Die Nutzwertanalyse bei der Wahl einer Veränderungsstrategie

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Die Nutzwertanalyse ist ein Verfahren zur Analyse und Entscheidungsfindung. Die relevanten Entscheidungsalternativen werden hierbei anhand von festgelegten Kriterien bewertet und in eine Rangfolge gebracht. Von der Nutzwertanalyse werden dabei insbesondere auch jene Kriterien erfasst, die nicht ausschließlich in monetären Werten abgebildet werden können. Dieses Verfahren eignet sich für Entscheidungen in der Organisationsentwicklung, da diese oftmals durch eine hohe Komplexität und Subjektivität gekennzeichnet sind und die Nutzwertanalyse dies zweckmäßig abbilden kann.

Theoretischer Hintergrund

Abbildung 1: Einordnung der Nutzwertanalyse in Entscheidungsfindungssysteme, zusammengestellt u.a. nach Schabacker (2001).

Die Nutzwertanalyse hat ihren Ursprung in den USA unter dem Namen utility analysis. In Deutschland wurde sie in den 1970er Jahren verbreitet. Als ihre bekannten Vertreter gelten Christof Zangemeister und Arnim Bechmann, die entsprechende wissenschaftliche Arbeiten zur Nutzwertanalyse verfasst haben.[1]

In ihrem Kern orientiert sich die Nutzwertanalyse am Grundmodell der rationalen Entscheidungstheorie.[2] Innerhalb dieser wird sie den semi-quantitativen Bewertungsmethoden zugeordnet (Vgl. Abbildung 1).

Definition

Die Nutzwertanalyse (auch Punktbewertungsverfahren oder Scoring-Modell genannt) ist ein Verfahren, um quantitativ nicht vollständig messbare Entscheidungskriterien besser bewerten zu können. Diese bedingte Messbarkeit erschwert die Entscheidungsfindung im Unternehmenskontext. Insbesondere in der Organisationsentwicklung müssen viele dieser Kriterien (beispielsweise in Form sozialer Faktoren, wie etwa die Einbindung der Mitarbeiter in den Entscheidungsprozess) Berücksichtigung in der getroffenen Entscheidung finden. Die Nutzwertanalyse kann dies gewährleisten und dient daher als Planungsmethodik zur systematischen Entscheidungsvorbereitung bei der Auswahl komplexer Alternativen mit einer Vielfalt dazugehöriger, oft nicht-monetärer Zielkriterien.[3] Dabei werden alle relevanten Alternativen mit ihren sogenannten gewichteten Nutzenwerten gegenübergestellt. Die optimale Alternative ist jene mit dem höchsten Gesamtnutzenwert. Die Nutzwertanalyse ist leicht einzusetzen und macht die Entscheidung transparent und nachvollziehbar.[4] Jedoch beeinflusst unter anderem die Auswahl der Zielkriterien und die Festlegung der Gewichte das Ergebnis stark, da beides von einer gewissen Subjektivität der Entscheidungsträger geprägt ist. Das Ergebnis der Nutzwertanalyse sollte deshalb nicht unmittelbar umgesetzt, sondern als Ergänzung für strategische Entscheidungen genutzt werden.[5]

Anwendungsbereiche

Die Nutzwertanalyse ist in ihrem Ursprung als Gegenentwurf zu den herkömmlichen, i. d. R. monetären Verfahren der Investitionsrechnung zu verstehen. Die Bedingung für die Anwendung dieser klassischen Verfahren ist die Möglichkeit der Berechnung eines monetär ausweisbaren Gewinns für jede der in Frage kommenden Entscheidungsalternativen.[6] Bei der Nutzwertanalyse, die vermehrt im öffentlichen und gemeinnützigen Bereich Anwendung findet, ist die Einbeziehung solch monetärer Größen zwar möglich, jedoch entfaltet sich ihr Nutzen erst bei der Einbeziehung qualitativer Faktoren.[7]

Für den Bau eines öffentlichen Bades, das tendenziell eher Verluste als Gewinne für den öffentlichen Betreiber bedeuten wird, kann eine Nutzwertanalyse beispielsweise den Effekt haben, dass die Entscheidung für eine Alternative weniger angreifbar ist, da unter Berücksichtigung der relevanten Zieldimensionen entschieden wurde. Da eine formale Legitimation und eine Nutzenmaximierung erreicht werden sollen, ist die regelmäßige Anwendung der Nutzwertanalyse daher sogar in § 7 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung festgeschrieben.[8] Komplexe Entscheidungen, die durch eine Nutzwertanalyse herbeigeführt werden, sind allgemein durch die folgenden Charakteristika gekennzeichnet:

  • Einbeziehung aller relevanten Teilziele
  • Herbeiführung einer begründeten Auswahlentscheidung
  • Entwicklung einer Gesamtpräferenzordnung.[9]

Diese Charakteristika können zusätzlich als Gütekriterien einer Entscheidung gesehen werden. Entscheidungen der Organisationsentwicklung haben unmittelbare Auswirkungen auf die Menschen und ihre sozialen Beziehungen oder auch die Einkommenssituation. Daher ist die Erreichung der o. g. Punkte von hoher Wichtigkeit. Die relevanten Teilziele sind hier wie in der öffentlichen Verwaltung von qualitativ vielfältiger Natur, weshalb alle Teilziele ergründet werden sollten. Die transparente und begründete Auswahlentscheidung ist notwendig, da Menschen über Menschen entscheiden und Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen. Die Gesamtpräferenzordnung ist Ergebnis dieses Handelns und ermöglicht die Rechtfertigung der Entscheidung.

Verfahrensschritte

Der Ablauf einer Nutzwertanalyse lässt sich für sämtliche Anwendungsbereiche in drei wesentliche Schritte unterteilen:

1. Festlegung der situationsrelevanten Ziele/Zielkriterien und deren Gewichtung

2. Ermittlung der Zielerträge der Alternativen und deren Teilnutzen

3. Ermittlung des Gesamtnutzenwertes der Alternativen und der Gesamtpräferenzordnung[10]

(1.) Zunächst ist es erforderlich, dass die vorhandene Problemstellung abgegrenzt und in ein n-dimensionales Zielsystem unterteilt wird sowie die m einzubeziehenden Entscheidungsalternativen definiert werden.[11] Nur in einfachen Entscheidungssituationen wie z. B. beim Kauf eines KfZ lässt sich dies vergleichsweise intuitiv durchführen (z. B. Vorteilhaftigkeit eines geringen Kraftstoffverbrauches, usw.). Ist ex ante nicht bekannt, welche Zielkriterien für die Bewertung der Problemstellung potentiell in Betracht gezogen werden können, sind vor Beginn dieses Schrittes noch explorative Untersuchungen zu den möglichen Auswirkungen einer Entscheidung in t0 auf die Folgeperiode(n) anzustellen. Beispielsweise für die Festlegung der Zielkriterien zur Bewertung unterschiedlicher Vergütungs- oder Anreizsysteme in der Organisationsentwicklung scheint dies im Gegensatz zum profanen KFZ-Beispiel als durchaus wahrscheinlich. Insbesondere bei Gremienentscheidungen wird die Festlegung der Zielkriterien durch individuelle Bestrebungen der Gremienmitglieder erschwert und muss daher ggf. sogar in einer übergeordneten Vereinbarung geregelt werden. Die relative Gewichtung der Einzelkriterien ist dann aber i. d. R. Ergebnis eines Verhandlungsprozesses unter den Gremienmitgliedern.

(2.) Anschließend muss eine Zielertragsmatrix aufgestellt werden, welche die noch unbewerteten Ausprägungen der m Entscheidungsalternativen hinsichtlich der n Zieldimensionen enthält. Mit Hilfe der gewichteten Zielkriterien wird diese dann in eine Zielwertmatrix transformiert. Dabei werden die Zielerträge mit den zuvor definierten Gewichtungsfaktoren multipliziert. Unabdingbar ist, dass die Zielerträge zuvor auf die gleichen empirischen Indizes normiert worden sind.[12] Unterschiedliche numerische Skalen müssen dabei linear auf eine einheitliche Skala umgerechnet werden. Für Fälle der Organisationsentwicklung ist es jedoch wahrscheinlich, dass häufig auch Nominalskalen (z. B. das politische System eines neuen Standortes in der Ausprägung „demokratisch“ oder „autoritär“) auftreten. Deren Quantifizierung ist im Zuge einer Nutzwertanalyse allerdings unausweichlich. Letztlich wird für jedes der n Zielkriterien ein numerischer Teilnutzen erkennbar.

(3.) Die Addition dieser Teilnutzen zu Nutzenwerten der m Entscheidungsalternativen führt aufgrund der bereits eingeflossenen gewichteten Zielkriterien zu einer präferenzgerechten Ordnung der m Entscheidungsalternativen.[13] Diese erlaubt nicht nur die Abbildung einer ordinalen Rangfolge, sondern als weiteres Gütekriterium auch eine kardinale Abstandsermittlung zwischen den Entscheidungsalternativen.

Kritisch werden an der Nutzwertanalyse oft die hohen subjektiven Einflüsse gesehen. Besonders anfällig ist in Entscheidungsproblemen der Organisationsentwicklung insbesondere die Definition der relevanten Kriterien, da diese häufig schwer operationalisierbar und messbar sind. Ist beispielsweise zwischen einem pauschalen oder einem leistungsorientiertem Vergütungssystem zu entscheiden, so haben beide Alternativen individuell äußerst unterschiedlich empfindbare Auswirkungen. Zudem kann es sehr leicht zu Mehrfachgewichtungen kommen, wenn dieselbe Wirkung von mehreren Zielkriterien abgebildet wird. Soll z. B. der Zielertrag für den Einfluss eines bestimmten Vergütungssystems auf die Arbeitsmotivation ermittelt werden, so kann allein hierfür eine umfassende theoretische Aufarbeitung notwendig werden. Zieht man beispielsweise die Arbeitsmotivation und die Arbeitsgeschwindigkeit als eigenständige Zielkriterien heran, so wird sich das leistungsorientierte System positiv auf beide Kriterien auswirken. Da die Kriterien jedoch sachlich zusammenhängen, wird ein und dieselbe Wirkung doppelt erfasst. Die Festlegung der Zielerträge ist im Rahmen der Organisationsentwicklung daher als eine große Hürde zu sehen. Unabhängig vom Entscheidungskontext ist die Gewichtung der Zielkriterien ein essentielles Problem[14], das gerade in verstärkter Form bei Gremienentscheidungen auftritt. Die Gruppenpräferenzordnung als Ergebnis der Nutzwertanalyse ist immer unter dem Blickwinkel zu betrachten, wie die Vorgehensweise festgelegt worden ist, die zu diesem Ergebnis geführt hat.

Persönliche Befangenheiten oder Einflüsse der Machtausnutzung sollen mit Instrumenten wie der Nutzwertanalyse verhindert werden. Offen bleibt, ob derartige Einwirkungen nicht trotzdem nur auf den Schritt der Gewichtungsfestlegung ausgelagert werden. In diesem Fall wird lediglich der Schein von Objektivität, Rationalität und Transparenz erweckt.

Praxisbeispiel

Die Nutzwertanalyse findet heute in verschiedenen Bereichen der unternehmerischen Praxis Anwendung. Als ein Beispiel aus der Organisationsentwicklung soll hier die Einführung eines neuen Anreizsystems für Mitarbeiter in einem Unternehmen dienen. Ein veränderter Markt oder innerbetriebliche Umwälzungen können den Anlass für die Umgestaltung von bestehenden Konzepten über Leistungserbringung und Entlohnung geben.[15] Die Nutzwertanalyse kann bei dieser Problemstellung unterstützen, da die Auswahl eines neuen geeigneten Anreizsystems ein komplexes Vorhaben darstellt.

Zum einen ist das Spektrum möglicher Anreizsysteme sehr vielfältig. Es gibt beispielsweise projektorientierte Anreizsysteme, kundenorientierte Vergütungssysteme, Mitarbeiterbeteiligungsprogramme und viele weitere Gestaltungsformen.[16] Zum anderen müssen die eigenen unternehmensspezifischen Anforderungen an das neue Anreizsystem bekannt sein. Hierbei liegt der Fokus nicht nur auf wirtschaftlichen Kriterien, da die menschliche Perspektive mindestens eine genauso wichtige Rolle spielt. Sowohl Arbeitgeber, Arbeitnehmer als auch weitere Interessensgruppen haben unterschiedliche Forderungen an das neue Anreizsystem, die im Auswahlprozess bedacht werden sollten (insbesondere um Widerstände bestimmter Parteien zu minimieren). Bei der Anwendung der Nutzwertanalyse können die Anforderungen aller betroffenen Parteien Beachtung finden und ggf. in den Zielkriterien-Katalog einfließen. In der Unternehmenspraxis findet dieses demokratische Denken aber nur selten statt. Mögliche Zielkriterien für ein passendes Anreizsystem könnten aus folgenden Themenfeldern stammen:

Je komplexer sich die Entscheidung darstellt, desto umfangreicher kann der endgültige Zielkriterien-Katalog werden.

Nachdem die Zielkriterien festgelegt worden sind, erfolgt eine Gewichtung dieser Zielkriterien, die stark abhängig von den beteiligten Personen ist. Mitglieder des Betriebsrates werden vermutlich mitarbeiterorientierten Zielkriterien mehr Raum gewähren als etwa Vertreter der Geschäftsleitung.[18] Neben der Auswahl und Gewichtung der Zielkriterien sind auch sogenannte K.O.-Kriterien zu definieren, die zum sofortigen Ausschluss einer Alternative führen. In einem stark kundenorientierten Unternehmen könnten etwa umsatzorientierte Anreizarten ein K.O.-Kriterium darstellen, da diese Form des Anreizes den Vertrieb mittelfristig dazu verleiten könnte, nur umsatzstarke Produkte zu verkaufen und weniger die Bedürfnisse des Kunden zu bedienen.

Nach der Bestimmung und Gewichtung der Zielkriterien sowie der Festlegung einer einheitlichen Skalierung (es bietet sich beispielsweise der Erfüllungsgrad zwischen 1 - 10 an) sollten die möglichen Alternativen an Anreizsystemen eingegrenzt werden. „Der umfangreiche Alternativenraum ist durch eine sukzessive Vorauswahl zu verkleinern, wobei im Rahmen einer summarischen Grobbeurteilung jene Formen ausgewählt werden, die als potentiell geeignet erscheinen.“[19] Wichtig ist, dass für diese Alternativen ausführliche Beschreibungen vorliegen, da nur so eine sinnvolle Bewertung möglich ist.[20] Abschließend werden die Daten gesammelt und der jeweilige Gesamtnutzen der Alternativen errechnet. Es ist das Anreizsystem auszuwählen, das den höchsten Gesamtnutzen besitzt. Exemplarisch sollen hier drei konstruierte Anreizsysteme mit Hilfe der Nutzwertanalyse bewertet werden:

Anreizsystem „Zeitlohn“:

  • die Dauer der Arbeitszeit bildet die Bemessungsgrundlage für die monetäre Entlohnung
  • Menge und Qualität der Arbeit sind irrelevant

Anreizsystem „Prämie“:

  • die Entlohnung setzt sich aus einem Festgehalt und einer individuellen variablen Leistungskomponente zusammen
  • Mehrleistung führt zu höherer Entlohnung, Mindestentlohnung ist das Festgehalt
  • Bemessungsgrundlage für die Leistungskomponente sind objektive und subjektive Bewertungskriterien des Führungspersonals

Anreizsystem „Multi-Faktor“:

  • mehrere Faktoren fließen in die Bemessung der Entlohnung ein
  • die Entlohnung setzt sich u.a. aus einem Festgehalt, einer individuellen Leistungskomponente und einer Unternehmenserfolgsbeteiligung zusammen
  • darüber hinaus orientiert sich die Entlohnung an der Höhe der Qualifikation des Mitarbeiters (Polyvalenzlohn)[21]
  • 5% des Lohns kann der Mitarbeiter optional in die Betriebsrentenkasse einzahlen

Nachfolgend ist eine vereinfachte Nutzwertanalyse dieser drei Anreizsysteme in Form einer Tabelle dargestellt. Die fallspezifischen Zielkriterien sind verdichtet auf die oben benannten Themenfelder:

Tabelle NWA8.jpg

Themenfelder der Zielkriterien Spezifikationen[22]
Leistungsorientierung: Verknüpfung von Leistung und Entlohnung als zentrale Anforderung an die Wirksamkeit eines Anreizsystems, Berücksichtigung des Leistungsverhaltens des Mitarbeiters
Gerechtigkeit: Anreizsystem muss den geleisteten Beiträgen aus Sicht der Mitarbeiter entsprechen und die Leistung des Mitarbeiters ist zu beachten (Leistungsgerechtigkeit)
Transparenz für die Mitarbeiter: Transparenz als Voraussetzung für motivationale Wirkung des Anreizsystems, Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Anreiz und Leistung, Akzeptanz durch Nachvollziehbarkeit
Flexibilität des Systems: Anpassungsflexibilität des Anreizsystems an sich verändernde Mitarbeiterbedürfnisse, Vermeidung einer starren (inflexiblen) Anreizsystemgestaltung
Wirtschaftlichkeit für das Unternehmen: ökonomische Effizienz als Maßgröße für die Wirtschaftlichkeit des Anreizsystems, Systemerträge sollten Systemkosten mindestens kompensieren

Laut dieser Datenlage ist das Anreizsystem "Prämie" zu wählen, da es den höchsten Gesamtnutzen hat. Die Erfüllungsgrade basieren hierbei auf einem nicht näher erläuterten fiktiven Unternehmen, weshalb das Ergebnis nicht auf andere Fälle übertragbar ist.

Die Nutzwertanalyse leistet zur Beurteilung der verschiedenen Anreizsystem-Alternativen folglich einen wertvollen Beitrag, da es unter den gegebenen Zielkriterien die Alternativen mit dem höchsten Nutzenwert „herausfiltert“. In einem nächsten Schritt geht es im Rahmen der Organisationsentwicklung aber immer auch um die Einführung des gewählten Anreizsystems in ein Unternehmen. Die Nutzwertanalyse fordert bei richtiger Anwendung nicht nur eine ausführliche Auseinandersetzung mit den sachlichen Eigenschaften der Anreizsysteme. Vielmehr erwirkt sie auch eine Auseinandersetzung mit dem Aspekt der Wechselwirkung des Anreizsystems mit dem sozialen System „Unternehmen“. Hieraus lassen sich für den nachgelagerten Prozess der Einführung des Anreizsystems wichtige Erkenntnisse ableiten. Beispielsweise ist bei der Einführung eines Anreizsystems die Beachtung der Unternehmenskultur wichtig. Da sich Handlungen der Mitarbeiter (infolge eines Anreizsystems) und die Unternehmenskultur gegenseitig bedingen, ist eine Kompatibilität zwischen Unternehmeskultur und Anreizsystem herzustellen. Eine dynamische Kultur erfordert eher die Einführung eines Anreizsystems mit variablen Vergütungsbestandteilen, während eine bürokratisch-konservative Kultur vielmehr der Einführung eines sicherheitsorientierten Anreizsystems bedarf.[23] Diese und andere Hürden bzw. Fallstricke können vorab erkannt und somit rechtzeitig in die Planungen mit einbezogen werden, wodurch letztendlich die Einführung des neuen Anreizsystems deutlich erleichtert wird. Somit bietet die Nutzwertanalyse auch für den Einführungsprozess eines Anreizsystems einen deutlichen Mehrwert.

Bewertung

Für die Entscheidungsfindung bei komplexen Vorhaben ist die Nutzwertanalyse ein wertvolles Instrument. Durch ihre Methodik schafft sie Transparenz, welche insbesondere im Kontext der Organisationsentwicklung eine wichtige Rolle einnimmt. Für Beteiligte wird die Entscheidung nachvollziehbar gemacht. Dadurch kann bei Betroffenen ein besseres Verständnis für die gewählte Entscheidung herbeigeführt und mitunter auch eine Reduzierung des Widerstandes erreicht werden. Bei den Entscheidungsträgern sorgt das Vorgehen der Nutzwertanalyse dafür, dass diese sich bewusst und tiefgreifend mit der bevorstehenden Entscheidung auseinandersetzen. Dadurch können alle relevanten Aspekte der Entscheidung Beachtung finden. Gerade die nicht-monetären Aspekte nehmen in der Organisationsentwicklung einen wichtigen Part ein und die Nutzwertanalyse ist in der Lage, dieses zu berücksichtigen.[24]

Dennoch wird immer wieder die hohe Subjektivität der Nutzwertanalyse kritisiert. Sowohl die Auswahl der Zielkriterien als auch die Gewichtung sind keinen festen Regeln unterworfen und können dadurch beliebig geändert werden. Dies kann letztendlich die Entscheidung massiv beeinflussen.[25] Somit kann auch nicht gesagt werden, dass durch die Nutzwertanalyse die tatsächlich „richtige“ Entscheidungsalternative herausgefunden wird. Vielmehr wird eine auf den gegebenen Zielkriterien basierende „optimale“ Entscheidung ermittelt. Es ist hierbei aber festzuhalten, dass komplexe Entscheidungen insbesondere in der Organisationsentwicklung oftmals zu einem hohen Grad subjektiver Natur sind, da die Ziele der beteiligten Parteien meist unterschiedlich sind. Die Nutzwertanalyse wird dieser Tatsache gerecht und ist in der Lage, diese Subjektivität transparent zu machen. Trotz des hohen subjektiven Einflusses sollte bei der Durchführung der Nutzwertanalyse ein Mindestmaß an Objektivität gewahrt bleiben. Dies gilt im Besonderen für die zugrunde gelegten Wirkungszusammenhänge der Zielkriterien. Wenn die Wirkungszusammenhänge nicht eindeutig sind, ist die gesamte Datenbasis wertlos. Bezogen auf den obigen Praxisfall sollte beispielsweise eine monetäre Leistungskomponente auch tatsächlich zu einer höheren Leistungsorientierung führen.

Ebenso kritisch zu betrachten ist die Frage, ob die Auswahl und die Gewichtung der Zielkriterien bei allen Betroffenen anerkannt sind. Im Genaueren geht es dabei um die Legitimation einer (durch die Nutzwertanalyse gefundenen) Entscheidung. Nur bei Akzeptanz aller betroffenen Parteien kann die gefundene Entscheidung als vollständig legitim betrachtet werden.[26] Dies ist allerdings nur selten der Fall. Somit ist die Nutzwertanalyse als ein durchaus nützliches Instrument bei der Entscheidungsfindung zu bewerten, nicht jedoch als ein Mittel zur Legitimation dieser Entscheidungen. In der Praxis findet die Nutzwertanalyse deshalb ihren Platz eher in der Entscheidungsvorbereitung und wird häufig in Kombination mit anderen Instrumenten der Entscheidungsfindung genutzt.[27]

Literatur

  • Bechmann, A. (1978). Nutzwertanalyse, Bewertungstheorie und Planung. Bern: Haupt.
  • Gadatsch, A. (2008). Grundkurs IT-Projektcontrolling: Grundlagen, Methoden und Werkzeuge für Studierende und Praktiker (1. Aufl.). Wiesbaden: Vieweg + Teubner.
  • Götze, U. (2008). Investitionsrechnung: Modelle und Analysen zur Beurteilung von Investitionsvorhaben (6. Aufl.). Berlin: Springer.
  • Grewe, A. (2012). Implementierung neuer Anreizsysteme (4. Aufl.). München: Rainer Hampp Verlag.
  • Hoffmeister, W. (2008). Investitionsrechnung und Nutzwertanalyse: Eine entscheidungsorientierte Darstellung mit vielen Beispielen und Übungen (2. Aufl.). Berlin: BWV Berliner Wiss.-Verlag.
  • Huch, B., Behme, W., & Ohlendorf, T. (2004). Rechnungswesen-orientiertes Controlling: Ein Leitfaden für Studium und Praxis (4. Aufl.). Heidelberg: Physica-Verlag.
  • Janes, A., & Prammer, K. (1995). Gestaltung von Entgeltsystemen aus systemischer Perspektive. In: von Eckardstein, D. (Hrsg.): Neue Wege der Lohnfindung für die Industrie (S. 40–60). Wien: Manz.
  • Mensch, G. (2002). Investition: Investitionsrechnung in der Planung und Beurteilung von Investitionen (1. Aufl). München: Oldenbourg.
  • Ott, S. (2011). Investitionsrechnung in der öffentlichen Verwaltung: Die praktische Bewertung von Investitionsvorhaben (1. Aufl.). Wiesbaden: Gabler Verlag / Springer Fachmedien GmbH.
  • Schabacker, M. (2001). Bewertung der Nutzen neuer Technologien in der Produktentwicklung (Diss.). Universität Magdeburg.
  • Tauberger, A. (2008). Controlling für die öffentliche Verwaltung. München: Oldenbourg.
  • Zangemeister, C. (1976). Nutzwertanalyse in der Systemtechnik: Eine Methodik zur multidimensionalen Bewertung und Auswahl von Projektalternativen (4. Aufl). München: Wittemann.
  • Zangemeister, C. (2003). Nutzwertanalyse von Projektalternativen. Logistik Management, 5(2), S. 50–59.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Zangemeister (1976), S. 45.
  2. Vgl. Bechmann (1978), S. 26.
  3. Vgl. Zangemeister (2003), S. 50.
  4. Vgl. Hoffmeister (2008), S. 308.
  5. Vgl. Gadatsch (2008), S. 127.
  6. Vgl. Zangemeister (2003), S. 50.
  7. Vgl. Mensch (2002), S. 212.
  8. Vgl. Tauberger (2008), S. 182.
  9. Vgl. Mensch (2002), S. 212 f.
  10. Vgl. Huch et al. (2004), S. 147.
  11. Vgl. Zangemeister (2003), S. 51.
  12. Vgl. Zangemeister (2003), S. 54 f.
  13. Vgl. Zangemeister (2003), S. 55.
  14. Vgl. Mensch (2002), S. 212 f.
  15. Vgl. Janes / Prammer (1995), S. 41.
  16. Vgl. Grewe (2012), S. 2 ff.
  17. Vgl. Grewe (2012), S. 13 ff.
  18. Vgl. Grewe (2012), S. 98.
  19. Grewe (2012), S. 99.
  20. Vgl. Grewe (2012), S. 98 f.
  21. Vgl. Personal-wissen.de
  22. Vgl. Lehmann (2006), S. 17 ff.
  23. Vgl. Lehmann (2006), S. 20.
  24. Vgl. Ott (2011), S. 152 f.
  25. Vgl. Götze (2008), S. 187; vgl. Ott (2011), S. 153.
  26. Vgl. Zangemeister (2003), S. 56 ff.
  27. Vgl. Gadatsch (2008), S. 127.