Aktionsforschung

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Aktionsforschung (Ableitung aus dem englischen Begriff „Action Research“) ist eine Bezeichnung für eine Forschungsmethode aus den Sozialwissenschaften. Der Begriff geht auf Kurt Lewin zurück. Die Aktionsforschung zeichnet sich durch eine enge Kooperation von Wissenschaftlern und Praktikern aus. Die Aktionsforscher sind sowohl an der Problemidentifizierung als auch bei der Umsetzung der gefundenen Lösungen beteiligt.

Durch die Aktionsforschung sollen soziale und politische Probleme gelöst (Gestaltungsinteresse), Beiträge zur Theorie und Praxis der Sozialwissenschaft geleistet (Erkenntnisinteresse) sowie eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Gestaltern und Betroffenen erreicht werden. Die Forschungsmethode findet hauptsächlich in der Organisationsentwicklung (OE) und Pädagogik Anwendung.

Ursprung

Die frühesten Aufzeichnungen des Aktionsforschungsbegriffes werden mit der Human-Relations-Bewegung der 1940-50er Jahre im anglo-amerikanischen Raum in Verbindung gebracht. In diesem Zusammenhang ist der Sozialpsychologe Kurt Lewin zu nennen, der allgemein als Begründer der Aktionsforschung gilt. Er untersuchte in den 1950er Jahren die wirtschaftliche und soziale Diskriminierung von Minderheiten „vor Ort“ (z.B. in Fabriken) und entwickelte Veränderungsstrategien.

In Deutschland wurde der Aktionsforschungsansatz in den 1960er Jahren im Zuge von gesellschafts-politischen Reformbestrebungen und der deutschen Studentenbewegung aufgegriffen. Insbesondere in der Pädagogik und dort in der Lehrerbildung bildete sich von Großbritannien Ende 60er Jahre ausgehend ein eigenes Einsatzgebiet der Aktionsforschung heraus. Lawrence Stenhouse trieb die Idee des Lehrers als Forscher voran. Lehrer seien die besten Richter ihrer eigenen Praxis und sollten ermutigt werden, Methoden zu entwickeln, um über die Praxis zu reflektieren und Verbesserungen vorzunehmen. Andere prominente Wissenschaftler in diesem Feld sind u.a. John Elliott und Joseph Schwab.

Ein weiteres Haupteinsatzgebiet der Aktionsforschung ist die Organisationsentwicklung. Oft wird die Aktionsforschung als die Methodologie der OE bezeichnet. Die meisten OE-Prozesse basieren demnach auf dem Aktionsforschungsansatz. Prominente Vertreter sind beispielsweise Chris Argyris und Donald Schön.

Seit den 1980er Jahren verlor die Aktionsforschung an Bedeutung, teils weil die wissenschaftstheoretische Grundlegung des Ansatzes unklar blieb, teils weil keine neuen Anwendungsfelder erschlossen wurden.

Hauptmerkmale

In der klassischen empirischen Sozialforschung wird eine strikte Grenze zwischen der Forschung und Praxis bzw. dem Forschenden und dem Gegenstand der Forschung postuliert. Der Aktionsforscher hingegen nimmt bewusst Einfluss auf das Untersuchungsfeld, um Veränderungsstrategien zu entwickeln. Das Neue an der Aktionsforschung ist demnach die Intervention des Forschers im Feld. Das impliziert eine enge Kooperation von Wissenschaftlern und Praktikern bei Design, Durchführung und Auswertung der Forschungs- und Praxisprojekte, wobei Forscher und Beforschte gleichberechtigt sind.

Aktionsforschungsarten

Es können vier Arten der Aktionsforschung unterschieden werden:

  • Bei der diagnostischen Aktionsforschung begibt sich der Wissenschaftler in eine Problemsituation, er stellt die Diagnose und macht Vorschläge zur Verbesserung.
  • Die partizipative Aktionsforschung zeichnet sich im Gegensatz dadurch aus, dass alle im Projekt betroffenen Personen an Diagnose, Planung und Durchführung teilnehmen.
  • Bei der empirischen Aktionsforschung fertigt der Aktionsforscher systematische und ausgedehnte Aufzeichnungen seiner Tätigkeiten und deren Konsequenzen an. Er führt sozusagen ein Tagebuch für tägliche Eintragungen.
  • Die vierte Art, die experimentelle Aktionsforschung, ist eine kontrollierte Untersuchung der relativen Wirksamkeit verschiedeneder Handlungsmöglichkeiten.

Die experimentelle und partizipative Aktionsforschung sind die am häufigsten angewendeten Aktionsforschungsarten. Hierbei ist jedoch zu erwähnen, dass die experimentelle Aktionsforschung zwar am meisten zum Erkenntnisinteresse beiträgt, es jedoch schwer ist, alle Bedingungen in der Praxis zu kontrollieren. Deswegen wird in der Praxis hauptsächlich die partizipative Aktionsforschung praktiziert.

Aktionsforschungsprozess

In jedem Aktionsforschungsprozess gibt es zwei parallel ablaufende Forschungskreise. Der erste Kreis umfasst die folgenden Stufen:

  • Vorstufe: In dieser Phase wird der grundlegende Forschungsplan erarbeitet. Es werden erste Schritte und Verantwortlichkeiten festgelegt sowie das Ziel genauer definiert.
  • Diagnose: Die Diagnose beinhaltet eine Analyse der Ist-Situation als Basis für das weitere Vorgehen. Hierfür können u.a. Videoaufnahmen und Interviews herangezogen werden.
  • Planung: In der Planungsphase werden konkrete Fragen an die Teilnehmer gestellt und hieraus Hypothesen abgeleitet. Aktionsforschungs-Hypothesen bestehen aus zwei Aspekten: Einem Ziel und einer Aktion oder einem Verfahren der Zielverwirklichung. Hieraus werden anschließend passende Maßnahmen entwickelt. Diese richten sich auf die Verbesserung des Funktionierens einer Organisation, indem sie den Mitgliedern helfen sollen, die Kultur der Gruppen und der ganzen Organisation besser zu steuern.
  • Aktion: In dieser Phase werden die Hypothesen systematisch durch Anwendung der in der Planungsphase entwickelten Maßnahmen getestet. Diese Maßnahmen sollten sich sowohl durch erfahrungsorientiertes als auch kognitiv-theoretisches Lernen auszeichnen. Außerdem sollten sie grundsätzlich auf die konkreten Probleme bezogen durchgeführt werden, die von den Teilnehmern selbst geäußert wurden. Das setzt voraus, dass die Betroffenen inklusive des Aktionsforschers an der Durchführung beteiligt sind. Außerdem ist es wichtig, dass Ziele und Zielverwirklichungsstrategien von Anfang an klar und deutlich formuliert werden. Weiterhin empfiehlt es sich, dass die Maßnahmen so angelegt werden, dass die Betroffenen angeregt und motiviert werden und nicht verängstigt oder defensiv reagieren.
  • Evaluierung: Die Folgen der Aktion (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) werden untersucht. Hierbei ist besonders zu hinterfragen, ob die Aktionen zu der Diagnose passten und ob die geplante Diagnose richtig war.


Im zweiten Kreis des Aktionsforschungsprozesses geht es um die Reflexion der Aktivitäten des ersten Kreises.

  • Inhalt: Die Inhalte werden reflektiert, indem man hinterfragt, ob die durchgeführten Maßnahmen geeignet waren, um die definierten Ziele zu erreichen. Weiterhin sollte analysiert werden, ob die Ergebnisse repräsentativ sind.
  • Prozess: Hierbei werden die Strategie und die einzelnen Prozesse analysiert. Hierfür bietet es sich an, alle Prozessschritte zu dokumentieren.
  • Voraussetzung: Weiterhin ist zu klären, ob die Organisation vorgeprägt ist, z.B. durch unausgesprochene Grundannahmen in der Organisation und durch ihre Kultur.

Anwendungsbeispiel

Zwischen April 1948 und November 1950 führte das Tavistock Institute of Human Relations ein Aktionsforschungsprojekt mit der Glacier Metal Company westlich von London durch. Ziel des Projektes war es, die Methoden der Mitarbeitermotivation und die Zusammenarbeit zu verbessern. Zu Beginn verschaffte sich das Team einen Überblick über die Ausgangssituation. Demnach wurde untersucht, wie sich die Beziehungen zwischen dem Management und den Mitarbeitergruppen zu Beginn des Projektes gestalteten. Es wurde besonders auf Distanz zu den Mitarbeitern geachtet, um Objektivität zu bewahren. Anschließend wurden mithilfe von Interviews und Gruppendiskussionen Probleme erarbeitet, die gelöst werden sollten. Beispielsweise wurde das Problem identifiziert, dass viele Mitarbeiter unmotiviert waren. Ursächlich hierfür war die Tatsache, dass fast ausschließlich Mitglieder des Managements im Betriebsrat saßen. Hierdurch fühlten sich die Mitarbeiter nicht ausreichend im Betriebsrat repräsentiert und somit nicht im Stande, die Unternehmenspolitik mitbestimmen zu können. Anschließend wurden die Veränderungen umgesetzt: Zum Beispiel wurde die Zusammensetzung des Betriebsrats verändert, sodass auch Mitarbeiter ein Mitspracherecht in diesem bekamen.

Kritische Betrachtung

Die Aktionsforschung basiert auf drei Grundsätzen, die sich aus einem emanzipatorischen Wissenschaftsverständnis und Menschenbild ableiten:

  • Forscher und Beforschte sind gleichberechtigt

Die Untersuchungsteilnehmer sind an der Zielformulierung, der Methodenauswahl und Auswertung bzw. Interpretation der Ergebnisse beteiligt. Dies fördert partizipative Entscheidungsprozesse, trifft aber dort auf Grenzen, wo kein ausreichendes Problembewusstsein bei den Untersuchungsteilnehmern vorhanden ist. Zudem sind partizipative Entscheidungsprozesse generell sehr zeitaufwendig. Die enge Kooperation von Wissenschaftlern und Teilnehmern kann außerdem zu einem Verlust der wissenschaftlichen Objektivität führen.

  • Untersuchungsthemen sind praxisbezogen und emanzipatorisch

Untersuchungen sollen konkrete Relevanz für die Praxis haben und nicht zu „wissenschaftlich“ sein. Sozialwissenschaft als Bestandteil der Gesellschaft hat die Verantwortung, an der Lösung sozialer und politischer Probleme aktiv mitzuarbeiten und auf bestehende Herrschaftsverhältnisse hinzuweisen. Dies jedoch stellt die Wertfreiheit von Wissenschaft in Frage (siehe Positivismusstreit). Außerdem sind die Ergebnisse der Aktionsforschung in der Regel fallbezogen, sodass eine Generalisierbarkeit oft nicht gewährleistet werden kann.

  • Der Forschungsprozess ist ein Lern- und Veränderungsprozess

Durch die Gewinnung neuer Erkenntnisse und ihre unmittelbare Vermittlung an die Untersuchungsteilnehmer wird der Forschungsprozess zum Lernprozess für alle Beteiligten, auch für den Forscher selbst. Allerdings werden bei der Aktionsforschung als geplantem Wandlungsprozess kausale Wirkungshypothesen unterstellt. Tatsächlich gibt es aber unbekannte Einflussfaktoren, die in kausalen Zusammenhängen nicht dargestellt werden können. Letztlich weiß man nicht, welche Intervention in einem sozialen System eine Wirkung erzielt.

Literatur

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