Kultur als Sozialgrammatik

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Kultur als Sozialgrammatik und deren Einfluss auf die Wirksamkeit personalwirtschaftlicher Maßnahmen

Die Wirkung personalwirtschaftlicher Maßnahmen wird maßgeblich durch die Organisationskultur bestimmt. Kultur kann dabei als System von sozialen Regeln begriffen werden, von Regeln, die nicht isoliert nebeneinanderstehen, sondern ineinandergreifen und als mehr oder weniger kohärentes Regelsystem die soziale Grammatik des Organisationsgeschehens bilden. [1]

Problem & Begriffe

Die Sozialgrammatik (lat. socialis »gesellig; gesellschaftlich«; lat. Grammatica »Lehre vom Bau einer Sprache, ihren Formen und deren Funktion im Satz«) zielt darauf ab, elementare Funktionsmechanismen von Organisationen zu identifizieren. [2] [3]

Der Ansatz geht davon aus, dass, ähnlich der Sprache, eine Organisation aus einer Vielzahl von Elementen und Regeln besteht, die in Kombination konkrete organisationale Handlungsstrukturen hervorbringen und ein Regelwerk bilden. Dabei baut der sozialgrammatische Ansatz auf den drei Komponenten generative Transformationsgrammatik, organisationale Oberflächen- und Tiefenstrukturen und den Grundfunktionen sozialer Systeme auf.

Die generative Transformationsstruktur ist verantwortlich dafür, dass Handlungsregeln zwar gleichartige Oberflächenstrukturen besitzen können, sich jedoch in ihrer tiefergehenden Bedeutung dennoch unterscheiden können. Organisationale Oberflächenstrukturen beschreiben dem Ansatz nach Regelmäßigkeiten, die von außen beobachtet werden können, während Tiefenstrukturen Regeln abbilden, die nicht ohne Weiteres erkannt werden können, von den Mitgliedern des Systems gleichwohl intuitiv verwendet werden. Die Sozialgrammatik ist eng mit der Aufgabe verknüpft, die Erfüllung der Grundfunktionen sozialer Systeme Leistung, Kooperation und Lernfähigkeit sicherzustellen. [4] [5]

Problemhintergrund

In der Literatur sind Definitionen des Organisationskulturbegriffs vorrangig auf die Summe gemeinsamer Überzeugungen, Werte und Normen (wie bspw. Schein 1995 oder Weick 1995) ausgerichtet. [6] [7] Diese Betrachtungsweise ist allerdings sehr eng, da sie die Bedeutsamkeit sozialer Definitionsprozesse und den Einfluss von sozialen Institutionen nicht hinreichend zur Geltung bringt.

Martin und Behrends stellen mit ihrer Betrachtung der Organisationskultur die Bedeutsamkeit kultureller Regeln und Prinzipien heraus, die fundamental und umgreifend Einfluss auf das Organisationsgeschehen nehmen. Im Gegensatz zu vorhergehenden Kulturansätzen wie bspw. jene von McCann (1991) oder Hauschildt/Kirchmann (1997) nehmen die Autoren der Sozialgrammatik davon Abstand, dass Kultur durch Maßnahmen oder Instrumente einfach beeinflusst werden kann. [8] [9]

Personal- und Unternehmenspolitik

Der sozialgrammatische Ansatz betrachtet Kultur ganzheitlich, als ein tief in der Organisation verwurzeltes Konzept. Sie begrenzt die Möglichkeiten und Maßnahmen, die im Rahmen der Personalpolitik oder Unternehmensstrategie zur Verfügung stehen. Ein gängiger Management Ansatz, um Kultur zu beeinflussen oder zu verändern, ist es, ein Maßnahmenpaket einzuführen. Die Intention, die dahintersteht, ist die Hoffnung einen kulturellen Wandel zu erwirken, der sich positiv auf die personalpolitischen oder strategischen Ziele einer Organisation auswirkt. Folgt man aber der Argumentation des sozialgrammatischen Ansatzes, sind diese Maßnahmen und Instrumente zum größten Teil wirkungslos, da sie im besten Fall nur an der kulturellen Oberfläche der Organisation kratzen, aber nicht tiefgreifend genug gestaltet sind, um grundlegende Veränderungen hervorzurufen. [10] [11]

Um wirkungsvolle Instrumente einführen zu können, ist das umfassende Verständnis der eigenen Unternehmenskultur zentrale Voraussetzung. Nur wenn Kultur als in der Organisation verwurzelt verstanden wird, besteht die Möglichkeit die Unternehmenskultur zu beeinflussen und sie für strategische und personalpolitische Zwecke zu nutzen. Dies bedarf allerdings einen längerfristig angelegten Prozess sowie einer überlegten Implementierung. Außerdem kann eine Veränderung weder durch kurzfristige, noch durch oberflächliche Prozessveränderungen erreicht werden. [12]

Konzeptionelle Grundlagen

Elemente der Organisationskultur

Model der Sozialgrammatik (selbst erstellt, in Anlehnung an Behrends (2001))


Im Allgemeinen besteht eine Organisationskultur aus drei verschiedenen Schichten: dem Kulturkern, den drei kulturellen Kerndimensionen (Lernen, Kooperation, Leistung), die sich wiederum auf insgesamt neun verschiedenen Prinzipien stützen. Je nach Ausprägung der einzelnen Prinzipien und Zusammensetzung der Kerndimensionen entstehen verschiedene Arten von Organisationskulturen. Da die Zusammensetzung und die Ausprägungen der verschiedenen Schichten bei unterschiedlichen Organisationen niemals deckungsgleich sind, ist jede Organisationskultur immer einzigartig. Lediglich im Kulturkern lässt sich eine Typenbildung erkennen. Dementsprechend lassen sich, laut Behrends, Organisationstypen anhand des Typus des Kulturkerns unterscheiden und kategorisieren. [13]

Kultur gibt einen Rahmen, Regeln und Richtlinien vor, auf deren Basis soziales Handeln stattfindet. Kultur ist tief verwurzelt in einer Organisation und kann dementsprechend auch nicht kurzfristig verändert oder beeinflusst werden. [14]

Sozialgrammatische Basisregeln

Behrends stellt neun Basisregeln heraus, die in ihrem Zusammenwirken die Sozialgrammatik von Organisationen fundieren: Instrumentalitätsprinzip, Wertprinzip, Dialogprinzip, Interessenprinzip, Machtprinzip, Beurteilungsprinzip, Systemprinzip, Aufklärungsprinzip und das Zeitprinzip. [15]

Erklärung der sozialgrammatischen Basisregeln (in Anlehnung an Behrends, 2001)

Stabilitätsbedingungen: Grundfunktionen sozialer Systeme

Nach Martin (1995; 2001) gibt drei Grundfunktionen, die jede Organisation gewährleisten muss, um langfristig erfolgreich zu handeln und überlebensfähig zu sein. [16] [17]

Lernzyklus (selbst erstellt, nach March & Olsen (1990))

Eine Organisation muss Leistung erbringen, um am Markt dauerhaft zu bestehen. Die Leistungsfähigkeit ist daher ein zentrales Ziel von Organisationen. Leistung und erfolgreich wirtschaftliches Handeln ist auch deshalb ein integrales Ziel einer jeden Organisation, da so den Organisationsmitgliedern Anreize zum Arbeiten geschaffen werden. Des Weiteren ist Kooperation eine Grundfunktion für Organisationen. Die Aufteilung und Abstimmung der Arbeitsschritte im Sinne der Effizienz ist unabdingbar, weshalb die Kooperation unter den Organisationsmitgliedern möglichst gut funktionieren muss. Die dritte zentrale Grundfunktion für Stabilität ist Lernen. Die Lernfähigkeit von Organisationen und ihre Fähigkeit, externe Herausforderungen mit den erforderlichen Veränderungs- und Anpassungsprozessen zu bewältigen, ist eng mit dem störungsfreien Ablauf des organisationalen Lernzyklus verknüpft. Dabei spielen die angeführten Basisregeln eine besondere Rolle, da sie die organisationalen Strukturen und Prozesse prägen sowie das Auftreten von Lernbarrieren entweder fördern oder hemmen.

Das Konzept des Lernzyklus stammt von March und Olsen 1990. Der besteht aus vier Komponenten.

Eines der vier Elemente des Lernzyklus betrifft die Herausbildung von Überzeugungen, Präferenzen und Einstellungen der Organisationsmitglieder. Eine weitere Komponente bezieht sich auf das individuelle Verhalten innerhalb der Organisation. Das individuelle Verhalten der einzelnen Mitarbeiter formt die Grundlage für das Verhalten der Organisation. In der dritten Komponente werden die Auswirkungen, die das organisationale Handeln auf das Umfeld hat, betrachtet. Im letzten der vier Elemente, analysieren und interpretieren die Individuen die Reaktion der Umwelt auf das organisationale Verhalten. Dieser letzte Schritt führt nun wieder zum ersten Schritt des Lernzyklus, also zur Herausbildung der individuellen Denkweisen zurück.

Der Lernprozess ist von dem Zusammenspiel vieler verschiedener Akteure geprägt und basiert auf Analysen und Interpretationen der einzelnen Akteure. Außerdem vollzieht er sich auf mehreren Ebenen (individuell, organisational und im Zusammenspiel mit der Umwelt). [18]

Probleme und Barrieren

Da wirkliches Lernen nur erfolgt, wenn alle vier Komponenten des Lernzyklus erfolgreich durchlaufen werden, ist es wichtig, sich mögliche Probleme und Barrieren, zu verdeutlichen.

Schon im ersten Element des Lernzyklus kann es zu Problemen kommen. Diese Probleme sind in der Diskrepanz zwischen den Einstellungen eines Einzelnen und seinem tatsächlichen Handeln verankert. Es kann einen deutlichen Unterschied zwischen dem individuellen Handeln und dem, was das Individuum tatsächlich für richtig hält, beziehungsweise, was es aus seinen bisherigen Erfahrung gelehrt hat, geben. Dieser Unterschied verzerrt schon im ersten Schritt die weiteren Handlungsmöglichkeiten. Außerdem sieht sich das Individuum in einer Organisation in einer bestimmten Rolle. Die individuelle Interpretation der eigenen Rolle schränkt den Handlungsspielraum, den die einzelnen Personen wahrnehmen, ein. Dies hat wiederum Auswirkungen darauf, in wieweit die individuellen Überzeugungen sich im tatsächlichen Verhalten niederschlagen. Dieses regelgebundene Verhalten, das wenig von den individuellen Überzeugungen geprägt ist, wird als rollenbeschränktes Erfahrungslernen betitelt.

In der zweiten Komponente kann es folgendermaßen zu Problemen kommen: Das Verhalten der einzelnen Person beeinflusst das organisationale Verhalten, indem sie sich beispielsweise an Entscheidungsprozessen beteiligt. Demnach wirkt sich schon aus, an welchen Entscheidungen der Einzelne überhaupt mitwirken kann. Des Weiteren spielen soziale Phänomene wie Macht, Loyalität, Sympathie und externe Einflussfaktoren, z.B. politische Regeln, eine zentrale Rolle. Sie beeinflussen, ob sich das individuelle Verhalten im organisationalen Verhalten niederschlägt. Wenn die sozialen oder externen Einflüsse den Handlungsrahmen des Einzelnen einschränken und das individuelle Verhalten dadurch keinen oder nur geringen Einfluss hat, wird von präorganisationalem Erfahrungslernen gesprochen.

Auch die komplexen Beziehungen zwischen Umwelt und Organisation, die in einer der vier Komponenten betrachtet werden, können zu einer Lernbarriere werden. Da die Ursache-Wirkungs-Beziehungen der Einflüsse, die die Umwelt beeinflussen mannigfaltig und komplex sind, ist es schwer zu identifizieren, welche organisationalen Handlungen welche Umweltreaktion hervorgerufen haben. Obwohl die Komplexität den Akteuren durchaus bewusst ist, werden Veränderungen in der Umwelt trotzdem oft fälschlicherweise als Reaktion auf das organisationale Handeln gedeutet. Dies geschieht obwohl die Zusammenhänge gar nicht so eindeutig zuordenbar sind. Das Umweltverhalten wird also fälschlicherweise als Reaktion auf organisationales Handeln gedeutet. Diese Fehl- bzw. Überinterpretationen, die einen erhebliche Barriere für den Lernzyklus darstellen, werden als abergläubisches Erfahrungslernen bezeichnet.

Im letzten der vier Elemente, analysiert der einzelne Akteur die Reaktion der Umwelt und stellt einen Rückbezug zum eigenen Verhalten dar. Das Individuum lernt, indem es versucht, Ursache-Wirkungsbeziehungen zu erkennen und gegebenenfalls sein Verhalten entsprechend anzupassen. Allerdings ist es, wie bereits erläutert, auf Grund der Komplexität und der Vielzahl von Einflussfaktoren schwierig, klare Kausalitäten zu identifizieren. Aus diesem Grund kann es vorkommen, dass Individuen dasselbe Ereignis unterschiedlich interpretieren beziehungsweise unterschiedliche Erklärungen dafür finden wie die Dinge in Beziehung zueinanderstehen. Passt der Einzelne dann allerdings seine Überzeugungen und Werte auf Basis einer falschen Deutung an, spricht man von mehrdeutigem Erfahrungslernen. [19]

Anwendung

Bedeutung für Change Phänomene

Die Theorie der Kultur als Sozialgrammatik hat eine wichtige Bedeutung für organisationale Wandelprozesse. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Wandel die Kultur einer Organisation betrifft. In Theorie und Praxis wird oft davon ausgegangen, dass die Organisationskultur formbar und veränderbar sei. Es wird behauptet, dass die Einführung verschiedener Maßnahmen und Instrumente beispielsweise das Gemeinschaftsgefühl stärkt oder die Motivation der Mitarbeiter steigert, was sich wiederum positiv auf die Wirtschaftlichkeit auswirken soll. Als Beispiel für Initiativen die sich positiv auf die Innovativität, also den kontinuierlichen und möglichst störungsfreien Lernprozess, einer Organisation auswirken sollen, können Matrixstrukturen, Total-Quality-Management oder betriebliches Vorschlagswesen angeführt werden. Aber auch für Change-Prozesse, die nicht offensichtlich auf die Kultur wirken, spielt die einzigartige Sozialgrammatik der jeweiligen Organisation eine wichtige Rolle. Die tiefgreifenden und fundamentalen Werte, Denkweisen und Strukturen stecken den Rahmen für mögliche Handlungsspielräume ab. Maßnahmen, die nicht mit der Sozialgrammatik im Einklang und dementsprechend nicht verträglich mit der Kombination der Basisregel-Ausprägungen sind, werden nicht zum gewünschten Erfolg führen. Die Theorie erklärt, warum erfolgsversprechende Management-Maßnahmen nicht pauschal als realisierbar zu sehen sind. Wenn ein Veränderungsprozess initiiert wird, sollten die Ziele und Instrumente jeweils vor dem Hintergrund der individuellen Sozialgrammatik der Organisation abgestimmt werden.

Fallbeispiel: Einführung des betrieblichen Vorschlagswesens zur Steigerung der Innovativität

Um die Theorie der Kultur als Sozialgrammatik zu veranschaulichen, wird im Folgenden ein Fallbeispiel erörtert. Dieses Fallbeispiel orientiert sich an der kulturellen Kerndimension des organisationalen Lernens, welche stark mit organisationaler Innovativität einhergeht. Ein Unternehmen kann erst dann innovativ und auf Dauer überlebensfähig sein, wenn der Lernzyklus möglichst störungsfrei, kontinuierlich und reziprok durchlaufen werden kann. Das Fallbeispiel soll zum einen zeigen, wie die sozialgrammatischen Ausprägungen auf den Lernzyklus wirken. Zum anderen soll demonstriert werden, dass die individuelle Konstellation der Ausprägungen eine wichtige Rolle spielt und einzelne kulturelle Prägungen nicht allein ausschlaggebend sind. Dieses Fallbeispiel zieht zudem das Instrument des betrieblichen Vorschlagswesens heran, welches verbreitet dafür eingesetzt wird, die Innovativität einer Organisation zu stärken. Durch dieses Tool sind Mitarbeiter dazu angehalten ihre eigenen Ideen und Vorschläge über ein zentrales System einzureichen. Hier wird der Punkt von Behrends aufgegriffen, dass nicht alle Management-Instrumente unbedingt erfolgreich sind, da die kulturellen Rahmenbedingungen womöglich nicht die optimalen Voraussetzungen bieten.

Um die Komplexität möglichst gering zu halten, werden im Folgenden nur vier Basisregeln herangezogen. Die Beispiel-Organisation weist die folgenden sozialgrammatischen Ausprägungen auf:

- Autoritäres Machtprinzip

- Mittelbezogenes Instrumentalitätsprinzip

- Normorientiertes Dialogprinzip

- Kollektives Interessenprinzip

Erklärung des Fallgeschehens

Die Geschäftsführung der Beispiel-Organisation, einem eher konservativ geführtes produzierendes Familienunternehmen, möchte die Innovativität steigern um konkurrenzfähig zu bleiben und und entschließt sich, ein betriebliches Vorschlagswesen einzuführen. Die Geschäftsführung erhofft sich viele gewinnbringende Ideen durch die Belegschaft zu erhalten, die sie sonst nicht erreicht hätten. Im Lernzyklus setzt das Vorschlagswesen an den individuellen Verhaltensdispositionen der einzelnen Akteure an. Im Folgenden werden die einzelnen kulturellen Ausprägungen in Hinblick auf das Durchlaufen des Lernzyklus einzeln betrachtet.

Fallbeispiel: Vorschlagswesen und Lernbarrieren im Lernzyklus (selbst erstellt, in Anlehnung an Behrends (2001))

Autoritäres Machtprinzip

Ein stark ausgeprägtes autoritäres Machtprinzip manifestiert sich u.a. in zentralisierten Führungsstrukturen, einem hohen Hierarchiegefälle, sowie strengen Vorschriften und Anweisungen für das Verhalten der Mitarbeiter. Solche Anweisungen begrenzen die individuelle Handlungsautonomie der Organisationsmitglieder, weshalb ein autoritäres Machtprinzip dazu führt, dass der erste Schritt des Lernzyklus, die Überführung der individuellen Verhaltensdisposition in das Verhalten, beeinträchtigt wird. Obwohl das Vorschlagswesen dort direkt ansetzt und suggeriert wird, dass die individuellen Ideen und Meinungen von Relevanz seien, sind die Mitarbeiter es nicht gewohnt, sich zu Themen außerhalb ihres vorgegebenen Aufgabenbereiches zu äußern. Demnach kann angenommen werden, dass einige Mitarbeiter sich trotz guter Ideen nicht in der Rolle sehen, diese Ideen einzureichen. Ein Beispiel hierfür wäre eine Mitarbeiterin des Controlling-Bereiches, die eine Idee für eine Marketingkampagne hat. Diese würde sie trotz des bereichsübergreifenden Vorschlagswesens nicht einreichen, da sie sich durch die starren Strukturen und Entscheidungswege nicht befugt fühlt, sich in Marketing-Aktivitäten einzumischen. Das autoritäre Machtprinzip fördert also rollenbeschränktes Erfahrungslernen.

In autoritären Machtsystemen werden die individuellen Meinungen und Äußerungen von Mitarbeitern oft nicht wahrgenommen, da zum Beispiel die Führungsspitze und normale Mitarbeiter durch die steil ausgeprägten Hierarchien kaum in Austausch miteinander treten. Solche Zugangsbeschränkungen werden, zumindest was die eingereichten Ideen im Vorschlagswesen angeht, durch das betriebliche Vorschlagswesen umgangen und helfen dabei, den Lernprozess reibungsloser zu gestalten.

Sollten Mitarbeiter nun gute Ideen durch das Vorschlagswesen geäußert haben, bedeutet dies in einer autoritär geführten Organisation aber noch nicht, dass diese sich im organisationalen Verhalten niederschlagen. Dies liegt zum einen darin begründet, dass Führungskräfte in autoritären Verhältnissen davor zurückschrecken, Ideen zu verfolgen, die nicht einfach zu implementieren sind und möglicherweise nicht das unmittelbare Gefallen der Mächtigen finden. Zum anderen herrscht in autoritären Strukturen oft eine enge Zielbindung. So werden Ideen, die nicht den speziellen Zielvorgaben entsprechen, eher ignoriert. Als ein Beispiel kann der Vorschlag eines Mitarbeiters gelten, die Effizienz der Verwaltung dadurch zu verbessern, die veralteten Software-Systeme und das ausufernde Formularwesen hinter sich zu lassen. Er schlägt vor, eine umfassende neue IT-Lösung zu implementieren. Dieser Vorschlag könnte allerdings auf taube Ohren unter den Entscheidungsträgern stoßen, weil durch diese Maßnahme das Arbeiten im Unternehmen mit unabsehbaren Folgen für die Hierarchie grundlegend verändern würde. Wenn die Entscheidungsträger außerdem stark an profitorientierte Abteilungsziele gebunden sind und die notwendigen Investitionen ihr Budget belasten, werden sie diesem Vorschlag mit großen Vorbehalten begegnen.

Das Verhalten der Umwelt wird von den Organisationsmitgliedern oft fehlerhaft als Reaktion auf das eigene organisationale Verhalten interpretiert, ohne das klare kausale Zusammenhänge gegeben sind. Die Komplexität der Ursache-Wirkungsketten wird vernachlässigt und es ist gut möglich, dass falsche Schlüsse daraus gezogen werden. Dies stellt die Lernbarriere des abergläubischen Erfahrungslernens dar. Angenommen, die Controlling-Mitarbeiterin hat nun doch ihre Idee zu der Marketingkampagne eingereicht und diese wurde umgesetzt. In der darauffolgenden Zeit werden vermehrt die Produkte des Unternehmens gekauft. Dieser Trend könnte von Organisationsmitgliedern beispielsweise als Reaktion auf die Marketingkampagne interpretiert werden. In Wahrheit aber mag die Marketingkampagne nur einen marginalen Einfluss gehabt haben. Andere Gründe können beispielsweise eine generell gestiegene Kaufkraft in Verbindung mit anderen, nicht vom Unternehmen gesteuerten, Einflussfaktoren gewesen sein.

Die einzelnen Akteure der Organisation haben eine individuelle und subjektive Wahrnehmung und erklären sich Umweltreaktionen nicht unbedingt alle gleich und wie eben beschrieben, nicht unbedingt realitätsgetreu. Diese individuellen Interpretationen schlagen sich nieder in den unterschiedlichen Überzeugungen der einzelnen Organisationsmitglieder und fördern somit das mehrdeutige Erfahrungslernen. Hier wäre das gerade genutzte Beispiel wieder heranzuziehen: Während die Marketingabteilung und beispielsweise die Controlling-Mitarbeiterin, die die Idee zur Marketingkampagne eingereicht hat, überzeugt sind, dass der wirtschaftliche Erfolg mit der Kampagne zusammenhängen, sehen beispielsweise die Produktdesigner die neu gestalteten Produktverpackungen als ausschlaggebenden Grund für die gestiegene Produktnachfrage. In der Beispielorganisation verstärkt besonders das starre Denken und Handeln in Abteilungen das mehrdeutige Erfahrungslernen.

Mittelbezogenes Instrumentalitätsprinzip

Durch das mittelbezogene Instrumentalitätsprinzip wird eine weitere Lernbarriere begünstigt. Wenn Ideen eingereicht werden, die zwar an sich vielversprechend sind, allerdings nicht mit den Mitteln erreicht werden können, die in der Organisation als akzeptiert gelten, finden auch diese keine Berücksichtigung im organisationalen Verhalten. Hier wird das präorganisationale Erfahrungslernen gestärkt und die Stärken des Vorschlagswesen werden nicht vollends ausgeschöpft.

Normorientiertes Dialogprinzip

Das normorientiertes Dialogprinzip sorgt in einer Organisation dafür, dass die Kommunikation unter Organisationsmitgliedern strikt an hierarchische Kommunikationswege gebunden ist. Auch die Äußerungen selbst sind bei diesem Prinzip bestimmten Normen unterlegen, sodass Meinungen nicht einfach frei untereinander ausgetauscht werden können. Zum einen führt diese sozialgrammatische Ausprägung dazu, dass die Kommunikation innerhalb des Unternehmens die autoritären Strukturen verstärkt und Meinungen nicht über informellem Wege an die Führungsspitze gelangen. Bezogen auf die Einführung des Vorschlagswesens bedeutet dies, dass Mitarbeiter eher Vorschläge einreichen, die sich stark an bestehenden Unternehmenspraktiken und -werten orientieren, da sie die vorgelebten Normen nicht verletzen möchten. Die Ideen wären dementsprechend eher inkrementell und nicht bahnbrechend neu oder kreativ für die Organisation.

Kollektives Interessenprinzip

Das kollektive Interessensprinzip setzt an den individuellen Verhaltensdispositionen der Organisationsmitglieder an. Die Überzeugungen bilden sich hier eher in Richtung des kollektiven Allgemeinwohls der Organisation. Im Gegensatz zum individualistischen Interessensprinzip wird hier nicht vorrangig darauf abgezielt, die individuellen Interessen wie Machterhaltung oder Erfolg der eigenen Abteilung ohne Blick auf das restliche organisationale Geschehen durchzusetzen. Dies bedeutet, dass zum einen eher Ideen eingehen, die kollektivistisch motiviert sind und nicht nur den eigenen Vorteil im Blick haben. Zum anderen sind die Manager in Führungspositionen eher gewillt, Entscheidungen für den kollektivistischen Erfolg zu treffen. Anreizsysteme sind beispielsweise an gesamt-organisationalen Zielen ausgerichtet und hemmen somit egoistisches Verhalten einzelner Führungspositionen oder Bereiche. Daraus folgt, dass die Entscheidungen eher mit Weitblick getroffen werden und Ideen aus dem Vorschlagswesen nach kollektivistischen und nicht nach individualistischen Kriterien ausgewählt werden.

Fazit zum Fallgeschehen

Das autoritäre Machtprinzip, das normorientierte Dialogprinzip und das mittelbezogene Instrumentalitätsprinzip verstärken sich gegenseitig indem sie Lernbarrieren für das Instrument des Vorschlagwesens schaffen. Auch wenn das Instrument des Vorschlagwesens darauf abzielt, diese Lernbarrieren zu umgehen, haben diese Lernbarrieren negative Auswirkungen auf dessen erfolgreiche Umsetzung. Allerdings wirken das kollektivistische Interessenprinzip diesen Lernbarrieren entgegen und hebt die Erfolgs-Chancen des Vorschlagswesens.

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass nicht jedes Management-Instrument in jeder Organisation zu hohem Erfolg führen muss. Außerdem zeigt dieses Beispiel, dass die individuelle Kombination der kulturellen Ausprägungen die Rahmenbedingungen des organisationalen Geschehens prägt. Die Lernbarrieren des autoritären Machtsprinzips werden beispielsweise durch kollektivistisches Handeln reguliert, jedoch durch das normorientierte Dialogprinzip und das mittelbezogene Instrumentalitätsprinzip verstärkt. Inwieweit die Lernbarrieren ausgeglichen werden und zusammenwirken, hängt von den Stärken der einzelnen Prinzipien ab, sowie den weiteren kulturellen Ausprägungen, die hier im Beispiel nicht angeführt wurden. Betrachtet man aber nur diese angeführten Prinzipien ist davon auszugehen, dass das Vorschlagswesen in dieser Organisation nicht zu der gewünschten Steigerung der Innovationskraft führen würde.

Literatur

Behrends, T. (2001). Organisationskultur und Innovativität. Eine kulturtheoretische Analyse des Zusammenhangs zwischen sozialer Handlungsgrammatik und innovativem Organisationsverhalten. Empirische Personal- und Organisationsforschung, hrsg. Von W. Weber, A. Martin, W. Nienhäuser, BD. 16. Rainer Hampp Verlag, München.

Hauschildt, J., Kirchmann, E.M.W. (1997). Arbeitsteilung im Innovationsmanagement - Zur Existenz und Effizienz von Prozesspromotoren. Zeitschrift Führung und Organisation (66). 68-74.

Martin, A. (1995). Führungsstrukturen und Entscheidungsprozesse (No. 1). Schriften aus dem Institut für Mittelstandsforschung der Universität Lüneburg.

Martin, A. (2001). Die Rolle des Führers bei der Entwicklung von Teams (No. 13). Schriften aus dem Institut für Mittelstandsforschung der Universität Lüneburg.

McCann III, J.E. (1991). Design Principles for an Innovating Company. The Academy of Management Executive (5). 76-93.

March, J.G., Olsen, J.P. (1990). Die Unsicherheit der Vergangenheit: Organisatorisches Lernen unter Ungewißheit, in: March, J.G. (Hrsg.) Entscheidung und Organisation, Wiesbaden, S. 374-398

Martin, A., Behrends, T. (1999). Die Innovative Organisation aus kulturtheoretischer Perspektive, Schriften aus dem Institut für Mittelstandsforschung, Heft 10, Lüneburg.

Schein, E.H. (1995). Unternehmenskultur. Ein Handbuch für Führungskräfte. Frankfurt/M., New York.

Weick, K.E. (1995). Sensemaking in Organizations. Thousand Oaks/London/New Delhi.

Einzelnachweise

  1. Behrends (2001)
  2. Martin, Behrends (1999)
  3. Behrends (2001)
  4. Martin, Behrends (1999)
  5. Behrends (2001)
  6. Schei (1995)
  7. Weick (1995)
  8. McCann (1991)
  9. Hauschildt, Kirchmann (1997)
  10. Martin, Behrends (1999)
  11. Behrends (2001)
  12. Behrends (2001)
  13. Behrends (2001)
  14. Behrends (2001)
  15. Behrends (2001)
  16. Martin (2001)
  17. Martin (1995)
  18. March & Olsen (1990)
  19. March & Olsen (1990)