Unsicherheit und Stress
Der Zusammenhang von Unsicherheit und Stress im Rahmen eines Organisationswandels wird in der Forschung aus einer Vielzahl von Perspektiven betrachtet. Dieses Phänomen wird im folgenden Artikel ausgehend von der empirischen sowie theoretisch wissenschaftlichen Diskussion auf ihre Bedeutung für Veränderungsprozesse transferiert.
Inhaltsverzeichnis
Begriff
Bedeutung
Das Wort Stress leitet sich aus dem lateinischen Wort stringere, welches „anspannen“ bedeutet, ab. Der heute verwendete Begriff stammt aus dem Englischen stress und wird mit „Druck“, „Anspannung“ oder „Belastung“ übersetzt. Erstmalig wurde der Begriff in der Physik, speziell in der Materialforschung, verwendet. Man versteht darunter die Spannung und Verbiegung von Glas und Metallen.[1] In den 40er Jahren wurde der Begriff erstmals auf den Menschen übertragen. Der Naturwissenschaftler Hans Selye (1907 – 1982) beschreibt Stress als eine körperliche Reaktion auf äußere Einflussfaktoren und gilt damit als der Vater der modernen Stressforschung.[2]
Der Begriff Stress wird sowohl im Alltag als auch in der Wissenschaft uneinheitlich verwendet.[3] Grund für die Ambiguität sind verschiedene Stresskonzepte, mit denen ein differenziertes Verständnis von Stress einhergeht. Zum einen werden darunter stressauslösende Bedingungen, sogenannte Stressoren, verstanden. Zum anderen die individuellen Stressreaktionen.[4] Eine allgemeingültige Definition von Stress steht daher nicht zur Verfügung.[5] Nach Cohen et al. zeigen die diversen Perspektiven und Definitionen von Stress ein gemeinsames Interesse in „einem Prozess, in dem die Anforderungen der Umwelt die Anpassungsfähigkeit eines Organismus belasten oder übersteigen, was zu psychologischen und biologischen Veränderungen führt, welche Personen einem Krankheitsrisiko aussetzen können“.[6] Der Fokus liegt insbesondere in den physiologischen und psychologischen Reaktionen, welche durch äußere Einflüsse hervorgerufen werden und den Gesundheitszustand der Individuen beeinflussen.
Ähnliche Begriffe
Neben den unterschiedlichen Bedeutungen existieren in der alltagssprachlichen Verwendung zahlreiche Synonyme für den Begriff Stress, wie zum Beispiel Überanstrengung, Anspannung, Eile, Hektik oder Druck. Dies resultiert insbesondere aus der Multidimensionalität des Begriffes. Die Synonyme mit ihren Bedeutungen und entsprechenden Verwendungen sollten insbesondere in der wissenschaftlichen Verwendung vom Stressbegriff abgegrenzt werden. Dies wird im Folgenden anhand der zwei Synonyme Belastung und Beanspruchung verdeutlicht.
Unter Belastung versteht man „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“. [7] Belastungen können positiv oder negativ sein und sind damit als neutral zu verstehen. Da nicht alle psychischen Belastungen zu Stress führen, ist eine Abgrenzung der beiden Begriffe notwendig.[8]
Beanspruchung wird definiert als „die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung der psychi-schen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategie“.[9] Die Beanspruchungen sind die Auswirkungen von Belastungen auf das Individuum. Eine negative Form der Beanspruchung wird als Stress bezeichnet. Die Definition verdeutlicht, dass Stress lediglich ein Teil des Beanspruchungs- und Belastungs-konzeptes ist und falls nicht korrekt abgegrenzt, fälschlicherweise für die beiden genannten Synonyme beliebig verwendet wird.
Veranschaulichung

Stress äußert sich in verschiedenen Situationen. Für die Entstehung von Stress ist insbesondere ein Ungleichgewichtszustand zwischen den Anforderungen der Umwelt und den allgemeinen persönlichen Leistungsvoraussetzungen oder -möglichkeiten, eine persönliche Bedeutsamkeit sowie ein unangenehmes Gefühl relevant.[11] Des Weiteren spielen die Dauer, Intensität und Kontrollierbarkeit eine entscheidende Rolle bei der Entstehung. Das folgende Phänomen veranschaulicht eine Situation in der Stress vorliegt.
Am Beispiel vom Organisationswandel zeigt sich, dass die Entstehung von Stress von diversen Faktoren abhängig ist. Nicht der Wandel allein führt zu Stress auf Seiten der Arbeitnehmer. Zunächst ist entscheidend, dass der Wandel eine hohe persönliche Bedeutsamkeit aufweist. Eine hohe Bedeutsamkeit ist beispielsweise gegeben, wenn der Arbeitsplatz des Mitarbeitenden direkt von den Restrukturierungen betroffen ist und die zukünftige Ausrichtung unklar ist. Durch diese Unsicherheit in Bezug auf den Arbeitsplatz sind zudem eine hohe Intensität, wenig Kontrolle und ein unangenehmes Gefühl verbunden. Fehlen dem Mitarbeitenden zusätzlich die entsprechenden Ressourcen, um mit der Arbeitsplatzunsicherheit umzugehen, führt die Restrukturierung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu Stress. Eine geringe Bedeutsamkeit ist hingegen gegeben, wenn der Arbeitsplatz und das Tätigkeitsfeld des Arbeitnehmers nicht direkt betroffen sind oder alternative Jobangebote, welche die Angst vor der Zukunft und dem Jobverlust verringern, vorliegen.[12] Ein weiterer wichtiger Indikator für Stress im Rahmen eines Organisationswandels sind die persönlichen Ressourcen. Haben die Mitarbeitenden das Gefühl, selbst etwas bewirken zu können, sind die negativen Auswirkungen des Wandels geringer. Fühlen sich die Arbeitnehmer hingegen hilflos den Änderungen ausgesetzt und haben wenig Handlungsspielraum, ist dies ein starker Indikator für Stress. Die Veranschaulichung zeigt, dass Stress nicht automatisch bei jedem Mitarbeitenden während eines Organisationswandels entsteht. Erst das Vorliegen diverser Faktoren führt zu Stressreaktionen.
Empirie
Verbreitung
Stress ist häufig Untersuchungsgegenstand in Studien der deutschen Krankenkassen und Unternehmensberatungen. Diverse Studien belegen, dass Stress zunehmend den Arbeitsalltag von vielen Arbeitnehmern bestimmt. So hat Korn Ferry, eine Personal- und Organisationsberatung, im Rahmen einer Umfrage mit ca. 2.000 Angestellten herausgefunden, dass zwei Drittel der Arbeitnehmer heute mehr Stress empfinden als noch vor fünf Jahren.[13] Als Stressfaktoren nennen die Befragten vor allem die Führungskraft (35%) und eine Überlastung durch Arbeitsaufträge (12%). Eine weitere Studie der DAK Gesundheit kommt zu dem Ergebnis, dass Erwerbslose, alleinerziehende Mütter und Studentinnen unter mehr chronischem Stress leiden als leitende Angestellte und Beamte im höheren Dienst.[14] Das erhöhte Stressniveau lässt sich aus größeren Sorgen über die Zukunft oder die eigenen Anforderungen zurückführen. Die Auswirkungen von Change-Prozessen wurden ebenfalls untersucht. In einer Befragung von 160 Führungskräften und 111 Arbeitnehmern kam Mutaree zu dem Ergebnis, dass sich Mitarbeitende im Rahmen von Change-Prozessen vor allem einer hohen Arbeitsverdichtung (86%), Zeitdruck (76%), Überstunden (75%) und Unsicherheit durch fehlende Orientierung (50%) ausgesetzt sehen.[15] Diese Faktoren können Stress auslösen und negative Auswirkungen auf die Belegschaft haben.
Weiterhin wird Stress in der empirischen Forschung aus einer Vielzahl von Perspektiven betrachtet. Arbeitsstress wurde in der Vergangenheit häufig untersucht und aufgrund der hohen Diversität der Studien ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse nicht möglich.[16] So kann an dieser Stelle nur ein Überblick über das Forschungsfeld gegeben werden. Im Allgemeinen wird je nach wissenschaftlicher Disziplin und dessen Vertretern zwischen sechs Stresskonzepten unterschieden. Busse et al. führen diese wie folgt auf: biologisches, soziologisches, psychologisches, ressourcen-fokussiertes, arbeitswelt-bezogenes und biopsychosoziales Stressverständnis.[17] Durch die verschiedenen Konzepte ergeben sich im Rahmen der empirischen Studien unterschiedliche Schwerpunkte. In Bezug auf Unsicherheit und Stress im Organisationskontext sind insbesondere das psychologische, ressourcen-fokussierte und arbeitswelt-bezogene Stressverständnis relevant.
Die psychologische Perspektive fokussiert sich auf kognitive Stressmodelle. Erst die subjektive Interpretation eines Reizes löst Stress aus.[18] Als Beispiel für die psychologische Perspektive sei hier die Studie ‚Conflict style and coping with role conflict: An extension of the uncertainty model of work stress‘ von Tidd und Friedman (2002) zu nennen. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen den Einfluss von Unsicherheit auf die Beziehung zwischen Rollenkonflikt und Arbeitsstress. Ein weiteres Beispiel ist die Studie ‚Attributes of the organizational change and its influence on attitudes toward organizational change and well-being at work: A longitudinal study‘ von Nery et al. (2019). Die ressourcen-fokussierte Perspektive konzentriert sich auf den Erhalt der Gesundheit und die Stärkung von protektiven Ressourcen.[19] Als Beispiel sei die Studie ‚Sense of coherence: Its effects on psychological and physiological processes prior to, during, and after a stressful situation` von McSherry und Holm (1994) zu nennen. Das arbeitswelt-bezogene Stressverständnis setzt sich mit dem Stress in der Arbeitswelt auseinander.[20] Die empirischen Studien untersuchen die Stressoren am Arbeitsplatz. Beispiele hierfür liefern die Studien ‚Demand–Control–Person: Integrating the Demand–Control and Conservation of Resources Models to Test an Expanded Stressor–Strain Model’ von Rubino et al. (2012) oder ‘Causes of stress before, during and after organizational change: a qualitative study’ von Smollan (2015).
Determinanten
Die stressauslösenden Faktoren werden unter dem Begriff Stressoren gebündelt. Unter diesen versteht man externe und interne Belastungen, welche bei Abwesenheit ausgleichender Ressourcen mit hoher Wahrscheinlichkeit Stress auslösen.[21] Diese Faktoren liegen nicht nur in der Beschaffenheit einer Situation, sondern vor allem in der individuellen Bewertung begründet. Daher werden diese häufig in bedingungs- und personenbezogene Stressoren kategorisiert.
Die bedingungsbezogenen Stressoren können des Weiteren in Anlehnung an McGrath in vier Kategorien unterteilt werden: physische Stressoren (z.B. Lärm, Beleuchtung, Schadstoffe), aufgabenbezogene Stressoren (z.B. Überforderung, Zeitdruck, unklare Arbeitsanweisungen, Rollenambiguität), arbeitsbezogene Stressoren (z.B. Schichtarbeit, Überstunden, Arbeitsunterbrechungen) und soziale Stressoren (z.B. soziale Dichte, Konflikte, Betriebsklima).[22] Im Rahmen eines Organisationswandels haben Mitarbeitende häufig mit aufgabenbezogenen, arbeitsbezogenen und sozialen Stressoren zu kämpfen, welche durch das Gefühl von Unsicherheit hervorgerufen werden. Die Unsicherheit resultiert unter anderem aus der Veränderung von Rollen, Angst vor dem Jobverlust, Kostenreduktionen, Wechsel der Geschäftsführer, Kontrollverlust und Mehrarbeit.[23][24][25] Diese Merkmale einer unsicheren Situation bilden Stressoren ab. Insbesondere die fehlende Kontrolle, Misskommunikation und fehlende Informationen lösen die stressigen Gefühle unter den Arbeitnehmern aus.[26][27] DeGhetto et al. nennen zudem die Wahrnehmung von Politik als weiteren Stressor während eines Organisationswandels. Darunter werden Erwartungen von politischem Verhalten, also die vorsätzliche Einflussnahme zum Schutz des Eigeninteresses, verstanden.[28] Auch Antonovsky (1997) nennt vier Faktoren, welche Arbeitsstress beeinflussen: hoher Arbeitsdruck, starke Kontrolle durch Vorgesetzte, fehlende Autonomie und fehlende Klarheit.[29] Diese Faktoren äußern sich verstärkt während eines Organisationswandels und in Situationen von Unsicherheit.
Personenbezogene Stressoren sind beispielsweise Feindseligkeit, negative Affektivität, geringes Selbstwertgefühl und mangelnde Abgrenzungsfähigkeit. In Bezug auf Unsicherheit ist die Toleranz für Ambiguität ein weiterer Faktor, welcher die Bewertung der Situation beeinflusst.[30] DeGhetto et al. nennen zudem politische Kompetenz, also die Fähigkeit ein besseres Verständnis und eine Verringerung des Kontrollverlustes zu erzielen, als Einflussfaktor auf die Beziehung von Unsicherheit und Stress.[31]
Wirkungen
Die Diversität der Wirkungen von Stressoren lässt sich bereits aus der Definition ableiten. Die Auswirkungen hängen voranging von der Bewertung der Individuen und der Dauer des Zustandes ab.[32][33] Die gesundheitlichen Folgen von Stress sind ebenfalls sehr vielfältig.
Durch die Bewertung der Individuen können Stressoren in belastende (Hindrance) und herausfordernde (Challenge) Stressoren unterteilt werden.[34] Belastende Stressoren haben eine negative Auswirkung auf die Motivation und Leistung der Mitarbeitenden sowie auf deren Engagement.[35] Eine unsichere Situation zeichnet sich durch belastende Umweltstressoren, wie Unternehmenspolitik, Bürokratie, Rollenambiguität und Jobunsicherheiten, aus und zieht daher vor allem negative Folgen nach sich.[36] Zu den herausfordernden Faktoren zählen beispielsweise ein hohes Arbeitsvolumen, Zeitdruck, Handlungsspielraum und eine hohe Verantwortung.[37] Cavanaugh et al. kamen zu dem Ergebnis, dass sich herausfordernde Stressoren positiv auf die Jobzufriedenheit und negativ auf die Wechselbereitschaft des Jobs auswirken.[38] Zudem resultieren sie in lösungsorientierten Stressbewältigungsmechanismen, welche zu einem erhöhten Engagement führen.[39] In einer unsicheren Situation während eines Organisationswechsels haben die Arbeitnehmer in der Regel weniger Handlungsspielraum und Verantwortung, weshalb vor allem belastende Stressoren ihre Wirkung entfalten und negative Folgen mit sich ziehen. Beide Formen von Stressoren wirken sich negativ auf die Gesundheit von den Mitarbeitenden aus indem sie Stress aufbauen und damit die Möglichkeit für einen Burnout erhöhen.[40]
Ebenfalls relevant für die Wirkung von Stress ist die zeitliche Dauer des Zustandes. Bei Normalstress besteht ein Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung. Ist der Stressor nicht mehr vorhanden, kann der Organismus wieder entspannen.[41] Bei Verlust der Regenerationsphase entsteht Dauerstress. Der Organismus ist in ständiger Alarmbereitschaft und passt sich der erhöhten Anforderung an.[42] Auf Dauer kann der Körper das hohe Leistungsniveau nicht halten. Dies führt zur Abnahme der Leistungsfähigkeit und zur Verschlechterung der physischen und psychischen Gesundheit.[43] Demzufolge steigt bei Dauerstress das Gesundheitsrisiko. Mögliche Krankheitsbilder, die durch chronischen Stress entstehen, sind zum Beispiel eine Störung des Immunsystems durch erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen, ein steigendes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle durch erhöhten Bluthochdruck und Blutfettwerte, Muskel und Rückenschmerzen durch Daueranspannung der Muskulatur, Störungen von sexuellen Funktionen und dem weiblichen Zyklus, Depressionen und Burnout.[44][45][46] Darüber hinaus gibt es indirekte Schäden, die die Gesundheit auf Dauer negativ beeinflussen, wie übermäßiges Essen, erhöhter Drogenkonsum und wenig Schlaf.[47]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Stressoren negativ auf die Gesundheit auswirken können. Stress, insbesondere chronischer Stress, führt zu gesundheitlichen Schäden. Durch die Unsicherheit, welche im Rahmen eines Organisationswandels vorliegt, werden verschiedene Stressoren hervorgerufen, welche das Stresslevel erhöhen. Verfügt der Mitarbeitende nicht über entsprechende Ressourcen, um die Stressoren zu bewältigen, und halten diese über einen langen Zeitraum an sind die Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit fatal.[48][49]
Theorie
Alternative Theorien
Antonovsky: Köharenzgefühl
Antonovsky entwickelte bei seinen Forschungen zum Thema Stress und Gesundheit das Modell der Salutogenese. Dies soll das Gegenstück zum vorherrschenden medizinischen Modell der Pathogenese darstellen. Während die Pathogenese die Entstehung und Entwicklung von Krankheiten beschreibt (vgl. Schmidt et al., 2007), soll mit der Salutogenese (von lat. Salus = „Gesundheit“) folglich die Entstehung von Gesundheit beschrieben werden.
Kern des Modells ist das sogenannte Kohärenzgefühl des Menschen (SOC = sense of coherence). „Das SOC ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat […]“ (Antonovsky, 1997, S. 36).
Das Kohärenzgefühl setzt sich aus drei Komponenten zusammen:
Verstehbarkeit: „Ausmaß, in welchem man interne und externe Stimuli als kognitiv sinnhaft wahrnimmt, als geordnete, konsistente, strukturierte und klare Informationen“ (Antonovsky, 1997, S. 34).
Handhabbarkeit: „Ausmaß, in dem man wahrnimmt, dass man geeignete Ressourcen zur Verfügung hat, um den Anforderungen zu begegnen, die von Stimuli, mit denen man konfrontiert wird, ausgehen“ (Antonovsky, 1997, S. 35).
Bedeutsamkeit: „Ausmaß, in dem das Leben als emotional sinnvoll und wichtig erachtet wird. Probleme werden als willkommene Herausforderungen gesehen“ (Antonovsky, 1997, S. 35).
Die wichtigste Komponente stellt die Bedeutsamkeit dar. Ohne sie können Verstehbarkeit und Handhabbarkeit nicht lange bestehen (Antonovsky, 1997). Menschen, bei denen alle drei Bereiche hoch ausgeprägt sind, haben ein starkes SOC, sprich ein starkes Kohärenzgefühl und umgekehrt.
Das Kohärenzgefühl steht in sich gegenseitiger Beeinflussung mit sogenannten „generalisierten Widerstandsressourcen“. Diese beschreiben Widerstandskräfte (z.B. Immunabwehr, finanzielle Sicherheit, intellektuelle Fähigkeiten oder praktische Fertigkeiten), um stressigen Situationen zu begegnen. Hohe Widerstandsressourcen verursachen dem Modell nach einen hohen SOC, der dann wiederum die Widerstandsressourcen stärken kann (vgl. Antonovsky, 1997; Bengel et al., 2001).
Menschen mit hohem SOC und großen Widerstandsressourcen nehmen Stressoren seltener als solche wahr. Falls sie diese doch wahrnehmen und daraus resultierend in einen Spannungszustand geraten, können sie diesen erfolgreicher bewältigen und geraten langsamer in einen Stresszustand, der auf lange Sicht zu Krankheit führen kann (vgl. Antonovsky, 1997; Bengel et al., 2001).
Lazarus: Transaktionales Stressmodel
Ein in der Stressforschung weltweit anerkanntes Model ist das Transaktionale Stressmodel von Lazarus (Ganster & Rosen, 2013).
Kern des Models ist ein Stressprozess, in dem der Mensch durch kognitive Bewertungsprozesse evaluiert, ob Situationen stressrelevant sind bzw. eine beliebige Beziehung zwischen Person und Umwelt als stressend wahrgenommen wird (vgl. Lazarus, 1999). Stress definieren Lazarus und Folkmann (1984, S. 19) als „Beziehung zwischen Person und Umwelt, die von der Person als ihre eigenen Ressourcen auslastend oder überschreitend und als ihr Wohlbefinden gefährdend bewertet wird“.
Wirkt ein potenzieller Stressor auf den menschlichen Organismus ein, läuft der Bewertungsprozess ab. Hierbei erfolgt zunächst eine primäre Bewertung. Dabei kann ein Stressor als irrelevant, günstig oder stressend eingestuft werden. Ein stressendes Ereignis kann als Verlust, Bedrohung oder Herausforderung eingestuft werden (Lazarus & Folkmann, 1984).
Neben der primären Bewertung erfolgt eine sekundäre Bewertung (parallel, nicht zeitlich versetzt). Hier steht die Frage, ob die zuvor als stressend deklarierte Situation zu bewältigen ist, im Vordergrund. Sollte die Situation als bewältigbar eingestuft werden, wird es lediglich als Herausforderung betrachtet und es tritt keine Stressreaktion ein. Sollte die Situation hingegen nicht als lösbar erachtet werden, sprich als Verlust oder Bedrohung, kommt es zur Stressreaktion. In diesem Falle geht der Organismus zur Stressbewältigung (Coping) über. Hier wird zwischen problemorientierter und emotionsorientierter Bewältigung unterschieden. Im Rahmen der problemorientierten Bewältigung wird eine Veränderung bzw. Neuinterpretation der Situation versucht, z.B. durch Informationssuche oder das Ändern eigener Ziele und Werte. Im Sinne der emotionsorientierten Bewältigung werden die durch die stressende Situation hervorgerufenen Emotionen zu regulieren versucht, z.B. durch Beruhigungs- oder Entspannungstechniken. Die Stressreaktion kann folglich durch eine Veränderung der Situation oder den eigenen Umgang damit verändert werden (Lazarus & Folkmann, 1984).
Nach der erfolgreichen Stressbewältigung erfolgt die Neubewertung der Situation. Die Lernerfahrungen aus der erfolgreichen Stressbewältigung haben dann einen Einfluss auf die Bewertung zukünftiger Stresssituationen (Lazarus & Folkmann, 1984).
Das transaktionale Stressmodell wurde u.a. von Bamberg, Greif sowie Zapf & Semmer um eine arbeitspsychologische Komponente des transaktionalen Stressmodels erweitert (vgl. Greif, 1991; Bamberg et al., 2003; Zapf & Semmer, 2004).
Karasek: Job-Demand-Control-Modell
Das von Robert A. Karasek formulierte Job-Demand-Control-Modell (JDC Modell) ist ein besonders einflussreiches und häufig untersuchtes Modell zum Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit (Gebele, 2009). Das Modell bezieht sich dabei auf die Entstehung von Belastungen und Stress in einem organisationalen Arbeitskontext.
Karasek beschreibt im Modell vier mögliche Job-Typen, die sich aus den an die Mitarbeitenden gestellten Anforderungen (engl. Job Demands) sowie des Entscheidungsspielraums (engl. Job Decision Latitude) im Job ergeben (Karasek, 1979).
Jobs mit niedrigem Anforderungsprofil und geringem Entscheidungsspielraum werden „Passive-Jobs“ genannt. Tätigkeiten mit dem gegensätzlichen Profil „Active-Jobs“. Letztere bringen eine hohe Fähigkeitsentwicklung, sprich Lernkurve mit sich, Passive-Jobs hingegen eine geringe (vgl. Karasek, 1979; Gebele, 2009). Dem Modell nach steigt folglich mit wachsendem Anforderungsprofil und Entscheidungsspielraum das Aktivitätslevel und der Lerngehalt.
Ausschlaggebend für das Maß an Belastung und Stress sind jedoch die übrigen beiden Job-Typen. Ein geringes Anforderungsniveau in Verbindung mit einem großen Entscheidungsspielraum wird als „Low Strain Job“, also ein Job mit geringer Belastung, definiert. Ein Job, an den hohe Anforderungen bei gleichzeitig geringer Entscheidungsgewalt gestellt werden, ist nach Karaseks Modell ein „High Strain Job“, also ein Job mit hoher Belastung, der zu Stress führen kann. Folglich steigt das berufliche Stresslevel mit zunehmendem Anforderungsniveau bei gleichzeitig abnehmender Entscheidungsfreiheit (Karasek, 1979).
Aussagen ausgewählter Theorie
Das Modell von DeGhetto et al. (2017) beschreibt die Auswirkungen von Veränderungssituationen in Unternehmen auf die Unsicherheit von Mitarbeitenden und den daraus entstehenden Stress.
Organisationswandel sorgen für Unsicherheit bei den Mitarbeitenden, beispielsweise über neue Strukturen, veränderte Arbeitsbedingungen oder den generellen Verbleib in der Firma. Diese Unsicherheit löst bei den Mitarbeitenden einen Sensemakingprozess aus, mittels dessen die Veränderung eingeordnet und begreifbar gemacht werden soll. Für die Gestaltung dieses Prozesses sind die Mitarbeitenden besonders empfänglich für organisationale Politik. Diese ist generell recht abstrakt als „ein Prozess der sozialen Einflussnahme, bei dem das Verhalten strategisch darauf ausgerichtet ist, kurz- oder langfristige Eigeninteressen zu maximieren, was auf Kosten der Interessen anderer geht“ (Ferris et al., 1989, S. 145) definiert. Die organisationale Politik, die konkret in Form von unternehmensinternen oder -externen Informationen, Gerüchten, Flurfunk, Kampagnen o.ä. gestaltet sein kann, wird von den Mitarbeitenden unterschiedlich wahrgenommen und als perception of organizational politics (POPs) bezeichnet. Die Unsicherheit in Veränderungssituationen beeinflusst folglich die POPs. Diese hat dann wiederum, je nachdem wie die Mitarbeitenden ihren Sensemakingprozess gestalten, direkten Einfluss auf den während der Veränderungssituation empfundenen Stress (DeGhetto et al., 2017).
Generell wird in der Literatur von einem negativen Einfluss von POPs auf Stress ausgegangen (Ganster & Rosen, 2013). Das Modell von DeGhetto et al. geht jedoch davon aus, dass POPs die Ausprägung von belastenden oder herausfordernden Stressoren annehmen können. Die erläuterten Beziehungen des Modells (Veränderung Unsicherheit POPs Stress) werden von vier Moderatoren beeinflusst. Zwei Moderatoren beeinflussen die Beziehung zwischen Unsicherheit und POPs, die übrigen beiden die Beziehung zwischen POPs und empfundenem Stress (DeGhetto et al., 2017).
In einem ersten Schritt wird die Beziehung zwischen Unsicherheit und POPs durch das Verhalten der Führungskräfte sowie die individuellen Charakteristika der Mitarbeitenden moderiert.
Das Verhalten der Führungskräfte bezieht sich insbesondere auf deren politische Kommunikationsfähigkeiten in der ersten Phase der Veränderung, wenn Mitarbeitende während ihres Sensemakingprozesses, aufgrund ihrer Unsicherheit, besonders empfänglich dafür sind. Politische Fähigkeiten meinen dabei „die Fähigkeit, andere bei der Arbeit effektiv zu verstehen, und dieses Wissen zu nutzen, um andere zu beeinflussen, so zu handeln, dass die eigenen persönlichen und/oder organisatorischen Ziele gefördert werden“ (Ferris et al., 2005, S. 127). Zusätzlich haben Führungskräfte die Verfügungsmacht über exklusives Wissen und Ressourcen bzgl. der anstehenden Veränderungen (Hope, 2010). Zudem haben sie den Überblick über Sinn und Zweck der anstehenden Veränderungen. Dieser Vorteil kann in Kombination mit guten politischen Kommunikationsfähigkeiten entscheidend sein. Sind Führungskräfte in der Lage, erfolgreiches Sensegiving und Framing zu betreiben, kann dies die Wahrnehmung der Mitarbeitenden über den Veränderungsprozess sowie deren Einstellung dazu positiv beeinflussen und damit auch ihren Sensemakingprozess (DeGhetto et al., 2017; Fiss & Zajac, 2006). In der Folge kann sich die POPs verringern. Sollten Führungskräfte beim Versuch des Sensegivings und Framings scheitern, weil sie dies beispielsweise nicht für nötig erachten, dazu nicht fähig sind oder es aufgrund unterschiedlicher Interessen und Meinungen in den Führungsebenen zu widersprüchlicher Kommunikation kommt, verlassen sich Mitarbeitende verstärkt auf ihr eigenes Sensemaking. Dadurch können sich bei den Mitarbeitenden die POPs zum Zwecke des Sensemakings verstärken (DeGhetto et al., 2017).
Unabhängig der politischen Kommunikationsfähigkeiten der Führungskräfte hängt die POPs immer auch von den individuellen Charaktereigenschaften der einzelnen Mitarbeitenden ab. So kann gute und transparente Kommunikation seitens der Führungskräfte dennoch zu einer starken POPs führen.
Mitarbeitende mit einer Tendenz zu negativer Affektivität tendieren generell dazu, sich schnell unzufrieden und schlecht zu fühlen (Watson et al., 1988) als auch dazu, Ereignisse – wie beispielsweise Veränderungsprozesse – negativ zu empfinden (Warr et al., 1983). Darüber hinaus neigen einige Menschen dazu negative Resultate nicht bei sich selbst, sondern externen Faktoren zu suchen (Heider, 1958; Martinko et al., 2007). Mitarbeitende mit dieser Einstellung würden die Gründe für veränderungsbedingte Umstellungen oder neue Situationen nicht bei sich suchen und entsprechend Motivation zu Veränderung entwickeln, sondern in externen Faktoren (DeGhetto et al., 2017).
Des Weiteren begegnen einige Mitarbeitenden Veränderungen generell mit Skepsis und Widerstand (Bovey & Hede, 2001). Mitarbeitende, auf die eine oder mehrere der genannten Charaktereigenschaften zutreffen, neigen eher zu einer starken POPs (DeGhetto et al., 2017).
In einem zweiten Schritt wird der Einfluss von POPs auf den empfundenen Stress der Mitarbeitenden durch den Grad der Partizipation sowie die politischen Fähigkeiten der Mitarbeitenden moderiert. Ungeachtet der Charakteristika eines Mitarbeitenden und des Erfolgs oder Misserfolgs des Sensegivingprozesses durch die Führungskräfte im ersten Schritt und damit auch ungeachtet des Grads an POPs kann der durch die Veränderungssituation hervorgerufene Stress, je nach Ausprägung der Moderatorvariablen, somit unterschiedlich stark ausfallen (DeGhetto et al., 2017).
Durch Partizipation und aktive Einbeziehung der Mitarbeitenden in den Veränderungsprozess kann der Sensemakingprozess derart gestaltet werden, dass Mitarbeitende die POPs nicht als belastend und damit als stressig empfinden, sondern positiver und sinnvoller erachten und sich der Situation weniger ausgesetzt fühlen. Dies kann eine Stressreduktion zur Folge haben (DeGhetto et al., 2017). So können beispielsweise Mitarbeitende, bei denen der Sensegivingprozess im ersten Schritt nicht erfolgreich war und eine entsprechend hohe POPs vorliegt durch aktive Partizipation im Veränderungsprozess reduzierten Stress empfinden.
Die zweite Moderatorvariable bezieht sich auf den Grad der politischen Fähigkeiten der einzelnen Mitarbeitenden. Mitarbeitende mit politischen Fähigkeiten beherrschen erfolgreiches unternehmensinternes und -externes Netzwerken und haben die Fertigkeiten, an relevante Informationen und Ressourcen zu gelangen. Dies hilft ihnen, die Veränderungsprozesse besser zu verstehen und einzuordnen und damit den Sensemakingprozess derart zu gestalten, dass die POPs als weniger stressend empfunden werden (vgl. DeGhetto et al., 2017; Ferris & Kacmar, 1992; Perrewe et al., 2004).
Besitzen Mitarbeitende folglich politische Fähigkeiten und/oder sind aktiv in den Veränderungsprozess einbezogen, nehmen sie die POPs weniger als hemmende Stressoren wahr. Vielmehr werden sie als herausfordernde, sprich positive, Stressoren erachtet, mittels derer sie ihren Sensemakingprozess so gestalten können, dass die Veränderungssituation als etwas Positives erachtet wird.
Ausgewählter Mechanismus

Der Mechanismus des reziproken Anerkennungsverhältnisses zeigt, dass die Identitätenbildung sich über den Austausch von Anerkennung in Bezug auf ihre Objekte Bedürfnis, Recht und Leistung nur in Interaktion mit einem Anderen gründet. Bedingungen dieses Mechanismus sind ein intersubjektiv geteilter Werthorizont mit den darin enthaltenen Persönlichkeitsidealen sowie eine allgemeingültige Deutungspraxis von Werten.[51] [52] Zudem sollte beachtet werden, dass Anerkennung gewissermaßen erst in Negativgestalt zu einer messbaren Größe für Subjekte wird. So besteht die Schwierigkeit, einen Maßstab für die individuell gefühlte Anerkennung zu bestimmen.[53] Es können drei Anerkennungskonstellationen unterschieden werden:
- symmetrisch und wechselseitig-anerkennend: Individuen befinden sich auf gleicher Ebene, ohne dass zwischen ihnen ein Machtgefälle besteht. Sie anerkennen sich wechselseitig in ihren Bedürfnissen, Rechten und Leistungen. Beispiel: Mitarbeiter-Mitarbeiter.
- asymmetrisch und wechselseitig-anerkennend: Diese Beziehung ist wechselseitig, aber nicht symmetrisch. Dies ist der Fall, wenn ein Individuum den Anderen als Autoritätsperson anerkennt und der Andere ihn als Untergebenen. Eine vertikale Beziehung besteht. Beispiel: Mitarbeiter-Chef.
- asymmetrisch und einseitig-anerkennend: In dieser Konstellation erkennt ein Individuum den Anderen an, wird aber vom Anderen missachtet. Der Andere nimmt folglich eine Machtposition über das Anerkennungsbedürfnis des Individuums ein. Beispiel: Opferrolle mit tiefer Demütigung.[54]
Theoretiker gehen davon aus, dass die Begegnung zwischen Ich und dem Anderen ursprünglich asymmetrisch ist. Sie stellen heraus, dass über den Prozess des Kampfes zwar eine Gegenseitigkeit hergestellt wird, dass aber zugleich eine nie vollendete Überwindung der Asymmetrie vorherrscht. Die Symmetrie muss im Kampf um Anerkennung immer wieder neu erkämpft werden.[55] Daher steht der Begriff der Anerkennung für einen Prozess und kein starres Wesen.[56] Ausgehend von dem Prozess-Charakter des Mechanismus können auch Störungen auftreten. Störfälle können unter anderem folgende Szenarien sein: Veränderung der Konstellation (ein Kollege wird zum Vorgesetzten), Missachtung von Identitätsansprüchen (ein Individuum wird nicht entsprechend seiner Vorstellung anerkannt), oder Verkennung (ein Individuum empfindet sich falsch anerkannt). Diese Störfälle durchbrechen den reziproken Anerkennungsprozess und führen aufgrund des drohenden Persönlichkeitsverlustes zu Widerstand.[57]
Bedeutung für Veränderungsprozesse
Das Verhalten in Organisationen unterliegt laufenden Veränderungen der Unternehmensstrategien und -strukturen, da sich Organisationen heutzutage an stetig verändernde Rahmenbedingungen anpassen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.[58] Insbesondere die eigenen Mitarbeiter für Veränderungsvorhaben zu motivieren und zu mobilisieren, stellt dabei eine große Herausforderung dar. Inwieweit Anerkennung hierbei als ein entscheidender Faktor angesehen werden sollte, kann mithilfe des reziproken Anerkennungsverhältnisses nach Honneth erörtert werden. Eine Veränderung wird als Spannungsfeld bzw. Störquelle eines ausgewogenen Zustandes in einer Organisation verstanden, mit dem Ziel einen neuen 'besseren' ausgewogenen Zustand zu erreichen.[59] In einem ausgewogenen Zustand sind auch die Anerkennungsverhältnisse stabil reziprok. Wird dieser ausgewogene Zustand durch eine Veränderung unterbrochen, können die bestehenden Anerkennungsverhältnisse zerstört werden. Dies hat, wie oben aufgezeigt, zur Folge, dass die Identitätenbildung der Mitarbeiter beeinflusst wird. Ist dies der Fall und wird der eigene Anspruch auf Anerkennung nicht erfüllt, besteht die Gefahr des Widerstandes gegenüber der Veränderung durch den drohenden Persönlichkeitsverlust. Situationsbeispiele hierfür sind zum einen das Kommunikationsverhalten und zum anderen die Partizipationsmöglichkeiten im organisationalen Veränderungsprozess. So kann ein reziprokes Anerkennungsverhältnis zum Beispiel durch fehlende Kommunikation der einzelnen Schritte des Wandels oder durch den Vorbehalt wichtiger Informationen gestört werden, wenn ein Organisationsmitglied sich dadurch in seinen Identitätsansprüchen missachtet sieht. Außerdem kann das Gefühl von Anerkennung der Mitarbeiter negativ beeinflusst werden, wenn sie bei der Gestaltung des Wandels nicht partizipativ eingebunden werden. Folglich kann geschlussfolgert werden, dass Anerkennung für Veränderungsprozesse vor dem Hintergrund einer Protesthaltung der Organisationsmitglieder eine große Bedeutung einnehmen kann.
Kritische Würdigung
Verhalten in Organisationen kann mithilfe von Anerkennungstheorien erklärt werden. Unter anderem können Widerstandsreaktionen in Veränderungsprozessen aufgrund von Störungen der reziproken Anerkennungsverhältnisse entstehen. Entsprechende Theorien betrachten Anerkennung unter dem Aspekt der Identitätenbildung. Einige empirische Studien beschäftigen sich mit Anerkennung am Arbeitsplatz und ihren Wirkungen. Dennoch besteht eine Forschungslücke, Anerkennungstheorien auf den Organisationskontext zu übertragen und entsprechende Management-Empfehlungen abzuleiten. Denn in der Praxis zeigt sich, dass bisher Anerkennung im organisationalen Kontext unter dem Aspekt der Identitätenbildung/-störung keine Aufmerksamkeit genießt. Vielmehr wird Anerkennung nur mit der würdigenden Anerkennung gleichgesetzt, was dazu führt, dass Praktiken entwickelt werden, die die eigentliche Bedeutung von Anerkennung und ihre Einflussnahme auf das organisationale Verhalten verfehlen.
Literatur
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Lindner, L.: Respekt, in Psychologie der Werte - von Achtsamkeit bis Zivilcourage, Basiswissen aus Psychologie und Philosophie, Frey, D. (Hrsg.). Springer-Verlag, Heidelberg: 2016.
Matyssek, A.: Wertschätzung im Betrieb - Impulse für eine gesündere Unternehmenskultur. Books on Demand, Norderstedt: 2011.
Miner, J.: Organizational Behavior 4 - from Theory to Practice. M.E. Sharp, Inc, New York: 2007.
Stumpf, M., Wehmeier, S.: Kommunikation in Change und Risk – Wirtschaftskommunikation unter Bedingungen von Wandel und Unsicherheiten. VS Verlag, Wiesbaden: 2014.
Mead, G: Geist, Identität und Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt/Main: 1968.
Renger, D., Renger, S., Miché, M., Simon, B.: A Social Recognition Approach to Autonomy: The Role of Equality-Based Respect. Psychology Bulletin, Vol. 43, No. 4 (2005), pp. 479–492.
Ricoeur, P.: Wege der Anerkennung - Erkennen, Wiedererkennen, Anerkanntsein. Suhrkamp, k.A.: 2006.
Schmetkamp, S.: Respekt und Anerkennung. mentis Verlag GmbH, Paderborn: 2012.
SOEP - Sozio-oekonomisches Panel: Variablen BBP6001, BBP6002, BBP6003, BBP6004 aus dem Panel 2011. Online verfügbar unter: http://panel.gsoep.de/soepinfo2013/, abgerufen am: 03.06.2017.
Taylor, C.: Das Unbehagen an der Moderne. Suhrkamp, Frankfurt/Main: 1995.
Zappos: Holocracy and Self-Organization (2017). Online verfügbar unter: http://www.zapposinsights.com/about/holacracy, abgerufen am: 15.04.2017.
Einzelnachweise
- ↑ Litzcke et al. (2013)
- ↑ Plaumann et al. (2006)
- ↑ Schütz & Bartholdt (2010)
- ↑ Plaumann et al. (2006)
- ↑ Nitsch (1981)
- ↑ Cohen et al. (1995), S. 3
- ↑ Joiko et al. (2010), S. 9
- ↑ Richter (2000)
- ↑ Joiko et al. (2010), S. 10
- ↑ Fotoausschnitt des eigens illustrierten Kurzfilms
- ↑ Greif (1991)
- ↑ Dahl (2011)
- ↑ Korn Ferry (2019)
- ↑ IGES (2014)
- ↑ Mutaree (2017)
- ↑ Ganster & Rosen (2013)
- ↑ Busse et al. (2006)
- ↑ Busse et al. (2006)
- ↑ Busse et al. (2006)
- ↑ Busse et al. (2006)
- ↑ Richter & Hacker (1998)
- ↑ McGrath (1982)
- ↑ Bordia et al. (2014)
- ↑ DeGhetto et al. (2017)
- ↑ Nery et al. (2019)
- ↑ Green (2011)
- ↑ Smollan (2015)
- ↑ DeGhetto et al. (2017)
- ↑ Antonovsky (1997)
- ↑ Greco & Roger (2001)
- ↑ DeGhetto et al. (2017)
- ↑ DeGhetto et al. (2017)
- ↑ Litzcke et al. (2013)
- ↑ Cavanaugh et al. (2000)
- ↑ Crawford et al. (2010)
- ↑ LePine et al. (2004)
- ↑ Crawford et al. (2010)
- ↑ Cavanaugh et al. (2000)
- ↑ Crawford et al. (2010)
- ↑ Crawford et al. (2010)
- ↑ Litzcke et al. (2013)
- ↑ Unger & Kleinschmidt (2006)
- ↑ Litzcke et al. (2013)
- ↑ Litzcke et al. (2013)
- ↑ Schütz & Bartholdt (2010)
- ↑ Unger & Kleinschmidt (2006)
- ↑ Litzcke et al. (2013)
- ↑ Crawford et al. (2010)
- ↑ Litzcke et al. (2013)
- ↑ Eigene Darstellung
- ↑ Dubet (2008), S. 217
- ↑ Honneth (1992), S. 205
- ↑ Honneth (1992), S. 195
- ↑ Schmetkamp (2012), S. 121
- ↑ Ricoeur (2006), S. 197f
- ↑ Dubet (2008), S. 207
- ↑ Schmetkamp (2012), S. 120 f.
- ↑ Gabler Wirtschaftslexikon (2017)
- ↑ Miner (2007), S. 31