Diagnose strategischer Fehlentwicklungen

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Eine strategische Fehlentwicklung liegt vor, wenn die mittel bis langfristige Ausrichtung einer Unternehmung nicht für die Erfüllung der intern gesetzten Ziele ausreichend ist. Die Diagnose von strategischen Fehlentwicklungen dient der Identifikation von notwendigen Veränderungsprozessen. Da es um das frühzeitige Erkennen solcher Entwicklungen geht, können zum Zeitpunkt der Diagnose lediglich "schwache Signale" lokalisiert und analysiert werden.[1] Die Ergebnisse bieten für Unternehmen eine Informationsgrundlage über mögliche Chancen und Gefahren. Basierend darauf können anschließend Handlungsalternativen entwickelt werden.[2]

Begriffsabgrenzung

Arten von strategischen Fehlentwicklungen

Es gibt vier grundsätzliche Arten von strategischen Fehlentwicklung, die wie folgt unterschieden werden:[3]

1. Die angewendete Strategie wurde von Anfang an nicht auf die Ziele des Unternehmens abgestimmt.

2. Die gewählte Strategie wurde auf die Ziele des Unternehmens abgestimmt, jedoch nicht sachgerecht implementiert.

3. Die gewählte und implementierte Strategie ist in sich widersprüchlich, d.h. Strategien aus den einzelnen Teilbereichen des Unternehmens sind nicht aufeinander abgestimmt, wodurch es zu Zielkonflikten kommt.

4. Die gewählte Strategie war zur Zeit der Implementierung auf die Ziele des Unternehmens abgestimmt. Im Laufe der Zeit haben sich jedoch interne oder externe Veränderungen ergeben, die eine Anpassung der gewählten Strategie notwendig machen.

Abgrenzung des Themenfeldes

Die Diagnose strategischer Fehlentwicklungen sollte möglichst frühzeitig erfolgen, damit mögliche Problem erkannt und behandelt werden können, bevor sie im operativen Geschäft auftreten.[4] Bei der Diagnose strategischer Fehlentwicklung geht es somit um die Ableitung von Vorsorgemaßnahmen und nicht wie im operativen Bereich, um die Bekämpfung von bereits eingetretenen Fehlentwicklungen.[5]

Entstehung strategischer Fehler

Symptome

Erste Anzeichen strategischer Probleme können bereits erkennbar sein, bevor sie tatsächlich eintreten. Beispiele für unternehmensinterne Symptome können sein:[6]

  • Rückgang von Marktanteilen
  • Wachsende Unübersichtlichkeit der Produktpalette oder Produktvarianten
  • Verlust wichtiger Kunden
  • Häufiger Wechsel von Lieferanten
  • Veränderungen des Kaufverhaltens oder Käuferinteressen


Des Weiteren können folgende beispielhaft angeführte personalpolitische Symptome auf strategische Fehlentwicklungen hinweisen:

  • Rückgang von Bewerbungen
  • Kündigungen oder starke Fluktuation qualifizierter Mitarbeiter
  • Erhöhte Krankheitsraten

Handlungsvoraussetzungen

Strategische Probleme bedeuten Bedrohung oder Verlust von Erfolgspotenzialen. Durch folgende Faktoren wird das Treffen von Entscheidungen begünstigt, die den Verlust von Erfolgspotenzialen bewirken können:[7]

  • Unsicherheit trotz sorgfältiger Planung

zukünftige Entwicklungen sind nur begrenzt vorhersehbar, z.B.: kann es trotz gewissenhafter Planung einer neuen Produkteinführung passieren, dass der Kunde das Produkt nicht annehmen möchte; neue Gesetze wie bspw. die Katalysatorpflicht für Autos stören den Produktionsplan

  • Komplexität in der Geschäftswelt

die Anzahl von Geschäftsereignissen und ihre möglichen Zusammenhänge in der Unternehmensumwelt ermöglichen keine vollständige Analyse. Komplexe Systeme lassen sich schwer vollkommen überblicken und durchschauen und sie verändern sich ununterbrochen. Es daher unmöglich, die Ursachen ihres Verhaltens zu lokalisieren und dessen Wirkungen sicher vorherzusehen, z.B.: sind Lieferketten für eine Vielzahl von Produkten weltweit verzweigt, was dazu führt, dass Menschen mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen und damit sehr divergierenden Verhaltensweisen, Werten, Überzeugungen etc. zusammenarbeiten müssen, wodurch es zu Verständigungs- und Abstimmungsproblemen kommen kann

  • Abhängigkeit von strategischen Akteuren bei Entscheidungen

Oftmals kann Akteur A erst dann handeln, wenn Akteur B gehandelt hat und umgekehrt. Die zeitliche Verzögerung kann das strategische Problem verschlimmern, z.B.: kann ein Marketingverantwortlicher erst mit der Planung beginnen, wenn der Finanzverantwortliche die finanziellen Mittel freigegeben hat. Verzögern sich die Budgetverhandlungen, so müssen alle abhängigen Geschäftsbereiche warten und Kundenbedürfnisse werden langsamer befriedigt

Schwache Signale

Schwache Signale oder „weak signals“ sind unzureichend strukturierte, schwer zu fassende und teilweise mehrdeutige Informationen aus dem internen und externen Unternehmensumfeld. Die Informationen haben einen fragmentarischen und unvollständigen Charakter, konkretisieren und verstärken sich jedoch im fortschreitenden Zeitablauf.[8] Die Diagnose strategischer Fehlentwicklungen beruht auf dem Konzept der schwachen Signale, um möglichst frühzeitig auf potentielle Chancen und Risiken hinweisen zu können. Die gewollt frühzeitige Erfassung und die sich daraus ergebende mangelnde Eindeutigkeit der Information stellt die wesentliche Ursache für die Schwäche eines Signals dar.

Mithilfe der schwachen Signale lassen sich potentielle Krisen und Chancen zu einem Zeitpunkt diagnostizieren, zu dem operative Früherkennungsmodelle wie Kennzahlen- oder hochrechnungsorientierte Systeme noch nicht auf sie hinweisen können. Das übergeordnete Ziel des Konzepts der schwachen Signale ist nicht das kurzfristige Handeln und Reagieren, sondern die langfristige Zukunftssicherung durch rechtzeitige strategische (Gegen-) Maßnahmen.[9] Beispielsweise lassen sich mit dem Konzept der schwachen Signale zukünftige konjunkturell-bedingte Absatzprobleme zeitlich sehr viel frühzeitiger erfassen als eine auf Basis von Kennzahlen ermittelte und damit schon eingetretene sinkende Absatzquote.

Die qualitativ geprägten Signale weisen auf Trendbrüche und Diskontinuitäten in Form von schleichenden Veränderungen im Unternehmensumfeld hin. Beispiele hierfür sind Ansichten in den Medien oder Häufungen ähnlicher Ereignisse und Meinungen von inner- oder außerbetrieblichen Meinungsführern oder Experten.

Aus dem Zeitpunkt der Signalerfassung und der qualitativen Beschaffenheit der Informationen ergibt sich das zentrale Problem des Konzepts der schwachen Signale: Je frühzeitiger eine Information wahrgenommen wird, desto schwieriger die Interpretation sowie die Prognose der weiteren Entwicklung. Die konzeptbezogenen Basisaktivitäten Scanning und Monitoring schwächen das Problem durch eine systematische Suche und eine aktive Wahrnehmung der Signale ab.

Scanning

Beim Scanning wird kontinuierlich und bereichsübergreifend nach Anzeichen für sich anbahnende und für bereits eingetretene unternehmensrelevante Umweltveränderungen gesucht. Um die Informationsnutzung zu verbessern, sollten die relevanten Beobachtungsbereiche anhand des Unternehmenskontextes bestimmt werden. Abhängig von der Branche, der Marktstellung oder konjunkturellen Gegebenheiten können die Beobachtungsbereiche stark variieren. Unternehmen in sehr konkurrenzschwachen Märkten achten beispielsweise weniger auf Wettbewerber als Unternehmen in sehr stark umkämpften Wirtschaftszweigen. Auch kann die Beobachtung der Entwicklung der Gesetzgebung Aufschluss über die Beeinflussung zukünftiger Geschäftsaktivitäten geben.

Die Beurteilung der Relevanz des Beobachteten erfolgt zunächst auf der intuitiv-subjektiven Ebene. Eine objektivere und nachvollziehbare Bewertung kann durch die Befragung von Experten erlangt werden, wobei deren Einschätzungen bezüglich der Eintrittswahrscheinlichkeit sowie der Dringlichkeit im Vordergrund stehen sollten.[10]

Monitoring

Sobald unternehmensrelevante Signale gefunden werden, erfolgt ein auf die Auffälligkeit gerichtetes Monitoring. Das identifizierte schwache Signal wird hinsichtlich seiner genauen Eigenschaften analysiert und es werden systematisch erste Hinweise auf potentielle unternehmensbezogene Auswirkungen abgeleitet. In der Praxis werden hierzu signalbezogene Szenarien oder Trendlandschaften entwickelt. Auf Basis der daraus abgeleiteten Aussagen werden Handlungsalternativen bestimmt und hinsichtlich ihrer Wirkungen bewertet.[11]

Entwickelte Szenarien können sich beispielsweise auf eine potentielle Gesetzesänderung und damit auf ein sich anbahnendes Verkaufsverbot eines bestimmten Produktes beziehen, auf das reagiert werden muss. Die Entwicklung von Handlungsalternativen könnte eine geänderte Produkt-Mart Strategie oder ein neues Produktportfolio beinhalten. Das Ergebnis des Monitorings ist die spezifische Beschreibung von Entwicklungen, die Identifikation von weiterhin zu beobachtenden Trends sowie die Lokalisierung von Beobachtungsbereichen, die im Rahmen des Scannings berücksichtigt werden sollten. Die Schritte der Basisaktivitäten stellt Liebl anhand des Prozessmodells der strategischen Frühaufklärung dar.[12]

Prozessmodell der strategischen Fehlentwicklung.jpg

Implementierung

Für die erfolgreiche Einführung eines Früherkennungssystems müssen einige Bedingungen sowohl auf Organisations- als auch auf Mitarbeiterebene erfüllt sein. Grundsätzlich ist eine kontinuierliche Überprüfung der aktuellen Strategie auf ihre Zweckmäßigkeit hin erforderlich. Nur in selbstkritischen und lernfähigen Organisationen können die diagnostizierten Umweltveränderungen auch tatsächlich zu Strategieanpassungen führen. Lernfähige Organisationen reagieren auf interne und externe Impulse und entwickeln sich ständig gemäß den sich verändernden Bedingungen weiter. Folgende Merkmale zeichnen sie aus:[13]

  • Mutige und unabhängige Mitarbeiter, welche ihre Zweifel und Anregungen frei von sozialem Druck ( z.B. Gruppendruck, Gruppendenken usw.) äußern.
  • Eine Unternehmenskultur der Toleranz und Offenheit, welche Experimentieren und Kommunizieren fördert.
  • Flache Hierarchien in Kombination mit einem demokratischen Führungsstil, welche die Partizipation der Mitarbeiter an der Strategieformulierung fördern.
  • Eine reaktionsschnelle Organisationsstruktur, welche flexibel an die veränderte Unternehmensstrategie angepasst werden kann.

Kritische Würdigung

Das Konzept der schwachen Signale unterstützt die Bildung einer Informationsgrundlage für strategische Entscheidungen. Da schwache Signale meist nicht quantifizierbar sind, besteht das Risiko einer Fehlinterpretation. Diese kann zu unnötigen oder falschen Strategieänderungen führen. Einen weiteren Unsicherheitsfaktor stellt die eingeschränkte Aufnahmefähigkeit der Mitarbeiter dar. Aufgrund gesellschaftlicher Normen sowie ihrer kognitiven Strukturen neigen Menschen zu selektiver und subjektiver Wahrnehmung. Da beispielsweise eigene Fehler nur ungern eingestanden werden, tendieren Mitarbeiter dazu eher jene Informationen wahrzunehmen, welche den bestehenden Status quo bestätigen und somit ihre früheren Entscheidungen rechtfertigen. Folglich ist es fraglich, in welchem Umfang sie überhaupt in der Lage sind schwache Signale objektiv zu erkennen und zu verarbeiten. Hinzu kommt, dass eine exakte Erfolgszurechnung der Früherkennung kaum möglich ist. Da Frühinformationen nur in Verbindung mit den aus ihnen abgeleiteten Maßnahmen Veränderungen auslösen können, ist ihr ursprünglicher Nutzen kaum bestimmbar. Dennoch ermöglicht die Implementierung von Früherkennungssystemen eine frühzeitige Erfassung interner und externer Veränderungen. Eine schnelle Reaktion auf diese Entwicklungen kann einen wertvollen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz mit sich bringen. Grundsätzlich hängt die Notwendigkeit und Nützlichkeit des Konzepts der schwachen Signale von Art, Größe und Branche eines Unternehmens ab. So ist die Relevanz strategischer Früherkennungssysteme für global operierende Technologieunternehmen deutlich größer als beispielsweise für einen mittelständischen Strumpfwarenhersteller. Das liegt unter anderem an der Schnelllebigkeit und Wettbewerbsintensität der Computerindustrie.

Einzelnachweise

Literatur

  • Fraenkler, Hans (2006): Unternehmenssanierung. Kraftvoll aus der Krise in die Gewinnzone, Band 10. Landsberg am Lech.
  • Geißler, Jörg (1995): Frühaufklärungssysteme. Instrumente zur frühzeitigen Wahrnehmung von Chancen und Risiken im Unternehmen, Diss., TU Dresden, Dresden.
  • Konrad, Lothar (1991): Strategische Früherkennung. Eine kritische Analyse des „weak signals“- Konzeptes. Bochum: Brockmeyer Verlag.
  • Krystek, Ulrich (2000): Frühwarnsysteme – Frühaufklärungssysteme. Zeitgewinn durch Eröffnung retrograder Handlungsspielräume, in: Götze, Uwe/Backes, Matthias (Hrsg.): Management und Zeit, Heidelberg, S. 144–168.
  • Krystek, Ulrich/Müller-Stewens, Günter (1993): Frühaufklärung für Unternehmen. Identifikation und Handhabung zukünftiger Chancen und Bedrohungen, Stuttgart.
  • Krystek, Ulrich (2003): Bedeutung der Früherkennung für Unternehmensplanung und Kontrolle, in: Horváth, Péter (Hrsg.): Neugestaltung der Unternehmensplanung. Innovative Konzepte und erfolgreiche Praxislösungen, Stuttgart, S. 121–148.
  • Liebl, Franz (1996): Strategische Frühaufklärung. Trends - Issues – Stakeholders, Oldenburg, München et al.
  • Müller, Adrian W./Müller-Stewens, Günter (2009): Trend- und Zukunftsforschung. Instrumente, Prozesse, Fallstudien, Schäffer-Poeschel, Stuttgart.
  • Müller, Günter/Zeiser, Bernd (1980): Zufallsbereiche zur Beurteilung frühaufklärender Signale, in: ZfB, 6, S. 605–619.
  • Neumann, Andreas Martin (2004): Partizipative Früherkennung von Chancen und Risiken. Perspektiven und Bedingungen für neue Ansätze zur langfristigen Sicherung der Existenz von Unternehmen und ihrer Arbeitsplätze, Mering: Hampp Verlag.
  • Schreyögg, Georg/Steinmann, Horst (1987): Strategic Control – A New Perspective. Academy of Management Review, 12 (1, 91-103.
  • Steger, Ulrich/Winter, Matthias (1996): Strategische Früherkennung zur Antizipation ökologisch motivierter Marktveränderungen, in: Die Betriebswirtschaft, 56 Jg., Heft 5.
  • Weigand, Andreas/Buchner, Holger (2000): Früherkennung in der Unternehmenssteuerung –Navigation für Unternehmen in turbulenten Zeiten, in: Horváth, Péter (Hrsg.): Früherkennung in der Unternehmenssteuerung, Stuttgart.
  • Welsch, Christina (2010): Organisationale Trägheit und ihre Wirkung auf die strategische Früherkennung von Unternehmenskrisen, Gabler, Wiesbaden.
  • Liebl (1996)
  • Müller/Müller-Stewens (2009)
  • Weigand/Buchner (2000)
  • Krystek/Müller-Stewens (1993)
  • Krystek (2003)
  • Fraenkler (2006)
  • Schreyögg/Steinmann (1987)
  • Steger/Winter (1996)
  • Welsch (2010)
  • Müller/Zeiser (1980)
  • Krystek (2000)
  • Liebl (1996)
  • Schreyögg/Steinmann (1987)