Critical Incident Technique

Aus Personal_und_Führung
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Die Critical Incident Technique CIT (Methode der kritischen Ereignisse) ist zurückzuführen auf J.C. Flanagan.[1] Es handelt sich dabei um ein induktives Verfahren, das ursprünglich als Beobachtungsmethode entwickelt wurde, um kritische Ereignisse systematisch und objektiv zu beschreiben. Kritische Ereignisse sind Verhaltensweisen, die eine Situation bzw. ein Ergebnis maßgeblich beeinflussen und so zum Erfolg oder Misserfolg beitragen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen jeweils die auslösende Situation, das Verhalten der involvierten Personen und die daraus resultierende Konsequenz. Die Datenerhebung erfolgt entweder über die Beobachtung oder das Führen von Interviews.[2]


Die Methode

Die Critical Incident Technique CIT wird J.C. Flanagan zugeschrieben. Flanagan führt an, dass die CIT flexibel eingesetzt werden sollte und nicht an starre Regeln gebunden ist. „Rather it should be thought of as a flexible set of principles which must be modified and adapted to meet the specific situation at hand”.[3] Diese Flexibilität ermöglicht es, die CIT bei verschiedenen Problemstellungen innerhalb einer Organisation anzuwenden.

Das Verfahren kommt daher in ganz unterschiedlichen Feldern der Organisationsentwicklung zum Einsatz. Beispielhafte Bereiche sind unter anderem in der Personalauswahl, der Personalschulung, in der Arbeitsplatzgestaltung oder auch im Bereich des interkulturellen Managements zu finden. Die CIT wird dazu eingesetzt, erfolgsfördernde oder erfolgsmindernde Verhaltensweisen und zugrunde liegende Wirkmechanismen innerhalb der Organisation zu analysieren und aufzudecken. Das erhobene Wissen dient dazu, Organisationsprozesse zu optimieren - beispielsweise kann bestehendes Personal entsprechend geschult werden bzw. neue Mitarbeiter/Innen können den Anforderungen entsprechend selektiert werden.

Anwendungsbeispiel

Bespiel: Interkulturelles Management

Interkulturelles Management hat zum Ziel, das Aufeinandertreffen von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen im Kontext der Berufswelt zu verbessern. Während der Interaktion von Mitarbeitern aus verschiedenen Kulturen entstehen aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Prägung oft Probleme und Missverständnisse. Um für diese Probleme Lösungen zu finden, muss zunächst analysiert werden, in welchen Situationen welche typischen Missverständnisse auftreten und wo es zu erfolgskritischem Verhalten kommt. Hier kommt die Methode der kritischen Ereignisse zum Einsatz. Dabei werden die Mitarbeiter gezielt nach erlebten Situationen aus ihrer eigenen Erfahrungswelt befragt, die in der internationalen Zusammenarbeit zu Missverständnissen und Konflikten führten. Der Interviewte wird dabei gebeten, möglichst detaillierte Angaben zu der Ausgangssituation, dem Verhalten aller beteiligter Personen und der hervorgehenden Konsequenz zu machen. Anschließend werden typische, wiederkehrende Situationen analysiert und erfolgskritische Verhaltensweisen abgeleitet. Die Methode der kritischen Ereignisse kann gemäß Strutz[4] in fünf Teilschritte untergliedert werden, die im Folgenden genauer ausgeführt werden:


  • Bestimmung der Zielsetzung (Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit, Vermeidung von Missverständnissen und Konflikten, Festlegung von Kriterien zur Bestimmung eines CI)
  • Planung der Datenerhebung (Flanagan selbst bezeichnet die direkte Beobachtung einer kritischen Situation durch geschulte Beobachter nach eindeutigen Kriterien als Königsweg der Datensammlung. Pragmatische Gründe sprechen jedoch häufig für den Einsatz anderer Methoden, wie z.B. narrativer oder teilstrukturierter Interviews)
  • Bestimmung der Stichprobe (Wie viele und welche Mitarbeiter werden interviewt, Definition des Expertenstatus)
  • Datenerhebung (Definition von Anforderungen an die geschilderten Situationen, Durchführung der Interviews, Fokus auf die Beschreibung des Situationskontextes (Wo, Wann, Wer, Warum?) und der Beschreibung der Handlungskonsequenzen)
  • Auswertung & Interpretation (Kategorien festlegen & CI in Kategorien clustern, Mitarbeiterschulung zur Umsetzung der analysierten erfolgskritischen Verhaltensweisen)


Als Beispielszenario dient ein Fall aus der deutsch-türkischen Zusammenarbeit: Zwischen den Mitarbeitern der beiden Kulturen kam es wiederholt zu Konflikten und zu Unmut, weil es bei gemeinsamen Projekten ständig zu Verzögerungen kam und die Milestones nicht nach Plan erreicht wurden. Durch den Einsatz der CIT und das Führen von Interviews mit den involvierten Mitarbeitern wurden zugrunde liegende Wirkmechanismen aufgedeckt: Während die deutschen Mitarbeiter das Bedürfnis äußerten, die Dinge nacheinander anzugehen und detaillierte Maßnahmenpläne zu erstellen, arbeiteten die türkischen Mitarbeiter bevorzugt parallel. Die Zusammenarbeit mit Kollegen aus einem anderen Kulturkreis führte also dazu, dass unterschiedliche Konzepte hinsichtlich Planungsstil und Planungtiefe aufeinandertrafen und dies zu Konflikten führte.

Critical Incidents ähnlich zu diesem traten gehäuft auf, sodass ein Muster identifiziert werden konnte, mit dessen Hilfe die aufgetretenen Konflikte zu erklären waren. Ein gegenseitiges Verständnis und das Respektieren von unterschiedlichen Bedürfnissen und daraus abgeleitete Kompromisse hinsichtlich Planungstiefe und den Planungshorizont konnten als erfolgskritische Verhaltenskomponenten in der deutsch-türkischen Zusammenarbeit identifiziert werden. Die CIT diente dazu, verborgende Zusammenhänge aufzuzeigen und eine Organisationsentwicklung zu ermöglichen. Der große Vorteil dieser Methode liegt dabei im aktiven Einbinden der betroffenen Mitarbeiter - statt Stereotype aufzugreifen geht diese Methode induktiv vor und Erkenntnisse werden aus konkreten und praxisrelevanten Erlebnissen aus der Erfahrungswelt der Mitarbeiter abgeleitet.

Exkurs: CIT zur Analyse von Unfallberichten

Ein weiteres Anwendungsfeld bietet die Analyse von Unfallberichten. Mittels der CIT werden hier kritische Situationen aus vergangenen Geschehnissen erfasst, um entscheidende Verhaltensweisen zu identifizieren und neue Erkenntnisse für eine Organisationsentwicklung abzuleiten. Ein tragisches Beispiel bietet das Flugzeugunglück aus dem Jahre 1977, das sich auf Teneriffa ereignete und in das eine Pan-AM und eine KLM Maschine verwickelt waren. Mit Hilfe der CIT lassen sich einige Verhaltensweisen der Piloten feststellen, die maßgeblich zu dem Ereignis beigetragen haben. Beispielsweise wusste der Copilot einer der Unglücksmaschinen, dass keine Startfreigabe vorlag. Dieses Wissen gab er jedoch aufgrund des Hierarchiegefälles im Cockpit nicht an den Piloten weiter.[5] Diese Erkenntnis, die erst durch den Einsatz der CIT gewonnen werden konnte, kann dazu genutzt werden, das Personal auf ähnliche Situationen zu trainieren und solchen Verhaltensweisen und Wirkmechanismen entgegen zu wirken. Es geht bei dem Konzept der CIT nicht darum, einen einzelnen Fehler zu finden. Stattdessen werden generelle Abläufe hinsichtlich kritischer Verhaltensweisen analysiert, um zukünftig Fehler zu vermeiden bzw. Prozesse zu optimieren.

Anwendungsvoraussetzungen

Die CIT setzt voraus, dass der Interviewte bzw. der Beobachtete ein sogenannter Subject-Matter Experte ist. Dies bedeutet, dass er sich in dem jeweiligen Gebiet gut auskennt und über praktische Erfahrungen verfügt. Oft wird hierfür ein Zeitraum definiert, über den der Befragte bzw. zu Beobachtende in dem jeweiligen Bereich gearbeitet haben muss, damit er für die Datenerhebung in Frage kommt.[6] Darüber hinaus darf das Ereignis, zu dem der Befragte Auskunft gibt, nicht lange zurückliegen, damit die auslösende Situation, das Verhalten der beteiligten Personen und die Konsequenz möglichst genau wiedergegeben werden können - auch hier bedarf es also der Festlegung eines zulässigen zeitlichen Höchstrahmens. Zusätzlich sollte auch der Beobachter bzw. Interviewer über Erfahrung mit der Methode verfügen.

Gütekriterien & Kritik

Zu den Gütekriterien der CIT liegen nur wenige Studien vor. Blickle, Nerdinger und Schaper vertreten die Meinung, dass die Objektivität der Methode als gering einzuschätzen ist, da Erinnerungen seitens der Probanden und der Beobachter grundsätzlich subjektiv sind und nur selektiv wiedergegeben werden.[7] Zur Optimierung der Güte sollte der Befragungszeitpunkt möglichst nah an dem eigentlichen Ereignis liegen, was allerdings insbesondere dann problematisch ist, wenn die Auswirkungen des Verhaltens für die Organisation zu spät erkannt werden bzw. noch nicht abgeschätzt werden können. Durch ein standardisierteres Vorgehen (z.B. mittels eines leitfadengestützten Interviews) sowie den Einsatz von mehreren vorab intensiv geschulten Interviewern bzw. Beobachtern kann die Objektivität der Methode erhöht werden. Doch weitere Schwierigkeiten (z.B. der Framing Effekt, der Trend zum vermehrten Äußern von positiven Ereignissen bzw. dem Verschweigen von negativen Ereignissen, etc.) führen dennoch zu einer gering ausgeprägten Objektivität.[8] Die Validität ist durch die hohe Gefahr der Subjektivität ebenfalls als eher gering einzuschätzen.

Damit wiederkehrende Muster in den erhobenen Critical Incidents erkennbar werden, wird eine große Fallzahl benötigt, was sich wiederum negativ auf die Ökonomie bzw. Nützlichkeit der Methode auswirkt, da hohe Fallzahlen hohe Kosten verursachen.[9] Hohe Fallzahlen sind jedoch vonnöten, um belastbare Informationen zu generieren. Ein Indikator für die Repräsentativität der erhobenen Critical Incidents ist der sogenannte Sättigungsgrad. Dies bedeutet, dass bei einer bestimmten Anzahl von Interviews keine neuartigen kritischen Ereignisse mehr erhoben werden, sondern sich bereits genannte Critical Incidents lediglich wiederholen. [10]

Siehe auch

J.C. Flanagan

Flugzeugunglück von Teneriffa


Einzelnachweise

  1. vgl. Flanagan, J.C. (1954).The critical incident technique. Psychological Bulletin, 51 (4): S. 327-359
  2. vgl. Flanagan, J.C. (1954).The critical incident technique. Psychological Bulletin, 51 (4): S. 327-359
  3. vgl. Flanagan, J.C. (1954).The critical incident technique. Psychological Bulletin, 51 (4): S. 327-359
  4. vgl. Strutz, Geraldine (2007). Analyse der Kundenzufriedenheit – Methodik, Vorgehensweise, Durchführung. Grin Verlag S. 36f
  5. vgl. Weick, Karl E. (2001). Making Sense of the Organization. Oxford: Blackwell Publishers
  6. vgl. Blickle, Nerdinger & Schaper (2011). Arbeits- und Organisationspsychologie. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag
  7. vgl. Blickle, Nerdinger & Schaper (2011). Arbeits- und Organisationspsychologie. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag
  8. vgl. Stocke, Volker (2002). Framing und Rationalität: Die Bedeutung der Informationsdarstellung für das Entscheidungsverhalten. Oldenbourg Wissenschaftsverlag
  9. vgl. Schwaiger, Manfred / Meyer, Anton (2011); Theorien und Methoden der Betriebswirtschaft, Vahlen Verlag
  10. vgl. Franke (2010). Interkulturität und Wirtschaft: Kooperationskompetenz im Global Business. Logos Verlag