Die Analyse von Methoden und Instrumenten

Aus Personal_und_Führung
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Verfasser: Albert Martin


Was ist bei der Beurteilung von hypothetischen und/oder real vorfindlichen Gestaltungsansätzen zu beachten? Zunächst ist festzuhalten, daß ein Gestaltungsansatz nicht dadurch „gut“ wird, daß er in der Praxis angewendet wird und auch nicht dadurch, daß man ihm das Etikett „wissenschaftlich“ anheftet. Es kommt vielmehr ganz entscheidend darauf an, wie Erkennen und Handeln miteinander „vermittelt“ werden. Um die Güte eines Instruments beurteilen zu können, ist daher eine differenzierte Sicht angezeigt. So ist zu beachten, welche allgemeinen Einsichten bei der Konstruktion und bei der Anwendung des Instrumentes zur Anwendung kommen, ob und wie der Einsatz des Instrumentes geprüft wurde, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit die Anwendung eines Instruments überhaupt Sinn macht, welche „Störpotentiale“ die Wirksamkeit eines Instruments untergraben, in welchem Gesamtzusammenhang der Instrumenteneinsatz steht und wessen Interessen von ihm tangiert werden.

Erfolgreiche Gestaltung gründet immer auf einem Denken in Alternativen. Es gibt nicht die eine und die einzig richtige Praxis. Praxisgestaltung ist ein Konstruktions- und Umsetzungsprozeß. Bei der Gestaltung der sozialen Wirklichkeit sind daher Phantasie und Realitätssinn gleichermaßen gefordert. Phantasie ist gleichermaßen notwendig bei der Erfindung eines neuen Instruments als auch bei seinem situationsadäquaten Einsatz. Die Vorstellung, ein gegebenes Instrument ließe sich ohne weiteres und „schablonenhaft“ umsetzen führt unausweichlich zum Mißerfolg. Jede konkrete Situation enthält ihre eigenen Herausforderungen, die Beachtung verdienen. Praktisches Handeln muß die jeweils gegebenen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen beachten, es muß berücksichtigen, welche Personen und Institutionen von den Maßnahmen betroffen sind, in welchen Traditionen das organisationale Handeln steht, welche Erfahrungen die Organisationsmitglieder mitbringen usw. Daher ist neben Phantasie auch Realitätssinn gefragt, also die Fähigkeit und nicht minder die Bereitschaft, Gegebenes und neu Geschaffenes einer kritischen Prüfung zu unterziehen und gegebenenfalls neuen Einsichten und veränderten Bedingungen anzupassen.

In der folgenden Übersicht findet sich ein allgemeines Prüfschema für den Instrumenteneinsatz, das die angeführten Überlegungen berücksichtigt.


Übersicht: Fragestellungen zur Analyse personalwirtschaftlicher Gestaltungsmaßnahmen

- Welchem Hauptzweck dient das Instrument?

- Welche weiteren Ziele sind beim Einsatz zu beachten?

- Aus welchen Teilelementen besteht das Instrument?

- Welche Varianten gibt es?

- Welches sind die wichtigsten Gestaltungsparameter?

- Welche Wirkungshypothesen unterstellt der Instrumentengebrauch?

- Welches sind die wichtigsten Anwendungsvoraussetzungen?

- Wie ist das Instrument zu bewerten?


Danach ist zunächst zu klären, welche Aufgabe mit dem Einsatz eines Instrumentes überhaupt erfüllt werden soll. Die Haupt- und Nebenziele sind zu bestimmen und es ist zu prüfen, welche „verborgenen“ Bestimmungsgründe seinen Einsatz motivieren.

Personalbeurteilungssysteme beispielsweise sollen den Entwicklungsstand eines Mitarbeiters dokumentieren. Im Blickpunkt stehen Informationen über die Einsatzmöglichkeiten des Mitarbeiters und über einen evtl. Weiterbildungsbedarf. Beurteilungssysteme eignen sich daneben aber auch als Führungsmittel, und sie können darüber hinaus auch zur Entgeltfindung eingesetzt werden. Ein konkretes Personalbeurteilungssystem ist nun daraufhin zu untersuchen, ob die damit verbundenen Ziele überhaupt erreicht werden und ob „hinter“ seinem Einsatz nicht auch irgendwelche Nebenzwecke stecken. So dient die Personalbeurteilung manchem Vorgesetzten vor allem als Disziplinierungsinstrument – eine Aufgabe, für die gerade dieses Instrument denkbar ungeeignet ist. Nicht selten fehlt einem Personalbeurteilungssystem auch jedes „Leben“, d.h. Beurteilungen werden zwar routinemäßig durchgeführt, verschwinden dann aber in den Schubladen und bleiben ohne Konsequenzen. Dennoch können auch hinter diesem scheinbar funktionslosen Geschehen verborgene Motivationen stecken. Selbst leere Rituale haben ihren Zweck, denn sie sind dazu geeignet, die bestehende Ordnung und die damit verbundenen hierarchischen Strukturen zu bestätigen. Wie sinnvoll der Einsatz von Personalbeurteilungssystemen aus dieser Sicht im einzelnen jeweils ist, sei allerdings dahingestellt.

Zur Charakterisierung eines Instruments gehört nicht nur die Klärung der mit seinem Einsatz verbundenen Ziele, sondern natürlich auch die inhaltliche Beschreibung der „Teilelemente“, aus de-nen es sich zusammensetzt. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: zu einem Personalbeurteilung gehören in jedem Fall die Beschreibung der Aufgaben der Mitarbeiter und die Erläuterung der verwendeten Beurteilungskategorien. Damit ist das Beurteilungssystem aber noch nicht hinreichend beschrieben. Wesentliche Bestandteile eines solchen Systems sind beispielsweise auch die Beurteilerschulung und der Feedbackprozeß nach erfolgter Beurteilung.

Von jedem Instrument gibt es unterschiedliche Varianten. Eine Leistungsbeurteilung folgt beispielsweise einer anderen Logik als eine Potentialbeurteilung. Auch ist zu bedenken, daß es oft mehr oder weniger enge Verwandtschaften zwischen personalwirtschaftlichen Instrumenten gibt und es ist zu prüfen, ob es möglich ist, sie substitutiv einzusetzen. So läßt sich eine Leistungsbeurteilung beispielsweise auch durch Zielvereinbarungen ersetzen. In beiden Fällen geht es um die Verhaltenssteuerung. Im ersten Fall erfolgt sich über die Kommunikation der Beurteilung, im zweiten Fall wesentlich unmittelbarer über den Zielerreichungsgrad und über die damit verknüpften monetären Konsequenzen.

Von besonderem analytischen Interesse sind die Gestaltungsparameter eines Instruments. Damit sind diejenigen Eigenschaften gemeint, auf die der Gestalter Einfluß nehmen kann, um seine Zwecke zu erreichen. Ein wichtiges Gestaltungselement der Personalbeurteilung ist der Inhalt der Beurteilungskategorien. In der Praxis findet man häufig „Persönlichkeitsbeurteilungen“, die darauf zielen, bestimmte allgemeine Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Fleiß oder Ausdauer zu erfassen. Dieser Ansatz hat deutliche Grenzen. „Fleiß“ beispielsweise ist ein „subjektiver“ Begriff der je nach alltagssprachlichem Kontext sehr unterschiedlich verwendet wird. Der richtige Gebrauch von bewährten Kategorien der Persönlichkeitspsychologie dagegen setzt Wissen voraus, über das nur wenige Beurteiler verfügen. Außerdem wird das konkrete Arbeitsverhalten nur sehr bedingt durch allgemeine Persönlichkeitseigenschaften bestimmt. Statt die Persönlichkeit eines Mitarbeiters erfassen zu wollen, empfiehlt sich daher auch eher eine Verhaltensbeurteilung. Diese Beurteilung läßt der Willkür weniger Raum und ist daher auch weniger strittig. Außerdem bietet die Verhaltensbeurteilung die Möglichkeit, konkrete Ansatzpunkte für eine Veränderung unerwünschter Verhaltensweisen zu gewinnen. Ein anderes Gestaltungselement von Beurteilungsverfahren richtet sich auf den Kreis der Beurteiler. Das Standardverfahren überläßt dem Vorgesetzten die Beurteilung. Andere Verfahren – wie das „360 Grad Feedback“ beziehen neben dem Vorgesetzten auch die Kollegen und evtl. sogar die Kunden mit ein. Daneben wird auch der Beurteilte zu einer Selbstbeurteilung aufgefordert. Als weiteres Gestaltungselement von Personalbeurteilungen sei der Grad der Standardisierung erwähnt. Es gibt sogenannte „freie“ Beurteilungen, die es dem Beurteiler überlassen, welche Beurteilungskategorien er verwendet, es gibt Verfahren, die das Antwortformat vorgeben, Verfahren, die eine Rangreihe (welcher Mitarbeiter ist der „beste“, welcher der „zweitbeste“ usw.) verlangen und Scoring-Verfahren, also Verfahren, die die Vergabe von Punktwerten vorsehen.

Es sei nochmals wiederholt: es gibt nicht das generell „beste“ Verfahren. So ist das beispielsweise das „freie“ Verfahren nur selten zu empfehlen, es gibt aber durchaus Anwendungssituationen, in denen es bessere Dienste leistet als hochstrukturierte und standardisierte Verfahren. Man sollte sich jedenfalls über die Angemessenheit des ausgewählten Verfahrens (über die Festlegung auf eine bestimmte Gestaltungsalternative) Rechenschaft geben, denn es versteht sich eigentlich von selbst, daß gerade eine wissenschaftliche Betriebspraxis sich nicht damit zufriedengibt, ein Instrument nur deswegen einzusetzen, weil andere Unternehmen „gute Erfahrungen“ damit gemacht haben. Ob bewußt oder unbewußt, beim Einsatz eines Instrumentes folgt man immer einer Wirkungsvermutung: man entscheidet sich für eine Alternative, weil sie einem zweckdienlicher erscheint, als eine andere Alternative. Daraus folgt zweierlei. Erstens sollte man sich über seine Wirkungshypothesen Klarheit verschaffen. Und zweitens sollte man sich über die Begründung dieser Wirkungshypothesen Rechenschaft geben. Insbesondere ist zu prüfen, ob die vermuteten Wirkungen auch in der jeweils konkreten Situation eintreten werden. So verspricht man sich vom 360 Grad Feedback, daß es einen gemeinsamen Lernprozeß in Gang setzt. Es ist aber fraglich, ob dieses Vorhaben in hochbürokratischen Organisationen – die sich primär auf unpersönliche Koordinationsmechanismen stützen – gelingen kann. Mit dieser Überlegung ist ein wichtiger Aspekt in der Beurteilung von personalwirtschaftlichen Instrumenten angesprochen: die Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen. Denn ob ein Instrument die Dienste leistet, die man sich von seinem Einsatz verspricht, hängt nicht zuletzt auch an der Anwendungssituation, also von den jeweils gegebenen konkreten Handlungsbedingungen ab.

Eine weitere wichtige Erfolgsvoraussetzung liegt in der professionellen Handhabung des Instruments (wie bereits erwähnt, gehört z.B. zu einem Personalbeurteilungssystem immer auch eine entsprechende Schulung). Und schließlich hängt die Effizienz eines Instruments auch davon ab, in welcher Weise sein Einsatz durch zusätzliche Maßnahmen abgestützt wird. So ist es beispielsweise sinnlos, eine Personalbeurteilung einführen zu wollen, wenn mächtige Bereichsleiter diesem Instrument mit Skepsis gegenüberstehen. In diesem Fall muß der Einführung des Instruments eine erfolgreiche Überzeugungsarbeit vorangehen. Und schließlich sollte der Instrumenteneinsatz zur jeweiligen Personalpolitik passen. So macht es beispielsweise wenig Sinn eine enge Verhaltensbeurteilung vorzunehmen, wenn man die „eigentlich“ die Eigenständigkeit der Mitarbeiter fördern will. Die letzte aber nicht die unwichtigste Frage bemüht Beurteilungskriterien, die über den unmittelbaren Zweckgedanken hinausführen und moralische und erkenntniskritische Aspekte einbeziehen.

Personalwirtschaftliche Maßnahmen rücken dem Menschen unmittelbar auf den Leib. Es ist daher nicht nur legitim, sondern auch geboten, zu fragen, wie stark sie in Persönlichkeitsrechte eingreifen und welche unmittelbaren und welche weniger offenkundigen Wirkungen sie entfalten. Um beim Beispiel des 360 Grad Feedback zu bleiben: es ist doch sehr die Frage, ob die beabsichtigte Rundum-Durchleuchtung eines Mitarbeiters ethisch gerechtfertigt werden kann oder ob – um den gesellschaftlichen Kontext nicht zu vergessen – dieses Instrument überhaupt und ganz allgemein als wirkliche kulturelle Errungenschaft gelten kann. Und schließlich sollte man auch ganz generell kritisch sein, was Effizienzbehauptungen und deren Berufung auf „gesicherte“ wissenschaftliche Erkenntnisse angeht. Die wissenschaftliche Fundierung praktischer Gestaltung kann ganz generell nur bedingt und annäherungsweise gelingen. Entsprechend kritisch sind die Wirkungsbehauptungen und das dahinter stehende Wissen geprüft werden. Beurteilungskriterien liefern hierzu nicht zuletzt wissenschaftstheoretische Überlegungen.


Anmerkung: Der Text ist entnommen aus Martin, A. 2001: Personal. 114-117. Stuttgart (Kohlhammer Verlag)