Karrierismus

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Der eher negativ konnotierte Begriff des Karrierismus wird im Duden als „rücksichtsloses Streben nach Erfolg im Beruf“ bzw. „nach einer schnellen Karriere“[1] definiert. Hierbei steht die Beschreibung „rücksichtslos“ im Fokus, die für Karrierismus bezeichnend ist, da ein Karrierist auf seinen eigenen Aufstieg bedacht ist, ohne dabei auf andere zu achten, die möglicherweise durch sein Vorgehen Schaden nehmen könnten.

Begriff

Bedeutung

Der auf diesem Gebiet häufig zitierte Forscher Daniel C. Feldman definiert den „Neuen Karrierismus“ als „Neigung, Karrierefortschritt mit nicht-leistungsbasierten Mitteln zu verfolgen“.[2]

Die Forscher Bratton und Kacmar erweitern Feldmans „Neuen Karrierismus“ zum „Extremen Karrierismus“ als „Neigung, Karrierefortschritt, Macht oder Prestige anzustreben mittels irgendeiner positiven oder negativen nicht-leistungsbasierten Aktivität, die als notwendig angesehen wird“.[3] Die Unterscheidung basiert auf den differenzierten Verhaltenstechniken, die ein Karrierist anwendet, um sein Karriereziel zu erreichen. Bratton und Kacmar behaupten, dass sich der „Extreme Karrierismus“ hauptsächlich negativer Techniken des Impressionsmanagements bedient wie z.B. Schuldzuweisungen und Diskreditierung, um denjenigen zum Eigennutz zu manipulieren, der den eigenen Karrierefortschritt positiv beeinflussen könnte. Positive Verhaltenstechniken wie z.B. ausgeprägte Bescheidenheit kommen im „Extremen Karrierismus“ hingegen kaum zum Einsatz.

Ähnliche Begriffe

Es gibt einige Begriffe, die immer wieder im Zusammenhang mit Karrierismus genannt werden, welche aber dennoch vom Karrierismus abgegrenzt werden müssen.

Einer dieser Begriffe ist das Impressionsmanagement. Schlenker (1980) definiert dies als „Prozess, durch den Individuen Informationen über sich selbst manipulieren, sodass andere sie so wahrnehmen, wie sie wahrgenommen werden wollen“.[4] Im Fokus des Impressionsmanagements steht die Manipulation des eigenen Persönlichkeitsbildes durch entsprechende Selbstdarstellung. Sowohl Feldman (1988) als auch Bratton und Kacmar (2004) betrachten das Impressionsmanagement als eine von mehreren Verhaltenstechniken des Karrierismus.

Auch der Opportunismus steht in Verbindung mit Karrierismus als eine Art Einstellung, die typisch für einen Karrieristen ist. Der Duden versteht darunter die „allzu bereitwillige Anpassung an die jeweilige Lage aus Nützlichkeitserwägung“.[5] Hierbei stehen die Nützlichkeit einer Person, eines Sachverhaltes oder einer Situation im Vordergrund. Um diese jeweils für sich zu instrumentalisieren, ist der Opportunist bereit, sich anzupassen und ggf. eigene Prinzipien zu vernachlässigen.

Darüber hinaus beschreibt der eher umgangssprachlich gebräuchliche Begriff der Ellenbogengesellschaft eine Art von Gesellschaft, die eine wesentliche Eigenschaft mit einem Karrieristen gemeinsam hat. Die Ellenbogengesellschaft wird nämlich dadurch charakterisiert, dass sich das einzelne Gesellschaftsmitglied „rücksichtslos durchzusetzen [und] die anderen beiseite zu drängen sucht“.[6]

Veranschaulichung

Ein typischer Karrierist mag in einem großen Konzern oder in einer mächtigen Kanzlei tätig sein und nach mehr Geld, Anerkennung und Erfolg streben. Allerdings findet sich Karrierismus nicht nur in wirtschaftlichen oder juristischen Bereichen wieder:

  • Im Militär streben Karrieristen meist nach einem höheren Rang, um die Vorteile zu erlangen, die mit einem höheren Status verbunden sind. Dabei geht es vorwiegend jedoch nicht darum, welche Aufgaben und Verantwortung man mit dem höheren Rang übernimmt, sondern lediglich um die bestimmte Position und ihre Vorteile.[7]
  • Politik. Petracca benennt Karrierismus als „Fluch einer wahren Demokratie“[8], weil durch karrieristische Arbeitsorientierung manche Politiker an die Macht kommen, ohne tatsächlich zum Wohl des Volkes beitragen zu wollen, sondern lediglich um von der Position zu profitieren.
  • Im akademischen Bereich macht sich Karrierismus z.B. durch manipulierte Forschungsergebnisse und Publikationen bemerkbar. Im Streben nach höherem akademischem Titel vernachlässigen Karrieristen somit die Gütekriterien valider Forschung. So betont z.B. Sandra Richter, dass hinter dem Wunsch Professor zu werden, heutzutage entweder das Verlangen nach dem Titel oder purer Idealismus stecke. Während Professoren früher ihren „intellektuellen Leidenschaften“ mithilfe der Forschung nachgehen konnten und hohes Ansehen aufgrund ihrer Leistungen genießen durften, sind sie heutzutage zu „akademischen Dienstleistern“ geworden, denen es an Zeit, Geld und akademischer Freiheit fehlt.[9] Trotzdem mag dieser Beruf einem Karrieristen durch verbliebene Vorteile wie z.B. den Beamtenstatus attraktiv erscheinen.
  • Benedikt XVI definierte Karrierismus in der Kirche als „Versuch, nach oben zu kommen, sich durch die Kirche eine Stellung zu verschaffen“.[10] Diese Problematik wurde auch in einer Predigt von Kardinal Caffarra erwähnt; dabei benannte er Karrierismus als „größtes Übel der Kirche“.[11] Zugunsten einer höheren Position werden durch karrieristische Orientierung moralische Normen und christliche Tugenden vernachlässigt, was der biblischen Lehre widerspricht.

Empirie

Verbreitung

Bei der Betrachtung der empirischen Verbreitung von Karrierismus wird deutlich, dass das Phänomen defizitär erforscht ist. So können zwar einige Studien identifiziert werden, allerdings wird das breite Spektrum an potenziellen Forschungsvorhaben nicht ausgeschöpft. Die empirische Verbreitung des Begriffs Karriere kann jedoch als Basis für zukünftige Forschung genutzt werden, um sich kollaborativ mit empirischen Herausforderungen, wie z.B. dem sozial erwünschten Verhalten, auseinanderzusetzen. Hierzu sind folgende Schwerpunkte in dem Forschungsfeld zu benennen:

  • Kontext. Borghans und Golsteyn haben herausgefunden, dass Job-Mobilität in den USA stärker ausgeprägt ist als in Deutschland.[12] Moderne Karrieremodelle mit flexiblen Karrieremustern und hoher Mobilität können nicht so einfach auf die deutsche Realität übertragen werden. Das liegt in erster Linie an der deutschen Tendenz zu erhöhter Unsicherheitsvermeidung, die nach G. Hofstede für die deutsche Kultur typisch ist. In diesem Zusammenhang könnte z.B. untersucht werden, welche Rolle der Kulturkontext im weiteren Sinne, und im engeren Sinne die Unternehmenskultur, bei der Entwicklung von karrieristischer Arbeitsorientierung spielen.
  • Modelle. In diesem Bereich stellt sich die Frage, welche Karrieremodelle eine Entwicklung karrieristischer Arbeitsorientierung begünstigen und welche sie verhindern. So gehen z.B. klassische Karrieremodelle von einer linearen Karriereentwicklung aus, die als „eine logische Folge von hierarchischen Aufstiegen bzw. der Zuweisung neuer, umfassender Aufgabenfelder“[13] definiert wird. Hybride Karrieremodelle umfassen alle Karrieremodelle, „bei denen Arbeitnehmer nicht mehr an schematische Karrierewege und -planungen gebunden sind, sondern […] immer wieder wechselnde Verantwortungen übernehmen“.[14]
  • Persönlichkeitsmerkmale. Auf der individuellen Ebene können bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften als Ursache für den Einsatz negativer Impressionsmanagement-Techniken untersucht werden.
  • Gender. In ihrer Studie analysierte Ibáñez Barrieren, auf die Frauen bei ihrer Karrierelaufbahn in der Bauindustrie stoßen. So kam sie z.B. zu der Schlussfolgerung, dass Frauen die Legitimität als Nachfolgerin bei Übernahme einer leitenden Position im Familienunternehmen schwerer erlangen als Männer.[15] In diesem Kontext stellt sich die Frage, inwiefern die Ausprägung einer karrieristischen Arbeitsorientierung durch das Geschlecht bestimmt wird, und mit welchen externen Faktoren (z.B. ein bestimmtes Berufsbild) sie korreliert.
  • Karrieretechniken. Besonderes Interesse wecken verschiedene Karrieretechniken, die u.a. in Ratgebern wie „Die heimlichen Spielregeln der Karriere“, „Geheime Tricks für mehr Gehalt“ oder „Karriere: Erfolg ist kein Zufall“ festgehalten sind. Im Rahmen einer empirischen Untersuchung kann z.B. der Einsatz solcher Impressionsmanagement-Techniken und seine Auswirkung auf die Karriereentwicklung untersucht werden.

Determinanten

Feldman & Weitz (1991)

Feldman und Weitz erklären die karrieristische Arbeitsorientierung anhand von sieben Überzeugungen, die für einen Karrieristen charakteristisch seien[16]:

  1. Die Leistung allein reicht nicht aus, um aufzusteigen.
  2. Das Instrumentalisieren von sozialen Netzwerken kann beim Aufstieg helfen.
  3. Es ist wichtig, erfolgreich auszusehen. Hierzu wird Impressionsmanagement genutzt.
  4. Politisches Verhalten oder sogar Täuschungsverhalten sind im organisatorischen Kontext wichtig.
  5. Langfristig sind die Unternehmensziele mit den persönlichen Zielen des Karrieristen nicht vereinbar, sodass jeder sich selbst der Nächste ist.
  6. Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber wird selten belohnt.
  7. Um aufzusteigen sind manchmal bestimmte Aktivitäten nötig, die mehr das persönliche Interesse als das des Unternehmens begünstigen.

In der empirischen Studie untersuchten die Forscher, inwiefern die von den Überzeugungen gekennzeichnete karrieristische Arbeitsorientierung mit Arbeitseinstellung, Wunsch nach Mobilität und tatsächlicher Arbeitsmobilität korreliert.

Chiaburu et al. (2013)

Chiaburu et al. suchten in ihrer Studie von 2013 nach persönlichen Neigungen und Überzeugungen als Anzeichen bzw. Treibern für Karrierismus. Sie wollten herausfinden, was zu karrieristischem Verhalten führt. Da für sie, genau wie für Feldman, Karrierismus kein Verhaltensset, sondern eine Einstellung ist, untersuchten sie als mögliche Ursachen Psychopathie, Austausch-Ideologie und das Fünf-Faktoren-Modell (FFM). Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass die in diesem Modell beschriebenen Persönlichkeitseigenschaften Arbeitsergebnisse bzw. Leistung vorhersagen und beeinflussen.[17] Sie lauten Extraversion, Einverständnis, Pflichtgefühl, emotionale Stabilität und Offenheit.[18] Da die Leistung beim Karrierismus nicht im Vordergrund steht, nahmen Chiaburu et al. jedoch an, dass diese fünf Faktoren Karrierismus kaum beeinflussen.

Als weiterer Treiber wurde die primäre Psychopathie betrachtet.[19] Darunter versteht man die strategische, vorsätzlich geplante Version der Psychopathie. Sie ist abzugrenzen von der in dieser Studie nicht untersuchten sekundären bzw. neurotischen Psychopathie, die für Hitzigkeit und schnelle Erregbarkeit bekannt ist und eine Person beschreibt, sie sich schlecht an soziale Normen halten kann. Da sich ein derartiger Charakter bei Kollegen und Vorgesetzen tendenziell unbeliebt macht, ist diese Variante der Psychopathie für Karrierismus zu vernachlässigen. Die von Chiaburu et al. untersuchte primäre Psychopathie hingegen äußert sich durch ausgeprägten Egoismus, generelle Unehrlichkeit, manipulative Handlungen, einen Mangel an Empathie und Schuldgefühl.[20] Auch Täuschungsmittel werden angewendet.[21]

Als dritten möglichen Treiber untersuchten Chiaburu et al. die Austausch-Ideologie. Sie beschreibt wie stark ein Mitarbeiter davon überzeugt ist, dass sein Arbeitseinsatz von der Behandlung im bzw. von der Belohnung durch das Unternehmen abhängig ist.[22] Bei einer ausgeprägten Austausch-Ideologie werden in sozialen Beziehungen Gegengeschäfte erwartet.[23] Diese Einstellung passt zum Bild des Karrieristen, welches Feldman und Weitz (1991) zeichnen, der im Austausch zu seiner Leistung ebenfalls eine angemessene Belohnung erwartet.[24]

Wirkungen

Feldman & Weitz (1991)

Zunächst entwickelten Feldman und Weitz ein theoretisches Modell und prüften es anschließend empirisch anhand einer Befragung von 227 Wirtschaftsschulabsolventen. Dabei wurde ein Fragebogen mit 53 Aussagen entwickelt, die sich direkt und indirekt auf die sieben Merkmale karrieristischer Arbeitsorientierung beziehen, z.B. „Wenn man eine gute Arbeit leistet, wird man befördert“, „Der Schlüssel zum Erfolg ist wen man kennt und nicht was man weiß“ und „Man kann dem Chef gegenüber nicht 100% ehrlich sein“. Die Befragten mussten die Aussagen auf der Skala von eins (stimme überhaupt nicht zu) bis fünf (stimme völlig zu) bewerten.

Gemäß Feldman und Weitz korreliert die karrieristische Arbeitsorientierung mit den drei Variablengruppen Arbeitseinstellung, Wunsch nach Mobilität und tatsächliche Arbeitsmobilität wie folgt:

  1. Es gibt mehrere Gründe, warum Mitarbeiter mit einer karrieristischen Arbeitsorientierung eine eher negative Arbeitseinstellung entwickeln. So können sie z.B. mit der aktuellen Arbeitssituation unzufrieden sein, weil ihre potentielle Beförderung durch etwas verhindert wird. Außerdem weisen sie einen eher niedrigeren Grad an Motivation auf, weil sie sich in dem Fall auf die nicht-leistungsbezogene Techniken wie z.B. Netzwerken verlassen. Dadurch, dass Karrieristen einen aktuellen Job als temporär betrachten, wirken sie nicht besonders aktiv mit und binden sich nicht an das Unternehmen.
  2. Der Wunsch nach Mobilität kann durch mehrere Gründe erklärt werden. Einem Karrieristen ist z.B. wichtig, die öffentliche Bewertung seiner Arbeit zu vermeiden. Er tendiert eher dazu, den Job zu wechseln, bevor seinen Vorgesetzten und Kollegen klar wird, was sich hinter der Fassade eigentlich verbirgt. Außerdem sind Menschen mit einer karrieristischen Arbeitsorientierung sehr sensibel gegenüber negativen Ereignissen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie entscheiden sich lieber zu gehen, statt sich Problemen zu stellen. Laut der Studie korreliert die karrieristische Arbeitsorientierung mit dem Wunsch nach Aufstieg stärker als mit der Neigung zum Jobwechsel. Allerdings sind beide Korrelationen signifikant.
  3. Bezogen auf die tatsächliche Mobilität lässt sich feststellen, dass die karrieristische Arbeitsorientierung signifikant mit der Zahl der Beförderungen verbunden ist; die weiteren zwei Variablen (Unternehmenswechsel pro Jahr und Gehalt) weisen allerdings keine signifikante Verbindung auf. Deswegen schlussfolgern Feldman und Weitz, dass Gehalt eine leistungsbasierte Variable ist und eine Gehaltserhöhung ausschließlich mithilfe gezielten Netzwerkens zu erreichen, eher unwahrscheinlich ist. In dem Kontext spielt der Jahrgang von Absolventen (und folglich die Berufserfahrung) eine wichtigere Rolle.

Chiaburu et al. (2013)

Ihre wissenschaftliche Erhebung führten Chiaburu et al. an einer großen Universität im Süden der USA durch. Sie befragten 131 Bachelor-Studierende (Durchschnittsalter 19,54 Jahre) mithilfe eines Fragebogens zu den Einflusswerten und Kriterien primäre Psychopathie, die fünf Faktoren des FFM, Austausch-Ideologie und Karrierismus. Dabei beantworteten die Studierenden anhand einer 7-Punkte-Likert-Skala, ob sie den jeweiligen Aussagen zustimmen oder ihnen widersprechen.[25]

Chiaburu et al. fanden heraus, dass emotionale Stabilität als einziger Faktor des FFM mit Karrierismus korreliert. Ihre Umfrage ergab, dass eine emotional sehr stabile Person weniger karrieristisch geprägt ist.[26] Emotionale Stabilität steht für einen ruhigen, geduldigen, entspannten Charakter, der weniger anfällig ist für impulsive, negative Gefühle. Emotionale Stabilität korreliert z.B. positiv mit Arbeitszufriedenheit und negativ mit Kündigungsintention. Einer negativen Grundstimmung, also einer emotionalen Instabilität, folgt eher die Entscheidung einer Kündigung. Darüber hinaus wird eine geringe emotionale Stabilität eher mit antisozialem Verhalten assoziiert.[27] Das Ergebnis der Studie von Chiaburu et al. deckt sich mit bisherigen Forschungserkenntnissen.

Des Weiteren fanden die Forscher jeweils positive Korrelationen zwischen den beiden Treibern primäre Psychopathie und Austausch-Ideologie mit Karrierismus. Das bedeutet, eine Person mit stark ausgeprägter primärer Psychopathie und Austausch-Ideologie, neigt dazu, karrieristisch eingestellt zu sein.[28] Festzuhalten ist, dass Einstellungen wie primäre Psychopathie und Austausch-Ideologie Treiber für Karrierismus sein können, emotionale Stabilität jedoch nicht.

Theorie

Extremer Karrierismus

Aussagen

Abbildung 1: Extremer Karrierismus nach Bratton und Kacmar (2004)

Das Konzept des „Extremen Karrierismus“ von Bratton und Kacmar fokussiert sich auf zwei Arten von Bedingungen, welche die Anwendung von negativen Verhaltenstechniken im Impressionsmanagement begünstigen können. Es wird unterschieden zwischen den kontextabhängigen Variablen, die beschreiben, wann Menschen diese negativen Verhaltenstechniken benutzen, und den individuellen Variablen, die sich mit den Gründen für die Anwendung beschäftigen.

Folgende kontextabhängigen Variablen können z.B. den Gebrauch von negativen Verhaltenstechniken fördern:

  • Mehrdeutigkeit und Unsicherheit z.B. in Bezug auf die an Arbeitnehmer gestellten Erwartungen oder in Bezug auf den Leistungsvergleich unter Kollegen;
  • Individuelle Zurechenbarkeit und Verantwortlichkeit für Arbeitsergebnisse und Leistungen;
  • Art der Resultate im Sinne ihrer Bewertung.[29]

Bei den individuellen Variablen handelt es sich um persönliche Eigenschaften, welche die Neigung zu negativem Impressionsmanagement-Verhalten erhöhen (siehe Abb. 1).

Wenn diese kontextabhängigen und individuellen Bedingungen eintreten, erhöht sich laut Bratton und Kacmar die Wahrscheinlichkeit, dass negative Impressionsmanagement-Verhaltenstechniken angewandt werden wie z.B. Schuldzuweisungen, das Ernten fremder Lorbeeren, Diskreditierung, Einschüchterung und das Abgeben von Negativprognosen. Aus diesen negativen Verhaltenstechniken ergeben sich laut Bratton und Kacmar positive und negative Resultate auf der Individual-, der Gruppen- und der Organisationsebene.[30] Auf der Individualebene wird die einzelne Person betrachtet: der Karrierist als Akteur sowie der Empfänger, gegen den die Verhaltenstechnik gerichtet wird. Für den Karrieristen kann sein Verhalten z.B. auf positive Weise in der angestrebten Beförderung resultieren oder er schadet seinem Ansehen in hohem Maße bei zu häufiger Anwendung. Derjenige, gegen den der Karrierist die negative Verhaltenstechnik ausübt, leidet ggf. psychisch unter der Aktion selbst oder weil ihm z.B. die zustehende Belohnung verwehrt wird. Während zur Gruppenebene beispielsweise ein Team oder eine Arbeitsgruppe zählt, umfasst die Organisationsebene das gesamte Unternehmen, in dem ein Karrierist tätig ist. Sind in einem Team oder einem Unternehmen die regelmäßige Anwendung negativer Verhaltenstechniken üblich, erfüllt der Karrierist die Erwartungen auf der Gruppen- bzw. der Organisationsebene und erzielt mit der Anwendung hier ein positives Resultat. Eine ungerechtfertigte Beförderung eines Karrieristen auf Basis angewandter negativer Verhaltenstechniken führt hingegen womöglich dazu, dass er als ungeeigneter und unqualifizierter Mitarbeiter eine Führungsposition besetzt. Dies kann z.B. das allgemeine Leistungsniveau des Teams auf der Gruppenebene oder des gesamten Unternehmens auf der Organisationsebene senken. Insgesamt werden die negativen, meist eher langfristigen Resultate die positiven, kurzfristigen Ergebnisse überwiegen, die aus den negativen Verhaltenstechniken hervorgehen. Darüber hinaus beeinflussen diese positiven oder negativen Resultate wiederum die kontextabhängigen Variablen, indem sie eine Situation und damit eine Art Vorerfahrung darstellen, welche die Anwendung negativer Verhaltenstechniken entsprechend begünstigt.[31]

Mechanismus

Der Mechanismus des Extremen Karrierismus nach Bratton und Kacmar ist ein Zusammenspiel aus den Bedingungen des Organisationskontexts (die kontextabhängigen Variablen) und den Persönlichkeitsmerkmalen (die individuellen Variablen) sowie der Vorerfahrung (die Resultate). Treffen diese Bedingungen in Kombination aufeinander, steigt die Tendenz einer Person, negatives Impressionsmanagement-Verhalten für den eigenen Fortschritt zu nutzen und anzuwenden. Diese Einflussfaktoren begünstigen somit die Anwendung eines solchen Verhaltens.[32]

Beispielsweise stelle man sich den Kontext vor, dass ein Kollege eines Karrieristen einen neuen Kunden akquiriert und damit ein sehr gutes Ergebnis für das Unternehmen erzielt. Der Karrieristen kann sich dieses Ergebnis jedoch nicht zurechnen lassen, was ihn ärgert, da er hohe Karriereambitionen hat und seinen schnellen Aufstieg zielstrebig verfolgt. Auf diese Weise treffen die kontextabhängige und individuelle Variable aufeinander. Da der Karrierist sich für seine Aufstiegschancen gut positionieren will und seinen erfolgreichen Kollegen als Konkurrenz für die nächste Beförderung betrachtet, ist es sehr wahrscheinlich, dass er negative Verhaltenstechniken anwendet, um seine Position im Vergleich zum Konkurrenten zu verbessern. Beispielweise könnte er ihn beim gemeinsamen Vorgesetzten diskreditieren, in dem er sich über ihn beschwert oder dessen positives Ergebnis in Abrede stellt. Möglicherweise erzielt er damit auf der Individualebene das für sich positive Resultat der eigenen Beförderung. Sein Kollege geht dann folglich leer aus – ein negatives Individualresultat für ihn. Auf der Organisationsebene bedeutet das jedoch eine negative Konsequenz für das Unternehmen, da der schlechter qualifizierte Mitarbeiter befördert wird, was ggf. zu Missstimmung unter den Kollegen führt und die Leistung des Unternehmens negativ beeinflussen kann. Diese Resultate haben einen Einfluss auf die jeweils betroffenen Personen, die aus den gemachten Erfahrungen ihre Schlüsse ziehen. Für den Karrieristen ergibt sich der neue Kontext, dass sein Handeln erfolgreich war, sodass er dazu neigt, eine derartige Technik erneut anzuwenden. Sein übergangener Konkurrent hingegen wird sich ggf. dafür rächen wollen, sodass er möglicherweise dazu tendiert, ebenfalls gewisse negative Verhaltenstechniken anzuwenden. Ähnliches kann für die übrigen Kollegen gelten. Man kann zusammenfassend sagen, je mehr von diesen Bedingungen zusammenkommen, desto wahrscheinlicher wird die Anwendung negativen Impressionsmanagement-Verhaltens. Interessant wäre zu wissen, ob es hier eine Art Schwellenwert gibt. Dies wurde bislang jedoch noch nicht untersucht.

Bratton und Kacmar betrachten in ihrem Modell nicht den äußerlichen Kontext wie Normen einer Gesellschaft, einer Kultur, das soziale Umfeld und Politik. Es gilt ebenfalls zu beachten, ob negative Verhaltenstechniken in einigen Gesellschaften eventuell sogar akzeptiert werden. Man kann vermuten, dass die Hemmschwelle, derartige Techniken anzuwenden, sicher niedriger liegt, wenn eine grundsätzliche gesellschaftliche Akzeptanz vorliegt.

Alternative Theorien

Marketing-Orientierung von E. Fromm

Erich Fromm, ein Vertreter der Kritischen Theorie, beschreibt in seinem Buch „Haben oder Sein“[33] verschiedene Charakterorientierungen: autoritäre, nekrophile und narzisstische Charakterorientierung, Marketing-Orientierung, produktive und unproduktive Orientierung. Dabei schreibt er der Marketing-Orientierung folgende Eigenschaften zu:

  • Abhängigkeit des Menschen von äußeren Umständen
  • Das Streben nach Erfolg
  • Instrumentalisierung von grundlegenden menschlichen Eigenschaften wie Höflichkeit, Freundlichkeit und Güte
  • Vorteilhaftes Präsentieren von sich selbst
  • Zerstörung der Individualität

Bei der Betrachtung dieser Eigenschaften wird deutlich, dass sie allesamt mit Karrierismus in Verbindung stehen. So muss sich z.B. ein Karrierist an die Bedingungen des Marktes anpassen, um seinen Verkaufswert zu steigern: er hat erst dann Erfolg, wenn er sich gewinnbringend verkauft. Dabei wird man lediglich auf den eigenen Marktwert reduziert und die Individualität wird zu einem unnötigen Ballast. Die Marketing-Orientierung kommt z.B. bei der Gestaltung der Bewerbungsbilder zum Ausdruck. Bewerber reduzieren die eigene Persönlichkeit auf die Anforderungen des Personalmarktes, um ihre Erfolgschancen für eine Anstellung zu erhöhen. Anstatt ihre eigentliche Einzigartigkeit zu präsentieren, erscheinen sie auf den Bildern ähnlich gekleidet wie andere Bewerber und in einer standardisierten Pose.

Impressionsmanagement von E. Goffman

In seinem Buch „Wir alle spielen Theater“[34] setzt Erving Goffman menschliches Sozialverhalten in enge Beziehung zur Schein- und Rollenwelt des Theaters. Er geht davon aus, dass Personen in sozialen Interaktionen zuerst Informationen über ihren Interaktionspartner analysieren (z.B. Kleidung, Statussymbole), um sich dann ein Urteil zu bilden. Dieses hängt wiederum stark von eigenen Einstellungen, Gefühlen und Bilderwelten ab. Durch die Anwendung von Impressionsmanagement-Techniken versucht man die Kontrolle über die eigene Erscheinung zu erlangen und sie zu manipulieren, indem man sie ausschließlich auf positive Wirkung ausrichtet.

So untersuchte Goffman ein Empfangsritual in einer Kleinpächtergemeinschaft, wo Gastgeber einem Besucher häufig ein Glas Schnaps, ein Glas Wein oder eine Tasse Tee anboten. Entscheidend für die Wahl des Getränks waren dabei der Rang des Gastes (je höher, desto stärker der angebotene Alkohol) und die gegebenen Umstände des Besuchs. Der Gastgeber musste also den Status eines Gastes richtig einschätzen und ihn mit dem jeweilig passenden Getränk hervorheben. Damit sollte er die Wichtigkeit des Gastes zur Schau stellen.

Kritische Würdigung

Karrierismus ist kein Verhaltensset, sondern eine persönliche Einstellung und Überzeugung, die unter bestimmten Bedingungen zu negativen Impressionsmanagement-Verhaltenstechniken führen kann. Der Begriff Karrierismus ist hauptsächlich negativ konnotiert. Für eine differenzierte Betrachtung dieses Phänomens dürfen die positiven Seiten jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Karrieristen sind sehr auf ihren Aufstieg fokussiert und setzen sich überdurchschnittlich stark dafür ein. Es muss festgehalten werden, dass der Ehrgeiz, etwas erreichen zu wollen, grundsätzlich nicht negativ ist. Kritisch zu betrachten hingegen sind unter Umständen die Mittel, mit denen dies erreicht wird.[35] Auch eine kritische Selbstanalyse und Reflexion des eigenen Könnens und Verhaltens ist eine positive und relevante Fähigkeit.[36] Sie ist nötig, um aus den Ergebnissen des eigenen Verhaltens bzw. der Reaktion anderer Schlüsse ziehen und lernen zu können. Entscheidend ist jedoch, welche Schlüsse gezogen werden, in welcher Form das Verhalten daraufhin angepasst und welches Ziel damit angestrebt wird.

McCall and Lombardo (1983) untersuchten Fehler und Merkmale gescheiterter Führungskräfte. Einige dieser Merkmale lassen sich als negatives Impressionsmanagement klassifizieren: unsensibles Verhalten anderen gegenüber in Form von Aggression, Schikanierung und Einschüchterung, ein kalter, unnahbarer und arroganter Charakter, übertriebener Ehrgeiz, sodass politische Spiele gespielt werden und der Fokus immerzu auf der Position liegt, die als nächstes angestrebt wird, sowie eine besonders ausgeprägte Abhängigkeit von einem Führsprecher oder Mentor.[37] Interessanterweise fand man heraus, dass auch erfolgreiche Führungskräfte einige dieser Merkmale aufweisen, jedoch nicht in der Häufigkeit wie ihre gescheiterten Kollegen.[38] Dies lässt den Gedanken zu, dass Karrieristen bis zu einem gewissen Grad erfolgreich sind mit ihrem Verhalten. Übertreiben sie es jedoch, scheitern sie womöglich letzten Endes doch an ihrer eigenen Taktik.

Literatur

Ashton, M.C., Lee, K. (2001). A theoretical basis for the major dimensions of personality, In: European Journal of Personality, 15 (5), 327-353.

Barrick, M.R., Mount, M.K., Judge, T.A. (2001). Personality and performance at the beginning of the new millennium: What do we know and where do we go next?, In: International Journal of Selection and Assessment, 9, 9-30.

Blau, P.M. (1964). Exchange and power in social life, New York: Wiley.

Borghans, L., Golsteyn, B.HH. (2012). Job Mobility in Europe, Japan and the United States. In: British Journal of Industrial Relations, 50 (3), 436-456.

Chiaburu, D.S., Muñoz, G.J., Gardner, R.G. (2013). How to Spot a Careerist Early On: Psychopathy and Exchange Ideology as Predictors of Careerism, In: Journal of Business Ethics, 118 (3), 473-486.

Eisenberg R., Huntington, R., Hutchison, S., Sowa, D. (1986). Perceived organizational support, In: Journal of Applied Psychology, 71, 500-507.

Fallows, J.M. (1981). National defense, New York: Random House.

Feldman, D.C. (1985). The new careerism: Origins, tenets, and consequences. In: The Industrial Psychologist, 22, 39-44.

Feldman, D.C. (1988). Managing careers in organizations. Glenview, IL: Scott Foresman.

Feldman, D.C., Weitz, B.A. (1991). From the Invisible Hand to the Gladhand: Understanding a Careerist Orientation to Work. In: Human Resource Management (1986-1998), Summer 1991, 30 (2), 237-257.

Fromm, E. (1976). Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Stuttgart: Dt. Taschenbuch Verlag.

Goffman, E. (1959). The presentation of self in everyday life, Garden City, New York: Doubleday.

Hillebrecht, S. (2017). Die zweite Karriere: Theoretische Basis und praktische Modelle für den beruflichen Neustart. Springer.

Ibáñez, M. (2017). Women in the construction trades: Career types and associated barriers. In: Women's Studies International Forum, 60, 39-48

Karpman, B. (1948). The myth of psychopathic personality, In: The American Journal of Psychiatry, 104, 523-534.

Lombardo, M.M., Ruderman, M.N., McCauley, C.D. (1988). Explanations of success and derailment in upper-level management positions, In: Journal of Business and Psychology, 2 (3), 199-216.

McCall, M.W., Lombardo, M.M. (1983). What makes a top executive?, In: Psychology Today, 17 (2), 26-31.

McCrae, R.R., Costa, P.T. (1987). Validation of the Five-Factor Model of personality across instruments and observers, In: Journal of Personality and Social Psychology, 52, 81-90.

Petracca, Mark P. (1990). Political Careerism Is the Bane of True Democracy. In The New York Times. [1]

Richter, Sandra. (2009). Hoffnungslos idealistisch. In ZEIT Online. [2]

Stevens, G.W., Deuling, J.K., Armenakis, A.A. (2012). Successful psychopaths: Are they unethical decision-makers and why?, In: Journal of Business Ethics, 105, 139-149.

Einzelnachweise

  1. http://www.duden.de/rechtschreibung/Karrierismus abgerufen 26.07.17
  2. Feldman 1985, Feldman 1988
  3. Bratton & Kacmar 2004, S. 291
  4. Bratton & Kacmar 2004, S. 291 mit Verweis auf Schlenker 1980
  5. http://www.duden.de/rechtschreibung/Opportunismus abgerufen 26.07.17
  6. http://www.duden.de/rechtschreibung/Ellenbogengesellschaft abgerufen 26.07.17
  7. Fallows 1981
  8. Petracca 1990
  9. Richter 2009
  10. https://www.regnumchristi.eu/de/orden-und-gottgeweihte/berufung/hilfen-zur-berufungsfindung/botschaften-zu-den-weltgebetstagen-um-berufungen/im-gespraech-mit-benedikt-xvi/begegnung-des-hl-vaters-mit-seminaristen/3-frage-karrierismus-in-der-kirche abgerufen 20.08.2017
  11. http://www.kath.net/news/23985/print/yes abgerufen 17.08.2017
  12. Borghans & Golsteyn 2012
  13. Hillebrecht 2017, S. 8
  14. Hillebrecht 2017, S. 10
  15. Ibáñez 2017
  16. Feldman & Weitz 1991
  17. Barrick et al. 2001
  18. McCrae & Costa 1987
  19. Karpmann 1948
  20. Karpmann 1948
  21. Stevens et al. 2012
  22. Eisenberg et al. 1986
  23. Blau 1964
  24. Feldman & Weitz 1991
  25. Chiaburu et al. 2013
  26. Chiaburu et al. 2013
  27. Ashton & Lee 2001
  28. Chiaburu et al. 2013
  29. Bratton & Kacmar 2004
  30. Bratton & Kacmar 2004
  31. Bratton & Kacmar 2004
  32. Bratton & Kacmar 2004
  33. Fromm 1976
  34. Goffman 1959
  35. Feldman 1985
  36. Feldman 1985
  37. McCall & Lombardo 1983
  38. McCall & Lombardo 1983; Lombardo et al. 1988