Liberale Genossenschaften

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Eine liberale Genossenschaft ist ein Zusammenschluss von natürlichen beziehungsweise juristischen Personen, deren Ziel die gemeinsame Selbsthilfe von gemeinnützigen Vorhaben auf der Grundlage eines freiheitlichen Gedankens ist. Bei einer liberalen Genossenschaft steht unter politischen Gesichtspunkten die Sicherung der persönlichen Freiheit eines jeden Menschen im Vordergrund. Der Begriff Freiheit ist in diesem Zusammenhang bedeutungsähnlich mit Individualismus und richtet sich auf den Einzelnen und wendet sich gegen auferlegte Zwänge. Dem Ideal entsprechend besteht die Möglichkeit für alle Menschen, Privateigentum zu erwerben und damit zu wirtschaften.


Liberale Genossenschaften, ihre Geschichte und Struktur

Geschichte

Die Grundsteine des Genossenschaftswesens im deutschsprachigen Raum wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts von Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883) und Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) gelegt. Als Reaktion auf die verheerenden sozialen Verwerfungen der Zeit wurden die notleidende Landbevölkerung und in Not geratene Handwerker mit Hilfsaktionen durch das Genossenschaftswesen unterstützt. Die zugrundeliegende Idee war, sich auf Basis des Prinzips der Selbsthilfe zusammenzuschließen und durch freiwillige Kooperationen die eigenen Mitglieder vor dem Abrutschen in soziales Elend zu bewahren.[1] Anders als in England und Frankreich entwickelte die genossenschaftliche Bewegung in Deutschland früh einen konservativ-liberalen Habitus und distanzierte sich somit von der Arbeiterbewegung, bei welcher der Fokus primär auf wirtschaftlichen Zwecken lag.[2]

Infolge eines verstärkten Wettbewerbs, Professionalisierung und eines anhaltenden Fusions- und Konzentrationsprozesses bei geringen Zuwachsraten, ist die Anzahl der Genossenschaften in Deutschland seit den 1980er Jahren von 11.681 (1980) auf 7.842 (2011) zurückgegangen.[3] In den vergangenen Jahren wurde diese Entwicklung umgekehrt und in einigen Sektoren ist ein Neugründungsprozess zu verzeichnen. Dieser Prozess lässt sich auf drei Gründe zurückführen. Erstens profitieren die Genossenschaften vom Image des Traditionsmodells mit Zukunft. Dieser Trend ist sowohl durch die Anzahl der wissenschaftlichen Artikel und Medienartikel, als auch die Wachstumsraten in einzelnen Branchen erkennbar. Zweitens führte die Energiewende in den letzten Jahren zu einem Umdenken in der Bevölkerung und förderte die Gründung von mehr als 500 Energie-Kooperationen. Als dritter Grund wurde identifiziert, dass die Bekanntheit der Genossenschaften durch das Internationale Genossenschaftsjahr der Vereinten Nationen 2012 weltweit gesteigert werden konnte.[4]

Genossenschaftliche Grundsätze

Eine liberale Genossenschaft wird geprägt durch die Grundsätze der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.

Kennzeichnend für Genossenschaften ist die Hilfe zur Selbsthilfe, also der Zusammenschluss von Menschen, die gemeinsam Aufgaben übernehmen, welche der Einzelne in seinem Umfeld nicht alleine bewerkstelligen kann.[5] Durch unzureichende finanzielle Mittel ist ihnen ein Zugang zu Markt und Kapital verwehrt. In einer Genossenschaft schließen sich diese Menschen, die sich in einer gleichen oder ähnlichen wirtschaftlichen Lage befinden, zusammen, um gemeinsam Synergien zu schaffen. Durch den Zusammenschluss können sie leichter die notwendigen Mittel aufbringen. Neben dem Zugang zum Markt kann dieser Zusammenschluss die Wettbewerbsposition verbessern sowie zu einer besseren Befriedigung der eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse führen.[6]

Der zweite Grundsatz der Selbstverwaltung meint, dass die Mitglieder ihre Genossenschaft selber leiten und Erfolg oder Misserfolg somit von der eigenen Führung abhängen. Das bedeutet, dass alle Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat zugleich auch Mitglieder der Genossenschaft sein müssen. Diese Regelung schützt Genossenschaften vor Fremdeinflüssen, wie beispielsweise der Einflussnahme von externen Kapitalgebern. Auf diese Weise bestimmen und kontrollieren die Mitglieder gemeinsam die Geschicke der Genossenschaft und tragen die wirtschaftlichen Folgen. Die Selbstverwaltung ist ein wesentliches Element von Genossenschaften und verbunden mit den genossenschaftlichen Idealen von Zusammenhalt und Solidarität unter den Mitgliedern.[7]

Der Grundsatz der Selbstverwaltung knüpft an den Gedanken der Solidarhaftung an. Die Mitglieder bringen das erforderliche Kapital selbst auf und übernehmen die Haftung. Auf diese Weise sind die Mitglieder für die Existenz und den Fortbestand der Genossenschaft verantwortlich und haftbar. Diese Form der solidarischen Haftung schafft Vertrauen gegenüber anderen Organisationen im wirtschaftlichen Umfeld. Genossenschaften sind somit autonome Unternehmen, die von innen verwaltet werden und selber für ihr Handeln verantwortlich sind.

Organe der Genossenschaft nach dem Genossenschaftsgesetz

Die Organe der Genossenschaft bilden Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung, wobei das Prinzip der Selbstorganschaft über allem steht: § 9 Absatz II Satz 1 GenG schreibt vor, dass die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats als jeweils natürliche Personen zugleich Mitglied der Genossenschaft sein müssen. Genossenschaften mit bis zu 20 Mitgliedern können auf einen Aufsichtsrat verzichten und lediglich einen Ein-Personen-Vorstand vorsehen.

Die Generalversammlung

Die (ordentliche) Generalversammlung aller Mitglieder ist das höchste Entscheidungs- und Willensbildungsorgan der Genossenschaft. Sie findet mindestens einmal jährlich statt. Dabei beschließt sie insbesondere über den Jahresabschluss und die Verwendung des Jahresüberschusses bzw. über die Deckung eines eventuellen Jahresfehlbetrages. Die Wahl, Entlastung und der Widerruf des Vorstands und der Aufsichtsratsmitglieder, sowie der Satzungsänderungen fallen in den Aufgabenbereich der Generalversammlung.

Der Vorstand

Der Vorstand vertritt im Wesentlichen die Genossenschaft (§§ 24 I und 26 GenG).[8] Nach dem Gesetz besteht er aus zwei natürlichen Personen. Eine höhere Personenzahl kann durch die Satzung bestimmt werden.[9] Er wird, je nach Satzungsregelung, von der Generalversammlung oder dem Aufsichtsrat bestellt und abberufen. Er leitet die Genossenschaft in eigener Verantwortung.

Der Aufsichtsrat

Die Hauptaufgabe des Aufsichtsrats ist die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands (§ 38 I GenG).[10] Der Aufsichtsrat besteht aus mindestens drei Personen. Er hat die Tätigkeiten der Vorstandsmitglieder zu überwachen und hat die Pflicht, sich über die Geschäfte zu informieren und diese zu kontrollieren. Außerdem hat dieser, wenn dies so in der Satzung vorgesehen ist, bei allen grundsätzlichen Fragen der Genossenschaft mit dem Vorstand gemeinsam zu beraten und mitzuentscheiden.

Trend der Energiegenossenschaften

Fakten

Angestoßen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz erleben Energiegenossenschaften seit Anfang der 2000er Jahre einen Aufschwung: Mehr als die Hälfte aller Genossenschafts-Neugründungen findet derzeit im Bereich Energie, Umwelt, Wasser statt.[11]

Es ist ein deutlicher Trend bei den Neugründungen von Energiegenossenschaften über die letzten Jahre erkennbar. Im Jahr 2006 bestanden lediglich acht Energiegenossenschaften, innerhalb von zehn Jahren stieg diese Zahl auf 812. Bereits in den Jahren von 2008 bis 2011 entwickelte sich die Anzahl von Energiegenossenschaften um ein vierfaches. Im Anschluss wurde schließlich im Jahr 2011 der Höchstwert von 167 Neugründungen pro Jahr erreicht. Daraufhin setzte sich der Trend langsamer fort, sodass die Gründungsrate im Jahr 2015 um 25 % gegenüber zum Vorjahr fiel, aber weiterhin 40 Neugründungen in dem Jahr betrug. Dabei stellen die Energiegenossenschaften 40 der insgesamt 124 Neugründungen dar.[12]

Entwicklung

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien bringt elementare Veränderungen für die Energieversorgung in Deutschland. Sichtbare Merkmale sind Windkraftanlagen in der Landschaft, Photovoltaikanlagen auf großen Rasenflächen oder Bauernhöfe mit Biogasanlagen. Wärmepumpen, Pelletheizungen und Holzhackschnitzelanlagen liefern Wärme und machen ganze Siedlungen und Regionen unabhängig von fossilen Energieträgern. Erneuerbare Energien schützen somit nicht nur das Klima, sondern verbessern die Versorgungssicherheit und schaffen neue Arbeitsplätze sowie Einnahmen in den Regionen. Der dezentrale Charakter der Erneuerbaren Energien bietet jedem Bürger die Möglichkeit, einen aktiven Beitrag zur Energieversorgung zu leisten.[13]

Eine der Ursachen für die Gründung einer liberalen Genossenschaft ist die Realisierung von gemeinschaftlichen Projekten in der Region. Dabei verbleiben die Projekte innerhalb der Genossenschaft, sodass beispielsweise nachhaltiger vergünstigter Strom Mitgliedern zur Verfügung gestellt werden kann. Deshalb haben sich die Menschen in zahlreichen Bürgergruppen, Gemeinderäten oder lokalen Wirtschaftsunternehmen zusammengefunden. Energiegenossenschaften erfreuen sich hierbei als Organisationsform immer größerer Beliebtheit, weil vielfältige Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bestehen. Die Projekte können mit vielen gleichberechtigten Partnern demokratisch und lokal verwurzelt durchgeführt werden. Ein Beispiel für so ein Projekt könnte eine Photovoltaik-Genossenschaft sein. Hierbei besteht die Möglichkeit, für Bürger mit überschaubaren finanziellen Beträgen den Ausbau Erneuerbarer Energien in ihrer Heimat zu fördern. Die Anlagen werden häufig zusammen mit kommunalen Entscheidungsträgern oder öffentlichen Einrichtungen entwickelt, beispielsweise stehen Dachflächen von kommunalen Einrichtungen wie Kindergärten oder Schulen zur Verfügung. Zusätzlich übernehmen meist Handwerksbetriebe aus der Region die Installation und Wartung.[14]

Neben der Energiebereitstellung können auch Nahwärme- und Stromnetze durch Energiegenossenschaften betrieben werden. Genossenschaftliche Nahwärmenetze versorgen die angeschlossenen Haushalte kostengünstig mit Energie, beispielsweise aus einer Biogasanlage. In genossenschaftlichen Bioenergiegemeinden wird die Energieversorgung vollständig in die Hand der Bürger übertragen.[15]

Kriterien

Der Nutzen von Energiegenossenschaften kann anhand einiger Kriterien dargestellt werden. Einen Aspekt stellt der Interessenausgleich dar. Dieser ermöglicht einer Energiegenossenschaft als kooperatives Unternehmen das gemeinsame Engagement verschiedener Akteure vor Ort und demzufolge umweltpolitische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kommunale Interessen zu vereinen. Ein damit einhergehender Gesichtspunkt ist die Akzeptanz. Energiegenossenschaften steigern durch die Beteiligung am Unternehmen die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Dieser Umstand führt zu einer verbesserten Umsetzung von Erneuerbare-Energien-Projekten in den individuellen Regionen. Allerdings stellt die Akzeptanz und die Einbindung von Personen auch Risiken dar, beispielsweise bei Projekten wie Windparks und Biogasanlagen. Sie stoßen teilweise auf hartnäckige Ablehnung von Anwohnern, die vor allem Lärm, verbaute Landschaften oder unangenehme Geruchsentwicklung befürchten. Diese Probleme oder ähnliche Hindernisse können bei der Umsetzung derartiger Projekte dazu führen, dass die Vorgehensweise der Genossenschaft in Frage gestellt wird. Eine Folge ist demnach der erschwerte Interessenausgleich, da es diverse individuelle Perspektiven zu vereinen gilt. Ebenfalls zu berücksichtigen ist der Standort, dieser beeinflusst häufig die Akzeptanz vor Ort. Es entstehen schnell Widerstände, wenn Projekte die Anwohner beeinträchtigen. Beispiele hierfür sind der Abstand von Windrädern zu Wohnhäusern, Photovoltaikanlagen auf historischen Gebilden oder Wasserkraftwerke in Naturschutzgebieten. Solche Projekte stoßen schnell an die Grenzen der Anwohner, weshalb im Vorfeld eine umsichtige Planung essentiell ist.[16]

Ein weiterer Aspekt ist, dass die lokale Wertschöpfung profitiert. Denn Energiegenossenschaften beschäftigen Menschen, sie arbeiten mit lokalen Banken zusammen und vergeben Aufträge vorwiegend an lokale Unternehmen und Dienstleister. Dadurch besteht ein beachtliches Potenzial sowohl für die Genossenschaft als auch für die Unternehmen und Kommunen. Diese Potenziale führen zu Synergieeffekten, welche der ganzen Region zu Gute kommen können. Folglich stellen Energiegenossenschaften einen Teil der sozialen Verantwortung dar, indem sie günstig und ressourcenschonend vor Ort Strom und Wärme erzeugen und vertreiben. Die Energiegenossenschaft ermöglicht also eine bedarfsgerechte Produktion und Versorgung mit Energie, welche nicht auf eine hohe Rendite für Anteilseigner, sondern auf die optimale Förderung ihrer Mitglieder ausgerichtet ist. Somit steht die Förderung des Kollektivs der Genossen und deren gemeinsamer Ziele durch Einzahlung von Einlagen und aktive Mitarbeit im Rahmen einer basisdemokratischen Ordnung im Vordergrund, wodurch der liberale Grundgedanke aufgegriffen und gefördert wird. Die Mitgliedschaft in einer liberalen Genossenschaft dient also nicht in erster Linie der Erzielung einer Dividende, sondern es steht die Förderung des Kollektivs der Genossen und deren gemeinsamer Ziele durch Einzahlung von Einlagen und aktive Mitarbeit im Rahmen einer basisdemokratischen Ordnung im Vordergrund.[17]

Ausblick

Von essentieller Bedeutung für den Erfolg von Energiegenossenschaften wird einerseits der Vollzug des Wandels in der Zukunft sein. Andererseits, inwiefern die systemeigenen Eigenschaften von Genossenschaften als Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft genutzt werden können. Die Dezentralisierung der Energiewende wird dazu führen, dass die Gesellschaften am erfolgreichsten sein werden, welche den Austausch zwischen Erzeugern und Verbrauchern am effizientesten organisieren können.[18]

Ein elementarer Vorteil im Wettbewerb kann die regionale Verankerung und die direkte Beziehung zu den Menschen in der Region werden. Der genossenschaftliche liberale Förderzweck, also die Förderung der Genossenschaftsmitglieder zur gemeinschaftlichen Selbsthilfe bei der Energieversorgung, sorgt für das gegenseitige Vertrauen. Zusätzlich wird dies durch das aktive Mitgestalten der Mitglieder erhöht und steigert Akzeptanz und Transparenz der Projekte.[19] Das Label „aus der Region“ findet nicht nur als Gütesiegel für Brot, Gemüse und Fleisch statt, sondern gewinnt zunehmend an Bedeutung für regional produzierten Strom. Das erhöht die Identifikation mit dem Produkt und dem dazugehörigen Anbieter. Genau diese Potentiale der Regionalität und der Interaktion mit den Nutzern können Genossenschaften in Zukunft noch weiter ausbauen.[20]

Mechanismus am Beispiel von Anreizen

Jede Person, die Mitglied einer liberal aufgestellten Genossenschaft wird, verbindet mit dieser Mitgliedschaft einen Mehrwert. Auch jedes Unternehmen, welches die Rechtsform einer liberal agierenden Genossenschaft wählt, verspricht sich einen Vorteil von dieser Wahl. Verantwortlich für die jeweilige Entscheidung sind Anreize. Diese Entscheidungen unterliegen Mechanismen. Anhand von Beispielen der TEN (Teutoburger Energie Netzwerk) wird der Variations-, Selektions- und Retentions-Mechanismus nach Weick dargestellt.[21]

Anreize für die Mitgliedschaft von Privatpersonen in einer liberalen Genossenschaft - Variation

Liberal agierende Genossenschaften geben in der Regel vor, sozial verantwortlich zu handeln, die Meinung jedes einzelnen Mitgliedes zu berücksichtigen und diese mit Sonderleistungen für ihre Mitgliedschaft zu belohnen. Die Aufwandskosten für die Mitgliedschaft sowie die einzubringenden Einlagen halten sich, im Gegensatz zu verbreiterten Rechtsformen, gering. Die Anreize, welche eine Person auf Grundlage dieser Wertvorstellung zu einer Mitgliedschaft in einer liberalen Genossenschaft bewegen, setzen weitaus stärker an den persönlichen Umständen und Überzeugungen an. Weick begreift Organisationen als offene Systeme, welche sich an ihre Umwelt anpassen.Überzeugungen an. Weick begreift Organisationen als offene Systeme, welche sich an ihre Umwelt anpassen.[22] Aufgrund des Wandels in Richtung einer umweltbewussteren Gesellschaft, entwickeln Organisationen neue Handlungsweisen und Kompetenzen. Dieser Prozess des Organisierens wird als Variation oder Gestaltung bezeichnet.[23] Liberale Genossenschaften im Energiesektor gewinnen neue Mitglieder in erster Linie aufgrund ihres regionalen Fokus. Dementsprechend werden primär die Einwohner einer Region angesprochen, in der sich die Genossenschaft engagiert. Anreize können insofern identifiziert werden, dass die Einwohner großen Wert auf die Versorgung ihrer Region, im Fall von Energiegenossenschaften, durch eine nachhaltige Energieversorgung legen. Darüber hinaus ist die Möglichkeit der Mitbestimmung von regionalen Belangen ein weiterer Anreiz, der zu einer Mitgliedschaft führen kann.[24] Die Umstrukturierung hin zu einer nachhaltigeren und lokalen Ausrichtung kann als Gestaltungs- bzw. Variationsmöglichkeit für eine Organisation verstanden werden.

Anreize für die Kooperation von lokalen Betrieben und der liberalen Genossenschaft - Selektion

Nachdem die Variation Handlungsalternativen für die Organisation dargestellt hat, greift der zweite Schritt des Evolutionsprozesses: die Selektion.[25] Hierbei werden Alternativen eliminiert und diejenigen ausgewählt, welche am besten in das bestehende System eingegliedert werden kann. Im Beispiel der TEN wurde die Aufstellung als lokal agierender und verantwortungsbewusst handelnder Energieversorger gewählt. Neben der Gewinnung von Privatpersonen, löst das regionale Handeln einer liberal handelnden Genossenschaft, wie der TEN, darüber hinaus Anreize für ganze Betriebe aus. Wenn sich die Genossenschaft für das Land oder die Region einsetzt, in welcher der Betrieb angesiedelt ist, eröffnet sich durch die Mitgliedschaft die Option der Verantwortungsübernahme in dieser Region oder Kommune. Neben der Verantwortungsübernahme spielt der Ausbau einer nachhaltigen Infrastruktur, wie im Beispiel der Energieversorgung, eine entscheidende Rolle. Mitglieder der TEN unterstützen die Versorgung der Region mit ökologischer, „gut-erzeugter“ Energie. Dementsprechend ist die Akquirierung von Mitgliedern außerhalb der Region sehr unwahrscheinlich, da diese in der Mitgliedschaft keinen Mehrwert sehen. Das gleiche gilt für potentielle Übernahmen von Betrieben in die Genossenschaft. Ist dieser nicht in der Region ansässig, in welcher die Genossenschaft tätig ist, wird es zu keiner unmittelbaren Anteilnahme an der Geschäftstätigkeit und somit zu keinem Zusammenschluss kommen. Ein zusätzlicher Anreiz ist, die Region mit den eigenen Dienstleistungen bzw. Produkten eigenverantwortlich zu versorgen, während das finanzielle Risiko durch eine Dachorganisation in Form der Genossenschaft eingedämmt wird. Durch den Prozess der Selektion legt die Organisation fest, welche Maßnahmen getroffen werden, um den sich veränderten externen Faktoren erfolgreich gegenüber stehen zu können. Die Schwierigkeit liegt hierbei in der Einbettung dieser neuen Praktiken in die interne Struktur der Organisation. Die TEN sieht in der Kooperation mit den lokalen Betrieben eine „Win-Win-Situation“. Der Zusammenschluss führt zu einem breiteren Leistungsspektrum für die Region. Darüber hinaus wird die Existenz vieler Kleinstbetriebe durch diesen gewahrt. Beispielhaft kann der Zusammenschluss eines Betreibers einer regionalen Biogasanlage mit der TEN gesehen werden.[26]

Anreize für eine Aufstellung als liberale Genossenschaft - Retention

Die Überführung ausgewählter Handlungsalternativen in die internen Strukturen einer Organisation stellt eine große Herausforderung dar. Weick bezeichnet diesen Schritt im Evolutionsprozess als Retention.[27] Die TEN hat sich aus diesem Grund für einen regionalen Fokus und ein beschränktes Portfolio entschieden. Die Mitglieder bringen ein hohes Maß an Überzeugung für den Zweck der liberal handelnden Genossenschaft mit, sodass die Verfestigung der Strukturen und das sozial verantwortliche Handeln gefördert werden. Hierzu zählt darüber hinaus die Institutionalisierung nach außen. Im Zuge der Genossenschaftsnovelle aus dem Jahr 2006 wurde versucht, die Aufstellung der Organisation als liberal handelnde Genossenschaft zu erleichtern. Die ehemals hohen Gründungshemmnisse wurden aufgrund einer realisierbaren Gründung durch drei Mitglieder (ehemals sieben) sowie der Nichtnotwendigkeit eines Aufsichtsrates bei einer Genossenschaftsgröße von höchstens zwanzig Mitgliedern gesenkt. Darüber hinaus wurde eine Reduzierung der Prüfungskosten, im Speziellen für kleine Genossenschaften, durchgesetzt. Übersteigt die Bilanzsumme eine Millionen Euro nicht bzw. werden Umsatzerlöse von höchstens zwei Millionen Euro erwirtschaftet, sind diese Genossenschaften von einer Verbandsprüfung für den Jahresabschluss befreit.[28] Der Evolutionsprozess ist dynamisch und schließt nicht mit der Retention ab.[29] Die Umweltbedingungen einer Organisation wandeln sich fortlaufend. Dementsprechend wird sich der Mechanismus Variation, Selektion und Retention für die TEN auch zukünftig wiederholen.

Empirische Bedeutung

Die Entwicklung der liberal handelnden Genossenschaft ist einerseits durch einen Rückgang, gemessen an der absoluten Zahl an Genossenschaften, und andererseits durch einen Anstieg der Mitgliederzahlen zu beschreiben. Darüber hinaus entschließen sich immer mehr Privatpersonen und Betriebe zu einem Engagement in ihrer Region und wählen den Weg der Mitgliedschaft in einer Genossenschaft. Der Mechanismus Variation, Selektion und Retention beschreibt einen Evolutionsprozess, welcher zu veränderten Bedingungen für die Organisation führt und Anpassungen nach sich zieht. Hierdurch werden Anreize aber auch Herausforderungen frei gelegt.

Kritische Beobachtung – Warum gibt es trotzdem so wenig Genossenschaften?

Es lässt sich feststellen, dass der Stellenwert sowie der Anteil von liberal handelnden Genossenschaften im gesamten Neugründungsprozess marginal sind (Zwischen 2000 und 2010 1.200 neu gegründete Genossenschaften, in Deutschland jährlich 500.000 Neugründungen insgesamt).[30] Eine Umfrage stellte heraus, dass Neugründer, trotz der Genossenschaftsnovelle aus dem Jahr 2006, durch das zum Teil aufwendige Gründungsverfahren sowie die Inflexibilität aufgrund der externen Prüfung und somit verbindlichen Umsetzung der Ziele in der Satzung ein großes Hindernis darstellen.[31] Darüber hinaus sind potentielle Neugründungen mit Profitgedanken verbunden. Der Markt der erneuerbaren Energien bietet diverse Möglichkeiten für die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit mit Gewinnabsichten. Dieses Vorhaben widerspricht der Idee einer liberal handelnden Genossenschaft, da die Geschäftsprozesse in erster Linie auf soziale und nachhaltige Ziele, anstatt auf profitorientierte, ausgerichtet sind. Liberale Genossenschaften haben das Potenzial, eine ernstzunehmende Alternative für regionale Energieversorger darzustellen. Die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit auf sozial verantwortliches Handeln geht mit dem Engagement der regional ansässigen Mitglieder einher. Die Stellung der Rechtsform wird weiterhin eine untergeordnete bleiben, da der heutige Fokus von potenziellen Neugründern in der Regel auf profitorientierten Geschäftstätigkeiten liegt. Aus diesem Grund wird die liberale Genossenschaft als alternative Betriebsform bestehen bleiben.


Literatur

Agentur für Erneuerbare Energien (2008). Energiegenossenschaften, unter: http://www.kommunalerneuerbar.de/de/206/energiegenossenschaften/einleitung.html (zuletzt abgerufen am 02.09.16).

Blome-Drees, J., Boggild, N., Degens, P., Michels, J., Schimmele, C., Werner, J. (2015). Potenziale und Hemmnisse von unternehmerischen Aktivitäten in der Rechtsform der Genossenschaft, in Seminar für Genossenschaftswesen der Universität zu Köln, Kienbaum Management Consultants GmbH.

Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (n.d.). Sieben Vorteile von Energiegenossenschaften, unter: http://www.genossenschaften.de/warum-energiegenossenschaft (zuletzt abgerufen am 02.09.16).

Energieagentur Rheinland-Pfalz GmbH (2015). Geschäftsmodelle für Bürgerenergiegenossenschaften – Markterfassung und Zukunftsperspektiven, unter: https://www.energieagentur.rlp.de/fileadmin/user_upload/Buergerenergiegenossenschaften_Broschuere_160210_Small.pdf (zuletzt abgerufen am 16.08.2016).

Friedrich-Ebert-Stiftung (n.d.). Genossenschaftsbewegung, unter: https://www.fes.de/hfz/arbeiterbewegung/themen/genossenschaftsbewegung (zuletzt abgerufen am 20.08.16).

Grosskopf, W.; Münkner, H. H. & Ringle, G. (2009). Unsere Genossenschaft, in: Deutscher Genossenschafts-Verlag Wiesbaden. International Raiffeisen Union (1995). Die Raiffeisen-Prinzipien, unter: http://www.iru.de/index.php/iru/die-raiffeisen-prinzipien (zuletzt abgerufen am 20.08.16).

Keßler, J. (2014). Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Verbandsdemokratie - zur Co-operative Governance genossenschaftlich verfasster Unternehmen, in: Schröder, C., Walk, H. (Hrsg.). Genossenschaften und Klimaschutz (pp. 93-105), Spinger Fachmedien Wiesbanden.

Klemisch, H., & Vogt, W. (2012). Genossenschaften und ihre Potenziale für eine sozial gerechte und nachhaltige Wirtschaftsweise. in: WISO Diskurs, Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn.

Netzwerk Energiewende jetzt e.V. (2016). Energiegenossenschaften: Neugründungen 2015 auf niedrigem Niveau, unter: http://www.energiegenossenschaften-grueden.de/news.html?&cHash=73eb8f00bb9f6b4c53c61d54fc9a3ffc&tx_ttnews%5Btt_news%5D=291 (zuletzt abgerufen am 02.09.16).

Schröder, C. (2014). Neue Formen städtischer Solidarität: Das Beispiel Genossenschaften. in: Schröder, C., Walk, H. (Hrsg.). Genossenschaften und Klimaschutz (pp. 73-91), Springer Fachmedien Wiesbaden.

Schröder, C., Walk, H. (2014). Eine neue (und alte) Attraktivität von Genossenschaften – Eine Einführung. in: Schröder, C., Walk, H. (Hrsg.). Genossenschaften und Klimaschutz (pp. 11-28), Springer Fachmedien Wiesbaden.

Starke Kommunen mit Erneuerbaren Energien (2008) Vgl. http://www.kommunalerneuerbar.de/de/206/energiegenossenschaften/einleitung.html (zuletzt abgerufen am 31.08.2016).

Teutoburger Energie Netzwerk (2015). Die Stromgenossenschaft, unter http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Die-Stromgenossenschaft,hallonds29834.html (zuletzt abgerufen am 03.06.2016).

Weick, K. E., & Hauck, G. (1998). Der Prozess des Organisierens, (2. Aufl.). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

  1. Friedrich-Ebert-Stiftung (n.d.).
  2. Schröder/ Walk (2014), S. 11f.
  3. Schröder/ Walk (2014), S. 11-15.
  4. Schröder/ Walk (2014), S. 13-16.
  5. Grosskopf et al. (2009), S. 19.
  6. International Raiffeisen Union (1995).
  7. Klemisch/ Vogt (2012), S. 22.
  8. §§ 24 I und 26 GenG, weitere Aufgaben siehe § 30 I GenG, § 33 I S. 1,2 und § 33 III GenG sowie § 44 I GenG.
  9. Bei Genossenschaften mit weniger als 20 Mitgliedern kann die Satzung bestimmen, dass der Vorstand nur aus einer Person besteht (§ 24 II S. 3 GenG).
  10. § 38 I GenG, weitere Aufgaben siehe § 38 III GenG, § 39 I S.1 GenG, § 59 II GenG.
  11. Netzwerk Energiewende jetzt (2016).
  12. Netzwerk Energiewende jetzt (2016).
  13. Agentur für Erneuerbare Energien (n.d.).
  14. Starke Kommunen mit Erneuerbaren Energien (2008).
  15. Starke Kommunen mit Erneuerbaren Energien (2008).
  16. Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (n.d.).
  17. Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (n.d.).
  18. Energieagentur Rheinland-Pfalz Agentur GmbH (2015).
  19. Energieagentur Rheinland-Pfalz GmbH (2015).
  20. Energieagentur Rheinland-Pfalz GmbH (2015).
  21. Weick (1998).
  22. Weick (1998).
  23. Weick (1998).
  24. Teutoburger Energie Netzwerk (2015).
  25. Weick (1998).
  26. Teutoburger Energie Netzwerk (2015).
  27. Weick (1998).
  28. Keßler (2014), S. 103-104.
  29. Weick (1998).
  30. Klemisch/ Vogt (2012), S. 47.
  31. Blome-Drees et al. (2015), S. 287-290.