Unsicherheit & Angst

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Das Phänomen „Unsicherheit und Angst“

Der Begriff Angst hat seinen etymologischen Ursprung unter anderem in Zusammenhang mit „Enge“, „Bedrängnis“, „Schwierigkeiten“ und „Qual“.[1] Angst grenzt sich als kurz und intensiv auftretende Emotionen, genauer Affekt, von länger anhaltenden Stimmungen ab. Angst wird ferner den fundamentalen Emotionen zugeordnet, zu denen auch Aggression, Freude sowie Trauer gehören. [2] Der Begriff Angst wird oft auch als Überkategorie für eine Vielzahl emotionaler Gefühlszustände verwendet. Charakteristische Merkmale der Angst sind eine erhöhte Aktivität des autonomen Nervensystemsautonomen Nervensystems, ein emotionales Bedrohungserleben und Anspannung. Außerdem zeichnet sich Angst durch kognitive Besorgnis sowie das Gefühl von Unsicherheit und Kontrollverlust aus. [3]

Arten der Angst

Obgleich viel erforscht, gibt es keine eindeutige Evidenz über die verschiedenen Arten, Kategorisierungen und Abgrenzungen der Angst. Den Ansätzen ist jedoch gemein, dass i.d.R. äußere (konkrete Objekte, Personen oder Situationen, etc.) und innere (Kognitionen, innere Konflikte, etc.) Angstquellen unterschieden werden. Oftmals verschwimmen diese Grenzen jedoch und es kommt zu äußerlich-innerlichen Interdependenzen. [4] Außerdem wird oft zwischen der konkreten Angst, der Furcht (engl. fear), und der nicht greifbaren diffusen Angst (engl. anxiety) differenziert. [5] Diffuse Angst wird oft auch als Kontingenzangst bezeichnet, sie ist besonders komplex und beschreibt das Leiden an der Unsicherheit. [6] Ein anderer Ansatz differenziert körperliche Bedrohungen, wie Existenzängste vor Tod oder Krankheit, von Bedrohungen des Selbstwertes, unter welche sowohl soziale Ängste (z.B. Scham) aber auch Leistungsängste (z.B. Prüfungsangst) fallen. [7] Wichtig ist auch die Unterscheidung der Angst als empfundenes Phänomen (engl. state anxiety) von der beständigeren Charaktereigenschaft der Ängstlichkeit (engl. trait anxiety), obgleich sich letztere als Persönlichkeitseigenschaft auf das zuerst genannte Angstempfinden auswirkt [8]. Angst kann sowohl bewusst wahrgenommen oder auch implizit auf ein Individuum wirken. [9]

Abbildung 1 - Beispiel: unterschiedliche Facetten der Angst

Grundsätzlich kann unter Angst eine Art Gefühlskategorie verstanden werden, welcher zum Beispiel Gefühle wie Mutlosigkeit, Besorgnis, Verzweiflung, Panik oder Phobien zugeordnet werden können. [10] Hiervon lassen sich insbesondere die Angstlust, als gewünschtes herbeigeführtes Angsterleben [11] (z.B. Kick bei Extremsport, Horrorfilm) und krankhafte Störungen [12] (z.B. Spinnenphobie, Phobophobie) begrifflich trennen. Die jeweiligen Angstgefühle grenzen sich somit zum einen durch Intensität ab, was sich auch in einem anderen Modell, dem Angstspektrums nach Siegbert A. Warwitz widerspiegelt. Dieses bildet Angst von einem leichten Unwohlsein bis hin zu komplexen Angstpsychosen ab. [13]

Ein besonders anschauliches Modell zu Ängsten ist das Riemann-Thomann-Modell, welches den Ansatz der "Grundformen der Angst" aufgreift und anhand der vier Grundängste nach Fritz Riemann eine Transformations-Achse (Angst vor Veränderung und Endgültigkeit) und eine Integrations-Achse (Angst vor Nähe und Selbstwerdung) definiert. Besonders aussagekräftig ist dieses Modell, wenn eine individuelle Einordnung im so aufgespannten zweidimensionalen Raum erfolgt, da derart die Intensität und das Mischverhältnis der Grundängste beschrieben werden kann. [14]


Funktion und Sinn der Angst

Obgleich oft negativ konnotiert, hat Angst eine wichtige evolutionshistorische Funktion einer Art körperinternen Alarmanlage, welche (vermeintliche) Gefahren erkennt und lebenserhaltende Schutzmechanismen in Gang setzt. [15] Für den neuzeitlichen Menschen verlieren konkrete Ängste, z.B. vor gefährlichen Tieren, jedoch zunehmend an Bedeutung, da sich vor allem diffuse Ängste ausbreiten, während konkrete Ängste zu mindestens im westlich-zivilisierten Alltag konstant abnehmen. Trotzdem haben Ängste nach wie vor ihre Funktion als Schlüsselindikator für subjektives Wohlbefinden aber auch soziale Funktion beibehalten, indem Menschen im direkten Umfeld implizit um Hilfe gebeten werden. [16]


Angst und Unsicherheit

Sicherheit wird oft als ein wichtiges Grundbedürfnis des Menschen aufgeführt (z.B. in der Bedürfnispyramide nach Maslow). Während die Motivationsforschung Neuartigkeit, Komplexität und Ambiguität als Motivator für exploratives Verhalten sieht, definiert die Angstforschung ähnliche Konstrukte als Angstquellen. In diesem Zusammenhang lassen sich unterschiedliche Arten der Unsicherheiten unterscheiden, die sich insbesondere in dem Handlungsspielraum unterscheiden. [17] Je geringer dieser ist desto größer ist die gefühlte Hilfslosigkeit und Angst. Veränderung und Unsicherheit verursachen jedoch nur dann Angst, wenn die Situation (scheinbar) nicht umgangen werden kann und ein Schaden erwartet wird. Unsicherheit und potentielle Gewinne, sofern als Chance definiert, verursachen hingegen Hoffnung. [18] Unsicherheit ist somit gewissermaßen eine Gradwanderung zwischen Neugier und Angst.

Unsicherheitsaversion

Die Unsicherheitsaversion, nicht zu verwechseln mit der Verlustaversion [19], dient als möglicher Angstprädiktor. Menschen mit hohem Sicherheitsbedürfnis empfinden demnach besonders früh und intensiv Angst in unsicheren Situationen, da ihnen ein vergleichsweise niedrigeres Unsicherheitsniveau genügt, um eine Bedrohung zu empfinden. Die Unsicherheitsvermeidung wird nicht nur als Persönlichkeitseigenschaft, sondern nach Hofstede auch als eine kulturelle Dimension definiert. Demzufolge haben Menschen in unterschiedlichen Kultkreisen eine unterschiedliche - aber innerhalb der Kultur ähnliche - Sensibilität für Unsicherheit. [20]

Sicherheit

Als Besonderheit in diesem Kontext ist auch der Wegfall von Unsicherheit zu betrachten. Sobald sich Unsicherheit in Sicherheit wandelt, verändert sich auch Angst in eine andere Emotion. Tritt ein erwartetes negatives Ereignis wider Erwarten nicht ein, so empfindet der Mensch im allgemeinen Erleichterung oder auch Freude. Aber auch wenn sich ein befürchtetes Resultat als sicher zeigt, verändert sich die Angst oft in andere mit Schaden assoziierte Gefühle, wie etwa Wut oder Zorn. [21]

Angst im Kontext organisationalen Wandels

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Angst in vielen Bereichen und unterschiedlichen Facetten des menschlichen Lebens auftreten kann, von der Angst vor dem Zahnarzt, vor dem Klimawandel, vor finanziellen Engpässen bis hin zu der Angst vor Krankheit und Tod. Ängste und andere Emotionen im organisationalen Wandel dienen als Schlüsselindikator der Akzeptanz des Wandels. Ängste, sowohl begründete oder unbegründete, führen i.d.R. zu Resistenz und dem Scheitern der Veränderung und können sowohl aus aktuellen als auch aus früheren Erfahrungen entstehen. Hierbei wird weiter unterschieden, ob eine Person Angst vor Veränderung per se (diffus), oder aufgrund einer spezifischen Situation hat, wie etwa den Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund der aktuellen Umstrukturierung (konkret). Einige weitere Beispiele im organisationalen Kontext sind die Angst davor, die existenzielle Grundlage durch den Arbeitsplatz zu verlieren (existenzielle Angst), die Angst davor, für den Arbeitsplatzverlust von Kollegen verantwortlich zu sein (moralische Angst), die Angst, die Signifikanz im Unternehmen zu verlieren (Angst um Selbstwert) oder mit neuen Aufgaben überfordert zu sein (Angst vor Misserfolg), aber auch die Angst vor der Unternehmensführung (Angst vor Autoritäten) oder die Angst davor, Verantwortung zu übernehmen und die Angst vor Erfolg. [22] Darüber hinaus existieren einige fragwürdige Auffassungen über Emotionen im beruflichen Kontext. Zum einen die Annahme, dass Emotionen „weg-gemanagt“ werden müssten. Denn durch das Unterdrücken von Emotionen im Allgemeinen oder das Ausdrücken anderer Emotionen, als der tatsächlich empfundenen Emotionen (emotionale Dissonanz), können sowohl physische als auch psychische gesundheitliche Probleme entstehen. [23] Ein weiteres Problem ist „Management by Fear“, wobei Ängste der Mitarbeiter als Führungsinstrument und Druckmittel missbraucht werden. [24] Außerdem ist es auch gefährlich die Ängste als Problem der Mitarbeiter abzutun und als nebensächlich zu erachten. Letztendlich hat ein Unternehmen i.d.R. zumindest eine Teilverantwortung für diese Ängste. Leugnet ein Unternehmen diese Verantwortung, kann dies z.B. als fehlende Wertschätzung aufgenommen werden. [25]


Angstforschung und Hintergründe

Verbreitung der Angst

Viele Forschungsinstitute machen regelmäßige Erhebungen von Ängsten, wie das internationale Marktforschungsunternehmen Ipsos SA. Obwohl sich gewisse Regelmäßigkeiten zeigen, liegen teilweise sehr unterschiedliche Gründe für Angst vor. So wird für Deutschland 2019 unter den fünf größten Ängsten die Angst vor Einwanderung und die vor dem Klimawandel aufgeführt, während im globalen Vergleich Ängste vor finanzieller und politischer Korruption und einem schwachen Gesundheitswesen an einer der ersten Stellen stehen. [26] Außerdem zeigt die Studie, dass die Angst vor Arbeitslosigkeit weltweit vorherrschend ist [27]. Angst um den Arbeitsplatz entsteht insbesondere in Zeiten des Umbruches und der Krisen, wie beispielsweise der Weltfinanzkrise. Damalige Erhebungen zeigten, dass beinahe zwei Drittel der befragten Deutschen Angst vor finanziellen Engpässen durch einen möglichen Jobverlust hatten [28] und selbst Kinder um die Arbeit ihrer Eltern bangten [29]. In der Forschung ist außerdem zunehmend von sogenannten „neuen Ängsten“ die Rede. Hierzu wird auch die Angst vor dem Kontingenzzuwachs aufgeführt, die sich in der steigenden gesellschaftlichen Komplexität begründet, beispielsweise durch Orientierungslosigkeit insbesondere der jüngeren Generation aufgrund von Optionsvielfalt. Außerdem wird auch zunehmend die Projektion von Ängsten untersucht, beispielsweise die Angst vor dem Jobverlust, die auf Bevölkerungsgruppen wie Migranten projiziert wird. [30]



Literatur

Einzelnachweise

  1. Kluge 1924, 23f.
  2. Reischies 2007
  3. Stöber und Schwarzer 2000, 189; Dorsch, Häcker, und Becker-Carus 1998, 40; Bliesener 2001, 38
  4. Benesch 1995, 91f
  5. Reischies 2007, 248f
  6. Dehne 2017, 504
  7. Benesch 1995, 91; Stöber und Schwarzer 2000
  8. Stöber und Schwarzer 2000, 1f
  9. Reischies 2007, 228f
  10. Kiefer 2015, 52
  11. Warwitz 2005, 96ff.
  12. C. J. Kemper 2010
  13. Warwitz 2016, 36
  14. Riemann 1977; Krol 2018; Thomann, Stegemann, und Thomann 2017
  15. Dorsch, Häcker, und Becker-Carus 1998, 40; Becker 2004, 8
  16. Becker 2004, 8f
  17. H. Peukert o.J.; Boeckelmann und Mildner 2011
  18. Lantermann 2009, 4f
  19. Wang, Rieger, und Hens 2017
  20. Hofstede 2001
  21. Kiefer 2015, 53ff.
  22. Kiefer 2015, 57
  23. Ashkanasy, Zerbe, und Härtel 2015, 7ff.
  24. Kiefer 2015, 60
  25. Kiefer 2015, 60
  26. Ipsos Public Affairs 2019
  27. Ipsos Public Affairs 2019
  28. Statista Research Department 2009
  29. Statista Research Department 2009
  30. Dehne 2017, 504ff