Gier

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Gier ist das irrationale, triebhafte und maßlose Streben nach materiellem oder immateriellem Besitz. Charakteristisch für Gier ist das Ausbleiben einer Bedürfnisbefriedigung.

In der Literatur wie in der Wissenschaft und den Weltreligionen wurde Gier über alle Epochen hinweg thematisiert und kann als eine zentrale menschliche Verhaltensweise beschrieben werden. Einige bekannte Beispiele von Gier in der Arbeitswelt liefern die Fälle Enron, Martin Shkreli, Jürgen Harksen oder die S&K-Gruppe.

Begriff

Definition

Das Wort Gier geht auf das mittelhochdeutsch gir(e) bzw. das althochdeutsch girī zurück und ist mit dem angelsächsischen fehugiri, Streben nach Besitz, verwandt. Gier kann als heftiges, maßloses Verlangen oder Begehren beschrieben werden. [1] Außerdem wird Gier als übertriebenes Streben eines Individuums nach mehr (primär materiellem) Besitz bezeichnet, wobei eine Bedürfnisbefriedigung ausbleibt.

Gier ist ein menschliches Verhalten, das in sämtlichen Epochen im gesellschaftlichen Diskurs thematisiert wurde. Platon beschreibt die Gier in seinem Werk Politeia als bedrohliches Verhalten, welches in Verbindung mit der Korruption das Zusammenleben der Menschen gefährdet. [2] Ein mit der Gier verwandtes Phänomen ist die Pleonexie. [3] Diese wird durch Platon als ein Mehr-haben beschrieben, welches einem Individuum mittels größerem Besitz gesellschaftliche Vorteile verschafft. In Abgrenzung dazu steht ein Mehr-haben-wollen, das keine Grenzen kennt und sich nicht befriedigen lässt. [4] Demnach besteht also eine Schwelle an der selbstzentriertes Verhalten in Gier umschlagen kann. [5]

Eine einheitliche Definition des Phänomens Gier ist aufgrund seiner Komplexität nicht vorhanden und kann somit nur näherungsweise bestimmt werden. [6]

Abgrenzung

Neid

Im Gegensatz zu Gier hat Neid einen sozialen Bezug und dadurch ein vergleichendes Element. Gier hingegen wird als individuelles Konzept verstanden. Neid wird definiert als das Unbehagen eines Individuums im Angesicht des Glückes einer anderen Person. [7] Die Verbindung der beiden Konzepte Gier und Neid besteht in ihrem Bedürfnis nach mehr, jedoch kennt Gier keine Limitation und Neid ist im Gegensatz zur Gier ausschließlich im Sozialen angesiedelt und gründet auf den Vergleich mit anderen Personen. [8] [9]

Maximierung

Im Gegensatz zur Gier ist Maximierung gekennzeichnet durch umfassende Information, gleichbleibende Präferenzen und rationale Entscheidungsfindung zur Steigerung des persönlichen Nutzens (vgl. homo oeconomicus). [10] Adam Smith prägte den metaphorischen Ausdruck der unsichtbaren Hand. [11] Danach führt die Ertragsmaximierung des Einzelnen zur Nutzenmaximierung für alle. Demgegenüber basiert Gier auf dem irrationalen Streben nach mehr, unabhängig davon, ob damit wirklich eine Nutzenmaximierung einhergeht.[10]

Egoismus

Egoismus ist das Streben nach Maximierung der eigenen Interessen in jedwedem menschlichen Handeln, ohne Rücksicht auf die Kosten anderer. [12] Während sich Gier stets auf das Akquirieren spezifischer Ressourcen fokussiert, bildet der Egoismus eine individuelle Handlungsmaxime, die auf sämtliche Handlungen einer Person Einfluss ausübt. [8] Damit einhergehen können weitere rücksichtslose Verhaltensweisen, wie Betrug, Verlogenheit oder Korruption, die institutionalisierte Werte und Normen ausblenden.

Differenzierung

Differenziert werden kann zwischen materieller und immaterieller Gier. Materielle Gier bezieht sich auf das Verlangen nach mehr Besitz, wie Geld, Luxusgüter, Autos o.ä. Demgegenüber bezieht sich Immaterielle Gier auf Dinge wie Erfolg, Ruhm, oder Prestige. [8] Das Wesensmerkmal der Gier bleibt hiervon unberührt und gilt sowohl für immaterielle wie materielle Gier.

Veranschaulichung

Der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG erhält ein Gehalt von mindestens 10 Millionen Euro pro Jahr, ein durchschnittlicher Angestellter in Deutschland ca. 45.000 Euro. [13] [14]

Das hier genannte Gehalt wirkt zunächst sehr hoch. Vergleicht man das Gehalt allerdings mit dem anderer Vorstände, vor allem von US-Konzernen, stellt man fest, dass es eher im unteren Bereich liegt. [15] Fraglich ist allerdings, ob ein langjähriger VW-Vorstand wirklich so viel Geld braucht, da er bereits in wenigen Jahren große Rücklagen bilden kann. Das Gehalt des Vorstandsvorsitzenden geht deutlich über die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung hinaus und steht zudem in keiner Relation zum Gehalt eines Angestellten. Darin kann man eine ungerechtfertigte Besserstellung des Vorstandsvorsitzenden sehen und man ist geneigt, den (Spitzen-)Managern Gier zu unterstellen.


Ein 5-jähriges Kind will neues Spielzeug haben, obwohl es gerade erst Geburtstag hatte und neues bekommen hat.

Gier ist nicht zuletzt ein Produkt der Erziehung. Grundsätzlich verlangt das Kind nur das, was aus einer evolutionären Perspektive logisch erscheint: die Maximierung der eigenen Ressourcen. Ein gutes Verhältnis zu den eigenen Bedürfnissen zu finden, ist ein wichtiges Ziel der Erziehung.


Der Eigentümer eines mittelständischen Unternehmens zahlt seinen Angestellten kein Weihnachtsgeld, um sich selbst zu Heiligabend den 4. Mercedes-Oldtimer zu schenken.

Das in dem angeführten Beispiel beschriebene Verhalten ist zweifelsfrei als gierig zu bewerten, da sich der Unternehmer auf Kosten seiner Mitarbeiter bereichert.

Empirie

Messverfahren

Menschliche Emotionen wie Wut oder Freude sind häufig über den Gesichtsausdruck leicht erkennbar, Gier hingegen kann äußerlich nicht ohne Weiteres erkannt werden. Um Gier bemessen zu können, bedient sich die Wissenschaft verschiedener Experimente (z.B. das Ultimatumspiel) und verschiedener Skalen. [8] [16]

Merkmale

Eine Studie von Krekeles und Pandelaere geht der Frage nach, ob sich Gier bestimmten Personen-Merkmalen zuschreiben lässt. Die Ergebnisse legen nahe, dass Männer im Durchschnitt gieriger sind als Frauen. Zudem seien Personen aus dem Finanz- und Management-Sektor häufiger gierig als Personen, die im Bereich Service oder Kunst beschäftigt sind. [17] [18] Der Kausalzusammenhang bleibt an dieser Stelle jedoch offen. Ob gierige Menschen eher dazu neigen einen Finanzjob zu beginnen oder ob Finanzjobs gierige Verhaltensweisen auslösen, geht aus den Untersuchungen nicht hervor. Die Ergebnisse von Krekeles und Pandelaere werden durch die Studie von Seuntjens et al. bei der Untersuchung des Zusammenhangs von Gier und demographischen Merkmalen gestützt und erweitert. Demnach neigen junge Menschen, Männer, Menschen mit einem geringen Bildungsstand und Menschen mit einer rechten politischen Orientierung eher zu gierigem Verhalten. Das Einkommen und die Religiosität stehen, so diese Studie, hingegen in keinem statistisch signifikanten Zusammenhang mit der Gier. [8]

Der Frage ob gieriges Verhalten auch durch situative Gegebenheiten stimuliert werden kann, gehen Wang, Malhotra und Murnighan nach. In einem Experiment werden die Auswirkungen positiver und negativer Aussagen zum Thema Eigeninteresse auf die Einstellungen und Meinungen der Teilnehmer zur Gier untersucht. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass das Lesen positiver Aussagen zum Thema Eigeninteresse Gier in einem günstigeren Licht erscheinen lassen. Demnach kann Gier auch situativ, mittels Priming, auftreten. [18]

Determinanten

Neben den Merkmalen Geschlecht und Beruf untersuchen Krekels und Pandelaere auch den Zusammenhang zwischen Gier und Persönlichkeitsmerkmalen. Die Ergebnisse zeigen, dass der Zusammenhang von Gier und dem Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeitspsychologie (Big Five) zu vernachlässigen ist. Hingegen korreliert Gier positiv mit Wettbewerbsorientierung, dem Wunsch zu gewinnen, Leistungsbereitschaft und Produktivitätsorientierung. [17] Die Autoren der Studie verweisen in diesem Zusammenhang auch auf positiv gelagerte Effekte der Gier. Demnach deutet die positive Korrelation von Gier zur Wettbewerbs- und Produktivitätsorientierung darauf hin, dass Gier Personen dazu antreiben kann, mittels rücksichtslosem Verhalten, Fortschritte zu erzielen. [17]

Theorie

Herleitung und Charakteristika

Gier gilt als ein irrationales Bedürfnis, das dann ausgelebt wird, wenn das Verlangen größer ist als die Selbstkontrolle. Gieriges Verhalten hängt demnach negativ mit Selbstkontrolle und positiv mit Impulsivität zusammen. Ein weiteres Charakteristikum ist, dass gierige Individuen unzufrieden mit ihrer aktuellen Situation sind, die vermeintliche Befriedigung eines subjektiv empfundenen Bedürfnisses die Unzufriedenheit nicht zu mildern im Stande ist. [8]

Zudem steht Gier auch in einem sozialen Kontext: die Bewertung, ob ein Akt als egoistisch oder gierig gilt, hängt von den Werten und Normen des Individuums und denen der betroffenen Allgemeinheit ab. Ein Akt ist gierig, wenn die Allgemeinheit durch das irrationale Verlangen eines Individuums einen wahrgenommenen kollektiven Schaden erleidet. Die Verwerflichkeit des gierigen Aktes basiert auf einer Besserstellung des gierigen Individuums, auf Kosten des Allgemeinwohls. Ausschlaggebend für die Bewertung ist nicht das Entstehen eines gesellschaftlichen Schadens, sondern die mit dem irrationalen Verhalten einhergehende Überschreitung gesellschaftlich akzeptierter Normen.[6] [19]

Dualer Ansatz nach Wang und Murnighan

Long Wang und Keith Murnighan postulieren basierend auf der Moral-Reasoning-Theorie sowie dem Social-Intuitionist-Modell einen dualen Ansatz, der erklärt wie Gier zustande kommt. Demnach reagieren Individuen auf äußere Stimuli (z.B. Angebot eines hohen Managergehalts, Kaufangebot eines weiteren Oldtimers etc.) mit intuitivem und automatisierten Eigeninteresse. Diese Intuition geht mit heißen Emotionen (hot emotions) wie Verlangen, Eifer, Erregung und Begierde einher. Zur sozio-moralischen Selbstkontrolle bedarf es abwägender und bewusst wahrgenommener warmer Emotionen (warm emotions) wie Empathie, und antizipierter post-hoc Emotionen wie Schuld und Reue. Im sozialen Kontext lassen sich diese warmen Emotionen noch um Verlegenheit und Scham erweitern. Moralischen Bedenken hinsichtlich sozial akzeptierten Verhaltens treten in Entscheidungssituation unwesentlich später auf und gehen mit dem intuitiven Bedürfnis des Individuums nach sozialer Zugehörigkeit einher. Die angeführten Handlungstendenzen bilden die Basis für das schließliche Verhalten. Unmittelbar folgende moralische Abwägung (moral reasoning) wird die ursprüngliche Handlungstendenz entweder verstärken, abwandeln oder rechtfertigen. Basierend darauf entscheidet sich das Individuum für eine Handlungsalternative in Erwartung entsprechender post-hoc Emotionen. [6]

Gier als Anpassungsstrategie

Bin Bin Chen, Goedele Krekeles und Mario Pandelaere definieren Gier als ein adaptives Persönlichkeitsmerkmal. Sofern in der kindlichen Entwicklungsphase des Individuums ein wahrgenommener Mangel vorliegt, reagiert dieses mit dem Bedürfnis möglichst viel dieser fehlenden Ressource zu akkumulieren. Laut der Theorie der Lebensgeschichte (Life-History-Approach) entwickeln Kinder in einem sicheren Umfeld eine innige und stabile Bindung zu ihren Eltern. Diese frühkindliche Bindung führt zu einer internalisierten Erwartungshaltung über stets vorhersehbare Lebensumstände. Ein Indivuum, das unter Sicherheit aufwächst wird daher Langzeitziele anstreben. Ist das frühkindliche Umfeld und die Bindung zu den Eltern durch hohe Unsicherheit gekennzeichnet, antizipiert das Individuum stets unsichere Lebensumstände. Daraus ergibt sich eine Kurzzeitorientierung und antisoziales Verhalten wie Gier. Gier ist demnach eine erlernte Strategie um Mangel zu vermeiden und das Überleben des Individuums zu sichern, indem diese darauf abzielt den Zugang zu Ressourcen zu erhöhen und Unsicherheit zu verringern. [20] [21] [22]

Kidd, Palmeri & Aslin konnten in einer Studie zeigen, dass Kinder, die großer Unsicherheit hinsichtlich ihrer Lebensumstände ausgesetzt waren, die sofortige Befriedigung ihrer Bedürfnisse vorzogen. Demgegenüber konnte gezeigt werden, dass Kinder, die unter sicheren Lebensumständen bzw. mit starker Bindung zu den Eltern aufwachsen, ein sozialeres Verhalten zeigen und unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung eher widerstehen können. [23] Bin Bin Chen konnte eine Korrelation zwischen Eltern-Kind-Bindung und Gier feststellen. Ebenso konnte gezeigt werden, dass Unsicherheit in der Umwelt des Kindes bzw. innerhalb der Eltern-Kind-Beziehung Gier im späteren Leben durch eine Internalisierung von antizipierter Unsicherheit begünstigt. [24]

Self-Impression Management Theorie

Entstehung der Gier basierend auf der Self-Impression Management Theorie (Eigene Darstellung der Autoren)

Die Self-Impression Management Theorie definiert Gier aus einer situativ-kognitiven Perspektive. Maßgeblich für die Entstehung von Gier ist demnach die Denkweise (Mindset) des Individuums, welches aus dem situativ bedingten sozialen Kontext hervorgeht. Der zum Zeitpunkt einer Entscheidung vorliegende soziale und situative Kontext beeinflusst die Kognitionen des Individuums, welche dann in Form einer kongruenten Handlung ausgedrückt werden. [25] Eine geistige Haltung, die darauf abzielt das individuelle Selbstbild zu wahren und/oder soziale Normen berücksichtigt, reduziert die empfundene Gier. Demgegenüber steht die eigeninteressierte Denkweise (Self-Interest Mindset) bei dem selbstzentrierte und berechnende Gedankengänge dominieren. Die eigeninteressierte Denkweise begünstigt gieriges Verhalten und dessen positive Bewertung. Werden die Mindsets gleichermaßen angesprochen, können sich diese gegenseitig beeinflussen; eine Handlungsintention hängt dann von einem erneuten Stimulus ab. [26] [6] Dieser theoretische Ansatz bekräftigt die Rolle von Priming für das Ausleben von gierigem Verhalten.

Ausgewählter Mechanismus

Ausgewählter Mechanismus zu Gier im organisationalen Kontext (Eigene Darstellung der Autoren)

Der in der Abbildung skizzierte Mechanismus beschreibt, wie Gier im organisationalen Kontext entstehen kann. Die Darstellung bezieht sich auf Jordan Belfort aus dem Film „Wolf of Wallstreet“, der Anlegern risikoreiche Pennystocks verkauft, weil ihm diese eine besonders hohe Provision (50% des Anlagewertes) generieren. [27] Im Fokus steht für den Broker dabei lediglich seine persönliche Bereicherung, die zukünftigen Verluste seiner Anleger sind für ihn irrelevant.

Der dargestellte Mechanismus kommt nur dann in Gang, wenn es eine grundlegende Informationsasymmetrie zwischen Broker und Anleger gibt. Die Möglichkeit der für den Anleger unbemerkten Bereicherung ist ein starker Anreiz für den Broker, sich opportunistisch zu verhalten und dem Anleger ein unvorteilhaftes Produkt zu verkaufen. Die übermäßig hohe Provision kann daher als Auslösebedingung des Mechanismus gelten. Ausschlaggebend für das beschriebene opportunistische Verhalten ist, dass es innerhalb der Organisation eine wetteifernde Kultur gibt, innerhalb derer Broker, die am meisten verkaufen nicht nur hohe Provisionen erwirtschaften sondern außerdem ein hohe Prestige erlangen. In diesem Wettkampf zählen nur die wirtschaftlichen Ergebnisse, nicht aber, wie diese Ziele erreicht werden. In dem Streben danach besser zu sein als andere Broker, Prestige innerhalb der Organisation zu erlangen und ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber dem einfachen Anleger zu entwickeln, wird ein opportunistisches Verhalten ausgelebt und darüber hinaus stimuliert. Aus diesem Kontext resultiert der Verkauf von risikoreichen Pennystocks, die für den Anleger eine schlechtere Anlageoption darstellen, während sich der Broker durch den Verkauf besser stellen und profilieren kann. Der Verkauf von Pennystocks ist wegen der "schamlosen" Ausbeutung der Informationsasymmetrie und dem ungehemmten Profit- und Prestigestreben als gierig zu bewerten.

Störgrößen, die den Broker davon abhalten sollen sich auf Kosten seiner Anleger zu bereichern, sind u.a. Gesetze. Diese und die Aussicht auf Bestrafung sollen die beteiligten Broker von opportunistischem und gesetzeswidrigem Verhalten abhalten. Zudem existieren im organisationalen Kontext von Finanzfirmen und Banken Kontrollmechanismen und Kontrollgremien, die die Einhaltung bestehender Gesetze und organisationsinterner Regeln sicherstellen sollen. Oft überwiegt aber der gleichfalls der in einer Organisation propagierte Leitgedanke des scharfen Leistungswettbewerbs und des Strebens nach maximalem Gewinn. Leicht wird daher die interne Selbstkontrolle des Unternehmen außer Kraft gesetzt. Grundsätzlich können auch moralische Bedenken den Broker von seinem giergen Verhalten abbringen oder dieses mindern. Um in dem Wettstreit innerhalb der Organisation bestehen zu können, ist opportunistisches Verhalten jedoch essentiell und wird als erstrebenswert stilisiert, wodurch moralische Bedenken ausgeblendet werden und Gier ausgelebt wird

Bedeutung im Veränderungsprozess

Der ausgewählte Mechanismus verdeutlicht am Beispiel der Figur des Jordan Belfort, wie Gier im organisationalen Kontext entstehen kann. Das Zusammenspiel der hier dargestellten Einflussfaktoren mündet schließlich in einem gierigen Verhalten des Brokers auf Kosten der unaufgeklärten Anleger. Um ein solches Verhalten zu unterbinden und die Anleger zu schützen, wurde eine Reihe von Verfahren und Gesetzen erlassen. Ein Beispiel für die externe Prüfung einer Organisation sind Audits, bei welchen externe Gutachter untersuchen, ob die Prozesse, Anforderungen und Richtlinien innerhalb einer Organisation den geforderten Standards entsprechen. Neben einer regelmäßig stattfindenden externen Prüfung gibt es auch interne Kontrollen, nicht zuletzt auch im Bankensektor. So führt beispielsweise die interne Revision prüfende und beratende Tätigkeiten innerhalb der Organisation durch und fördert somit auch die Einhaltung sowohl der internen als auch der externen Standards. Speziell für den Bereich von Banken, Versicherungen und Wertpapieren beaufsichtigt und kontrolliert die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) alle Bereiche des Finanzwesens in Deutschland.

Ein bekanntes und vieldiskutiertes Beispiel für gieriges Managementhandeln liefert die "Skandalgeschichte" der Firma Enron. Enron war über Jahre hinweg ein anerkanntes und renommiertes Unternehmen, in dem sich schließlich gesetzeswidrige Praktiken festigten und Manager systematisch die Behörden und Anleger betrogen. Auslöser für diesen drastischen Wandel war die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, in Kombination mit der Gier innerhalb des oberen Managements. Das kollektive Ausleben von Gier der Beteiligten bewirkte eine Institutionalisierung manipulativer Verhaltensweisen und die Duldung der Verletzung eigentlich etablierter Prozessstandards. So kam es zu einer systematischen Manipulation abrechnungsrelevanter Unterlagen und Bilanzdokumente. [28] Die Gier hat letztlich die größtmögliche Veränderung für das Unternehmen selbst ausgelöst: die Zerschlagung bzw. Liquidierung des Konzerns. Als unmittelbare Folge des über Jahre hinweg geduldeten gierigen Verhaltens des Managements resultierten strafrechtliche Ermittlungen gegen die involvierten Manager. Diese führten zu langjährigen Haftstrafen für mehrere Top-Manager, die somit für ihr gieriges Verhalten bestraft wurden. Auch wurde ein gesellschaftlicher Veränderungsprozess durch den Fall Enron angestoßen. Im Anschluss an den Skandal wurden neue Gesetze und Richtlinien erlassen (insbesondere der Sarbanes-Oxley Act) und bestehende verschärft, wodurch diese Art der Manipulation deutlich erschwert wurde. Ziel der Gesetze war eine Wiederherstellung des Vertrauens der Bevölkerung und von institutionellen Anlegern in die Richtigkeit und Verlässlichkeit der veröffentlichten Finanzdaten von Unternehmen, das durch das Verhalten der Enron-Managern verloren gegangen war.

Kritische Würdigung

Gier ist seit jeher ein häufiges und wirkungsmächtiges Motiv menschlichen Handelns. Auch deshalb findet die Gier ihren Platz unter den sieben Todsünden. Obwohl gieriges Verhalten von Menschen als solches erkannt bzw. bewertet werden kann, gibt es bis heute noch keine eindeutige und präzise wissenschaftliche Definition. Dass Gier stets innerhalb eines gesellschaftlichen und situativen Kontextes eine je unterschiedliches Erscheinungsbild abgibt, verstärkt die Definitions- und Abgrenzungsproblematik. Auch bezieht sich gieriges Verhalten auf unterschiedliche materielle und immaterielle Ressourcen und Bedürfnisse. Außerdem sind die empirischen Studien, die sich mit dem Phänomen Gier beschäftigen, mit Operationalisierungsproblemen konfrontiert. Unstreitig bleibt indes, dass Gier mit unethischem und unmoralischen Verhalten verbunden ist, da sich Gier stets darauf richtet, andere schlechter zu stellen.

Einzelnachweise

  1. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprachev (o.J.): Gier. Online verfügbar unter: https://www.dwds.de/wb/Gier, zuletzt geprüft am 06.05.2019.
  2. Platon (320 v. Chr./ 1857): Plato's Staat. Kapitel 9; Achtes Buch. Hg. v. Krais & Hoffmann. Stuttgart. Online verfügbar unter https://gutenberg.spiegel.de/buch/plato-s-staat-4886/9, zuletzt geprüft am 06.05.2019.
  3. Platon (320 v.Chr./1857): Plato's Staat. Kapitel 2; Erstes Buch. Hg. v. Krais & Hoffmann. Stuttgart. Online verfügbar unter https://gutenberg.spiegel.de/buch/plato-s-staat-4886/2, zuletzt geprüft am 22.07.2019.
  4. Höffe, Otfried (2005): Aristoteles-Lexikon. Stuttgart: Kröner (Kröners Taschenausgabe, 459), S.465f.
  5. Höffe, Otfried (2014): Platon: Griechenlands bester Ökonom. Hg. v. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH. Frankfurt. Online verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/die-weltverbesserer/platon-griechenlands-bester-oekonom-12827007.html, zuletzt aktualisiert am 06.05.2019, zuletzt geprüft am 06.05.2019.
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 Wang, Long; Murnighan, J. Keith (2011): On Greed, The Academy of Management Annals 5 (1), S. 279–316
  7. Tai, Kenneth; Narayanan, Jayanth; McAllister, Daniel J. (2012): Envy As Pain: Rethinking the Nature of Envy and Its Implications for Employees and Organizations. In: AMR 37 (1), S. 107–129. DOI: 10.5465/amr.2009.0484, S. 107f.
  8. 8,0 8,1 8,2 8,3 8,4 8,5 Seuntjens, Terri G.; Zeelenberg, Marcel; van de Ven, Niels; Breugelmans, Seger M. (2015): Dispositional greed. In: Journal of personality and social psychology 108 (6), S. 917–933. DOI: 10.1037/pspp0000031.
  9. Veiga, John F.; Baldridge, David C.; Markóczy, Lívia (2014): Toward greater understanding of the pernicious effects of workplace envy. In: The International Journal of Human Resource Management 25 (17), S. 2364–2381. DOI: 10.1080/09585192.2013.877057, S. 2365.
  10. 10,0 10,1 Livingstone, Sonia M.; Lunt, Peter K. (1992): Predicting personal debt and debt repayment: Psychological, social and economic determinants. In: Journal of Economic Psychology 13 (1), S. 111–134. DOI: 10.1016/0167-4870(92)90055-C, S.128.
  11. Smith, Adam (1983): Der Wohlstand der Nationen. E. Unters. seiner Natur u. seiner Ursachen. Nach d. 5. Aufl. (letzter Hand) London 1789. München: Beck, S.371.
  12. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) (o.J.): Egoismus. Online verfügbar unter https://www.dwds.de/wb/Egoismus, zuletzt geprüft am 07.05.2019.
  13. Volkswagen AG (Hg.) (2017): Volkswagen Konzern - GB 2017 - Bezüge des Vorstands. Online verfügbar unter https://geschaeftsbericht2017.volkswagenag.com/konzernlagebericht/verguetungsbericht/bezuege-des-vorstands.html, zuletzt aktualisiert am 25.05.2018, zuletzt geprüft am 07.05.2019.
  14. Statista (Hg.) (2018): Durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst von Arbeitnehmern in Deutschland bis 2017 | Statistik. Statistisches Bundesamt. Online verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/237674/umfrage/durchschnittlicher-bruttomonatsverdienst-eines-arbeitnehmers-in-deutschland/, zuletzt geprüft am 07.05.2019.
  15. Tödtmann, Claudia (2018): Vorstandsgehälter: 5,8 Millionen Euro für einen Dax-Chef – im Schnitt. Hg. v. WirtschaftsWoche. Online verfügbar unter https://www.wiwo.de/erfolg/management/vorstandsgehaelter-5-8-millionen-euro-fuer-einen-dax-chef-im-schnitt/22793772.html, zuletzt aktualisiert am 02.05.2019, zuletzt geprüft am 07.05.2019.
  16. Veselka, Livia; Giammarco, Erica, A.; Vernon, Philip, A. (2014): The Dark Triad and the seven deadly sins. In: Personality and individual differences : an internat. journal of research into the structure and development of personality, and the causation of individual differences Oxford [u.a.] : Pergamon Press Vol. 67 (2014), p. 75-80. DOI: 10.1016/j.paid.2014.01.055.
  17. 17,0 17,1 17,2 Krekels, Goedele; Pandelaere, Mario (2015): Dispositional greed. In: Personality and individual differences : an internat. journal of research into the structure and development of personality, and the causation of individual differences Oxford [u.a.] : Pergamon Press Vol. 74 (2015), p. 225-230. DOI: 10.1016/j.paid.2014.10.036.
  18. 18,0 18,1 Wang, Long; Malhotra, Deepak; Murnighan, J. Keith (2011): Economics education and greed. In: Academy of Management learning & education : AMLE Briarcliff Manor, NY : Acad Vol. 10, No. 4 (2011), p. 643-660. DOI: 10.5465/amle.2009.0185.
  19. Lambie, Glenn W.; Haugen, Jaimie Stickl (2019): Understanding greed as a unified construct, Personality and Individual Differences 141, S. 31–39.
  20. Chen, Bin-Bin (2017): The life history model of the insurance hypothesis, The Behavioral and brain sciences 40.
  21. Chisolm,James S.(2013): Death, Hope, and Sex: Life-History Theory and the Development of Reproductive Strategies
  22. Chen, Bin-Bin: An evolutionary life history approach to understanding greed, Personality and Individual Differences 127 (2018) 74–78
  23. Kidd, C., Palmeri, H., Aslin, R.N. (2013) Rational snacking: Young children’s decision-making on the marshmallow task is moderated by beliefs about environmental reliability
  24. Chen, Bin-Bin: An evolutionary life history approach to understanding greed, Personality and Individual Differences 127 (2018) 74–78
  25. Murnighan, J.Keith; Oesch, John M.; Pillutla, Madan (2001): Player Types and Self-Impression Management in Dictatorship Games: Two Experiments, Games and Economic Behavior 37 (2), S. 388–414.
  26. Wang, Long; Zhong, Chen-Bo; Murnighan, J. Keith (2014): The social and ethical consequences of a calculative mindset, Organizational Behavior and Human Decision Processes 125 (1), S. 39–49.
  27. Scorsese, Martin (2013): The Wolf of Wall Street. Mit Leonardo DiCaprio. Martin Scorsese, Leonardo DiCaprio, Riza Aziz, Joey McFarland und Emma Tillinger Koskoff. United States of America.
  28. Frankfurter Allgemeine Zeitung (Hg.) (2002): Enron-Skandal: Bilanztricks biblischen Ausmaßes. Online verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/enron-skandal-bilanztricks-biblischen-ausmasses-149354.html, zuletzt geprüft am 07.05.2019.