Archetypen des organisationalen Wandels (Miller und Friesen)

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Archetypes of Organizational Transition ist eine im Jahr 1980 veröffentlichte Forschungsarbeit von Danny Miller und Peter Friesen zur Bestimmung verbreiteter Muster bei Veränderungsprozessen in Organisationen. Sie zeigt, dass bestimmte Ereignisse im Rahmen organisationaler Veränderungen dazu tendieren, gemeinsam aufzutreten und somit Vorhersagen für kommende Entwicklungen zulassen. Die bisheriger Forschung hatte laut Miller und Friesen eine sehr vereinfachte und unvollständige Betrachtungsweise von organisationalem Wandel zu Grunde gelegt. Im Unterschied dazu wird nun ein starker Fokus auf die differenzierte und komplexe Natur von Organisationen sowie den stattfindenden Veränderungen gelegt. Miller und Friesen beschreiben auf Basis dessen sechs Archetypen, d.h. Grundtypen des Wandels, die sich durch je charakteristische Muster auszeichnen. Das Ziel ist es dabei, mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse, Vorhersagen bezüglich der Reaktionen auf bestimmte Ereignisse und daraus resultierende Verläufe des Wandels treffen zu können. Hieraus sollen schließlich Handlungsempfehlungen ableitbar sein.


Hintergrund und Einordnung

Bis in die 1980er Jahre wurde das Forschungsfeld zum organisatorischen Wandel von Aufsätzen der Kontingenztheoretiker dominiert. Deren größter Beitrag bestand in der Erkenntnis, dass die Strukturen einer Organisation an ihre jeweilige Umwelt angepasst werden müssen. Dieser Forschungsstrang hat jedoch unzureichende Ergebnisse produziert, was laut Miller und Friesen auf verschiedene Ursachen zurückzuführen ist:

  1. Es wurde lediglich die Beziehung weniger (oftmals nur zweier) Umwelt- und struktureller Variablen innerhalb von Untersuchungsdesigns berücksichtigt, was der Komplexität von Veränderungen nicht gerecht wird.
  2. Obwohl sich Veränderungen über einen längeren Zeitraum hinweg erstrecken, wurden mehr Quer- als Längsschnittstudien durchgeführt.
  3. Schlussfolgerungen von Forschungsergebnissen wurden - trotz starker Heterogenität der Stichprobe - auf alle Organisationen übertragen.
  4. Der Einfluss von Strategieaspekten auf den Veränderungsprozess wurde trotz seiner Relevanz weitestgehend ignoriert.

Um diese Defizite zu beheben, haben Miller und Friesen eine Längsschnittstudie unter Einbezug des Strategieaspekts durchgeführt, um Entwicklungen über einen längeren Zeitraum hinweg betrachten zu können. Sie gingen dabei davon aus, dass Entwicklungen in Organisationen nicht gradlinig verlaufen, sondern in Form von Phasen der Ruhe im Wechsel mit Übergangsphasen stattfinden.


Methodik und Ermittlung der Archetypen

Die von den Autoren als Übergangsphasen benannten Zustände des Wandels werden durch eine Reihe von Umwelt-, organisatorischen und strategieentwickelnden Variablen definiert. Beispielhaft sind hier jeweils Variablen wie eine dynamische Umwelt, eine technokratische Struktur oder eine analytische Strategiebildung zu nennen. Insgesamt haben Miller und Friesen 24 Variablen für ihre Studie herangezogen (Tabelle 1). Diese haben sie nach der empirischen und konzeptuellen Relevanz, die in vorherigen Untersuchungen gezeigt wurde (Chandler 1962, Mintzberg 1973, Burns und Stalker 1961) sowie ihrer Messbarkeit mittels der genutzten Methoden, ausgewählt.

Tabelle 1: Erläuterung der Variablen

Für die Studie selbst haben Miller und Friesen drei Datenquellen genutzt:

  1. 36 detailliert verschriftlichte Firmenhistorien, die mindestens einen Zeitraum von 20 Jahren abbildeten und genügend Informationen enthielten, um mindestens 90 Prozent der Variablen bewerten zu können.
  2. Befragung von Führungskräften, die in der oben genannten Firmenhistorie eine Schlüsselrolle inne hatten. Hierdurch wurde die Validität der Studie überprüft.
  3. Befragung von zusätzlichen (Vergleichs-) Firmen, um die Validität und Allgemeingültigkeit der oben gewonnenen Erkenntnisse zu testen.


Identifikation der Übergangsphasen

Aus der ersten Datenquelle, den Unternehmensdaten, haben zwei unabhängige geschulte Personen Übergangsphasen identifiziert. Dabei sollte der Start- und Endpunkt bzw. die Dauer einer Periode so festgelegt werden, dass möglichst alle zusammenhängenden Auswirkungen und Veränderungen im Anschluss an das auslösende Ereignis erkennbar werden. Eine Übergangsphase ist durch Ereignisse gekennzeichnet, welche das Unternehmen aus einem stabilen Zustand in eine Phase der Unsicherheit und des Übergangs versetzt. Erst wenn ein neuer stabiler Zustand erreicht ist, gilt die Übergangsphase als beendet (Abbildung 1). Bedeutende Veränderungen, die eine Übergangsphase einleiten, liegen zum Beispiel in dem Wechsel eines CEOs, der Einführung eines neuen Produktes oder dem Eintritt neuer Wettbewerber vor.

Abbildung 1: Übergangsphasen

Um das Zusammenwirken verschiedener Variablen abbilden zu können, wurde die Dauer einer Übergangsphase auf mindestens vier Jahre angesetzt. Damit von einer Übergangsphase gesprochen werden kann, müssen innerhalb dieser Periode in mindestens vier Variablen Veränderungen erkennbar sein. War dies nicht der Fall, wurde die Periode entsprechend verlängert.

Aus den Daten der 36 Firmen konnten 135 Übergangsphasen identifiziert werden. Die durchschnittliche Dauer einer Periode lag dabei bei sechs Jahren, die kürzeste bei 18 Monaten, die längste bei 20 Jahren.


Bewertung der Übergangsphasen

Die Bewertung der Übergangsphasen erfolgte - ebenfalls durch die zuvor genannten Fachpersonen - in zwei Schritten. Zunächst wurden die Ausprägungen der Variablen zu Beginn einer jeden Übergangsphase im Vergleich zu anderen Unternehmen bewertet. Dabei wurde den Bewertern Datenmaterial von 20 bis 30 weiteren Unternehmen zur Orientierung vorgelegt. Die Bewertungsskala reichte dabei von eins bis sieben. Größer als vier bedeutet, dass die Variable stärker ausgeprägt ist als bei Vergleichsunternehmen. Kleiner als vier, eine schwächere Ausprägung. Die erste Bewertung diente dann als Referenzwert für die zweite Bewertung: Den Vergleich zwischen Anfang und Ende einer jeden Übergangsphase. Diese Punktzahl wird im Aufsatz als Übergangswert bezeichnet. Auch hier wurden Punkte von eins bis sieben vergeben. Ein Wert über vier bedeutet zum Beispiel, dass der Markt des Unternehmens am Ende der Übergangsphase dynamischer ist, als er noch zu Beginn war. Der Korrelationskoeffizient zwischen den unabhängig voneinander abgegebenen Bewertungen lag dabei mit .87 sehr hoch.

Validierung der Ergebnisse

Um die Validität der bisherigen Ergebnisse zu überprüfen, sollte ein Fragebogen vom Top-Management der untersuchten Unternehmen zum Einsatz kommen. Zwölf der 36 untersuchten Firmen wurden zum Zeitpunkt der Forschung noch von den selben Personen geleitet, die auch die betrachteten Übergangsphasen begleitet hatten. Zehn von Ihnen waren schließlich bereit, den Fragebogen auszufüllen. Der Abgleich der Ergebnisse von Managern und Bewertern erfolgte hierbei allerdings ausschließlich anhand der übereinstimmenden Veränderungsrichtung. Dementsprechend wurden Bewertungen eines Managers von 1 und der des Bewerters von 2 als Übereinstimmung gewertet. Die Angaben der Manager im Zusammenhang mit den Veränderungsprozessen im Unternehmen bestätigten die Einschätzung der unabhängigen Bewerter der Übergangsphasen und -werte zu 67 %.

Um nun wiederkehrende Muster in Veränderungen zu identifizieren, wurden im nächsten Schritt die Bewertungen der Unternehmensdaten sowie die ausgewerteten Fragebögen mithilfe statistischer Methoden (Q-Faktorenanalyse) klassifiziert und gruppiert. Dabei ergaben sich neun Gruppen, die ähnliche Verläufe in der Ausprägung der 24 Variablen aufzeigten. Damit diese Gruppen im Folgenden als Archetypen bezeichnet werden können, mussten drei Anforderungen erfüllt sein:

  1. Die Gruppen müssen Vorhersagekraft aufweisen. Wenn ein Veränderungsmuster und eine Auswahl von Gruppen gegeben sind, muss die Gruppe, zu der das Muster gehört, schon anhand weniger Variablen identifizierbar sein.
  2. Die Gruppen müssen sich innerhalb und über verschiedene Datensätze hinweg als stabil erweisen.
  3. Die Ergebnisse müssen replizierbar sein.

Diese Bedingungen wurden unter Einbezug der Datenbasis 3 getestet. Mit Hilfe eines Computerprogramms wurden die zweite Hälfte der Unternehmensdaten und ein neuer Satz Fragebögen aus 50 Firmen in die Gruppen einsortiert. Dabei zeigte sich, dass 86% der Übergangsmuster der Unternehmensdaten und 54% der Fragebogen-Muster in die Archetypen-Regionen unter festgelegten Bedingungen passen. Die Signifikanz konnte dabei als ausreichend zumindest für sechs der neun Archetypen festgestellt werden. Diese sechs Muster sind dementsprechend generalisierbar, stabil und weit verbreitet.

In einem weiteren Schritt wurden die 24 Variablen - mittels einer weiteren Faktorenanalyse - zu fünf Dimensionen (Abbildung 2) zusammengesetzt, anhand derer die Betrachtung der einzelnen Archetypen schließlich erfolgen soll.

Abbildung 2: Dimensionen zur Erläuterung der Archetypen

Die Dimension Turbulenz ist Ausdruck der Intensität der Dynamik und Feindseligkeit der Umwelt, in der sich das betreffende Unternehmen befindet. Je häufiger z.B. Produkt- und Technologieentwicklungen vorangetrieben wurden und je größer der Wettbewerbsdruck desto höher der Wert. Die Heterogenität umfasst neben dem Aspekt der Heterogenität zusätzlich den der Differenzierung. Bei starker Aufgaben- und großer Produktvielfalt im Unternehmen ist der Wert entsprechend hoch. Intelligenz und Rationalität umfassen das Vorhandensein bestimmter Strukturen und Systeme, wie z.B. Kontrollfunktionen oder feste Kommunikationsabläufe innerhalb des Unternehmens. Temperament drückt aus, welcher Führungsstil beziehungsweise welche Unternehmenskultur gelebt wird. Starke Risikobereitschaft oder Innovationsfreude erhöht den Wert. Die Bewertung im Bereich Zentralisierung ist umso höher, je stärker die Macht der Führungsspitze ist.

Die sechs Archetypen werden nun nachfolgend in Abbildung 3 mit ihrem Übergangswert für die jeweiligen Dimensionen im Detail dargestellt.

Abbildung 3: Punktwerte der Archetypen


Definition der Archetypen

Die Benennung der sechs Archetypen orientiert sich an ihrer tendenziellen Entwicklungsrichtung. Die Archetypen können nun anhand der definierten Dimensionen bzw. konstitutiven (begriffsbildenden) Merkmale dargestellt und durch korrelative Merkmale, d.h. den damit verbundenen Verhaltenswirkungen, genauer beschrieben werden.


T2: Unternehmerische Revitalisierung/Neubelebung (Entrepreneurial Revitalization)

Abbildung 4: T2: Unternehmerische Revitalisierung/Neubelebung

Der Archetyp Unternehmerische Revitalisierung beschreibt den Umbruch eines traditionellen, konservativen Unternehmens, das sich aufgrund neuer Marktbedingungen anpassen bzw. grundlegend neu aufstellen muss. Dieser Wandel geht üblicherweise mit einem starken Rückgang der Profitabilität und des Marktanteils einher. Die Gründe bestehen vor allem darin, dass die angebotenen Produkte und/oder Dienstleistungen nicht mehr den Kundenanforderungen entsprechen und veränderte Bedürfnisse neue Lösungen erfordern. Die Maßnahmen, die daraufhin getroffen werden, bestehen üblicherweise in einem Vorstandswechsel und in grundlegenden Änderungen der Unternehmensstruktur und -organisation. Ein besonderer Fokus wird auf die Beobachtung und Analyse der Umwelt bzw. der externen Entwicklungen gelegt, da diese den primären Auslöser für die Veränderungen darstellen und zur Strategieentwicklung herangezogen werden müssen. Die Betrachtung anhand der vorgestellten Dimensionen ergibt folgendes Bild: Im Bereich Turbulenz steigt der Punktwert durch eine höhere Marktdynamik, schnellere Marktveränderungen und die neue Wettbewerbssituation an. Der Anstieg der Heterogenität lässt sich auf folgende Maßnahmen zurückführen: Die Differenzierung aufgrund der neuen Marktbedingungen führt zu einer höheren Produktvielfalt und einem schneller wechselnden Angebot. Zusätzlich wird der Delegationsgrad in Form von fachlicher Weisungsbefugnis (operativ) erhöht. Die Steigerung in der Intelligenz/Rationalität-Dimension lässt sich durch das verstärkte Betrachten der Umgebung erklären, woraus ein besseres Problemverständnis und ein analytischer Entscheidungsprozess resultiert. Zusätzlich wird ein höherer Grad an Expertise geschaffen und das Fachpersonal aufgestockt. Im Bereich Temperament sind die stärksten Veränderungen zu verzeichnen, da ein erhöhter Bedarf an Innovationsfähigkeit und Risikobereitschaft gefordert ist. Die strategische Neuausrichtung durch zentrale Beschlüsse der Unternehmensspitze lässt auch die Zentralisierung ansteigen.


T3: Konsolidierung (Consolidation)

Abbildung 5: T3: Konsolidierung

Die Konsolidierung wird besonders von solchen Unternehmen durchgeführt, die im Vorfeld starke Diversifikation betrieben, aber durch überstürzte Investitionen deutliche Verluste erlitten haben oder durch starke Expansion eine zu hohe Ressourcenbelastung aufweisen. Die Problematik, das Unternehmen aufgrund der unterschiedlichen Bereiche und Sparten nicht mehr kontrollieren und einheitlich führen zu können, führt dazu, dass der Wunsch nach einer konservativeren Unternehmenspolitik laut wird. Typischerweise wird der Geschäftsführer ersetzt und die Entscheidungskompetenzen werden breiter verteilt (z.B. Bildung von Kommissionen), wodurch die Zentralisierung nun schwächer ist als zuvor. Zur Vermeidung weiterer unüberlegter Aktionen erfolgt die Einrichtung stärkerer Kontrollsysteme und damit einhergehend die Reduzierung der Risikobereitschaft und Innovationsfreude, sodass das Temperament sinkt. Vorrangig werden kurzfristige Maßnahmen getroffen und die langfristige Strategieausrichtung hinten angestellt, wodurch die Heterogeneity weitestgehend stabil bleibt. Dabei wird in den Bereich Intelligence investiert und durch den Fokus auf Stabilisierung und Schaffung von Sicherheit werden verstärkt Experten und Fachkräfte eingesetzt, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Der Bereich Turbulence bleibt konstant, da sich der Auslöser zum Wandel primär als unternehmensinterne Problematik darstellt.


T4: Richtung Stagnation (Toward stagnation)

Abbildung 6: T4: Richtung Stagnation

Der T4-Archetyp beschreibt den Übergang von einem mutigen und bestimmten Führungsstil hin zu einem deutlich passiveren und konservativeren Ansatz, der die etwas lebhafteren Umweltbedingungen und externen Entwicklungen (Turbulenz) weitgehend ausblendet. Ausgangspunkt ist eine Veränderung in der Unternehmensspitze, worunter hier hauptsächlich der Wechsel des CEOs zu verstehen ist. Nur selten wird der Wandel durch eine bewusste Richtungs-/ Verhaltensänderung des bestehenden Managers vollzogen. Bezeichnend für diese Phase ist die “wait and see”-Attitüde der neuen Führung. Dies äußert sich zum einen in der Abgabe von Verantwortung und Macht an nachfolgende Hierarchieebenen, was sich senkend auf die Zentralisierung auswirkt. Konsequenz dieses Verhaltens ist die schwindende Kontrolle über die Vorgänge und Abläufe im Unternehmen, wodurch die Gefahr besteht, dass aufgrund der mangelnden Koordination und Steuerung konfliktäre Strategien in den einzelnen Bereichen verfolgt werden. Weiterhin kommt es zu einem zurückhaltenden Umgang bei der Aufnahme neuer Projekte, d.h. die Innovationsfreude des Unternehmens wird deutlich heruntergefahren, genauso wie die Risikobereitschaft und Proaktivität, was zu sinkendem Temperament führt. Erst nach und nach entwickeln die Bereiche eigene strategische und innovative Initiative. Dabei werden dann vor allem - durch die begrenzte Entscheidungsbefugnis der Bereichsleiter - inkrementelle und kleinere Neuerungen vorgenommen. Zudem werden Umwelt-/Marktbeobachtungen und -analysen durch die Unternehmensführung weitegehend vernachlässigt und das Augenmerk auf Routineprozesse und operative Angelegenheiten gelegt. Die Folge ist eine Reduktion der Intelligenz/Rationalität. Die negativen Implikationen dieses Archetyps müssen allerdings differenziert betrachtet werden, grundsätzlich besteht eine große Gefahr für Unternehmen, die sich in einem Umfeld großer Marktveränderungen befinden oder die sehr unaufmerksam agieren. Allerdings besteht in diesem Übergangs-Archetyp auch eine Chance - nämlich für Unternehmen, die zwar über einen hohen Grad an Expertise und Rationalität verfügen, aber in der Vergangenheit sehr aggressiv und risikobereit aufgetreten sind. In einem solchen Fall kann diese Entwicklung durch Erzielung einer guten Balance positiv verlaufen.


T5: Richtung Zentralisierung, Kühnheit und Abbruch (Toward Centralization, Boldness, and Abandon)

Abbildung 7: T5: Richtung Zentralisierung, Kühnheit und Abbruch

Der T5-Archetyp basiert auf der Vertiefung der Führungsmacht der Leitung, die jeweils über fundiertes Unternehmenswissen verfügt und sich über Jahre hinweg ein Managementteam aufgebaut hat, das über die gleiche Sichtweise verfügt. Durch die hohe Entscheidungsmacht und die fehlende Berücksichtigung von Meinungen außerhalb des Führungskreises wird die Centralization deutlich gesteigert. Dabei werden von der Leitung ambitionierte Ziele verfolgt, die z.B. in Akquisitionen neuer Firmen oder Produkteinführungen besteht. Es herrscht eine optimistische Grundstimmung, die zu einer Vernachlässigung von administrativen Kontrollen und einer höheren Risikobereitschaft führt (Temperament). Damit einhergehend werden auch Analysetätigkeiten, die durch die fehlende Rechtfertigungspflicht der Entscheidungsträger nicht mehr in dem Maße notwendig sind, und somit die Intelligence des Unternehmens reduziert. Das Wachstum und die Diversifikation des Unternehmens hat zunächst einmal einen höhere Komplexität zur Folge und führt damit zu einer gesteigerten Heterogeneity. Durch die geringe Beachtung der Kontrollmechanismen besteht die Gefahr einer mangelnden Integration der Neuakquisitionen und von Konflikten zwischen bestehenden und neuen Unternehmensbereichen.


T7: Reifung (Maturation)

Abbildung 8: T7: Reifung

Die Reifungsphase beschreibt die “klassische” Problematik eines Start-Up-Unternehmens, das aus den „Kinderschuhen“ herauswächst und sich als Marktteilnehmer etabliert. Die Organisation muss an neue Gegebenheiten, z.B. die steigende Mitarbeiterzahl, die zunehmende Komplexität der Abläufe und Entscheidungsprozesse, angepasst werden. Die bisherige intuitive, spontane Unternehmensführung wird durch Richtlinien und/oder Standardisierung abgelöst. Die Notwendigkeit, die unterschiedlichen Bereiche an die jeweiligen Bedürfnisse des Marktes und der Zielgruppe anzupassen, führt zu einem Anstieg der Heterogeneity. Gleichzeitig wird auch der Delegationsgrad erhöht: Verantwortungsbereiche werden aufgrund des ausgeweiteten Entscheidungsfeldes an funktionale und untere Abteilungen abgegeben. Das Intelligence system wie die Informationsbeschaffung wird routinisiert und durch Profit Center, Qualitätsmanagement oder Accounting Systeme ergänzt. Diese Einrichtungen führen gleichzeitig aber auch dazu, dass der Bereich Temperament sinkt, da Prozesse dementsprechend entschleunigt werden. Damit einhergehend reduzieren sich auch die Risikobereitschaft, die Proaktivität und die Innovationsfähigkeit. Die Entscheidungsfindungsprozesse werden deutlich dezentralisiert und nunmehr verstärkt analytisch betrachtet, d.h. durch Fachkenntnisse / Expertenwissen der jeweiligen Abteilungen fundiert und aufbereitet.


T8: Fehlerbehebung (Troubleshooting)

Abbildung 9: T8: Fehlerbehebung

Der Veränderungsprozess zur Fehlerbehebung betrifft vor allem Unternehmen, deren Vorperioden von zunehmender Zentralisierung der Macht auf die Führungsspitze und einem Fokus auf Problemidentifikation geprägt waren. Während die Konsolidierer die dringenden Probleme bearbeiten, erforschen die Troubleshooter unter Führung einer starken Leitfigur die Ursachen der Probleme. Letzteres wird durch das verstärkte Beobachten der Umwelt, durch die Einführung von Kontrollsystemen und die Verbesserung der internen Kommunikation vorgenommen. Dadurch wird ein Anstieg im Bereich Intelligenz herbeigeführt. Außerdem wird die Delegation von operativen Entscheidungen deutlich reduziert und die Zentralisierung somit gesteigert. Hintergrund ist, dass die Manager auf unteren Ebenen nur schwer ihre Eigeninteressen außer Acht lassen können, der Entscheidungsprozess aber analytischer durchgeführt und die Entscheidungen besser abgestimmt (Integration verschiedener Sichtweisen) und einheitlich getroffen werden sollen. Die Risiko- und Innovationsbereitschaft des Unternehmens wird reduziert (das Temperament nimmt ab), da der Fokus auf Problembehebung und -analyse liegt und dementsprechend bleibt auch die Strategieausrichtung vorerst vage.

Kritische Würdigung

Miller und Friesen wählen bei der Betrachtung von Veränderungsprozessen in Unternehmen zunächst einmal einen theoretisch untypischen Ansatz. Bezüglich der verwendeten Datenquellen, insbesondere durch den Rückgriff auf die publizierten Unternehmensdaten, räumen sie selbst ein, dass ein ungewöhnliches Vorgehen gewählt wurde, das einige Defizite aufweist, aber für ihre Zwecke durchaus dienlich ist. So konnte es nur dadurch ermöglicht werden, die Zeitkomponente, deren wesentliche Bedeutung bereits durch Studien bewiesen werden konnte, angemessen einzubeziehen. Mit Hilfe der Längsschnittuntersuchung konnten nun langfristige Entwicklungen und Folgewirkungen ermittelt werden, die bis dato kaum abzubilden waren.
Die Auswahl und Auswertung des Datenmaterials war dabei allerdings abhängig von der Verfügbarkeit an Unternehmensdaten, das den formulierten Anforderungen genügte. Dadurch waren sowohl die Anzahl der Fälle als auch die Auswahl der Unternehmen stark begrenzt, wodurch die Repräsentativität fraglich ist. Dadurch, dass es sich um öffentliches Material handelte, kann es hier auch zu unterschiedlich starken Verzerrungen bzw. einem großen Interpretationsspielraum für die Bewerter kommen, der sich auch durch die zusätzliche Verwendung der Fragebögen nicht vollständig beheben lässt.
Der Einsatz von lediglich zwei unabhängigen Bewertern und die groben Vorgaben zur Identifizierung und Beurteilung der Übergangsphasen in Kombination mit der Problematik der Informationsaufbereitung können somit als wenig empirisch fundiert betrachtet werden. Miller und Friesen räumen dabei selbst ein, dass dadurch bei der Identifikation von Übergangsphasen stets ein gewisser Grad an Willkür nicht auszuschließen ist. Miller und Friesen formulieren den Anspruch, Veränderungsprozesse erstmalig unter angemessener Berücksichtigung der Komplexität und Heterogenität in der Unternehmenslandschaft und -umgebung zu betrachten. Dementsprechend sollen strukturelle, strategische und umweltbezogene Faktoren einbezogen und die gegenseitige Beeinflussung und die Abhängigkeit von Kontext-, Gestaltungs- sowie Erfolgsvariablen berücksichtigt werden.
Bezüglich der Auswahl der Variablen stützen sich Miller und Friesen vorwiegend auf vorangegangene Forschungsergebnisse. Ein zweites Kriterium lag in der Wahrscheinlichkeit, diese Einflussfaktoren auch tatsächlich anhand der Daten messen zu können. Es wird damit eingeräumt, dass hier - aufgrund des explorativen Charakters der Untersuchung - eine gewisse Unsicherheit vorliegt. Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass einige Determinanten, wie z.B. Formalisierung oder Spezialisierung, die offensichtlich eine Rolle bei Anpassungsprozessen spielen, nicht einbezogen wurden, da sie nicht im vorhandenen Datenmaterial messbar waren. Hieran lässt sich erkennen, dass die Intention, einen möglichst umfassenden Ansatz der Unternehmens aufzuzeigen, nicht vollständig umgesetzt werden konnte.
In dem Zusammenhang ist weiterhin anzumerken, dass - trotz der Betonung der starken Komplexität von Veränderungen - letztendlich nur sechs Archetypen identifiziert wurden, die zum Teil nicht eindeutig voneinander abzugrenzen sind. Im Artikel selbst wird darauf hingewiesen, dass die Darstellung der Archetypen bewusst überspitzt und dramatischer erfolgt, als die Forschungsergebnisse tatsächlich gezeigt haben. Die Bezeichnung der Archetypen kann dabei auch irreführend sein, so führt der “Richtung Stagnation”-Archetyp nicht zwangsläufig tatsächlich zu einer stagnierenden Position des Unternehmens, sondern kann - je nach Ausgangslage der Organisation - verschiedene Auswirkungen zur Folge haben. Ein Unternehmen, das bisher sehr aggressiv agiert hat, kann durchaus von dieser Entwicklung profitieren, während diese Tendenzen in einer anderen Situation zu einer ernsthaften Gefahrensituation führen können.
Grundsätzlich bestehen Unklarheiten bezüglich der Kausalitäten innerhalb der Archetypen. So wird anhand der inhaltlichen Beschreibungen nicht deutlich, ob - und wenn ja, welche - Zusammenhänge und Abängigkeiten zwischen den Umwelt- und Strukturmerkmalen bestehen. Auch lässt sich nicht eindeutig bestimmen, welcher konkrete Auslöser zu welchem Archetyp führt.
Daran schließt sich ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt an, der die Praxisrelevanz und den Anspruch der Verfasser betrifft. Die angestrebte Ableitbarkeit von Handlungsempfehlungen bzw. die Möglichkeit zur Vorhersage zukünftiger Entwicklungen anhand auftretender Merkmale stellt sich in der Praxis schwierig dar. Zwar lassen sich bei korrekter Einordnung in einen Archetypen Vorhersagen dazu treffen, was zukünftig für Entwicklungen zu erwarten sind, Empfehlungen dazu wie mit diesen bestmöglich umgegangen werden soll, bleiben Miller und Friesen jedoch schuldig. Ebenfalls keinen Aufschluss gibt die Typisierung darüber, in welchen Situationen ein Archetyp eher als positiv oder negativ zu bewerten ist bzw. welche Einflussfaktoren hierbei eine Rolle spielen. Somit beschränkt sich der Erkenntnisgewinn der Untersuchung stark auf rein deskriptive Darstellungen von historischen Ereignissen ohne dabei Gründe für bestehende Zusammenhänge zu hinterfragen oder Erklärungen für diese zu liefern.

Literatur

Burns, Tom; Stalker, G. (1961): The Management of Innovation. London: Tavistock.
Chandler, Alfred D. (1962): Strategy and Structure. Cambridge, MA: MIT Press.
Hedberg, Bo L.T.; Nystrom, Paul C. und Starbuck, William H. (1976): “Camping on seesaws: Prescriptions for a self-designing organization” Administrative Science Quarterly, 21: 41-65.
Mintzberg, Henry (1973): “Strategy making in three modes”. California Management Review, 16: 44-53.
Sloan, Alfred (1965): My Years with General Motors. New York: MacFaden.