

Empirie

Verbreitung

Macht ist vor allem ein Begriff des politisch-sozialen Sprachgebrauchs. Neben dieser Disziplin ist der Begriff der Macht auch in weiteren Bereichen verbreitet: Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre, Politikwissenschaft, Soziologie, Philosophie, Recht, Psychologie und Theologie.[23]

Besonders im Hinblick auf Organisationsforschung sowie Arbeits- und Organisationssoziologie ist Macht als Forschungsfeld anerkannt. So existieren Forschungen und literarische Werke, welche die Bedeutung der Macht in Organisationen sowie in deren Wandel fokussieren und verschiedene Formen aufzeigen.[24]

Seit den 1980-er Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft vermehrt mit einem charismatisch-transformatorischen Führungsstil, dessen Basis vor allem zwischenmenschliche Komponente sind.[25] So zeigen Studien, wie jene von Randal Ford, dass reziproke Machtbeziehungen von großer Bedeutung sein können. Reziproke Komponenten sind z.B. eine offenere Kommunikation und ein kollektiv selbstreflexiver und kooperativer Prozess, der darauf ausgerichtet ist, möglichst viele Ansichten und Meinungen zu integrieren. Gegenstand der Studie von Ford war eine Klinik vor und nach einem Vorstandswechsel. Ford untersuchte dabei sowohl qualitativ und quantitativ unterschiedliche Daten wie Archivdaten, Memos, lokale und regionale Zeitungen, diagnostische Erhebungen zur Feststellung von Veränderungsbemühungen des Unternehmens, Sitzungsprotokolle und andere. Die Auswertung ergab, dass das neue Vorstandsmitglied zwischenzeitlich beschädigte Beziehungen zu Mitarbeitern des gesamten Unternehmens durch seine Kommunikationspraktiken, welche auf Zusammenarbeit und Partizipation beruhten, wiederherstellen konnte.[26]

In seinem 1968 erschienenen Buch "Organizational Change and Power" stellt Arnold S. Tannenbaum die Bedeutung der Mitarbeiterbeteiligung und -mobilisierung für organisationale Veränderungsprozesse heraus.[27] Es lässt sich eine Abkehr von reiner Kontrolle und Macht hin zu einer auf Zusammenarbeit beruhenden Führung beobachten. Es wird diskutiert, ob die aktuell im Fokus stehende neue Form der post-bürokratischen Organisation zu einer signifikanten Änderung der Ausübung von Kontrolle und Macht sowie zu einer erhöhten Bedeutung der Führungskraft führe. Die Legitimität einer Führungskraft basiere danach nicht ausschließlich auf der formalen Macht, sondern auf dem Wissen einer nachhaltigen Personalführung.[28]

Analog zu Ford und Tannenbaum haben Bordia et al. in ihrer Studie "Uncertainty during organizational change: Is it all about control" dargelegt, dass eine stärkere Einbeziehung der Mitarbeiter durch die Führungskraft in der Organisationsentwicklung bedeutsam für ein Gelingen von organisationalen Veränderungen ist. Eine auf Offenheit und Kommunikation ausgerichtete Führung wird von Bordia et al. als entscheidender Erfolgsfaktor angesehen. Für die quantitative Studie wurden die Antworten einer Befragung von 222 Mitarbeitern einer psychiatrischen Klinik ausgewertet, die sich zu dieser Zeit in einer Umstrukturierung befand. Dabei wurde die Organisationsstruktur geändert, Arbeitsplätze neu definiert sowie die Klinik in ein neues Gebäude verlagert. Hauptaugenmerk der Befragung war die Unternehmenskommunikation hinsichtlich des Wandels und der Miteinbezug der Mitarbeiter.[29]

Determinanten

Aufgrund der unterschiedlichen Definitionen von Macht und der Vielfalt von Theorien lassen sich ganz unterschiedliche bestimmende Faktoren der Macht nennen.

Die sog. Machtbasentheorie nach J.R.P. French und B.H. Raven beschreibt verschiedene Machtbasen, welche als Quellen von Macht und daher Determinanten der Macht verstanden werden können (siehe unten).[30]

Gemäß der Macht-Abhängigkeits-Theorie nach R.M. Emerson wird die Macht einer Person A über deren Besitz einer für Person B wertvollen Sache bestimmt. Die Macht ist danach abhängig von (1) der Stärke des Bedürfnisses nach der Sache der Person B und (2) der Verfügbarkeit der Sache außerhalb der Beziehung zwischen den beiden Personen (siehe unten unter "Theoretische Erklärungsansätze").[31]

Als weitere Determinante können auch soziale Strukturen genannt werden, in denen sich Personen befinden. So können kollektiv geteilte Rollenbilder, Normen und Wertvorstellungen bestimmen, welche Personen in einer Gruppe Macht besitzen und ausüben können und welche nicht.[32]

Eine wesentliche Determinante ist ebenfalls, dass die Macht, die gezielte Beeinflussung und dadurch das Eindringen in den Steuerungsbereich anderer nicht abgewehrt wird oder zumindest innerlich akzeptiert wird. Ohne diese Akzeptanz, ob freiwillig oder gezwungen, gibt es keine Macht und somit auch keine Beeinflussung und Kontrolle anderer. Sind Untergebene beispielsweise dauerhaft nicht bereit, ihrem Vorgesetzen und dessen Anweisungen Folge zu leisten, so hat diese trotz formal festgelegter Hierarchie aufgrund der fehlenden Akzeptanz keine Macht über seine Mitarbeiter.[33]

Informelle Macht kann durch (1) das einer Person zugeschriebene Zutrauen, (2) das ihr entgegengebrachte Vertrauen und (3) die wahrgenommene Sympathie determiniert werden.[34] Es sind insbesondere die informellen Machtstrukturen, die ausschlaggebend für einen erfolgreichen organisatorischen Wandel/für eine erfolgreiche Organisationsentwicklung sind. Im Vergleich zur formalen Macht beruht die informelle Macht stärker auf individuellen Verhaltensabsichten von einzelnen Individuen, weshalb der Grad des Einflusses von psychologischen Komponenten abhängt. In ihrer Studie untersuchten Knoblach & Fink die Auswirkungen von Determinanten, wie Zutrauen, Sympathie und Vertrauen, auf die Bereitschaft eines Organisationsmitglieds (a) Ratschläge eines anderen zu befolgen und (b) Informationen mit jener Person auszutauschen. Die Stichprobe der qualitativen Studie umfasst 309 Mitarbeiter des administrativen Bereichs von unterschiedlichen Unternehmen. Im Rahmen der Forschung sollten die Teilnehmer zwei Arbeitskollegen anhand von 42 Items beurteilen. Die Ergebnisse der Forschung zeigten auf, dass Zutrauen und Sympathie die bedeutenden Determinanten für informelle Macht sind. Sympathische Personen verfügen über eine größere informelle Macht als nur rein als kompetent angesehene Personen. Vertrauensvolle Personen weisen jedoch eine geringere informelle Macht als nur rein kompetente Menschen auf.[35]

Wirkungen

Macht führt, sofern diese ausgeübt wird, nach der bereits angeführten Definition nach Weber, zu der Durchsetzung des eigenen Willens innerhalb der sozialen Beziehung zu einer oder mehreren anderen Personen. [36] So wird auf das Verhalten anderer durch die oder den Mächtigen Einfluss genommen. Diese hervorgerufene Verhaltensänderung und das Gehorchen von Personen sind auf deren Nutzenüberlegungen, Normenbefolgung und Zwang durch die mächtige Person zurückzuführen.[37]

Macht hat zudem Einfluss auf organisatorischen Wandel, abhängig von der wissenschaftlichen Perspektive und der darauf aufbauenden Definition von Macht. Unterschieden wird bei der Betrachtung von Macht, ob diese individuell oder kollektiv ist und ob diese direkt beobachtbar oder nicht direkt beobachtbar ist. Daraus ergeben sich insgesamt vier Arten von Macht.

Die vier Konzepte der Macht und deren Wirkung auf organisatorischen Wandel nach Bradshaw (1998)[38]


Die (1) beobachtbare, strukturelle Macht ist kollektiv und direkt beobachtbar. Sie ergibt sich zum Beispiel aus Ressourcenkontrolle, der eigenen Systemrelevanz und der Fähigkeit autonome Entscheidungen zu treffen. Diese Art von Macht wirkt restrukturierend. Die (2) tiefe, kulturelle Macht ist kollektiv und nicht direkt beobachtbar. Diese ergibt sich u.a. aus unangezweifelten Regeln und Praktiken und führt eher zu einer völligen Dekonstruktion des Bestehenden. Die (3) beobachtbare, persönliche Macht ist individuell und direkt beobachtbar. Sie ergibt sich zum Beispiel aus individueller Expertise, Ansehen und dem „Kennen der richtigen Personen“ und treibt den organisatorischen Wandel durch persönliches Handeln voran. Die letzte Art der Macht ist die (4) tiefe, persönliche Macht, die individuell und nicht direkt beobachtbar ist. Sie ergibt sich u.a. aus Authentizität, einem kritischen Bewusstsein und Widerstand von Unterdrückung und Gehorsam. Diese Art von Macht hat durch ihren Widerstand Einfluss auf den organisatorischen Wandel.[39]

Ergänzend zur Studie von Bradshaw hat Macht einen positiven Einfluss auf die Organisationsentwicklung, wenn die Macht die Werte der Führung annimmt. Mintzberg betonte in seinem Buch "Power in and around organizations", dass das reine Vorhandensein von Machtbasen, sprich (1) Kontrolle über Ressourcen, (2) Kontrolle über technische Fertigkeiten, (3) Kontrolle über einen Wissenskörper sowie (4) gesetzliche Vorrechte nicht ausreiche, um Widerstand innerhalb der Organisation zu vermeiden. Essentiell sei ein politisches Geschick, andere zu überzeugen und die eigene Macht für die Sensibilität der anderen auszuüben. Intrinsische Führungseigenschaft, wie Charme, Charisma und körperliche Stärke wirken sich positiv auf das Gelingen eines Wandels aus.[40] Es zeigt sich, dass vor allem informelle Machtstrukturen in der Organisationsentwicklung von großer Bedeutung sind und Widerstand vermeiden können. Ferner kann diese transformationale Führung das Engagement der Mitarbeiter sowie deren Arbeitszufriedenheit stärken und zu einer geringeren Fluktuationsquote führen.[41] Ferner führt sie auf Seiten des Personals zu mehr Respekt und Loyalität gegenüber der Führungskraft. Im Vergleich wirkt sich transaktionale Führung negativ auf die Motivation und die erbrachte Leistung der Mitarbeiter aus. [42]

Weiterhin hat Macht und damit einhergehende Kontrolle auch psychologische Wirkungen auf die beteiligten Parteien. Die Ausübung von Kontrolle ist häufig emotional aufgeladen und führt zu dem Empfinden von Überlegenheit und Unterlegenheit sowie Dominanz und Unterwerfung. Für den Kontrollierten bedeuten Macht und Kontrolle sowohl Kritik als aber auch Hilfe und Anleitung.[43] Eine weitere Wirkung ist außerdem Ordnungssicherheit für die Kontrollierten. Diese Ordnungssicherheit ist selbst in Fällen von als ungerecht empfundener Macht, wie beispielsweise in einer Diktatur oder in einigen Unternehmensfällen, vorhanden.[44]  Kontrolle ist nicht nur auf Seiten einer mächtigen Führungskraft zu beobachten. Innerhalb von Organisationen können Mitarbeiter ihre eigenen täglichen Routinearbeiten und dadurch ihre Umwelt kontrollieren. Durch organisatorischen Wandel kann diese eigene Kontrolle jedoch teilweise oder ganz verloren gehen und ein Unsicherheitsempfinden auslösen.[45]

Theorie

Theoretische Erklärungsansätze

Macht-Abhängigkeits-Theorie (R.M. Emerson)

Die Macht-Abhängigkeits-Theorie von Emerson beruht auf dem Gedanken der Austauschtheorie. Diese besagt, dass soziale Beziehungen und deren Interaktionen Austauschbeziehungen sind. Das bedeutet, dass Menschen nicht autonom sind, sondern Dingen bedürfen, die sie selbst nicht besitzen, jedoch andere. Menschen treten daher in Austauschbeziehungen untereinander und tauschen vorhandene gegen nicht vorhandene Dinge aus. Tauschgegenstände sind für die Tauschenden von Wert, wie zum Beispiel Geld, Zuneigung und Anerkennung. Die Austauschtheorie erklärt somit auch Freundschaften, Ehen oder Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Ebenfalls einfache Alltagssituationen wie der Kauf von Brötchen als Tausch von Geld gegen Brötchen werden von der Austauschtheorie erfasst. Aufbauend auf diesem theoretischen Hintergrund begründet sich die Macht einer ersten Person wie folgt: Person A besitzt etwas, dass die Person B benötigt. Person A benötigt jedoch nichts von Person B und ist daher unabhängig von Person B. Person A kann folglich ihren Willen durchsetzen. Diese Willensdurchsetzung findet sich auch in Webers Definition von Macht wieder. Die Macht von Person A beruht also auf der Abhängigkeit von Person B von Person A. Die Abhängigkeit von Person B kann unterschiedlich stark sein. Je wichtiger Person B der Tauschgegenstand in Besitz von Person A ist und je weniger Person B die Möglichkeit hat, diesen außerhalb der gemeinsamen Beziehung zu erhalten, umso größer ist die Abhängigkeit und somit die Macht von Person A. Je größer diese Abhängigkeit ist, umso mehr kann Person A mögliche Widerstände von Person B zum eigenen Vorteil überwinden.[46]


Machtbasentheorie (J.R.P. French & B.H. Raven)

Die in Punkt 2.2 Determinanten erläuterte Machtbasentheorie nach J.R.P. French und B.H. Raven beschäftigt sich mit den Machtgrundlagen und unterscheidet zwischen folgenden Machtarten: Belohnungsmacht, Bestrafungsmacht, Legitimationsmacht, Expertenmacht, Informationsmacht und Identifikationsmacht. Diese Machtarten werden durch Kommunikation der mächtigen Person erkennbar.[47] [48]

Die Machtbasen nach J.R.P. French / B.H. Raven und deren Aktivierung über Kommunikation (angelehnt an Nienhüser, 2017) [49]

Die Macht und Fähigkeit zum Einfluss muss nicht zwangsläufig verbal kommuniziert werden. Die Legitimationsmacht eines Polizisten wird beispielsweise bereits durch die Uniform deutlich. Die Expertenmacht eines Arztes ergibt sich bereits aus der Erwartungshaltung, mit der dieser aufgesucht wird. Obwohl die Machtbasentheorie sehr stark auf der Handlungstheorie basiert, erfasst sie vor allem Macht im betrieblichen Kontext und daher nicht alle Mittel zur Verhaltensbeeinflussung, wie beispielsweise Gewalt und Manipulation. [50]


CHAT-Modell (F. Schirmer & S. Geithner)

Das CHAT-Modell (Cultural Historical Activity Theory) ist eine Lernsystemperspektive, die das Wissen von verschiedenen Akteuren innerhalb einer Organisationsentwicklung berücksichtigt. Sie fokussiert dabei nicht ausschließlich den Dualismus von den Befürwortern des Wandels und dessen Verweigerern. Das Modell liefert einen Ansatz, das Zusammenspiel zwischen individueller (Mikroebene) und kollektiver Entwicklung (Makroebene) zu verstehen, welche in kollektiven Beziehungsstrukturen in Arbeitsprozessen und Organisationen, stattfindet. Diese Systeme haben sich über eine längere Zeit entwickelt und jeder Widerspruch kann als Hauptantriebskraft des expansiven Lernens innerhalb des Systems angesehen werden. Dabei können manifestierte Machtbeziehungen das Lernen erlauben, verhindern oder sogar als Grundursache für den Widerspruch gelten. Das entwickelte Modell stellt das Lernverhalten in Organisationen dar. Das Lernen bezieht sich (1) auf soziale Beziehungen innerhalb sowie auch zwischen einzelnen Gruppen (vertikale Achse) und (2) auf Aktivitäten (horizontale Achse). [51]

CHAT-Modell nach Schirmer & Geithner (2018)[52]


Lernen in Organisationen ist dabei eine nicht lineare Entwicklung zwischen den vier Quadranten. Jederzeit können Rückschläge in Form von Stagnation oder Eingehen (Quadrant 1) eintreten. Macht kann gezielt dafür eingesetzt werden, Lernen in Organisationen zu verhindern. Dabei kann der Aufbau neuer Beziehungen erschwert oder sogar ausgeschlossen werden oder etablierte Aktivitäten vor Interpretationen und neuen Sichtweisen geschützt werden. Im Rahmen dieser Machtausübung werden oftmals gezielt Veränderungen vermieden, um etablierte Strukturen beizubehalten. Konträr dazu kann Macht auch Lernen fördern, wenn neue soziale Beziehungen gefördert (Inklusion) und die Anzahl der bestehenden Sichtweisen erweitert werden (Interpretation). Organisationsmitglieder haben jedoch unterschiedliche Ziele und Interessen, was sich in hierarchischen Beziehungen, persönlichen Interessen und auch beruflichen Unterschieden begründet. Somit tritt der Zustand des fördernden Lernens nur selten ein. Üblich dahingegen ist eher ein eigennütziges Verhalten, weshalb Macht vermehrt dafür eingesetzt wird, Lernen zu verhindern. Laut Schirmer & Geithner braucht jeder Systemteilnehmer ein gewisses Maß an Macht, um am Lernprozess teilhaben zu können und über die Möglichkeit zu verfügen, zu handeln sowie eine beabsichtigte Wirkung zu erzielen, teils auch gegen den Willen anderer.

Der erste Quadrant (Zwang) stellt auf die Kontrolle über Ressourcen, wie z.B. Geld, Zeit und Personal, sowie auf die legitime Kontrolle von organisatorischen Regeln ab. Die sich hierauf stützende Machtausübung ist äußert wirkungsvoll, sie kann z.B. dazu genutzt werden, Personen aus Entscheidungs- und Lernprozessen auszuschließen. Negativ benutzt führt das zwangsläufig zu einer Stagnation. Macht wird hier zum Ausdruck von Stärke und Zwang eingesetzt.

Im zweiten Quadranten wird Macht als Manipulation von Konflikten gesehen. Es handelt sich um Prozesse der Wahrnehmung und Beurteilung. Zum Einsatz kommt hierbei (positiv) Überzeugungsarbeit oder (negativ) Überzeugungsarbeit.

Im dritten Quadranten (Dominieren) kommt Macht in Form von Herrschaft zum Ausdruck. Diese teils unaufdringliche Art der Macht lässt Machtverhältnisse als legitim erscheinen, was in einer politischen Stille resultiert. Organisationsmitglieder äußern somit nur sehr selten Kritik, nutzen ihre widerstreitenden Stimmen nicht und stellen hierarchische Beziehungen nicht in Frage. Die Autorität von z.B. einem Geschäftsführer wird weitestgehend vom Personal akzeptiert. Für eine Weiterentwicklung der Organisation ist es jedoch notwendig, dass Mitarbeiter vorhandene Machtstrukturen hinterfragen.

Der vierte Quadrant (Subjektivierung) setzt auf Durchsetzung eines Systems mittels Überwachung, Ausbildung, Leistungs- sowie Karrieresysteme. Dies resultiert in selbstdisziplinierende Auswirkungen für Menschen und ihre Beziehung zu anderen. Subjektivierung und Disziplinierung können positive und negative Effekte auf das expansive Lernen haben. Zum einen bauen sie mithilfe der Ausbildungs- und Leistungssysteme Expertise auf (expansives Lernen wird gefördert), zum anderen beschränken sie jedoch entsprechend der Disziplin die Beziehung zu anderen, was expansives Lernen einschränkt.

Das Modell zeigt die Relevanz auf, eine Vielzahl von Systemteilnehmern einzubeziehen und somit eine perspektivreiche Sichtweise auf den Wandel zuzulassen. Ferner wird deutlich, dass ein gewisses Maß an Macht eines jeden Systemteilnehmers essentiell für einen expansiven Lern- und Veränderungsprozess ist. Diese Macht sollte jedoch nicht missbraucht werden, sondern auf Basis gemeinsamer Werte genutzt und gelebt werden.[53]

Beschreibung eines Mechanismus

Eine ausschließlich auf formaler Macht beruhende Führung, welche kaum oder keine Elemente einer transformationalen Führung beinhaltet, führt häufig zu einem mangelnden Engagement der Mitarbeiter hinsichtlich des organisatorischen Wandels. Die mangelnde Integration von informellen Machtmediatoren erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Erfolg der angestrebten Veränderungen gefährdet oder sogar verhindert wird.

Mechanismus Macht und Kontrolle [54]

Geltungsbedingungen

Damit formale Macht sich überhaupt auf das Engagement der Mitarbeiter für den Wandel als abhängige Variable auswirkt, müssen Mitarbeiter in ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld von ihrer Führungsperson abhängig sein. Des Weiteren müssen Anreizsysteme zur Belohnung guter Leistungen sowie mögliche Sanktionen für Bestrafungen bei schlechterer Leistung vorhanden sein.


Auslösebedingungen

Ausgelöst werden kann der Rekurs auf formale Macht bei der Durchsetzung von organisationalen Änderungen durch eine auftretende Krise. Die dadurch ausgelöste Unsicherheit kann zu einem Wunsch nach klaren Strukturen seitens der Führungsebene führen und nur wenig Partizipation und Entfaltung der Mitarbeiter zulassen. Ferner kann ein Wechsel der Führungskraft dazu führen, dass Organisationsstrukturen, welche auf flachen Hierarchien und Mitarbeiterorientierung beruhten, aufgelöst werden und eine rigide, formale Führungsstruktur wieder etabliert wird.


Wirkprinzip

Eine ausschließlich formale Macht führt durch fehlendes Verständnis zu einem Mangel an Engagement der Mitarbeiter für den Wandel. Dies begründet sich darin, als dass die Führungskraft im Rahmen der rein formalen Machtausübung nicht transformatorisch führt. Somit wird kein Sinn für die Tätigkeiten der Mitarbeiter vermittelt und es mangelt daher an Verständnis für den anstehenden Wandel (siehe auch Teilelemente & Ineinandergreifen der Vorgänge).


Teilelemente & Ineinandergreifen der Vorgänge

Ist ein Rekurs auf rein formale Macht vorhanden, so werden delegierte Aufgaben von Mitarbeitern aufgrund von der Belohnungs- und Bestrafungsmacht der Führungskraft durchgesetzt. So wird weder Sinn noch eine gemeinsame Vision für die Organisation und deren Wandel vermittelt. Einhergehend damit ist häufig auch, dass die Führungskraft keine Vorbildfunktion im Wandel einnimmt und die mit der Vision verbundenen Werte nicht aktiv im Arbeitsalltag vorlebt. Es fehlt daher an Identifikationsmacht. [52]

Aufgrund dieser Umstände und Vorgänge befolgen Mitarbeiter daher die Anweisungen ihrer Führungskraft lediglich, um belohnt beziehungsweise nicht bestraft zu werden. Dies dient zwar dem Unternehmenszweck im Sinne der korrekten Aufgabenausführung. Es ist jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Mitarbeiter sich nicht über das bloße Abarbeiten der Aufgaben hinaus für den organisatorischen Wandel einsetzen, da hierfür der Sinn ihrer Tätigkeit für den Wandel fehlt.

Störgrößen

Die negative Wirkung formaler Macht auf das Mitarbeiterengagement kann durch verschiedene Störgrößen beeinflusst und reduziert werden. Ist die allgemeine Arbeitsmarktsituation prekär und der Mitarbeiter finanziell stark auf das Arbeitnehmerverhältnis und die Gehalts- beziehungsweise Lohnzahlung angewiesen, so kann die negative Wirkung rein auf formaler Macht beruhender Führung verringert werden. Mitarbeiter werden sich trotz mangelndem Verständnis stark für den organisatorischen Wandel engagieren. Die Angst, im Fall von Widerstand abgemahnt oder sogar gekündigt zu werden, führt zu einer höheren Akzeptanz ihrerseits, da sie ihre finanzielle Situation nicht gefährden möchten. Darüber hinaus ist nicht jeder Mitarbeiter auf eine deutliche Visions- und Sinnvermittlung angewiesen. Insbesondere Mitarbeiter mit langjähriger beruflicher Erfahrung und hoher Expertise in dem betreffenden Tätigkeitsfeld benötigen wenig bis keine Visions- und Sinnvermittlung und besitzen auch bei formaler, auf Belohnung und Bestrafung basierender Macht und deren Führung Verständnis für den organisatorischen Wandel. So haben Madsen et al. herausgefunden, dass die Reaktion eines Individuums auf eine organisationale Änderung von dessen Persönlichkeit, Lebenserfahrungen und mentalen Prozessen abhängt.[55] Beispielhaft kann ein besonders hoher Ehrgeiz, eine hohe Intelligenz oder ein starkes Verantwortungsbewusstsein das Verständnis für den Wandel beeinflussen und somit die Wirkung des Rekurses auf formale Macht auf das Engagement stören.

Veranschaulichung

Zur Veranschaulichung des zuvor beschriebenen Wirkmechanismus wird sich einem Beispiel bedient. In diesem wird ein Wechsel in der Führungsebene beschrieben, der zu Veränderungen im Arbeitsalltag der Mitarbeiter führt.

Der frisch ausgelernte Bürokaufmann Max Mustermann arbeitet erst seit kurzem im Einkauf der Möbelwerke GmbH. Da er bisher lediglich im Rahmen seiner Ausbildung Berufserfahrung sammeln konnte und er seine Abschlussprüfung nur knapp bestanden hat, ist er noch stark auf Hilfestellungen in der für ihn neuen Abteilung angewiesen und orientiert sich stark an seiner Führungskraft.

Herr Meyer ist ebenfalls neu in der Einkaufsabteilung der Firma und ist dort Einkaufsleiter. Diese Position übte er zuvor fünf Jahre lang in einem traditionellen Familienunternehmen aus. Aufgrund besseren Gehalts und Verantwortung für eine größere Mitarbeiteranzahl wechselte er zur Möbelwerke GmbH. Herr Meyers Führungsverständnis orientiert sich stark an seinen Erfahrungen, welche er beim vorherigen Arbeitgeber gesammelt hat. Eine klare hierarchische Ordnung, die nur wenig bis keine Entfaltung der Mitarbeiter zuließ, prägte seinen Arbeitsalltag. Führung bedeutet für ihn, dass Mitarbeiter seinen Anweisungen strikt Folge zu leisten haben. Gute Leistungen belohnt er, schlechtere Leistungen haben hingegen Sanktionen durch ihn zufolge. Generell unterhält sich Herr Meyer wenig mit seinen Mitarbeitern über die allgemeinen zukünftigen Ziele der Möbelwerke GmbH, da die Mitarbeiter dies in seinen Augen nicht für die ihnen delegierten, im kleineren Rahmen stattfindenden Aufgaben benötigen würden.

Der frisch ausgelernte Max Mustermann erhält von seinem neuen Vorgesetzten Herrn Meyer Aufgaben unter dessen strikter Zielvorgabe. Bei Fehlern erfolgt schnell eine Rüge durch Herrn Meyer. Insgesamt fehlt es Max Mustermann an tieferem Verständnis für seine neue Tätigkeit. Er ist unzufrieden und fühlt sich nicht unterstützt von Herrn Meyer. Seine Motivation und sein Engagement für seine Tätigkeit und das Unternehmen leiden stark.

Die langjährige Einkäuferin Sabine Schmidt arbeitet trotz der rein formalen und transaktionalen Führung durch Herrn Meyer wie vor dessen Tätigkeit. Aufgrund ihrer Erfahrung im Einkauf kann sie ihre Tätigkeit im Gesamtkontext des Unternehmens einordnen und engagiert sich nach wie vor für das Unternehmen und dessen Bestreiten der zukünftigen Herausforderungen. Auch der geschiedene, alleinerziehende Vater Philip Werner engagiert sich weiterhin, da er durch die Scheidung auf sein Gehalt als Einkäufer angewiesen ist und finanzielle negative Konsequenzen befürchtet.

Das Beispiel zeigt, dass unterschiedliche Eigenschaften und persönliche Lebensumstände zu unterschiedlich stark ausgeprägten Wirkungen rein formaler Macht, die lediglich belohnt und bestraft, führen kann.

Anwendung

Bedeutung für Change-Phänomene

Die zunehmende Komplexität der Wirtschaft und die hohe Dynamik in der Umwelt eines Unternehmens haben dazu geführt, dass Organisationen sich kontinuierlich verändern müssen, um eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen zu können. [56] Dabei ist es für Organisationen bedeutsam, Widerstand auf Seiten des Personals vorzubeugen und die Veränderungsbereitschaft zu stärken, um die vom Markt geforderte Anpassung in einer adäquaten Geschwindigkeit durchführen zu können. Macht besitzenden Personen, wie Führungskräften, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, die Überzeugung der Mitarbeiter zu stärken, dass Veränderungen notwendig sind und dass der einzelne Mitarbeiter als auch die Organisation zu diesen fähig sind. [57].

Forschungen haben dargelegt, dass im Zuge von unternehmerischen Veränderungen aktiv Sinnv für den angestrebten Wandel vermittelt werden sollte. Führungskräfte sollten ihren Mitarbeitern daher aktiv eine Vision für die Veränderungen aufzeigen und sich emotional für ihre Mitarbeiter öffnen, so dass eine möglichst hohe Mobilisierung und Veränderungsbereitschaft von Mitarbeitern erreicht wird. Führung als Macht und Kontrolle in Organisationen sollte daher nicht auf reinem Delegieren von Aufgaben beruhen, sondern auf einer nachhaltigen Personalführung, welche das Wohlbefinden der Mitarbeiter als Ziel hat und Sinn aufzeigt. [58]

Wie oben beschrieben, kann Macht aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden (individuell oder kollektiv, direkt beobachtbar oder nicht direkt beobachtbar). Bradshaw betont, dass es für erfolgreichen organisatorischen Wandel notwendig ist, sich mit der Komplexität aller Machtperspektiven in der Organisation zu beschäftigen und deren unterschiedliche Arten der Vorantreibens des Wandels (Restrukturierung, Dekonstruktion, persönliches Handeln und Widerstand) zu nutzen. So sollten sich alle Organisationsmitglieder für Dekonstruktion und Widerstand einsetzen, wenn es darum geht, Unterdrückung aufzudecken und das allgemeine Bewusstsein für Werte und den Sinn organisationaler Praktiken zu schärfen. Führungskräfte und Entscheidungsträger sollten ihre Veränderungsstrategien der Restrukturierung und des persönlichen Handelns nutzen, um allgemein über Veränderungen in der Organisation zu informieren. Nur so könne ein organisatorischer Wandel transformativ und radikal sein. [59]

Würdigung

Macht und Kontrolle sind ein allgegenwärtiges Phänomen, das in verschiedensten Disziplinen behandelt wird. Macht ist sowohl in privaten als auch beruflichen Situationen vorhanden und kann bewusst oder unterbewusst ausgeübt werden.

Macht hat viele Erscheinungsformen und basiert auf unterschiedlichen Grundlagen. In Organisationen begründet sich persönliche Macht häufig durch eine Führungsposition und deren zugeschriebenen Befugnissen. Die Macht von Führungskräften ist dabei auf ihre Legitimation zurückzuführen. Fachexperten hingegen besitzen Macht aufgrund ihres bestimmten Wissensschatzes.

Unangemessener Machtgebrauch führt zu Rückschlägen im Veränderungsprozess. Widerstand kann die Anpassung an die vom Markt geforderten Strukturen verlangsamen. Um dies zu verhindern bedarf es einer Führung, die nicht nur die Sicherstellung von reibungslosen Prozessen fokussiert, sondern auch die Mitarbeiterorientierung berücksichtigt. Wie bereits erläutert, gelten intrinsische Führungseigenschaften kombiniert mit einer gewissen Machtausübung als Erfolgsfaktor zur Durchführung eines organisatorischen Wandels. Forschungen haben die hohe Relevanz einer transformationalen Führung bestätigt. Emergente Krisen, wie COVID-19, können die gewohnte Führung verändern. Zukünftig wird sich die Arbeitssituation von einer Vielzahl von Menschen signifikant verändern. Die damit einhergehende Funktion von Macht und Kontrolle, besonders in Zeiten des Arbeitens von Zuhause, ist ein interessantes Forschungsfeld.

Literatur

Bordia, P., Hunt, E., Paulsen, N., Tourish, D., & DiFonzo, N. (2004). Uncertainty during organizational change: Is it all about control? European Journal of Work and Organizational Psychology, 13(3), 345–365. https://doi.org/10.1080/13594320444000128.

Bradshaw, P. (1998). Power as Dynamic Tension and its Implications for Radical Organizational Change. European Journal of Work and Organizational Psychology, 7(2), 121–143. https://doi.org/10.1080/135943298398835.

Brockhaus (2020a). Kontrolle. Brockhaus. Online abgerufen von: https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/kontrolle-allgemein (zuletzt abgerufen am 22.07.2020).​

Brockhaus (2020b). Herrschaft. Brockhaus. Online abgerufen von: https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/herrschaft (zuletzt abgerufen am 22.07.2020.

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Einzelnachweise

  1. Pfeffer (1981), S. 831
  2. Bradshaw (1998)
  3. Nienhüser (2017), S. 46
  4. Weber (1980), S. 28
  5. Nienhüser (2017)
  6. Mintzberg (1983), Steinle (1985)
  7. Mintzberg (1983)
  8. Knoblach & Fink (2012)
  9. Dörr (2008)
  10. Dörr (2008); Shockley-Zalabak (2012)
  11. Brockhaus (2020a)
  12. Tannenbaum (2012)
  13. Tannenbaum (1962); Coffin & Jäger (2016)
  14. Tannenbaum (1962)
  15. Nienhüser (2017)
  16. Brockhaus (2020a)
  17. Brockhaus (2020b)
  18. Weltgesundheitsorganisation (2003), S. 6
  19. Brockhaus (2020c)
  20. Brockhaus (2020d)
  21. Weber (1980), S. 28
  22. Porter (1985)
  23. Brockhaus (2020a); Camphausen (2014); Woeckener (2019)
  24. Bradshaw (1998); Brockhaus (2020a); Mintzberg (1983)
  25. de Vries et al. (2010)
  26. Ford (2005)
  27. Tannenbaum (1962)
  28. Ford (2005)
  29. Bordia et al. (2004)
  30. French & Raven (1959)
  31. Nienhüser (2017)
  32. Bradshaw (1998)
  33. Doppler & Vogt (2018)
  34. Knoblach & Fink (2012)
  35. Knoblach & Fink (2012)
  36. Weber (1980)
  37. Nienhüser (2017)
  38. Bradshaw, (1998)
  39. Bradshaw (1998)
  40. Mintzberg (1983)
  41. Bordia et al. (2004); Knoblach & Fink (2012)
  42. Dörr (2008); Shockley-Zalabak (2012)
  43. Tannenbaum (1962)
  44. Doppler & Vogt (2018)
  45. Bordia et al. (2004)
  46. Nienhüser (2017)
  47. Nienhüser (2017)
  48. Raven / Schwarzwald / Koslowsky (1998)
  49. Nienhüser, (2017)
  50. Nienhüser (2017)
  51. Schirmer & Geithner (2018)
  52. Schirmer & Geithner, (2018)
  53. Schirmer & Geithner (2018)
  54. Eigene Darstellung
  55. Madsen et al. (2005)
  56. Pfeffer & Salancik (1978)
  57. Armenakis et al. (1993); Rafferty et al. (2013)
  58. Tannenbaum (1962); Ford (2005); Rafferty et al. (2013)
  59. Bradshaw (1998)