Machiavellismus

Aus Personal_und_Führung
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Führungspersonen in Organisationen sind häufiges Untersuchungsthema in der Managementforschung, weil Führungspositionen oft mit einer großen Machtfülle ausgestattet sind. Der Machiavellismus wird in der Forschung als dunkle Seite der Führung thematisiert.[1] Das Konzept des Machiavellismus ist auf das Werk "Der Fürst" von Niccolo Machiavelli aus dem Jahr 1512 zurückzuführen und bezeichnet einen spezifischen Verhaltensstil im Hinblick auf die Ergreifung und Erhaltung von politischer Macht.


Begriff

Bedeutung

Der Machiavellismus kann als eine Haltung beschrieben werden, die die Erlangung und Erhaltung von Macht mit Hilfe von Manipulation in den Mittelpunkt stellt. Personen, die sich dieser Haltung verschrieben haben, werden als Machiavellisten bezeichnet. In der Psychologie wird der Machiavellismus oft auch als Persönlichkeitseigenschaft verstanden. Das oberste Ziel eines Machiavellisten ist es, seine egoistischen Ziele zu verfolgen und langfristig zu sichern. Dabei geht es primär um die Gewinnung und Beibehaltung von Macht und Machtsymbolen wie Geld und Status, wobei jedes Mittel unabhängig von Recht und Moral angewandt werden darf, um dieses Ziel zu erreichen. Der Machiavellismus ist gekennzeichnet durch eine zynische Sicht auf den Menschen, der Befürwortung manipulativer Taktiken und einem stark ausgeprägten Egoismus.[2] Die Gefühle anderer werden im Handeln des Machiavellisten ignoriert und Personen in ihrem Umfeld werden für ihr Eigeninteresse instrumentalisiert.[3] Machiavellisten sind Meister in der Vertuschung ihrer wahren Absichten sind. Sie agieren kontrolliert und wenden je nach Situation eine passende Manipulationsstrategie an. Dabei kommen sowohl sogenannte weiche Manipulationsstrategien, wie Schmeicheln oder Anbiedern, als auch harte Manipulationsstrategien, wie Lügen oder Betrügen, zum Einsatz.[4] Machiavellisten wählen zwischen diesen Strategien je nach Situation aus, womit sie sehr anpassungsfähig und flexibel sind, je nachdem welches Mittel am wirksamsten ist, um das eigene Ziel zu erreichen. So wird die Maxime 'Der Zweck heiligt die Mittel' dem Machiavellismus zugeordnet.[5] Ein weiteres Merkmal des Machiavellisten ist, dass er sich fremde Erfolge zuschreibt. Damit wird im Organisationskontext ein destruktives Arbeitsverhalten an den Tag gelegt, das von Intrigen geprägt ist.[6] Außerdem ist dem Machiavellisten gleichgültig, ob ein guter Gruppenzusammenhalt in der Organisation vorliegt.[7] Intelligent handelnde Machiavellisten sind in ihrem politisch-taktischen Manipulationsspiel schwerlich sicht- und spürbar und somit wenig angreifbar, während weniger kluge Machiavellisten rasch ertappt werden können.[8]

Verbreitung und ähnliche Begriffe

Der Begriff Machiavellismus selbst wird vermehrt in der Forschung und im Journalismus aufgegriffen. Er wird hauptsächlich in den Bereichen Psychologie, Wirtschaft und Politik thematisiert, um moralisch fragwürdiges Verhalten von Personen in Machtpositionen zu beschreiben. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird zumeist auf Begriffe wie Egoismus, Selbstsüchtigkeit, Machtbesessenheit und Manipulation zurückgegriffen, um machiavellistische Persönlichkeiten zu beschreiben. Diese Begriffe stellen verschiedene Teilaspekte des Machiavellismus da, können jedoch auch von ihm abgegrenzt betrachtet werden. Dies soll exemplarisch für die Begriffe Egoismus und Manipulation aufgezeigt werden. In Bezug auf den Egoismus lässt sich feststellen, dass Personen egoistisch sein und trotzdem vor manipulativen Taktiken zurückschrecken können. Der Begriff impliziert im Gegensatz zum Machiavellismus also nicht notwendigerweise eine Befürwortung manipulativer Taktiken. So bezeichnet man als gesunden Egoismus, dass die eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht vernachlässigt werden. Die Manipulation muss im Gegensatz zum Machiavellismus nicht zwingend im Eigennutzen begründet sein. So kann eine Manipulation auch altruistische Ziele haben. Diese Vergleiche zeigen das Zusammenspiel, aber auch die Wichtigkeit einer gezielten Abgrenzung verwandter Begriffe voneinander.

Veranschaulichung

Die dunkle Triade der Persönlichkeit; adaptiert nach Furtner 2017, S. 3 [9]

Der Machiavellismus bildet zusammen mit dem Narzissmus und der Psychopathie die Dunkle Triade der Persönlichkeit. Gemeinsam haben Narzissten, Machiavellisten und Psychopathen, dass sie allesamt selbstsüchtig, emotional kalt, und manipulativ sind.[10] Um den Machiavellismus zu veranschaulichen, sollen die Unterschiede der drei Bausteine der Triade aufgezeigt werden. Der Narzissmus ist gekennzeichnet von einer überzogenen Selbstliebe und Ichbezogenheit.[11] Narzissten sind Selbstdarsteller und wollen von anderen Menschen die höchste Anerkennung und Bewunderung erfahren. Narzissten sind daher abhängig von ihrem Umfeld während sich Machiavellisten nicht sonderlich für soziale Anerkennung oder Bewunderung interessieren. Narzissten und Psychopathen wollen im Gegensatz zu Machiavellisten in der Gemeinschaft eine dominante Position einnehmen.[12] Während Narzissten und Psychopathen gerne im Mittelpunkt stehen, wollen Machiavellisten eher als mächtige Persönlichkeiten im Hintergrund fungieren. Psychopathen sind im Gegensatz zu Machiavellisten und Narzissten impulsiver und emotionaler, haben also eine geringe Selbstkontrolle und fallen im Alltag dementsprechend stark auf. Machiavellisten sind dagegen extrem selbstkontrolliert in ihrem Handeln.[13]

Die Psychopathie weist von allen drei Elementen die geringste Form von Sozialverträglichkeit auf. Am sozial verträglichsten ist der Narzissmus, da Narzissten von der Bewunderung anderer abhängig sind und sich dementsprechend bemühen verträglich aufzutreten.[14] Damit steht der Machiavellismus in Bezug zur sozialen Verträglichkeit in der Mitte zwischen Narzissmus und Psychopathie. Im Vergleich zu narzisstischen und psychopathischen Führungskräften zählen machiavellistische Führungskräfte zu den undurchschaubarsten dunklen Führungskräften. Der Narzissmus und die Psychopathie werden medizinisch im Gegensatz zum Machiavellismus als eine Persönlichkeitsstörung verstanden.


Empirie

Verbreitung

Items aus der Machiavellismus-Skala von Henning und Six (1977) [15]

In Studien findet der Machiavellismus häufig Anwendung, um die Persönlichkeit von Probanden einzuordnen. Christie und Geis entwickelten 1970 einen Persönlichkeitsfragebogen für Führungspersonen, der auf verschiedenen Zitaten basiert.[16] Die den Probanden präsentierten Aussagen unterstützen entweder machiavellistische Ansichten oder sie sprechen dagegen. Aus diesem Fragebogen wird ein Machiavellismus-Grad für jeden Probanden abgeleitet.[17] Ihre Skala "MACH IV"[18] ist auch heute noch die gängigste Skala bei der Messung des Machiavellismus. Henning und Six entwickelten 1977 auf dieser Basis eine deutschsprachige Machiavellismus-Skala. Da Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie in einer Vielzahl von Studien moderate Korrelationen aufzeigten, verknüpften Paulhus und Williams die Konstrukte 2002 zu der dunklen Triade der Persönlichkeit.[19] Seither wird die dunkle Triade häufig herangezogen, um die Auswirkungen dunkler Führung auf verschiedene Variablen zu messen.

Determinanten

Bei der Betrachtung der Determinanten des Machiavellismus muss das Objekt der Untersuchung klar definiert werden. So ergibt sich bei der Betrachtung von machiavellistischem Verhalten ein anderes Determinantenspektrum als bei der Betrachtung des Machiavellismus als eine Haltung. Determinanten für ein machiavellistisches Verhalten können soziale und situative Bedingungen sein, die von vornherein auf ein machiavellistisches Verhalten ausgelegt sind. Dazu können beispielsweise Wettbewerbssituationen und Machtkämpfe zählen, in denen nur derjenige erfolgreich sein kann, der machiavellistisch agiert. In Bezug auf den Machiavellismus als Haltung konnte herausgefunden werden, dass solch eine Haltung in Teilen genetisch bedingt sein kann.[20] Eine Variante des DRD3-Gens befördere machthaberische Züge. Auch die Erfahrung, die ein Mensch im Laufe seines Lebens sammelt, und Umweltkomponenten werden als Determinanten untersucht.[21] In einer Studie mit Zwillingspaaren als Probanden konnte herausgefunden werden, dass geteilte Umweltfaktoren wie die Familie, die Nachbarschaft und gemeinsame Freunde, einen Einfluss auf die Machiavellismus Ausprägung der Zwillinge habe. Die Autoren stellen die Vermutung auf, dass machiavellistische Verhaltensweisen nicht nur genetisch übertragen, sondern auch teilweise erlernt werden. [22]

Einflussfaktoren

Neben den Determinanten gibt es weitere nennenswerte Einflussgrößen auf den Machiavellismus. Während Determinanten bestimmende Faktoren sind, die stets zum Betrachtungsgegenstand führen, können Einflussgrößen den Betrachtungsgegenstand beeinflussen, müssen dies jedoch nicht zwangsläufig. Mehrere Studien sprechen dafür, dass machiavellistische Haltungen in bestimmten kulturellen Gruppen eher vorhanden sind als in anderen. So sind machiavellistische Haltungen laut einer Studie beispielsweise in der Türkei eher aufzufinden als in Australien.[23] Eine andere Studie ermittelte, dass machiavellistische Haltungen in Singapore weniger vertreten sind als in westlich geprägten Ländern.[24] In einer weiteren Untersuchung wurde herausgefunden, dass indonesische Studenten geringere machiavellistische Werte angeben als US-Studenten.[25] Die kulturelle Herkunft übt laut diesen Studien somit einen Einfluss auf das Vorhandensein und die Akzeptanz machiavellistischer Haltungen aus. Mehrere Studien konnten außerdem herausfinden, dass Frauen im Vergleich zu Männern weniger machiavellistisch sind.[26] Dagegen gibt es auch Studien, die keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen konnten.[27] Es konnte zudem herausgefunden werden, dass Personen mit religiösen Überzeugungen weniger machiavellistisch sind.[28] Nach Christie und Geis widerspricht sich eine machiavellistische Haltung mit idealistischen Zielen, wie beispielsweise denen einer Religion oder dem Streben nach Nachhaltigkeit, da Machiavellisten ihre persönlichen Ziele über die Ideale einer Ideologie stellen.[29] Auch zwischen verschiedenen Berufsgruppen ergeben sich Unterschiede in der Ausprägung machiavellistischer Haltungen. So konnte festgestellt werden, dass US-amerikanische Wirtschaftsprüfer nach Schulleitern den niedrigsten Machiavellismus-Score unter mehreren Gruppen von Fachleuten aufwiesen.[30] Weiterhin zeigte eine Studie, dass Personen mit höherem Einkommen eher zum Machiavellismus tendieren als Personen mit geringerem Einkommen.[31]

Wirkungen

Im Organisationskontext wird der Machiavellismus häufig in Bezug auf das Arbeitsverhalten von Führungskräften untersucht.[32] In einer experimentellen Studie konnte beispielsweise herausgefunden werden, dass stark ausgeprägte machiavellistische Führungspersonen mehr Befehle geben und eine höhere Empfindlichkeit für situationsabhängige Anforderungen haben.[33] Es gibt daneben eine Vielzahl von Studien, die den Machiavellismus im Zusammenhang mit ethischem Wirtschaftshandeln untersuchen. In einer Untersuchung konnte herausgefunden werden, dass stärker machiavellistische Personen unethisches Verhalten eher akzeptieren als weniger machiavellistische Personen.[34] So wurde festgestellt, dass hoch machiavellistische Persönlichkeiten häufiger Bestechungsgelder zahlen würden als gering machiavellistische Personen.[35] Eine ähnliche Studie ergab, dass hoch machiavellistische Fachleute für Marketing Bestechungsgeld als moralischer ansehen als gering machiavellistische Fachleute für Marketing.[36] Weiterhin wird der Einfluss von Machiavellismus auf viele weitere Variablen untersucht, beispielsweise auf Studienerfolg[37] und auf Weltbilder[38] . Machiavellistische Persönlichkeiten in der Politik bilden einen weiteren spannenden Untersuchungsgegenstand.


Theorie

Machiavellis "Der Fürst"

Das historische Vorbild für das Konstrukt des Machiavellismus findet sich in dem Werk „Der Fürst“ von Niccolo Machiavelli aus dem Jahr 1512 wieder. Bei diesem handelt es sich um ein Handbuch für die Ergreifung und Erhaltung politischer Macht. Die politische Theorie beschreibt darin keine normative oder ethische Führung als Idealbild, sondern die Auffassung eines Realpolitikers.[39] Machiavelli beschreibt den politischen Führer als eine Person, die nicht vor dem Einsatz von rücksichtslosen, unmoralischen oder trügerischen Methoden zurückschrecken sollte, wenn dadurch persönliche Ziele erreicht und die eigene Macht ausgebaut werden kann. Moralische Integrität sei lediglich als Instrument zu verstehen, um die eigene Außenwirkung zu verbessern.[40] Machiavelli geht bei dem Schreiben seines Buches davon aus, dass jeder Mensch Erfolg haben könne, wenn er die in seiner Umwelt geltenden Mechanismen erlernt und diese anwendet. Der Erfolg eines Herrschers, hängt laut ihm somit davon ab, ob er die in „Der Fürst“ dargelegten Regeln befolgt.[41]

Machiavelli folgt einem negativen Menschenbild, das alle Menschen als ähnlich beschreibt und dem Einzelnen die Veränderungsbereitschaft abspricht. Alle Menschen würden aus Eigennutz handeln und ihre persönlichen Ziele verfolgen, wobei die Loyalität dem Herrscher gegenüber bloß zweitrangig sei. Der Herrsche müsse sich nur dann für Tugend und Moral einsetzen, wenn dies für sein Handeln nützlich sei.[42]

Machiavelli unterscheidet zwischen verschiedenen Formen des Wandels, auf die der Herrscher verschieden reagieren sollte. Er unterscheidet den erwarteten Wandel, der der üblichen Tradition und Praxis entspreche, und den unerwarteten Wandel, welcher transformativer Natur sei. Die Form des Wandels entscheide darüber welche Maßnahmen zur Sicherung der Kontrolle ergriffen werden müsse. Handelt es sich um einen erwarteten Wandel, würden weniger drastische Maßnahmen ausreichen, um die Kontrolle zu sichern. Bei dem transformativen Wandel sei es jedoch von Nöten drastischere Maßnahmen zu ergreifen. Dabei seien Betrug und Gewalt notwendige Bestandteile einer wirksamen Regierung.[43]

Beachtung in der Managementlehre fand Machiavelli vor allem durch Anthony Jay im Jahr 1967, als dieser die Ansätze in seinem Buch „Management und Machiavelli“ wieder aufnahm. Jays Buch ist über die Jahre zu einem Klassiker geworden und, obwohl er sich nur in den ersten 30 Seiten seines Buches auf Machiavelli bezieht, war er damit maßgeblich an der Verwandlung Machiavellis zu dem Weisen des Managements verantwortlich.[44]

Anwendung in der Managementlehre

Auf Basis von Jays Klassiker „Management und Machiavelli“ wurden Machiavellis Ansätze in die Theorien des Managements, Handels und der Wirtschaft aufgenommen. Die Anwendung auf die heutige Managementtheorie erfolgte unter verschiedenen Annahmen. Erstens, könne die Realität Machiavellis mit der heutigen Realität gleichgesetzt werden. Zweitens, wird angenommen, dass Staatsführung und Management zwei Lehren sind, die sich nicht grundsätzlich voneinander unterscheiden und nur unterschiedlich benannt worden sind. Jedoch wurde von Jay festgestellt, dass gewisse oberflächliche Unterschiede zwischen Unternehmen und Staaten bestehen, diese jedoch so gering sind, dass die beiden Lehren grundsätzlich miteinander vergleichbar scheinen. Laut Jay sind Unternehmen und Staaten gleiche Gebilde, weshalb die Prinzipien Machiavellis auf moderne Management Techniken anzuwenden seien. Manager versuchen die Herausforderungen und Möglichkeiten, die durch die Komplexität von organisatorischen Veränderungen auftreten, mit den politischen und militärischen Strategien von früher zu vergleichen. Dies soll möglich sein, da die neue Wissenschaft des Managements nur eine Fortsetzung der alten Regierungskunst sei. Daher sei die Managementtheorie der politischen Theorie sehr ähnlich und Staaten und Unternehmen seien dementsprechend gleichzusetzen. Neben den zwei Hauptannahmen, weshalb Machiavelli in die Managementtheorie aufgenommen werden konnte, verglichen Griffin und Philips den Souverän von Machiavelli mit dem modernen Manager oder CEO eines Unternehmens.[45]

Die vorangegangenen Prinzipien geraten allerdings immer wieder in Kritik. Die Annahme, dass Machiavellis Realität mit der heutigen Realität gleichzusetzen ist, kann angezweifelt werden, da es fraglich ist, ob eine Realität des 15. und 16. Jahrhunderts, in der Machiavelli lebte, mit der Realität des 20. und 21. Jahrhunderts verglichen beziehungsweise gleichgesetzt werden kann. Im 16. Jahrhundert herrschte in Italien ein ständiger Konflikt zwischen europäischen Mächten, wie Frankreich, Spanien, Venedig und das Heilige Römische Reich. Machiavellis Prinzipien waren vorrangig auf die Politik dieser Kriege ausgelegt und nicht auf Unternehmenswettbewerbe des modernen Managements. Demzufolge ist anzuzweifeln, dass die Politik Machiavellis mit dem modernen Managements zu vergleichen ist.[46]

Des Weiteren wird die Annahme, dass Regierende des 16. Jahrhunderts mit Managern des 21. Jahrhunderts gleichgesetzt werden können, kritisiert. Die Aufgaben der Regierenden des 15. oder 16. Jahrhunderts drehen sich oft um die Entscheidung über Leben und Tod von ihren Untergebenen. Im Gegensatz dazu können Manager zwar über die Entlassung von Mitarbeitern verfügen, jedoch nicht über deren Tod, womit die Frage, ob die Aufgaben eines Regierenden mit den Aufgaben eines Managers oder CEOs zu vergleichen ist, zweifelhaft bleibt.[47] Ferner lässt sich kritisieren, dass Machiavellis Menschenbild von einem schlechten, machtgierigen, unvollkommenen Menschen nie empirisch untersucht wurde. Seine Prinzipien basieren lediglich auf Erfahrungen und Beobachtungen, die er vor 500 Jahren getroffen hat.[48]

Zu Machiavellis Zeit war sein Werk nicht sonderlich berühmt, wurde sogar auf den Index verbotener Bücher gesetzt. Mit Jay bekam Machiavelli Aufmerksamkeit in der Managementliteratur.[49]


Ausgewählter Mechanismus

Wirkmechanismus Machtverlust und Widerstand [50]

Im Folgenden wird ein Mechanismus präsentiert, der den Widerstand von Machiavellisten bei einem Machtverlust behandelt.

Machiavellisten können verantwortlich für Widerstand gegen einen Wandel sein. Hinter diesem Verhalten verbirgt sich ein Mechanismus, der durch einen Organisationswandel in Gang gesetzt werden kann. Grund für den Widerstand ist in diesem Fall zumeist ein befürchteter Machtverlust durch den bevorstehenden Wandel. Das Wirkprinzip ist das Machtstreben des Menschen, das bei Machiavellisten besonders stark ausgeprägt ist. Es impliziert die Erhaltung der Macht. Aus psychologischen Forschungen ist bekannt, dass Menschen, die über Macht verfügen, versuchen diese zu erhalten. Der drohende Machtverlust soll verhindert werden. Eine den Mechanismus auslösende Bedingung kann eine Veränderung in der Organisation sein, durch die Machiavellisten an formaler Macht verlieren. Durch den drohenden Machtverlust wird Widerstand gegen die Veränderung ausgelöst. Eine weitere Auslösebedingung ist ein Zielkonflikt zwischen den eigenen Interessen und den Unternehmensinteressen. Daneben kann die Demokratisierung von Entscheidungsmacht durch die Abgabe von formeller Macht den Auslösebedingungen zugeordnet werden.

Die Möglichkeit des Widerstands kann als eine Geltungsbedingung betrachtet werden. So können hierfür die Mittel (finanzielle, personelle) gemeint sein, aber auch der Raum (Ort, Zeit) und die Erfolgswahrscheinlichkeit des Widerstandes. Ist keine Möglichkeit für den Widerstand gegeben, kann dieser auch nicht durchgeführt werden. Weiterhin kann als Geltungsbedingung die Wahrnehmung der Person, die den Machtverlust erleidet, identifiziert werden. Nur wenn die Person den Machtverlust auch als solchen wahrnimmt wird der Mechanismus ausgelöst. Auch die Selbstwirksamkeit kann als Geltungsbedingung genannt werden. Unter Selbstwirksamkeit wird die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können, verstanden. Ist diese Überzeugung nicht vorhanden, ist ein Widerstand gegen den Machtverlust unwahrscheinlich.

Für das Wertespektrum lassen sich für beide Variablen Skalen identifizieren. So kann der Machtverlust entweder gering, mittel oder stark ausfallen sowie entweder unmittelbar, bald oder später erfolgen. Diese Wertausmaße lassen sich auch auf den Widerstand anwenden. So kann auch ein Widerstand gering, mittel oder stark ausgeprägt sein und unmittelbar, bald oder später stattfinden. So kann beispielsweise vermutet werden: je stärker der drohende Machtverlust, desto stärker auch der Widerstand gegen diesen.

Es lassen sich Störgrößen zu dem Mechanismus identifizieren. In der Praxis können in Form von Entlassungen und Abfindungen mögliche Widerstände unterbunden werden. Wird ein Machtverlust von einer einflussreichen Person nicht akzeptiert, könnte diese sich mit einer Abfindung auf die Veränderung einlassen. Eine weitere mögliche Störgröße ist die innere Kündigung. Bei der inneren Kündigung senkt ein Arbeitnehmer seine Eigeninitiative und den Arbeitseinsatz auf ein Minimum, als ob er nicht mehr bei dem Arbeitgeber beschäftigt wäre. Wenn der Betroffene des Machtverlustes innerlich bereits bei seinem Arbeitgeber gekündigt hat, wird ihn wahrscheinlich auch ein Machtverlust nicht großartig tangieren.

Der präsentierte Mechanismus lässt sich um weitere Störgrößen, Bedingungen und Zusammenhänge ergänzen. Das präsentierte Schema soll nicht als vollständig gewertet werden, sondern lediglich einen Einblick in den ausgewählten Mechanismus bieten. Ein Widerstand im Wandel kann zusätzlich aus vielen weiteren Gründen entstehen, beispielsweise aus Angst vor Überforderung mit dem Neuen.


Anwendung

Bedeutung für Veränderungsprozesse

Das Machtverhalten in Organisationen unterliegt laufenden Veränderungen der Unternehmensstrategien und -strukturen, da sich Organisationen an stetig verändernde Rahmenbedingungen anpassen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.[51] Das Hauptthema in Machiavellis Werk ist die Anpassung an Veränderungen, die politisch sowie organisatorisch betrachtet werden können. Laut Machiavelli sind Veränderungen unvermeidlich. Demzufolge müssten immer wieder neue Strategien formuliert werden, die die erfolgreiche Umsetzung von Veränderungen sicherstellen.[52]

Wie im obigen Mechanismus erläutert, können Machiavellisten hinderlich für einen Wandel sein, wenn sie einen Status- und Machtverlust befürchten. Weiterhin kann sich ihre geringe Rücksichtnahme auf die Gefühle von Mitarbeitenden negativ auf deren Veränderungsbereitschaft auswirken. Wenn ihnen der Wandel jedoch einen Vorteil verschafft, können Machiavellisten ihn sogar anfeuern und beschleunigen. Furtner konstatiert, dass Machiavellisten beispielsweise Gesetzesentwürfe relativ erfolgreich umsetzen können. In mächtigen Positionen können Machiavellisten unter bestimmten Umständen sogar als charismatisch wahrgenommen werden.[53]

Fallbeispiel

Die COVID-19 Pandemie stellt die Automobilbranche vor große Herausforderungen und macht strukturelle Veränderungsprozesse in zahlreichen Unternehmen erforderlich. Demnach erfordert die Krise bestehende Geschäftsprozesse, beispielsweise bestimmte Produktionsprozesse, zu überdenken oder gar neu auszurichten beispielsweise durch die Entwicklung neuer Geschäftsfelder. [54]

Thomas arbeitet als Projektleiter in einem Unternehmen der Automobil-Branche, welches sich auf die Zulieferung von Lenksäulen für bekannte Automobilhersteller spezialisiert hat. Durch die Pandemie steht das Unternehmen vor großen Herausforderungen, denn die Nachfrage nach Lenksäulen brach durch die Krise erheblich ein. Statt auf eine Verbesserung der Situation zu hoffen, sollten sich die Zulieferer eher auf eine mittelfristig anhaltend schwierige Situation einstellen. Mithilfe von Projektteams soll unter Leitung von Thomas ein Konzept zum weiteren Umgang mit der Krise formuliert werden. Das Projektteam setzt sich aus fünf Fachspezialisten zusammen. Insgeheim verfolgt Thomas das langfristige Ziel, in die Geschäftsleitung aufzusteigen, um Geld, Macht sowie Status zu erlangen und die Dinge im Hintergrund beeinflussen zu können. Thomas versteht es, seine Mitarbeitenden mittels taktischen Tricks, Versprechungen und Täuschungen zu Höchstleistungen zu motivieren. Auf subtile und manipulative Art und Weise spielt er die einzelnen Fachspezialisten gegeneinander aus (jeder erhält nur „portionierte“ und maximal halbwahre Informationen). Thomas achtet penibel darauf, dass nur er den Überblick über alle Informationen hat. Fortschritte verkauft Thomas vor der Entwicklungs- und Geschäftsleitung als persönlichen Erfolg. Zudem pflegt er enge Beziehungen zu Schlüsselpositionen in der Entwicklungs- und Geschäftsleitung. Er versteht es, sich den „Mächtigen“ geschickt anzubiedern und pflegt auch privat ein nahes Verhältnis zu den Machthabern der Organisation (z. B. gemeinsames Golfen). Für seine Projektmitarbeiter agiert Thomas geschickt und ist nur schwer durchschaubar. Thomas achtet sorgsam darauf, dass er mit seiner manipulativen Art nicht auffliegt und sein langfristiges Karriereziel erreicht.

Thomas nutzt die Covid-19 Konzeptentwicklung als Medium, um seine eigenen Ziele zu erreichen. So feuert er die Entwicklung neuer Strategien stark an, um der Führung zu imponieren und seine Chance im Unternehmen aufzusteigen zu erhöhen. Er empfindet die Krise als vorteilhaft, da er dadurch den “Helden” spielen kann.


Kritische Würdigung

Machtverhalten in Veränderungsprozessen in Organisationen kann im Hinblick auf den Machiavellismus betrachtet werden. Viele empirische Studien beschäftigen sich mit dem Machiavellismus und ethischem Wirtschaftsverhalten. Außerdem wird der Machiavellismus häufig in Bezug auf das Führungsverhalten untersucht. Es können auch Studien zum Machiavellismus bei Geführten ausgemacht werden[55].

In der Praxis sind Machiavellisten sehr schwer zu identifizieren, da sie undurchschaubar bleiben wollen. Auch in Studien ist es schwer, Machiavellisten ausfindig zu machen, da Forscher hierfür die Probanden sehr genau kennen müssen, um über ihr Wesen urteilen zu können. Es ist fraglich, ob die Erfassung mit Hilfe eines Fragebogens ausreichend ist.


Literatur

Belschak, F. D., Den Hartog, D. N., Kalshoven, K. (2015). Leading Machiavellians: How to translate Machiavellians’ selfishness into pro-organizational behavior, In: Journal of Management, 41, 1934–1956.

Bude, A. (2019). Dunkle Triade und Studienerfolg, Personalpsychologie, 7, Hochschule Hannover.

Buschner, A. (2018). Grundlagen des Machiavellismus und Betrachtung desselben unter dem Aspekt der nachhaltigen Führung, Hochschule Stralsund.

Christie, R., Geis, F. L. (1970). Studies in Machiavellianism, Academic Press, Inc.

Drory, A., & Gluskinos, U. M. (1980). Machiavellianism and leadership, In: Journal of Applied Psychology, 65, 81–86.

Externbrink, K., Keil, M. (2018). Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie in Organisationen. Theorien, Methoden und Befunde zur dunklen Triade, Wiesbaden: Springer.

Furtner, M. (2017). Dark Leadership. Narzisstische, machiavellistische und psychopathische Führung, Wiesbaden: Springler Gabler.

Gabler Wirtschaftslexikon. Springer Gabler Verlag (Hrsg.): Stichwort: Change Management (2017). Online verfügbar unter http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/2478/change-management-v9.html, abgerufen am: 09.06.2020.

Götz, F. M., Bleidorn, W., Rentfrow, P. J. (2020). Age Differences in Machiavellism across the life span: Evidence from a large-scale cross-sectional study, In: Journal of Personality, 1-15.

Harmon, H. A., Webster, R. L., Hammond, K. L. (2008). Comparing The Machiavellism of Today’s Indonesian College Students With U.S. College Students of Today and The 1960s, In: International Business & Economics Research Journal, 7 (12), 63-72.

Henning, H., Six, B. (1977). Konstruktion einer Machiavellismus-Skala, In: Zeitschrift für Sozialpsychologie, 8, 185–198.

Jackson, M., Grace, D. (2013). Machiavelli's echo in management. Management & Organizational History, 8 (4), 400-414

Jonason, P. K., Li, N. P., Czarna, A. Z. (2013). Quick and dirty: some psychosocial costs associated with the Dark Triad in three countries, In: Evolutionary Psychology, 11, 172–185.

Jonason, P. K., Okan, C., Özsoy, E. (2019). The dark Triad traits in Australia and Turkey, In: Personality and Individual Differences, 149, 123-127.

Jonason, P. K., Slomski, S., Partyka, J. (2012). The dark triad at work: How toxic employees get their way, In: Personality and Individual Differences, 52, 449–453.

Jones, D. N., Paulhus, D. L. (2011). Differentiating the Dark Triad within the interpersonal circumplex, In: L. M. Horowitz & S. Strack (Eds.), Handbook of Interpersonal Psychology: Theory, Research, Assessment, and Therapeutic Interventions (249–268). New York: Wiley.

Kay-Enders, B. (1996): Marketing und Ethik: Grundlagen - Determinanten - Handlungsempfehlungen, Wiesbaden: Gabler.

Mai, C., Büttger, M., Schwarzinger, D. (2017). “Think-Manager-Consider-Female“: Eine Analyse stereotypischer Ansichten über weibliche Führungskräfte und die empirische Überprüfung ihrer realen Persönlichkeit anhand der Big Five und Dunklen Triade, In: Schmalenbachs Zeitung betriebswirtschaftliche Forschung, 69, 119–152.

McGuire, D., Hutchings, K. (2006). A Machiavellian analysis of organisational change, In: Journal of Organizational Change Management, 19 (2), 192-209.

Miesing, P., Preble, J. F. (1985). A Comparison of Five Business Philosophies, In: Journal of Business Ethics, 4, 465-476.

Montag, C., Hall, J. Plieger, T., Felten, A., Markett, S., Melchers, M., Reuter, M. The DRD3 Ser9Gly polymorphism, Machiavellianism, and its link to schizotypal personality, In: Journal of Neuroscience, Psychology, and Economics, 8 (1), 2015, 48-57.

Paulhus, D. L., & Williams, K. M. (2002). The dark triad of personality: Narcissism, Machiavellianism, and psychopathy, In: Journal of Research in Personality, 36 (6), 556–563.

Rödl und Partner (2020). Strukturelle Neuausrichtungen der Unternehmen als Konsequenz der Corona-Pandemie. Online verfügbar unter: https://www.roedl.de/themen/covid-19/unternehmen-mittelstand-umstrukturierung-neuausrichtung-veraenderung-geschaeftsmodelle, abgerufen am: 27.08.2020.

Shen, D., Dickson, M. A. (2001). Consumer’s Acceptance of Unethical Clothing Consumption Activities: Influence of Cultural Identification, Ethnicity and Machiavellism, In: Clothing and Textiles Research Journal, 19 (2), 76-87.

Vernon, P. A., Villani, V. C., Vickers, L. C., Harris, J. A. (2008). A behavioral genetic investigation of the Dark Triad and the Big 5. In: Personality and Individual Differences 44, 445-452.

Wakefield, R. L. (2008). Accounting and Machiavellism, In: Behavioral Research in Accounting, 20 (1), 115-129.

Zheng, W., Wu, Y. J., Chen, X., Lin, S. (2017). Why do employees have counterproductive work behavior? The role of founder’s Machiavellism and the corporate culture in China, In: Management Decision, 55 (3), 563-578.


Einzelnachweise

  1. Furtner (2017)
  2. Externbrink und Keil (2018), S.10
  3. Externbrink und Keil (2018), S.10
  4. Jonason et al. (2012)
  5. Furtner (2017), S.8
  6. Furtner (2017), S.19
  7. Furtner (2017), S.20
  8. Furtner (2017), S.20
  9. Eigene Darstellung
  10. Externbrink und Keil (2018), S.6
  11. Externbrink und Keil (2018), S.5
  12. Externbrink und Keil (2018), S.6
  13. Externbrink und Keil (2018), S.6
  14. Externbrink und Keil (2018), S.6
  15. Externbrink und Keil 2018, S.11
  16. Externbrink und Keil (2018), S.10
  17. Christie und Geis (1970), S.10
  18. Zheng et al. (2017), S.565
  19. Paulhus und Williams (2002)
  20. Montag et al. (2015)
  21. Jones und Paulhus (2011)
  22. Vernon et al. (2008)
  23. Jonason et al. (2019)
  24. Jonason et al. (2013)
  25. Harmon et al. (2008)
  26. Miesing et al. (1985) und Götz et al. (2020)
  27. Mai et al. (2016)
  28. Miesing et al. (1985)
  29. Christie und Geis (1970), S.4
  30. Wakefield et al. (2008)
  31. Götz et al. (2020)
  32. Buschner (2018)
  33. Drory und Gluskinos (1980)
  34. Shen und Dickson (2001)
  35. Hegarty und Sims (1978) und Stead et al. (1987) in Kay-Enders (1996), S.119
  36. Singhapakdi und Vitell (1990) in Kay-Enders (1996), S.119
  37. Bude (2019)
  38. Mai et al. (2017)
  39. Externbrink und Keil (2018), S.10
  40. McGuire und Hutchings (2006), S.194
  41. McGuire und Hutchings (2006), S.192f.
  42. McGuire und Hutchings (2006), S.194
  43. McGuire und Hutchings (2006), S.196f.
  44. Jackson und Grace (2013), S.403
  45. Jackson und Grace (2013)
  46. Jackson und Grace (2013), S.403
  47. Jackson und Grace (2013)
  48. Jackson und Grace (2013)
  49. Jackson und Grace (2013)
  50. Eigene Darstellung
  51. Gabler Wirtschaftslexikon (2017)
  52. McGuire und Hutchings (2006), S.196
  53. Furtner (2017),S.22
  54. Rödl und Partner 2020
  55. Belschak et al. (2015)