Kontinuierlicher radikaler Wandel: Wie kleine Veränderungen zu grundlegendem Wandel führen

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Veränderungsprozesse unterscheiden sich in Hinblick auf ihre Schrittfolge und ihren Umfang. Der sogenannte kontinuierliche radikale Wandel vollzieht sich in kleinen Schritten und führt dennoch zu grundlegenden Veränderungen. Plowman et al. beschreiben diese Art von organisationalem Wandel anhand einer Fallstudie über eine amerikanische Kirchengemeinde. Zur Erklärung des Veränderungsprozesses nutzen sie die Komplexitätstheorie.[1]

Vier Typen von Wandel

Vier Typen des Wandels nach Plowman et al.

Plowman et al. konnten die im Fall der „Mission Church“ vorgefundene Art und Weise des organisationalen Wandels mit bestehenden theoretischen Überlegungen nicht zufriedenstellend erklären. Als Ausgangspunkt knüpfen Sie an Arbeiten von Greenwood und Hinings (1996) hinsichtlich des Umfangs und von Weick und Quinn (1999) in Bezug auf die Schrittfolge der Veränderung an, um den beobachteten Wandel der „Mission Church“ einzuordnen.

Der Umfang des Wandels kann demnach als entweder konvergierend oder radikal beschrieben werden. Konvergierender Wandel zeichnet sich durch kleine Anpassungen im Rahmen der bestehenden Organisation aus. Demgegenüber steht der radikale Wandel, der durch einen transformativen Charakter und Veränderungen grundlegender Eigenschaften der Organisation beschrieben wird. Die Schrittfolge des Wandels lässt sich in kontinuierlich und episodisch unterscheiden. Kontinuierliche Veränderungen erstrecken sich kleinschrittig über einen längeren Zeitraum, während episodische Veränderungen sprunghaft innerhalb kürzerer Zeit stattfinden.

Zur theoretischen Einordnung der vorgefundenen Veränderung der „Mission Church“ verbinden Plowman et al. die Typologien von Greenwood und Hinings (1996) sowie Weick und Quinn (1999) (siehe nebenstehende Abbildung) und erhalten damit vier verschiedene Typen von organisationalem Wandel, die durch jeweils eine bestimmte Kombination der Ausprägungen von Umfang und Schrittfolge charakterisiert werden.[2]

Das Untersuchungsobjekt

Chronologie der untersuchten Wandels

Die "Mission Church”, eine Kirche in einer großen amerikanischen Stadt, wird durch die Autoren in Form einer explorativen Fallstudie untersucht. Das Forschungsinteresse galt zunächst den Entscheidungsprozessen innerhalb der Kirche. Im Laufe der Untersuchung änderten sie jedoch ihr Vorhaben, da die Gegebenheiten vor Ort eine besondere Art von Veränderungsprozess offenbarten, den die bestehende Literatur nur unzureichend erklären konnte.

Die Mission Church verzeichnete eine Veränderung, die sich über den Zeitraum einer Dekade kontinuierlich erstreckte und im Ergebnis zu einer radikalen Änderung der Kirche führte. Der Grundstein hierfür wurde schon in den 70er und 80er Jahren gelegt, in denen der Kirchenvorstand insgesamt vier mal wechselte.

1995 begann der von Plowman et al. untersuchte Wandel, der von dem Wunsch einer kleinen Gruppe von Kirchenmitgliedern ausging, sonntags warme Mahlzeiten im Rahmen eines Cafés an Obdachlose auszugeben. Es folgten zahlreiche weitere Aktionen der Kirchengemeinde und Pastoren sowie ein Tageszentrum in dem Ärzte kostenlose medizinische Untersuchungen für Obdachlose anboten. Eine Chronologie findet sich im Schaubild wieder.

Theoretische Fundierung des kontinuierlichen radikalen Wandels

Um die Art der Veränderung des kontinuierlichen radikalen Wandels (Typ Vier in der Abbildung oberhalb) zu erklären, nutzen Plowman et al. die Komplexitätstheorie (vgl. Komplexes System und Komplexes adaptives System) und beschreiben komplexe Systeme wie folgt:

Teilelemente des kontinuierlichen radikalen Wandels nach Plowman et al.

In komplexen Systemen interagieren semi-autonome Akteure miteinander, deren Handeln und Verhalten auf lokalem Wissen und Regeln beruht. Es erfolgt keine zentral gesteuerte Koordination oder Kommunikation, sondern die Akteure stimmen sich parallel untereinander ab. Diese Abstimmung erfolgt in Rückkopplungsschleifen und emergenter Selbstorganisation. Dadurch ist das beobachtbare Verhalten dieser Systeme nicht-linear, d. h. es kann nicht auf Grundlage des Verhaltens der Individuen vorhergesagt und die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung nicht eindeutig identifiziert werden. Diese Eigenschaften führen zu simultanen Anpassungen der Akteure und zu nicht vorhersagbaren Veränderungen.

Der theoretische Rahmen zur Erklärung des kontinuierlichen radikalen Wandels, den Plowman et al. vorstellen, besteht aus vier Teilelementen:

  • der Sensitivität der Ausgangsbedingungen,
  • einem instabilem Zustand des Systems fern des Gleichgewichts,
  • sich gegenseitig verstärkenden Abweichungen und
  • sich ähnelnden Strukturen auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen („fraktale Muster“).[3]

Die beschriebenen Teilelemente des kontinuierlichen radikalen Wandels werden nachfolgend anhand der Komplexitätstheorie erklärt und durch das Fallbeispiel der Mission Church erläutert.

Ausgangsbedingungen

Das erste Teilelement bildet die Sensitivität der Ausgangsbedingungen von komplexen Systemen. Dies wird dadurch charakterisiert, dass kleine Veränderungen im Ausgangszustand zu grundlegenden Veränderungen zu einem späteren Zeitpunkt führen können; auf Organisationen bezogen bedeutet das, dass das System „Organisation“ aufgrund von nicht-linearen Interaktionen nicht vorhersagbar ist. Kleine Abweichungen können im Verlauf der Zeit gravierende Veränderungen hervorrufen. Ein sehr bekanntes Beispiel ist der Schmetterlingseffekt (butterfly effect), den auch Plowman et al. zur Verdeutlichung nennen.[4]

Am Beispiel der Kirche charakterisieren vier Bedingungen den Ausgang für den Wandel:

  • eine Gruppe von Jugendlichen, die die Essensausgabe initiieren
  • die Genehmigung des Pastors
  • Obdachlose in der Umgebung
  • wenige Ressourcen

Ursprünglich war die Intention der Jugendlichen im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Obdachlosen durch eine Essensausgabe zu unterstützen. Die in der Vergangenheit von der Kirche ausgeschlossenen Obdachlosen, denen die Eingangstüren versperrt blieben, sollten mit einer warmen Mahlzeit an Sonntagen versorgt werden. Die notwendige Erlaubnis des Pastors wurde durch die jugendlichen Kirchenmitglieder vor der Eröffnung ihres Cafés eingeholt, die Durchführung des Projekts fand jedoch ohne formale Einbindung in die Kirchenstrukturen statt. Die Umgebung der Kirche war durch traditionelle Hotels, Geschäfte und einen Park geprägt. Vor dem Wandel gab es vereinzelt Obdachlose in der Umgebung. Die Anzahl erhöhte sich mit dem Fortschreiten der Essensausgabe stark. Über viele Ressourcen verfügten die Jugendlichen zu Beginn nicht. Vor allem durch den Einsatz der eigenen Zeit und Essensspenden wurde die Essensausgabe ermöglicht.

Zwischen Gleich- und Ungleichgewicht

In komplexen Systemen wirken widerstrebende, gegensätzliche Kräfte, die dazu führen, dass diese einen gewissen Grad an Stabilität aufweisen, zeitgleich jedoch Neues hervorbringen können. Als Beispiel nennen Plowman et al. Organisationen, die parallel nach Innovation und Effizienz streben. Dieser Zustand bietet den „Nährboden“ für die sich verstärkenden Abweichungen und besteht, wenn die Mitglieder einer Organisation die Freiheit besitzen zu experimentieren, und die Ergebnisse von der Organisation aufgenommen werden.[5]

Dieser Zustand zwischen Gleich- und Ungleichgewicht bildet die Grundlage für Veränderungen in der Mission Church und wird durch vier Charakteristika beschrieben, die durch ihr Zusammenwirken die Spannungen innerhalb der Kirche steigerten.

  • Rückgang der Zahl an Kirchenmitgliedern | Über viele Jahrzehnte verringerte sich die Anzahl der Kirchenmitglieder der Mission Church. Die strahlende Vergangenheit, in der die Kirche eine wichtige Rolle für die Gemeinschaft spielte, wurde durch eine Ausweitung der Vororte der Stadt beendet. Frühere Kirchenmitglieder genossen die räumliche Nähe der Vorortkirchen und nutzen sie immer häufiger als Heiratsstätte. Damit befand sich die Kirche “am Rande ein Museum zu werden.” [6]
  • Veränderungen der Kirchenvorstands | Im Jahr 1995 wurde in der Mission Church bereits zwei mal der Pastor ausgetauscht. Dies führte die Kirche weiter in einen Zustand der Instabilität. Auch die Ernennung eines Pastorenehepaars stellte einen Schock für die Organisation dar. Sie führten Änderungen wie das Öffnen der Kirchentüren in der Woche ein, die eine Diskontinuität darstellten.
  • Identitätskrise | In der Vergangenheit wurde die Kirche zumeist von einer eher homogenen, als konservativ einzustufenden Gruppe besucht. Durch polarisierende Reden versuchte das Pastorenpaar die Kirche für weitere Gruppen wie beispielsweise Homosexuelle zu öffnen. Dies führte zu Austritten von zahlreichen Mitgliedern, die der alten Identität der Kirche anhingen und zu einer weiteren Destabilisierung der Gemeinde.
  • Organisationskonflikte | Der vierte Faktor, der die Kirche in die Instabilität bewegte, sind verschiedene Organisationskonflikte. Ein Beispiel ist der Ausschluss von Kirchenmitgliedern auf Grundlage ihrer Rasse, der im Jahr 1964 seinen Höhepunkt fand. Die Leiter der Kirche, unter denen sich auch ein Ku-Klux-Klan Mitglied befand, stimmten für einen Ausschluss. Nach dem Tod des Ku-Klux-Klan Mitglieds wurde eine Kapelle nach diesem benannt, welche im Zuge der Bemühungen eine Änderung der Gemeindeidentität herbeizuführen umbenannt wurde.

Verstärkung von Abweichungen

Aufbauend auf dem Zustand fern des Gleichgewichts können ursprünglich kleine Veränderungen und Abweichungen durch andere Aktionen und Ereignisse verstärkt werden. Diese sich verstärkenden Abweichungen werden durch positive Rückkoppelungen hinsichtlich der ursprünglichen Veränderungen ausgelöst. In Krisen und „Stresssituationen“ erhöht sich die Anzahl an Verbindungen zwischen einzelnen Elementen eines Systems, die zu einer weiteren Verbreitung und Verstärkung der Veränderung führen, da ursprünglich unabhängige Elemente des Systems zunehmend in gegenseitige Abhängigkeit gelangen.[7]

Die Verstärkungen von Abweichungen lassen sich im Fall der Mission Church laut den Autoren in drei Kategorien einteilen:[8]

  • Re-Strukturierung und Akquise von Ressourcen | Manche Kirchenmitglieder stellten ihr Wissen als Zahn- oder Augenarzt zur Verfügung und führten so die Idee des Obdachlosenfrühstücks weiter, was den eingeleiteten Wandel der Mission Church verstärkte. Durch diesen neuen Einsatz vorhandener Ressourcen stieg zunächst die Zahl der Obdachlosen, die die Mission Church aufsuchten. Dies generierte wiederum Aufmerksamkeit in den Medien, sodass im Laufe der Zeit neue Finanzmittel in Form von städtischen Krediten, Spendengeldern und internen Budgeterhöhungen der Kirche zur Verfügung standen. Diese wurden z. B. für Umbaumaßnahmen der Kirche hin zum Tageszentrum für Obdachlose genutzt.
Dynamische Interaktion nach Plowman et al.
  • Besondere Sprache | Von den Pastoren wurden zunehmend Wörter wie Transformation, Würde und Respekt in Predigten und Grußworten verwendet, bis sich schließlich eine Sprache der Inklusion entwickelte. Obdachlose wurden beispielsweise nicht mehr als „homeless“ sondern als „marginalized“ bezeichnet und im Tageszentrum sprach man von Kunden oder Konsumenten. Dieser Wandel der Sprache übertrug sich nach und nach auch auf die Kirchengemeinde und führte zu einer Bewusstseinsänderung, wodurch sich auch der Wandel der Mission Church weiter vollzog.
  • Symbolik | Durch bestimmte symbolhafte Aktionen hat der Wandel der Mission Church weitere Verstärkung erfahren. So fiel insbesondere der Pastor durch zwei medienwirksame Aktionen auf. Zum einen brachte er Obdachlose mit zu einem „Business-Meeting“ und zum anderen versuchte er die Verhaftung eines Obdachlosen so vehement zu verhindern, dass er selbst in Gewahrsam genommen wurde. Als weiteres Beispiel kann die o. g. Umbenennung der Kapelle genannt werden.

Alle Veränderungen dieser drei Kategorien haben auf den Wandel der Mission Church massiven Einfluss ausgeübt. Sie haben jedoch nicht nur den Wandel an sich verstärkt, sondern sich auch stetig gegenseitig beeinflusst. So sorgten z. B. symbolische Aktionen für die nötige Aufmerksamkeit, um neue Ressourcen zu akquirieren. Auch der Wandel der Sprache und die damit verbundene neue Wahrnehmung der Kirche hat Kreditgeber und Spender positiv im Sinne der Kirche bzw. des Wandels beeinflusst. Diese Dynamik der Interaktionen von kleinen Veränderungen ist damit auch Erklärungsansatz für die Kontinuität des Wandels.

Rolle von positiven und negativen Rückkoppelungen

Grundvoraussetzung für die Verstärkung von Abweichungen und deren Skalierbarkeit auf verschiedene Organisationsebenen sind positive Rückkoppelungen. Nur wenn die einzelnen Aktionen und Akteure diese erhalten, kommt es zu einer Dynamik und Ausweitung von Maßnahmen, die den Wandel weiter vorantreiben. Durch positive Rückkoppelungen kann so eine Spirale entstehen, die das System immer weiter vom Gleichgewicht entfernt. Im Fall der Mission Church stellten z. B. erhöhte Spendeneingänge oder die steigende Zahl der Kircheneintritte nach Bekanntwerden der Neuausrichtung positive Rückkoppelungen dar, die den Wandel weiter vorangetrieben haben.

Dieser Kreislauf aus Aktion und positiven Rückkoppelungen setzt sich solange fort, bis die Veränderungen auf Widerstand stoßen. Dieser äußert sich in Form von negativen Rückkoppelungen. Als Gegenpol zu den positiven Rückkoppelungen haben sie eine Art Puffer- oder Bremsfunktion und üben somit ebenfalls Einfluss auf das Ausmaß und die Dauer des Wandels aus. In der Fallstudie äußerten vor allem Hoteliers und Geschäftsleute ihren Unmut über die steigende Zahl an Obdachlosen in ihrem Viertel, aber auch innerhalb der Kirche gab es Mitglieder denen das neue Engagement ihrer Kirche zu weit ging. Negative Rückkoppelungen waren z. B. in Form von Kirchenaustritten beobachtbar. Die Phase, in der sich positive und negative Rückkoppelungen gegenüber stehen und noch kein neues Gleichgewicht erreicht wurde, wird in der Fallstudie mit Bezug auf den Komplexitätstheoretiker Stacey als „bounded instability far from equilibrium“ bezeichnet.[9] Bei der Mission Church hat sich dieser Zustand über mehrere Jahre hingezogen. Letztendlich wird irgendwann ein Punkt erreicht, in dem sich positive und negative Rückkoppelungen ausgleichen, d. h. verstärkende und bremsende Maßnahmen heben sich in ihren Wirkungen gegenseitig auf oder treten nicht mehr in entscheidender Form auf. An diesem Punkt ist ein neues Gleichgewicht erreicht.[10]

Fraktale und Skalierbarkeit

Fraktale sind definiert als sich ähnelnde Muster auf verschiedenen Betrachtungsebenen. Das Konstrukt stammt aus den Naturwissenschaften und wird verschiedentlich auch in den Sozialwissenschaften verwendet; in Bezug auf Organisationen bedeutet das, dass ähnliche Muster auf verschiedenen Organisationsebenen auftreten. Man spricht auch von einer Skalierbarkeit der Verhaltensmuster, die der Komplexität der Organisation eine gewisse Grundordnung gibt. Im Fall des Wandels der Mission Church haben die Autoren folgende, ähnliche Verhaltensmuster auf den drei unterschiedlichen Ebenen des Individuums, der Gruppe und der Organisation identifiziert:[11]

  • Verhalten auf individueller Ebene | Die Idee und Einführung des Frühstücks basiert auf dem Vorschlag einzelner Jugendlicher, die eine Veränderung in der Kirche herbeiführen wollten.
  • Verhalten auf Gruppenebene | Nachdem die Jugendlichen das Projekt begonnen hatten, brachten sich auch andere Kirchenmitglieder ein (z. B. Zahn- und Augenärzte) bis die Kirchengemeinde zunehmend als Gruppe bzw. Kollektiv handelte.
  • Verhalten auf Organisationsebene | Erst als das Projekt eine gewisse Dimension und Aufmerksamkeit erreichte, wurde es auch von der Führung der Kirche unterstützt – das Projekt und der damit einhergehende Wandel erfassten die Organisation als Ganzes.

Gemeinsames Merkmal der Verhaltensmuster auf verschiedenen Ebenen ist, dass die Aktionen stets das gleiche Ziel verfolgen, ihre Komplexität jedoch die der voran gegangenen Aktion übertrifft. Letzteres gilt auch für Aktionen auf der gleichen Organisationsebene. Als konkretes Beispiel führen Plowman et al. die Entwicklung der Sprache und Mediennutzung der Kirche an.[12] So habe der Pastor anfangs lediglich von der Kanzel gepredigt und ein Grußwort im Gemeindebrief verfasst. Im Zuge der Entwicklung des Projekts haben sich die Mediennutzung und Außendarstellung jedoch soweit professionalisiert, dass am Ende des betrachteten Zeitraums der Fallstudie 34 Zeitungsartikel über das Projekt erschienen waren und sogar eine Pressekonferenz abgehalten wurde. Der Pastor hatte in den Medien den Spitznamen „advocate of the homeless“ erhalten. Neben dem Wandel der Sprache, stellt also auch der aggressive Einsatz von Medien und die damit einhergehende öffentliche Aufmerksamkeit eine Verhaltensänderung dar, die den Wandel der Mission Church noch komplexer machte.[13]

Implikation für das Management

Welchen Einfluss der Veränderungstypus des kontinuierlichen radikalen Wandels auf die Rolle von Management und Führung hat, ist durch die Autoren nicht ausreichend geklärt. Ein häufiger Führungswechsel und damit einhergehende Konflikte und Identitätskrisen tragen dazu bei, dass ein Projekt bzw. ein Wandel überhaupt initiiert wird. Im Fall der Mission Church hat aber auch die Führung der Kirche während des Wandels enorm dazu beigetragen, dass die kleinen Veränderungen eine gewisse Dynamik entwickeln konnten und letztendlich nicht nur ein konvergierender, sondern ein radikaler Wandel stattfand. Dies wurde jedoch nicht durch strikte Vorgaben und Kontrollen sondern eher durch punktuelle Eingriffe erreicht, die den einzelnen Veränderungen einen übergeordneten Sinn gaben (siehe auch Sensemaking).

Kritische Würdigung

An empirischen Belegen für den Veränderungstypus des kontinuierlichen, radikalen Wandels führt der Artikel von Plowman et al. lediglich die eigene Fallstudie an. Gleichzeitig wird jedoch darauf hingewiesen, dass für eine fundierte Studie des radikalen Wandels bzw. zum Aufstellen einer neuen Theorie ein detaillierterer Forschungsansatz notwendig sei. Als konkretes Problem kann z. B. die fraktale Qualität der verstärkenden Abweichungen genannt werden, für die es laut den Autoren zwar Anzeichen wie z. B. Kontinuität und steigende Komplexität gebe, konkrete Belege jedoch nicht. [14] Darüber hinaus ist auch die zugrunde liegende Komplexitätstheorie selbst Ziel von Kritik. Für einige Wissenschaftler ist sie eine Modeerscheinung, für andere kommt sie einem Paradigmenwechsel gleich, der eine Vielzahl von Phänomenen, die zeitgleich durch Instabilität und Ordnung charakterisiert werden, zu erklären versucht. [15]

In Bezug auf das methodische Vorgehen üben die Autoren punktuelle Selbstkritik. So wurden Erkenntnisse aus den Interviews zwar durch Zeitungsartikel, interne Dokumente und direkte Beobachtung bekräftigt, eine gewisse Besorgnis über Vorurteile bzw. eine verzerrte Wahrnehmung und Wiedergabe bleibe jedoch wie bei jedem anderen qualitativen Forschungsansatz.

Insgesamt ist die Fallstudie der Mission Church und die damit begründete Theorie eines neuen Veränderungstypus‘ als Anregung für weitere Forschung und Untersuchungen des kontinuierlichen radikalen Wandels zu verstehen. Insbesondere die hohe Sensitivität von Ausgangsbedingungen und Kontext sowie die Interaktion verschiedenster Faktoren stellen ein Problem dar, das noch viele Fragen aufwirft. Beispielhaft können hier die Rolle der Führung, der Kontextfaktoren bzw. –konfiguration oder der Einfluss einzelner verstärkender Abweichungen genannt werden.

Quellen

Greenwood, R. and Hinings, C. R., 1996, Understanding Radical Organizational Change: Bringing together the Old and the New Institutionalism, The Academy of Management Review, Vol. 21, No. 4, pp. 1022-1054.

Manson, S. M., 2001: Simplifying complexity: a review of complexity theory, Geoforum, Vol. 32, No. 3, pp. 405-414.

Plowman, D. A., Baker, L. T., Beck, T. E., Kulkarni, M., Solansky, S. T. and Villarreal Travis, D., 2007 Radical Change Accidentally: The Emergence and Amplification of Small Change , The Academy of Management Journal, Vol. 50, No. 3, pp. 515-543.

Stacey, R., 1995, The science of complexity: An alternative perspective for strategic change processes, Strategic Management Journal, Vol. 16, No. 6, pp. 477-495.

Weick, K. E. and Quinn, R. E., 1999, Organizational change and development RE Annual Review of Psychology, Vol. 50, pp. 361-386.

Einzelnachweise

  1. Plowman et al. 2007, pp. 515-543.
  2. ibid. p. 517.
  3. ibid. pp. 519-521.
  4. ibid. pp. 519-520.
  5. ibid. p. 520.
  6. ibid. p. 527.
  7. ibid. p. 520.
  8. ibid. pp. 530-536.
  9. Stacey, 1995, pp. 477-495.
  10. Plowman et al. 2007, p. 536.
  11. ibid. pp. 520-521.
  12. ibid. pp. 535-536.
  13. ibid. p. 536.
  14. Plowman et al. 2007, pp. 536-540.
  15. Manson 2001