Anerkennung

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Das Verhalten in Organisationen wird in der Forschung aus einer Vielzahl von Perspektiven betrachtet. Anerkennung stellt dabei eines dieser Themenspektren dar und wird im folgenden Artikel ausgehend von der empirischen sowie theoretisch wissenschaftlichen Diskussion auf ihre Bedeutung für Veränderungsprozesse transferiert.


Begriff

Bedeutung

Sprachwissenschaftler vermuten den Ursprung des Wortes 'Anerkennung' in den lateinischen Begriffen 'agnoscere' und 'recognoscere' sowie im französischen Wort 'reconnaître'. Sie alle haben die Bedeutung 'etwas als etwas erkennen' oder 'wieder-erkennen'. Da die Begriffe ebenfalls mit dem Begriff 'gutheißen' gleichgesetzt werden, wird der Anerkennung der Sinn einer Bestätigung und Bejahung zugeschrieben. Der moralphilosophische Begriff der Anerkennung impliziert eine Relation zwischen zwei Subjekten. Diese besteht zum einen in der kognitiven Zuschreibung und der evaluativen Bestätigung eines Identifikationsmerkmals des Subjekts und zum anderen in der evaluativen Bestätigung des Gegenübers. Das Subjekt von Anerkennung ist immer eine Person. Das heißt, nur Personen können etwas oder jemanden anerkennen. Objekte der Anerkennung können auch jegliche andere Objekte, Tatsachen, Personen oder Tiere sein.[1] Es existieren verschiedene zwischenmenschliche Relationen, die jeweils verschiedene Möglichkeiten der Anerkennung darstellen:

- Ich-Du-Beziehung: Interpersonale Beziehung zwischen zwei Individuen. Beispiel: Freundschaft.

- Ich-Wir-Beziehung: Beziehung zwischen einem Individuum und Mitgliedern einer Gruppe, mit denen sich das Individuum identifiziert. Beispiel: Familie.

- Ich-Ihr-Beziehung: Beziehung zwischen einem Individuum und einer Fremdgruppe (Outgroup). Beispiel: das Individuum in einer unbekannten Nachbarschaft.

- Wir-Ihr-Beziehung: Unterform der Ich-Ihr-Beziehung, Beziehung zwischen einem Individuum als Gruppenmitglied und einer anderen Gruppe. Beispiel: zwei Sportvereine.[2]

Ähnliche Begriffe

In der alltagssprachlichen Verwendung existieren zahlreiche Synonyme für den Begriff Anerkennung, wie z.B. Lob, Bewunderung oder Ehrfurcht. Sie stehen für das plurale Bedeutungsspektrum des Anerkennungsbegriffs.[3] Die Synonyme mit ihren Bedeutungen und entsprechenden Vewendungen müssen klar vom Anerkennungsbegriff abgegrenzt werden.[4] Dies wird im Folgenden anhand der drei Synonyme Wertschätzung, Respekt und Achtung vorgenommen: Wertschätzung (Antonym Demütigung) gründet im Gegensatz zu Anerkennung auf einer inneren, positiven Haltung einer anderen Person gegenüber.[5] Respekt (Antonym Herabsetzung) beinhaltet zusätzlich den Aspekt der Beachtung des Wesens bzw. der Person selbst.[6] Achtung (Antonym Missachtung) steht für die Würdigung des Menschseins. In Abgrenzung zum Begriff Respekt kann hier die allgemeine Erklärung der Menschenrechte als Beispiel herangezogen werden. [7] Welcher Begriff verwendet wird, hängt zum einem vom Kontext und zum anderen von der Beziehung der sich anerkennenden Subjekte ab.[8]

Veranschaulichung

Veranschaulichung würdigende Anerkennung [9]

Semantisch werden vier grundlegende Bedeutungen der Anerkennung unterschieden:

- Formelle Anerkennung: Verwendung in der Rechtssprechung. Beispiel: Anerkennung einer Vaterschaft oder eines Testaments.

- Bejahende Anerkennung: Ausdruck der Akzeptanz und Toleranz. Beispiel: Anerkennung eines Standpunktes oder einer Forderung.

- Epistemologische Anerkennung: Verwendung im Sinne des etwas 'Für-Wahr-Haltens'. Beispiel: einen Tatbestand oder eine Aussage für wahr anerkennen.

- Würdigende Anerkennung: Ausdruck einer lobenden Würdigung. Beispiel: Anerkennung einer Leistung. [10]

Die würdigende Anerkennung kann insbesondere im Kontext des Organisationsverhaltens veranschaulicht werden. Regelmäßige Anerkennung kann über positive Gefühle zu einem gesteigerten Selbstvertrauen führen und gibt innere Anreize, die in einer erhöhten Motivation bei der Arbeit münden können. Diese intrinsische Motivation hat positiven Einfluss auf die Gesunderhaltung, die Leistung, die Kreativität und die Innovationsfähigkeit eines Mitarbeiters. Dies kann zu einer affektiven Mitarbeiterbindung führen.[11] Im Gegensatz dazu kann fehlende Anerkennung zu einem Gefühl der Frustration und Ausbeutung am Arbeitsplatz führen. Ein geschwächtes Selbstbewusstsein und sinkende Motivation sind die Folgen. Dabei gilt, keine Anerkennung ist in der Regel verheerender als negative Kritik, da die Missachtung der eigenen Person als Diskriminierung der Persönlichkeit empfunden wird.[12]

Empirie

Verbreitung

Anerkennung wird in der empirischen Organisationsforschung aus einer Vielzahl von Perspektiven betrachtet. Dadurch besteht die Schwierigkeit der Kategorisierung der Forschungsergebnisse. So kann an dieser Stelle nur ein Überblick über das Forschungsfeld gegeben werden. Zu unterscheiden sind zum einen empirische Studien, die das Thema Anerkennung aus einer "praktischen Perspektive" beleuchten. Als Beispiel sei hier die Studie 'Self-Determination Theory and Work Motivation' von Gagné/Deci (2005) oder die Studie 'The Effect of Performance Recognition on Employee Engagement' von Kaufmann et al. (2013) zu nennen. Zudem beschäftigen sich Forschungsdatenzentren, wie das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), mit repräsentativen Wiederholungsbefragungen zum Thema Anerkennung am Arbeitsplatz. Beispielsweise wurde 2011 abgefragt, ob und in welcher Ausprägung berufliche Anerkennung vom Vorgesetzten und in Bezug auf die erbrachte Leistung erfahren wird. So zeigt das Ergebnis aus dem Jahr 2011 für beide Fragestellungen ähnliche Ergebnisse auf: Circa 65% der Befragten sehen sich vom Vorgesetzten und entsprechend ihrer Leistung anerkannt. Jedoch wird hiervon nur bei circa 5% der Befragten das Anerkennungsgefühl sehr stark befriedigt.[13] Zum anderen existieren Studien, die sich mit Fragestellungen vor dem Hintergrund der Anerkennungstheorien beschäftigen. Hierbei wird nicht zwingend Anerkennung selbst betrachtet, sondern vielmehr werden die Effekte der Nicht-Anerkennung fokussiert. Als Beispiele sind hier die Studien 'The Spiraling Effect of Incivility in the Workplace' von Andersson/Pearson (1999) und 'Structural and Individual Determinants of Workplace Victimization' von Aquino (2000) zu nennen.

Determinanten

Die Anerkennungsforschung untersucht, welche Faktoren die Anerkennung im organisationalen Kontext beeinflussen kann. Je nach Fragestellung und Forschungsfeld ergibt sich dadurch eine Vielzahl von Determinanten. So kann an dieser Stelle keine Aufzählung der 'wichtigsten' Einflussfaktoren erfolgen, sondern vielmehr soll die Vielfalt der untersuchten Determinanten aufgezeigt werden. Aquino (2000) zeigt den hierarchischen Status und Konfliktstile als Einflussgrößen auf. Andersson/Pearson (1999) identifizieren wahrgenommene lädierte soziale Identität, Wut, hitziges Temperament, Klima der Informalität, beobachtete Unhöflichkeit und negative Reaktionen von Organisationsmitgliedern als Determinanten der Anerkennung. Sie machen deutlich: Wenn Höflichkeit, und damit Anerkennung, am Arbeitsplatz fehlt, können soziale Beziehungen innerhalb der Organisation beschädigt werden. Ein organisationales Klima, das durch Unhöflichkeit und Grobheit charakterisiert wird, führt zu aggressivem Verhalten und damit einer geringeren Produktivität am Arbeitsplatz.

Wirkungen

Als Beispiel für die empirische Anerkennungsforschung wird im Folgenden kurz die Studie 'A Social Recognition Approach to Autonomy' von Renger et al. (2017) dargestellt. Untersucht wird die Fragestellung, ob Erfahrungen eines gleichwertigen Respekts die wahrgenommene Autonomie am Arbeitsplatz steigert. Dabei wird die Autonomie mit den Begriffen Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit gleichgesetzt. Die Autoren unterteilen die Anerkennung in drei spezifische Formen: Need-Based Care, Achievement-Based Social Esteem und Equality-Based Respect. Diese Variablen wurden bei circa 400 Personen (Durchschnittsalter 27,6 Jahre) in einer Onlineumfrage zusammen mit der wahrgenommenen Autonomie der Testpersonen sowie der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben abgefragt. Die Forscher fanden heraus, dass alle drei Formen der Anerkennung in positiver Beziehung zur wahrgenommenen Autonomie stehen. Respekt stellt dabei den stärksten Prädiktor der wahrgenommenen Autonomie dar.

Im zweiten Teil der Studie wurden die Variabeln im Kontext des Arbeitsplatzes untersucht. Es wurden 223 Mitarbeiter verschiedenster Firmen online (Durchschnittsalter 38,18 Jahre) befragt. Überprüft werden sollte, ob die Testergebnisse aus dem ersten Teil der Studie im Arbeitskontext bestätigt werden können. Abgefragt wurden die identischen Variablen. Es wurde allerdings zwischen Anerkennung von Kollegen und von Vorgesetzten unterschieden. Auch im zweiten Teil der Studie wird die Schlüsselrolle von Respekt deutlich. Respekt sagt die wahrgenommene Autonomie bei der Arbeit vorher, die dann zur Arbeitszufriedenheit führen kann. Während der Respekt von Kollegen ebenfalls eine starke Beziehung zur Autonomie aufweist, ist der Respekt der Vorgesetzten der stärkste Prädiktor. Die Beziehung zwischen dem Respekt des Vorgesetzten und der Arbeitszufriedenheit wird mediiert durch die wahrgenommene Autonomie bei der Arbeit. Sie spielt in diesem Zusammenhang also eine Schlüsselrolle. Warum die Wirkung zwischen Autonomie und dem erbrachten Respekt des Vorgesetzten besteht, wird in dieser Studie nicht weiter ausgeführt.[14]

Theorie

Alternative Theorien

Hegel

Der Ursprung von Anerkennungstheorien liegt im deutschen Idealismus mit seinem Vordenker Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Mit Blick auf die Kernfrage ‚Wie ist Gesellschaft möglich?‘ rückt Hegel erstmals Anerkennung in den Fokus der Betrachtung. Auf Grundlage der Hobbschen Vertragstheorie und der Fichtschen Naturrechtslehre entwickelt Hegel das Konstrukt ‚Kampf um Anerkennung‘.[15] Hierbei wird der wechselseitige Kampf um die Anerkennung der Freiheit und Autonomie, durch die sich der Einzelne erst durch die Aufforderung des Anderen bewusst wird, beschrieben. Dabei wird die Konstitution des Selbstbewusstseins als ein zwischenmenschlicher Prozess verstanden.[16] Selbstbewusstsein bedarf laut Hegel, sich im Anderen und in Abgrenzung vom Anderen auf den drei Stufen ‚Liebe, Recht und Solidarität‘ zu erkennen. Dies geschieht durch wechselseitige Zuwendung und Befreiung. Dieser reziproke Prozess basiert nach Hegel nicht auf Begierde oder Ruhmsucht, sondern auf echten moralischen Antrieben, sodass die Anerkennungskämpfe zu moralischem Fortschritt in der Gesellschaft führen.[17]

Taylor

Für den Philosophen Charles Taylor ist Anerkennung ein menschliches Grundbedürfnis. Seiner Ansicht nach wird die Identität einer Person im Dialog mit anderen Personen gebildet, und zwar in ihrer jeweiligen Übereinstimmung oder Auseinandersetzung. Anerkennung wird nach Taylor in diesem dialogischen Austauschprozess errungen und ist nicht automatisch durch einen gesellschaftlichen Status gegeben. Dabei ist zu erwähnen, dass dieser dialogische Austauschprozess nach Taylor auch scheitern kann. Die Identität des Menschen sei von dieser kontinuierlichen Anerkennung und Bewährung innerhalb des Austauschprozesses abhängig. Die Verweigerung der Anerkennung könne Leiden verursachen. Taylor sieht in dieser Form der Identitätsbildung eine Weiterentwicklung von älteren Anschauungsweisen, in denen man die Verbindung mit z.B. Gott als Voraussetzung für die Entfaltung des eigenen Daseins ansah. Nach Taylor kann Selbstverwirklichung ausschließlich in sich selbst gefunden werden. Das bedeutet, sich in Abgrenzung zu Anderen selbst zu definieren. [18][19]

Mead

In der Theorie des symbolischen Interaktionismus werden soziale Veränderungs- und Interaktionsprozesse auf der Mikro-Ebene betrachtet. Nach Mead entsteht Wissen durch Interaktion und Reflexion der eigenen und fremden Reaktionen und Reize.[20] In dieser Selbstreflexion macht der Mensch sich selbst zum Objekt der Bedeutungsanalyse, sodass das daraus gewonnene Wissen das Selbstbewusstsein und das Wissen über die eigene Bedeutung darstellt.[21] Die eigene Identität konstituiert sich folglich aus Bewusstsein und Selbstbewusstsein in Interaktion. Die organisierte Gemeinschaft, in der sich Identität bildet, nennt Mead der verallgemeinerte Andere. Voraussetzung für die Gewinnung von Identität ist die sogenannte Rollenübernahme. Sie beschreibt die Fähigkeit von der Position des Anderen aus zu denken, der Möglichkeit des Hineinversetzens in den Anderen, sodass sein Verhalten antizipierbar wird.[22] Dabei unterscheidet Mead:

- I: Das impulsive Ich repräsentiert das Individuelle am Individuum, vereint sinnliche und körperliche Bedürfnisse und spiegelt das Gefühl der Initiative und Freiheit wider.

- Me: Das Me ist der Teil der Identität mit einem gesellschaftlichen Ursprung, welcher sich aus Haltungen anderer entwickelt hat. Es ist die Summe der durch Rollenübernahme erlernten Elemente.

- Self: Hier findet die Integration der wechselseitigen Beziehungen zwischen dem I und dem Me in Übereinstimmung statt. Demnach ist nach Mead Identität als Wechselspiel zwischen I und Me zu verstehen.[23]

Aussagen ausgewählter Theorien

Auf Grundlage von Hegels Modell entwickelt Axel Honneth seine Theorie Vom Kampf um Anerkennung zur gelungenen Identität. Hierbei geht er wie Hegel davon aus, dass das Selbstbewusstsein des Menschen durch soziale Anerkennung gebildet wird.[24] Dabei werden die drei Anerkennungsobjekte Bedürfnis, Recht und Leistung unterschieden, sodass das Objekt Bedürfnis für Primärbeziehungen, Recht für Rechtsverhältnisse und Leistung für Wertegemeinschaft steht. Im Folgenden werden die einzelnen Anerkennungsobjekte und ihre Beziehungen kurz dargestellt: Das Anerkennungsobjekt Bedürfnis zeigt sich in der Bedürfnis- und Affektnatur einer Person. Über emotionale Zuwendung führt Anerkennung demnach zu Selbstvertrauen. Das Anerkennungsobjekt Recht äußert sich in der moralischen Zurechnungsfähigkeit, die über kognitive Achtung eines anderen Subjektes in der eigenen Selbstachtung mündet. Das Anerkennungsobjekt Leistung zeigt sich in Fähigkeiten und Eigenschaften einer Person. Über soziale Wertschätzung entwickelt ein Subjekt seine eigene Selbstschätzung.[25] Diese Beziehungen der Anerkennung leitet Honneth negativ aus Erfahrungen der Missachtung mit dazugehöriger bedrohter Persönlichkeitskomponente ab, denn erst in der Negativgestalt wird Anerkennung zu einer wahrnehmbaren Größe.[26] Zu beachten ist, dass die aufgezeigten Beziehungen kein starres Konstrukt mit Bedingungen darstellen, sondern vielmehr einem Mechanismus gleichen. Um zu einer ungebrochenen Identität zu kommen, schlussfolgert Honneth, dass ein reziprokes Anerkennungsverhältnis notwendig ist, indem alle drei Anerkennungsweisen emotionale Zuwendung, kognitive Achtung und soziale Wertschätzung vereint sind.[27] Erst zusammengenommen sind die sozialen Bedingungen geschaffen, dass Menschen zu einer positiven Einstellung zu sich selbst gelangen können.[28]

Ausgewählter Mechanismus

Reziprokes Anerkennungsverhältnis nach Honneth [29]

Der Mechanismus des reziproken Anerkennungsverhältnisses zeigt, dass die Identitätenbildung sich über den Austausch von Anerkennung in Bezug auf ihre Objekte Bedürfnis, Recht und Leistung nur in Interaktion mit einem Anderen gründet. Bedingungen dieses Mechanismus sind ein intersubjektiv geteilter Werthorizont mit den darin enthaltenen Persönlichkeitsidealen sowie eine allgemeingültige Deutungspraxis von Werten.[30] [31] Zudem sollte beachtet werden, dass Anerkennung gewissermaßen erst in Negativgestalt zu einer messbaren Größe für Subjekte wird. So besteht die Schwierigkeit, einen Maßstab für die individuell gefühlte Anerkennung zu bestimmen.[32] Es können drei Anerkennungskonstellationen unterschieden werden:

- symmetrisch und wechselseitig-anerkennend: Individuen befinden sich auf gleicher Ebene, ohne dass zwischen ihnen ein Machtgefälle besteht. Sie anerkennen sich wechselseitig in ihren Bedürfnissen, Rechten und Leistungen. Beispiel: Mitarbeiter-Mitarbeiter.

- asymmetrisch und wechselseitig-anerkennend: Diese Beziehung ist wechselseitig, aber nicht symmetrisch. Dies ist der Fall, wenn ein Individuum den Anderen als Autoritätsperson anerkennt und der Andere ihn als Untergebenen. Eine vertikale Beziehung besteht. Beispiel: Mitarbeiter-Chef.

- asymmetrisch und einseitig-anerkennend: In dieser Konstellation erkennt ein Individuum den Anderen an, wird aber vom Anderen missachtet. Der Andere nimmt folglich eine Machtposition über das Anerkennungsbedürfnis des Individuums ein. Beispiel: Opferrolle mit tiefer Demütigung.[33]

Theoretiker gehen davon aus, dass die Begegnung zwischen Ich und dem Anderen ursprünglich asymmetrisch ist. Sie stellen heraus, dass über den Prozess des Kampfes zwar eine Gegenseitigkeit hergestellt wird, dass aber zugleich eine nie vollendete Überwindung der Asymmetrie vorherrscht. Die Symmetrie muss im Kampf um Anerkennung immer wieder neu erkämpft werden.[34] Daher steht der Begriff der Anerkennung für einen Prozess und kein starres Wesen.[35] Ausgehend von dem Prozess-Charakter des Mechanismus können auch Störungen auftreten. Störfälle können unter anderem folgende Szenarien sein: Veränderung der Konstellation (ein Kollege wird zum Vorgesetzten), Missachtung von Identitätsansprüchen (ein Individuum wird nicht entsprechend seiner Vorstellung anerkannt), oder Verkennung (ein Individuum empfindet sich falsch anerkannt). Diese Störfälle durchbrechen den reziproken Anerkennungsprozess und führen aufgrund des drohenden Persönlichkeitsverlustes zu Widerstand.[36]

Bedeutung für Veränderungsprozesse

Das Verhalten in Organisationen unterliegt laufenden Veränderungen der Unternehmensstrategien und -strukturen, da sich Organisationen heutzutage an stetig verändernde Rahmenbedingungen anpassen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.[37] Insbesondere die eigenen Mitarbeiter für Veränderungsvorhaben zu motivieren und zu mobilisieren, stellt dabei eine große Herausforderung dar. Inwieweit Anerkennung hierbei als ein entscheidender Faktor angesehen werden sollte, kann mithilfe des reziproken Anerkennungsverhältnisses nach Honneth erörtert werden. Eine Veränderung wird als Spannungsfeld bzw. Störquelle eines ausgewogenen Zustandes in einer Organisation verstanden, mit dem Ziel einen neuen 'besseren' ausgewogenen Zustand zu erreichen.[38] In einem ausgewogenen Zustand sind auch die Anerkennungsverhältnisse stabil reziprok. Wird dieser ausgewogene Zustand durch eine Veränderung unterbrochen, können die bestehenden Anerkennungsverhältnisse zerstört werden. Dies hat, wie oben aufgezeigt, zur Folge, dass die Identitätenbildung der Mitarbeiter beeinflusst wird. Ist dies der Fall und wird der eigene Anspruch auf Anerkennung nicht erfüllt, besteht die Gefahr des Widerstandes gegenüber der Veränderung durch den drohenden Persönlichkeitsverlust. Situationsbeispiele hierfür sind zum einen das Kommunikationsverhalten und zum anderen die Partizipationsmöglichkeiten im organisationalen Veränderungsprozess. So kann ein reziprokes Anerkennungsverhältnis zum Beispiel durch fehlende Kommunikation der einzelnen Schritte des Wandels oder durch den Vorbehalt wichtiger Informationen gestört werden, wenn ein Organisationsmitglied sich dadurch in seinen Identitätsansprüchen missachtet sieht. Außerdem kann das Gefühl von Anerkennung der Mitarbeiter negativ beeinflusst werden, wenn sie bei der Gestaltung des Wandels nicht partizipativ eingebunden werden. Folglich kann geschlussfolgert werden, dass Anerkennung für Veränderungsprozesse vor dem Hintergrund einer Protesthaltung der Organisationsmitglieder eine große Bedeutung einnehmen kann.

Kritische Würdigung

Verhalten in Organisationen kann mithilfe von Anerkennungstheorien erklärt werden. Unter anderem können Widerstandsreaktionen in Veränderungsprozessen aufgrund von Störungen der reziproken Anerkennungsverhältnisse entstehen. Entsprechende Theorien betrachten Anerkennung unter dem Aspekt der Identitätenbildung. Einige empirische Studien beschäftigen sich mit Anerkennung am Arbeitsplatz und ihren Wirkungen. Dennoch besteht eine Forschungslücke, Anerkennungstheorien auf den Organisationskontext zu übertragen und entsprechende Management-Empfehlungen abzuleiten. Denn in der Praxis zeigt sich, dass bisher Anerkennung im organisationalen Kontext unter dem Aspekt der Identitätenbildung/-störung keine Aufmerksamkeit genießt. Vielmehr wird Anerkennung nur mit der würdigenden Anerkennung gleichgesetzt, was dazu führt, dass Praktiken entwickelt werden, die die eigentliche Bedeutung von Anerkennung und ihre Einflussnahme auf das organisationale Verhalten verfehlen.

Literatur

Andersson, L. M., Pearson, C. M.: Tit for Tat? The Spiraling Effect of Incivility in the Workplace. The Academy of Management Review, Vol. 24, No. 3 (1999), pp. 452-471.

Aquino, K.: Structural and Individual Determinants of Workplace Victimization: The Effects of Hierarchical Status and Conflict Management Style. Journal of Management, Vol. 26, No. 2 (2000), pp. 171–193.

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Dubet, F.: Ungerechtigkeiten - Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH, Hamburg: 2008.

Gabler Wirtschaftslexikon. Springer Gabler Verlag (Hrsg.): Stichwort: Change Management (2017). Online verfügbar unter http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/2478/change-management-v9.html, abgerufen am: 15.05.2017.

Gagné, M., Deci, E. L.: Self-determination theory and work motivation. Journal of Organizational Behavior. J. Organiz. Behav. No. 26 (2005), pp. 331–362.

Gronwald, S., Melchart, D.: Gesundheitsförderung für kleine Unternehmen - Fakten und Praxistipps aus der Lebensstilforschung. Springer, Wiesbaden: 2016.

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Honneth, A.: Kampf um Anerkennung - zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Suhrkamp, Frankfurt/Main: 1992.

Kaufman, T., Chapman, T., Allen, J.: The Effect of Performance Recognition on Employee Engagement. Cicero, k.A.: 2013.

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Matyssek, A.: Wertschätzung im Betrieb - Impulse für eine gesündere Unternehmenskultur. Books on Demand, Norderstedt: 2011.

Miner, J.: Organizational Behavior 4 - from Theory to Practice. M.E. Sharp, Inc, New York: 2007.

Stumpf, M., Wehmeier, S.: Kommunikation in Change und Risk – Wirtschaftskommunikation unter Bedingungen von Wandel und Unsicherheiten. VS Verlag, Wiesbaden: 2014.

Mead, G: Geist, Identität und Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt/Main: 1968.

Renger, D., Renger, S., Miché, M., Simon, B.: A Social Recognition Approach to Autonomy: The Role of Equality-Based Respect. Psychology Bulletin, Vol. 43, No. 4 (2005), pp. 479–492.

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SOEP - Sozio-oekonomisches Panel: Variablen BBP6001, BBP6002, BBP6003, BBP6004 aus dem Panel 2011. Online verfügbar unter: http://panel.gsoep.de/soepinfo2013/, abgerufen am: 03.06.2017.

Taylor, C.: Das Unbehagen an der Moderne. Suhrkamp, Frankfurt/Main: 1995.

Zappos: Holocracy and Self-Organization (2017). Online verfügbar unter: http://www.zapposinsights.com/about/holacracy, abgerufen am: 15.04.2017.

Einzelnachweise

  1. Schmetkamp (2012), S. 111
  2. Schmetkamp (2012), S. 124
  3. Schmetkamp (2012), S. 111
  4. Schmetkamp (2012), S. 112
  5. Matyssek (2011), S. 14
  6. Lindner (2016), S. 168
  7. Schmetkamp (2012), S. 109
  8. Schmetkamp (2012), S. 112
  9. Fotoausschnitt des eigens illustrierten Kurzfilms
  10. Schmetkamp (2012), S. 112
  11. Grondwald/Melchart (201), S. 4 f.
  12. Matyssek (2011), S. 21f
  13. SOEP (2011)
  14. Renger et al. (2017), S. 112
  15. Schmetkamp (2012), S. 115
  16. Schmetkamp (2012), S. 116
  17. Honneth (1992), S. 32
  18. Taylor (1995)
  19. Schmetkamp (2012), S. 14
  20. Honneth (1992), S. 118
  21. Mead (1968), S. 184
  22. Mead (1968), S. 198
  23. Mead (1968), S. 218f
  24. Schmetkamp (2012), S. 128
  25. Honneth (1992), S. 211
  26. Honneth (1992), S. 150
  27. Schmetkamp (2012), S. 129
  28. Honneth (2012), S. 129
  29. Eigene Darstellung
  30. Dubet (2008), S. 217
  31. Honneth (1992), S. 205
  32. Honneth (1992), S. 195
  33. Schmetkamp (2012), S. 121
  34. Ricoeur (2006), S. 197f
  35. Dubet (2008), S. 207
  36. Schmetkamp (2012), S. 120 f.
  37. Gabler Wirtschaftslexikon (2017)
  38. Miner (2007), S. 31